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Tour de France 1999, 9. Etappe

<font size=1><b>von <a href="mailto:svenm_alesi@web.de">Sven</a></b></font>



"Sobald du realisierst, dass du leben wirst, musst du dich entscheiden, wie du leben willst..."

12. Juli 1999: Lance Armstrong auf dem Gipfel - Triumphzug in den Alpen

 

Nicht einmal drei Jahre waren vergangen, nachdem den US-Amerikaner Lance Armstrong im Oktober 1996 eine erschütternde Diagnose wie der Blitz traf: Hodenkrebs. Zu diesem Zeitpunkt war Armstrong 25 Jahre alt.

Mitte des Jahres 1996 erlitt der Texaner unerwartete Form-Einbrüche, die unter anderem dazu führten, dass er die Tour de France 1996 frühzeitig beenden musste.

Vielerlei Untersuchungen musste er über sich ergehen lassen, um den rätselhaften Einbrüchen und der chronischen Müdigkeit auf den Grund gehen zu können.

Während einer dieser Untersuchungen kam die bittere Wahrheit ans Tageslicht: In seiner Lunge hatten sich Metastasen gebildet – im Gehirn wucherten bereits zwei Tumore. Operationen und mehrere Zyklen einer Chemotherapie waren die Folge.

Auch wenn er dem Tod ins Antlitz blicken konnte – für Armstrong gab es nur eine Zielrichtung: Leben.

„Sobald du realisierst, dass du leben wirst, musst du dich entscheiden, wie du leben willst...“

Für Armstrong war klar: Er wollte wieder aufs Rennrad steigen und nicht nur das, er wollte es stärker und besser denn je.

 



Comeback nach der Krebserkrankung

Bereits für das Jahr 1997, an Radfahren war zu Beginn dieser Saison noch nicht einmal im Traum zu denken, bekam er einen Vertrag beim renommierten sportlichen Leiter Cyrille Guimard und dessen neuer Cofidis-Mannschaft. Geschwächt von den Operationen und der Chemotherapie gelang es Armstrong jedoch nicht, so schnell wie erhofft Anschluss zu finden. Das tägliche Training fiel ihm schwer und keine Tendenz zur Besserung war in Sicht. Da kein Fortschritt erkennbar war, wurde der Vertrag aufgelöst und Armstrong stand vor einer unsicheren radsportlichen Zukunft, doch bereits 1998 in den Farben der amerikanischen US Postal-Mannschaft ließ er mit Siegen bei der Luxemburg-Rundfahrt und der Rheinland Pfalz-Rundfahrt aufhorchen. Das Comeback war geglückt und gekrönt durch den sensationellen vierten Gesamtrang bei der Spanien-Rundfahrt. Die Radsport-Welt war erstaunt: Armstrong war auf einmal bärenstark im Hochgebirge. Genau diese Fähigkeit besaß er vor seiner Krebserkrankung nicht.

Seine Fähigkeiten am Berg weckten in ihm große Hoffnungen, was die Tour de France 1999 anging. Akribisch feilte er in den kommenden Monaten an seinem Ziel – es galt einzig und allein der Tour, dem bedeutungsvollsten Rennen des Radsports, dem einzigen Rennen, das auch in den USA einen hohen Stellenwert besitzt.



Tour de France 1999 ohne &#8222;den&#8220; Favoriten

Die Tour 1999 schien offen wie selten zuvor: Kein einziger ehemaliger Sieger war am Start, da sowohl Vorjahressieger Marco Pantani, als auch Jan Ullrich aus verschiedensten Gründen auf den Start in Frankreich verzichteten. Auf Armstrong tippten dennoch die wenigsten…

Dann jedoch schlugen ihm Begeisterungswellen entgegen, als er sensationell den Tour-Prolog in Puy-du-Fou gewinnen konnte. Wochenfrist später siegte er auch beim langen Zeitfahren von Metz.

Schon die Tour zu beenden, so Armstrong, sei für ihn "eine Demonstration des Überlebens". Nun fuhr er im Gelben Trikot die erste Alpenetappe über 213.5 km von Le Grand Bornand nach Sestrières. Gleichzeitig war es die „Königsetappe“, galt es doch auf dem Weg in die 2033 Meter hohe italienische Skistation Sestrières den berühmten Col du Galibier in 2645 Meter Höhe zu überwinden.

 

Die Erwartungshaltung vor diesem Tag war groß, schließlich hatte sich immer noch kein „Patron“ der Tour de France herausgestellt, so glaubte man…

Doch welcher Fahrer wäre überhaupt prädestiniert gewesen, am Berg alles in Grund und Boden fahren zu können ? Viele rechneten mit dem Russen Pavel Tonkov, der im Vorjahr beim Giro Marco Pantani das Leben so schwer wie möglich machte. Alex Zülle schien zu labil, hatte zudem bereits sechs Minuten Rückstand dank eines Sturzes in der „Passage du Gois“ zu Beginn der Tour. Auch Abraham Olano, bei dem ganz Spanien schon einige Jahre auf den großen Durchbruch bei der Tour vergebens wartete, galt nicht unbedingt als überragender Kletterer…



Auch am Berg unschlagbar

Schnell kristallisierte sich heraus, dass es den Gegnern schwer fallen würde, Armstrong abzuhängen: Schlechtes Wetter am Col du Galibier erschwerte die Bedingungen für die Rennfahrer immens, doch weder Armstrong, noch sein Teamkollege Kevin Livingston (USA) ließen sich aus der Fassung bringen – auch nicht, als die „Bergziegen“ von Kelme-Costa Blanca einen Großangriff starten wollten: Zunächst attackierte der Kolumbianer Joaquim Castelblanco, kurz darauf sein Teamkollege Fernando Escartin (Spanien). Als Tandem versuchten beide, dem US Postal-Duo zu entfliehen. Livingston, der an jenem Tag eine besonders hervorzuhebende Leistung brachte, zog im Steilstück des Galibier, circa fünf Kilometer vor der Passhöhe, das Tempo an, worauf nach und nach viele hoch gewettete Fahrer (Tonkov, Olano, Stefano Garzelli (Italien)) den Anschluss verloren. Ein kleines Grüppchen um Livingston und Armstrong bildete sich – dazu gehörten die beiden Banesto-Fahrer Alex Zülle und Manuel Beltran (Spanien), Giro-Sieger Ivan Gotti aus Italien mit seinem Polti-Teamkollegen Richard Virenque (Frankreich), Laurent Dufaux (Schweiz) von der Saeco-Mannschaft sowie Carlos Alberto Contreras aus Kolumbien, Teamkollege von Castelblanco und Escartin. Der Ausreißversuch beider Kelme-Profis dauerte nur wenige Minuten – das Livingston’sche Tempodiktat war zu dominant für jedweden Fluchtversuch.

 

Erster oben am Galibier war der Spanier José Luis Arrieta vom Banesto-Team, der als einziger Fahrer einer frühen Fluchtgruppe dem amerikanischen Tempozug widerstehen konnte. In der Abfahrt ließ er sich zurückfallen, wohl wissend, keine Chance zu haben, da es noch über den Montgenevre hinauf ging, bevor es die Schlusssteigung nach Sestrières in Angriff zu nehmen galt.

Die Kooperation der Führungsgruppe über den Montgenevre hinauf lief perfekt. Im zweiten Feld schaffte es die Koalition aus Mapei (für Tonkov) und ONCE (für Olano) nicht, den Abstand zu verringern. Der Vorsprung pendelte über viele Kilometer zwischen einer und anderthalb Minuten, doch gerade dies demoralisierte die beiden Verfolger-Teams, deren Tempoarbeit keinerlei Ertrag brachte. Schnell wurde klar, dass der Etappensieger nur aus der Spitzengruppe stammen würde…



Armstrong zündet die Rakete

„Meine Wiedergeburt ist das Ergebnis unbändigen Lebenswillens. Der Krebs hat Energien in mir geweckt, die ich nicht in mir vermutete...“

In der Abfahrt vom Montgenevre riskierten Ivan Gotti und Fernando Escartin viel, obwohl die Straße infolge des Regens und der nach wie vor hohen Luftfeuchtigkeit schmierig und glatt war. Dennoch schien sich die „Attacke“ in der Abfahrt auszuzahlen: Gotti und Escartin fuhren einen Vorsprung von 30 Sekunden auf die übrig gebliebene Gruppe mit Armstrong, Zülle, Dufaux, Virenque und Contreras heraus. Die Vorentscheidung schien gefallen bis… ja bis es Armstrong zu bunt wurde. Mit einem wuchtigen Antritt sprengte er die fünfköpfige Verfolgergruppe. Carlos Contreras suchte das Hinterrad, hielt es aber nur wenige Augenblicke, bevor auch er wegbrach. Innerhalb von wenigen hundert Metern war der Vorsprung der beiden Führenden aufgebraucht: Raketenartig und mit einer regelmäßigen, selten zuvor gesehenen Trittfrequenz zwischen 90 und 100 katapultierte sich Armstrong heran. Es war abzusehen, dass die konsternierten Gotti und Escartin nicht lange das Hinterrad des Amerikaners würden halten können - die Geschwindigkeit des Amerikaners war galaktisch hoch. Beeindruckend, wie Armstrong das Tempo forcierte: Er erhöhte den Gang, hielt die Trittfrequenz bei und fuhr den beiden Mitstreitern einfach davon… Als er registrierte, sich abgesetzt zu haben, ging er aus dem Sattel, legte noch einen Zahn zu und wurde im Blickwinkel von Gotti und Escartin nur noch wenige Minuten wahrgenommen. Bengalische Feuer begleiteten Armstrong auf dem Weg zum Gipfel...

Er war am Ziel seiner radsportlichen Träume angelangt: Bei der Zieldurchfahrt im wolkenverhangenen Sestrières reckte er die Arme gen Himmel.

„Meine Wiedergeburt ist das Ergebnis unbändigen Lebenswillens. Der Krebs hat Energien in mir geweckt, die ich nicht in mir vermutete...“ – Diese Energien setzte er an jenem 12. Juli 1999 frei und waren der Beginn einer neuen Ära, die im Jahr 2004 einen Höhepunkt sportlicher Dominanz fand.


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