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Historische Rennberichte



Distanzradfahrt Mailand-München 1894

<center>Illustrirte Zeitung. Nr. 2660. 23.Juni 1894</center>



Ein bedeutsames sportliches Ereignis spielte sich in den Tagen vom 11. bis 13. Juni ab; die internationale Distanz-Radfahrt Mailand=München. Hatte die vorjährige Fahrt Wien=Berlin die Ueberlegenheit der Radfahrer gegenüber den Diszanzreitern gezeigt, so galt es bei der diesmaligen Veranstaltung, durch Ueberwinden der größten Terrainschwierigkeiten den Beweis zu führen, daß das Fahrrad nicht allein an die ebene Landstraße gebunden ist. In flotter Fahrt durch drei der schönsten Länder unseres Erdtheils sollte der Brenner, dieser historische Alpenpaß, mit dem Rad überstiegen werden, kein Wunder also, daß nicht nur der Sportsman, sondern ebensowol das Laienpublikum der Sache das größte Interesse entgegenbrachte.


Max Reheis, der zweite Sieger
Die Meldungen zur Theilnahme an der Fahrt liefen sehr zahlreich ein: 49 deutsche, österreichische, italienische und schweizer Fahrer wollten sich im friedlichen Kampfe messen. Von den Gemeldeten starteten 46 am Morgen des 11. Juni in Rogoredo, einem bei Mailand unmittelbar vor der Porta Romana gelegenen Oertchen; von dort fuhren sie in drei Gruppen, die erste um 7 Uhr 30 Min., die andern beiden Gruppen je 5 Minuten später, in flottestem Tempo ab. Unter den Fahrern befanden sich mehrere, die schon bei dem Rennen Wien=Berlin mit gutem Erfolg betheiligt waren, so der damalige Sieger Fischer, Sorge, der zweiter gewesen, Gerger und Reheis, die den 3. bezw. 5. Platz behauptet hatten. Die meisten übrigen Theilnehmer, so besonders mehrere Italiener, waren als vorzügliche Fahrer bekannt.
Auf der Strecke waren Controlstationen errichtet in Brescia, Ula, Salurn, Brixen, Brennerhöhe, Innsbruck, Wörgl, Rosenheim, hier mußten die Fahrer die Zeit ihrer Ankunft in ein Buch eintragen lassen. Fast in allen diesen Plätzen sowie noch an einigen andern Orten befanden sich Erfrischungsstationen, wo sich die Renner restauriren konnten; die Kosten hierfür bestritt das Comité von den Einsätzen.


Joseph Fischer, der erste Sieger
Wenn man in Sportskreisen annahm, der Sieger werde bei günstigem Wetter und guter Straße etwa 30 Stunden gebrauchen, wurde diese Zeit in Anbetracht dessen, daß der beste über diese Strecke verkehrende Schnellzug 17 1/2 Stunden, ein Postzug aber 38 Stunden unterwegs ist vielfach als allzu niedrig gegriffen erachtet. Allerdings, wer die riesigen Steigungen ins Auge faßte, die zu überwinden waren konnte leicht eine optimistische Täuschung vermuthen, denn die Schwierigkeit des nächtlichen Ueberquerens der Centralalpen zwischen Bozen und Innsbruck, den Aufstieg von 123 Mtr. (Mailand) zu 1325 Mtr. Meereshöhe (Brenner) mit dem Rad konnte man sich nicht so einfach vorstellen, wenn auch die vorzügliche Brennerstraße die Steigungen sehr gut überwindet. Trotz aller gegentheiligen Vermuthungen, und trotzdem das Wetter, das in Mailand schön war, später in Gestalt von Gegenwind, Gewitter und Regen den wackern Rennfahrern Hindernisse entgegenstelle, fuhr schon am 12. Juni nachmittags 1 Uhr 12 1/4 Min. der erste, Joseph Fischer (Mitglied des Velocipedclubs Germania in München), unter brausenden All=Heil=Rufen und endlosem Jubel in München durchs Ziel, das in der Nähe des Schützenhauses bei der neuen Gasfabrik in Steinhausen sich befand. Fischer, der auch beim Rennnen Wien=Berlin Sieger gewesen war, durchmaß die ganze Strecke von rund 590 Kilomtr. (9 Kilomtr. mehr als Wien=Berlin) in 29 Stunden 32 1/2 Min. (Wien=Berlin Fischer's Zeit: rund 31 Stunden), einer halben Stunde weniger, als man zu schätzen gewagt hatte.


Ankunft des Siegers am 12. Juni um 1 Uhr 12 Min. nachmittags
Der schärfste Gegner Fischer's, Max Reheis aus Wasserburg (Mitglied des Münchener Radfahrervereins), der ihm an Ausdauer kaum etwas nachgibt, und den man vielfach als Favorit bezeichnet hatte, war von Bozen ab zurückgeblieben und traf erst um 2 Uhr 38 Min. als zweiter, Franz Gerger aus Graz, ebenfalls ein schneidiger Dauerfahrer, als dritter um 3 Uhr 46 Min. ein. Ziemlich später folgte H. Tr. Hirsch aus Leipzig 5 Uhr 38 1/2 Min., D. Grüttner aus Berlin 5 Uhr 54,50 Min., endlich um 7 Uhr 44,10 Min. der erste Italiener Costanzo Trifoni aus Giulianova. In der Nacht sowie am 13. Juni trafen noch 13 Fahrer ein, sodaß die Zahl derjenigen, die das Ziel erreichten, 19 beträgt. Sorge aus Köln, auf den man große Stücke hielt, mußte wegen Maschinendefekt in Borghetto die Fahrt aufgeben. Die übrigen Zurückbleibenden waren zum Theil nicht genügend vorgesehen, um dem schlechten Wetter wirksam begegnen zu können.
Trotz der Ungunst der Witterung waren die angekommenen Fahrer alle in bester Condition. Fischer machte nach Ankunft ein kleines Schläfchen, während Reheis sofort nach dem Bade im Kreise seiner Freunde sich Bier und Essen schmecken ließ; später gesellte sich Fischer dazu, und beide blieben bis nachts 1 Uhr inmitten der sie feiernden Sportskameraden. Gerger ließ sich gleich, nachdem er sich umgekleidet, eine Cigarre trefflich munden, während Hirsch aus Leipzig, wohl der munterste von allen, durch seinen Humor den Glauben erweckte, als hätte es sich bloß um eine kleine Spazierfahrt gehandelt. Die bei Nacht eintreffenden Fahrer, besonders die Italiener, waren etwas stärker mitgenommen, aber immerhin noch ganz flott. Ein nennenswerther Unfall ist nicht zu beklagen.
Der Sieger Fischer ist 28 1/2 Jahre alt, verheirathet und, wie Reheis, der als zweiter ankam, von muskulöser Gestalt; letzterer ist etwas 25 Jahre alt und dürfte am ersten geeignet sein, mit dem Distanz=Fischer, wie man ihn ob seiner vielen Siege in Distanzfahrten in München nennt, erfolgreich zu konkurieren. T. Pollack


 

Bildarchiv: cycling4fans

Die Bilder können verwendet werden, für einen Quellenhinweis wären wir dankbar.

 

Oktober 2004

Beitrag von maki


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