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Das Jedermann-Rennen vom Henninger Turm

von Harzer Radfahrer



Anfang Januar 2004...

Es ist soweit! Mein neues Crossrad von Scott ist beim Händler eingetroffen und ich hole es ab. Vorbei die Zeit, mit einer 7-Gang-Schaltung, Schutzblechen und Dynamo durch die Gegend zu fahren. Einer Anmeldung beim Henninger-Jedermannrennen steht nun nichts mehr im Weg. Noch am selben Abend wird die Mail abgeschickt. Ich nehme mir vor, die nächsten Wochen hart zu trainieren, asketisch zu leben und nicht die gleichen Fehler wie Ulle jedes Jahr zu machen. So ein Mindestmaß an Disziplin sollte kein Problem sein...



Anfang April 2004...

Jetzt sollte ich doch mal so langsam anfangen, etwas konzentrierter zu trainieren und mehr Zeit auf dem Rad zu verbringen. Aber es ist ja noch rund ein Monat Zeit, kein Stress also...



30. April 2004...

Göttingen. Die Sonne brennt, die Frisur sitzt zwar nicht aber es ist warm. Ich lächle und klopfe mir selbst auf die Schulter, wie klug, ja fast schon weise meine Entscheidung gestern doch war, keine neue Regenjacke extra wegen des Henningers gekauft zu haben. Bei wetter.com haben sie heiteres Wetter mit einer Regenwahrscheinlichkeit von nur 20% vorhergesagt. Gut gelaunt packe ich die Sporttasche: Radhose, C4F-Trikot, Radschuhe, ausreichende Mengen an Energieriegeln und noch ein paar andere Sachen. Meine neue Tchibo-Windweste nehme ich nach kurzem Überlegen auch mit - für alle Fälle. Am Rad noch schnell die Hörnchen vom Lenker abgeschraubt und los geht’s auf die Autobahn Richtung Frankfurt.

 

Kein Stau - das Wochenende fängt gut an! In der Ballsporthalle hole ich mir meine Startnummer und die Portion Spaghetti mit Gemüsesoße ab. Früher habe ich mal gelernt, dass man seinen Teller leer essen soll, dann gibt es am nächsten Tag auch schönes Wetter. Keine einzige Nudel bleibt deshalb übrig! Einigermaßen gesättigt mache ich mich langsam auf den Weg zu einem Freund, wo ich auch nächtigen werde. Vor einem kurzen Kneipenbummel durch Oberursel genehmige ich mir noch eine weitere Portion italienischer Teigware, damit die Kohlenhydratspeicher auch wirklich bis zum Überlaufen gefüllt sind!



1. Mai 2004...

7.00 Uhr. Der Wecker klingelt! Ich bin allerdings seit einer Stunde hellwach, frisch geduscht und frühstücke bereits. Großen Hunger habe ich nicht. Eigentlich habe ich gar keinen Hunger aber irgendwie drücke ich mir doch noch 6 Toasts rein... Nervosität macht sich jetzt auch breit aber das muß wohl so sein, es ist schließlich mein erstes Radrennen! Ein Blick aus dem Fenster verheißt nichts gutes, es regnet ein wenig. „Das klart schon noch auf“, bleibe ich aber weiterhin optimistisch.

 

Überpünktlich fahre ich Richtung Darmstädter Landstraße, wo ich mich mit Rino verabredet habe. Ich finde erwartungsgemäß die vereinbarte Straße nicht und lasse mich von einer netten, gutaussehenden aber scheinbar total unwissenden Polizistin in eine völlig falsche Richtung lotsen. Deswegen parke ich direkt am Henninger Turm. Der Regen wird immer stärker, man kann auch sagen, dass der Himmel jetzt seine Schleusen öffnet! Ich löse meine Startnummer vom C4F-Kurzarm-Trikot und hefte sie an die Wind-Weste. „Eine Regenjacke wäre vielleicht doch ganz schlau gewesen“ überlege ich so vor mich hin...

 

Wegen des Regens lassen wir das geplante Einfahren ausfallen und fahren mit dem Auto direkt zur Ballsporthalle. Die Zeit reicht noch, um dort ein paar hundert Meter umherzukurven - einfahren würde ich das zwar nicht unbedingt nennen aber immerhin...



Der Start...

Glgnfz und Chreezer habe ich auch ausfindig gemacht und so stehen wir nun im Block 1 bei den Schnellsten der Schnellen - zurecht? Es wird sich weisen. Noch 1 Minute bis zum Start, das Fahrerfeld rollt etwas vor und hält wieder. Ich verliere das Gleichgewicht, und will mich mit meinem bereits eingeklickten Fuß abstützen, was traditionell nicht gut ausgeht. Ich kippe mit meinem Rad wie ein nasser Sack zu Boden und reiße den links stehenden Fahrer fast noch mit. Der offiziell erste Sturz im Jahre 2004 gehört also mir! „Das geht ja gut los“, höre ich hinter mir sagen...

 

Mit hochrotem Kopf stehe ich wieder auf und wo ich mich noch über diese peinliche Aktion ärgere, geht es auch schon los! Die ersten Kurven fahre ich mehr als vorsichtig, nochmal stürzen wollte ich nicht unbedingt. Während ich Chreezers orangene Jacke schnell am Horizont verschwinden sehe, kann ich bald wieder zu Glgnfz aufschließen. Nach einigen Kilometern habe ich dann meinen Rhythmus gefunden. Ein Blick auf die Pulsuhr sagt mir aber: Zu schnell! Ich nehme etwas Tempo raus, denn die Anstiege kommen ja erst noch.



Der Schulberg...

Nach rund 20 Kilometern fahren wir durch einen kleinen Ort (Eppstein) mit einer Kopfsteinpflaster-Passage. „Jetzt müsste gleich der Schulberg mit seinen 20% kommen“ erinnere ich mich dunkel an die Streckenbeschreibung. Und er kommt tatsächlich - und wie! Ich schalte auf meinen Rettungsanker, das 3. Blatt, aber selbst da muß ich kämpfen. Ich gehe aus dem Sattel aber wegen der Nässe dreht mein Hinterrad durch, so dass ich mich wieder hinsetze. Brutal dieser Anstieg! Ich bin von meiner Schwäche etwas überrascht, habe ich ähnliche Rampen doch schon im Harz einigermaßen gut hinter mich gebracht. Es ist wie ein Slalom-Lauf: Schiebenden Fahrern muß man ausweichen während man die überholenden Fahrer (und das waren ziemlich viele...) nicht behindern darf.

Am Ende der Steigung bin ich völlig fertig, ich schnappe nach Luft und taste fast ohnmächtig nach meiner Trinkflasche. Neben mir ruft plötzlich ein Fahrer „Achtung Schild“ aber da ist es auch schon passiert. Ich blicke hoch und sehe einen Meter vor mir durch meine völlig beschlagene Radbrille eine kleine Verkehrsinsel mit einem Verkehrsschild. Durch Zufall kann ich mich, während ich gegen das Schild knalle, aus meinen Pedalen ausklicken und verhindere so schlimmeres.

 

Ich rappel mich auf und rolle vorsichtig die nicht zu unterschätzende Abfahrt runter, dem Rad ist zum Glück nichts passiert. Meine tolle Radbrille von Rudys Project stecke ich verärgert in meine Trikottasche, sie hat ihren Zweck, nämlich für klare Sicht zu sorgen, nicht erfüllt! Ich sehe jetzt zwar aufgrund meiner 3 Dioptrien alles etwas verschwommen aber immer noch mehr als vorher...

 

So langsam erholen sich meine übersäuerten Beine wieder von dem Schulberg. Ich trinke und esse zwei von meinen fünf Energieriegeln, die brauche ich jetzt dringend! Mittlerweile hat sich eine Gruppe von ca. 20 Fahrern  gebildet aber es kommen immer wieder welche von hinten nach bzw. fallen einige von vorne kommend zurück. Der Kurs ist jetzt wellig und ich finde wieder einigermaßen einen runden Tritt. Für das ein oder andere kurze Gespräch während der Fahrt ist auch noch Zeit. Man klagt sich gegenseitig sein Leid...



Der Ruppertshainer...

Auf den kommenden Kilometern kann ich konstant einige Plätze gut machen, es läuft jetzt wieder ganz passabel... Nun der nächste Anstieg, das müsste der Ruppertshainer sein. Plötzlich höre ich jemanden von links meinen Namen rufen. „Los Stephan!“. Ich blinzele erstaunt  in die Richtung, aus der ich die Anfeuerungsrufe vernommen habe, sehe auch verschwommen eine Gruppe Zuschauer, kann den Rufer aber nicht genau orten. „War ich gemeint? So viele Stephans können doch in diesem Moment hier nicht vorbei fahren...“ Ich überlege kurz, ob ich zurückfahre und nachfrage, verwerfe den Plan aber schnell wieder. Später habe ich erfahren, dass es Zilpzalp war, der mich erkannt und angefeuert hat. Besten Dank noch mal hierfür... Hätte er „Harzer“ gerufen, wäre alles klar gewesen.

 

Ich fahre den Berg recht zügig hoch und arbeite mich weiter nach vorne. Nach dem Drama am Schulberg ist es schon kein schlechtes Gefühl, kaum überholt zu werden. Die Laune steigt. In Kelkheim-Mitte stehen noch mal zwei Freunde von mir, die mich lautstark und zur Belustigung der umstehenden Passanten anfeuern und ein paar Fotos machen.

Harzer beim letzten kurzen Anstieg in Kelkheim...


Von nun an geht es fast nur noch bergab. Sehr angenehm! Allerdings muß man in den Kurven ziemlich aufpassen, dass man nicht wegrutscht. Immer wieder sieht man am Straßenrand einzelne Fahrer, die sich nach einem Sturz verärgert ihr Rad ansehen und fluchen. Ich schau auf mein Tacho. Mein Ziel, einen 30er Schnitt zu fahren, werde ich wohl erreichen. Eine gewisse Zufriedenheit stellt sich jetzt ein, obwohl das Rennen noch nicht vorbei ist und ich gönne mir zwei weitere Energieriegel.

 

Mittlerweile fahre ich in einer etwas größeren Gruppe, das Tempo von mehr als 40 km/h empfinde ich als relativ hoch. Aber ich kämpfe, dass ich den Anschluß nicht verliere, was mir auch gelingt. Kurz vor dem Ziel noch mal eine brenzlige Situation: Wieder Kopfsteinplaster! Die ersten Fahrer biegen viel zu schnell in die erste Kurve ein und stürzen erwartungsgemäß. Großes Geschrei im Feld, Vollbremsungen und weitere Stürze. Beim Versuch, auf den Bürgersteig zu springen, rutsche ich ebenfalls weg, zum Glück aber bei sehr geringem Tempo. Jetzt hatte ich irgendwie keine große Lust mehr, noch Vollgas zu fahren und rolle relativ entspannt ins Ziel.

Das offizielle Ergebnis: 2.28:27,7 Std., Platz 635 und ein Schnitt von 31,806 km/h... Sehr schön! Unser "Team C4F" ist in der Firmenwertung sogar 2. geworden!



Nach dem Rennen...

Nach dem Zieleinlauf sehe ich dann im letzten Moment am Rand einen sehr großgewachsenen Menschen, welcher sich als Checker herausstellt, mit einem C4F-Trikot herumwedeln. Ich gebe meinen Transponder ab und lasse mir das Finisher T-Shirt geben. Zu allem Überfluß bekomme ich beim Versuch, über die Absperrung zu klettern, einen Krampf in der Wade. Ich erinnere mich an die Magnesiumtabletten, die noch in Göttingen in der Küche stehen... Kurz gedehnt und es geht wieder einigermaßen. Langsam schiebe ich wieder zurück Richtung Ziellinie. Dort stehen besagter Checker, dem es offenbar ein wenig fröstelt und Obergefreiter Kempf mit Megaphone bewaffnet.

 

Da sich die Sonne aber überraschend immer noch nicht gegen den Dauerregen durchgesetzt hat und dies in den nächsten 5 Stunden auch nicht zu erwarten ist, suche ich mir nach einiger Zeit im Ausschankbereich der Brauerei einen Unterschlupf, wo ich mir ein Steakbrötchen gönne. Der Hunger treibt dann noch ein zweites hinein und ich sehe noch kurz die Userin Lisa88. Irgendwann treffen auch meine Freunde aus Kelkheim verspätet ein und es geht auf dem schnellsten Weg Richtung Bahnhof. Dort warte ich noch lange 30 Minuten auf meine S-Bahn, die mich Richtung Ballsporthalle bringen soll. Ein Putzmann ist von meinem Anblick völlig irritiert und er versucht mir klar zu machen, dass das Radrennen doch noch läuft und ich dort eigentlich mitfahren sollte. Ich spare mir die Mühe, ihm zu erklären, dass ich nur beim Jedermann-Rennen dabei war und zeige ihm stattdessen mein blutiges Knie. Er versucht mich zu trösten aber glücklicherweise kommt jetzt endlich die S-Bahn...

 

In dieser befinden sich noch einige weitere Jedermännern und es wird noch ein wenig über das Rennen gesprochen. Ich muß zugeben, dass mir mittlerweile auch verdammt kalt ist. Wir fahren zusammen zur Ballsporthalle, wo ich noch kurz die restlichen C4F-Teamkollegen treffe. Nachdem ich meine Urkunde gefunden- und meinen Biergutschein eingelöst habe (Clausthaler alkoholfrei), fahre ich dann auch schon los, um möglichst schnell aus den nassen Klamotten rauszukommen und mir eine heiße Dusche zu gönnen. Abends werden dann in einer australischen Sportsbar in Frankfurt noch reichlich verlorene Kohlenhydrate in Form von Emu-Burger, Pommes und Fosters eingenommen...



Fazit...

Trotz des bescheidenen Wetters und der nicht ganz unfallfreien Fahrt war es unter dem Strich mal eine klasse Erfahrung, bei einem Radrennen mitgemacht zu haben, fahre ich doch sonst deutlich gemütlicher in Göttingen oder dem Harz umher. Einige Bedenken im Vorfeld, dass es mit dem Fahren in einer größeren Gruppe (Hinterrad an Hinterrad) Schwierigkeiten geben könnte, bewahrheiteten sich zum Glück nicht.

Überhaupt war es eine recht lockere Atmosphäre im Fahrerfeld. Ich denke, dass ich mir deswegen den nächsten „Henninger-Jedermann“ wieder antun werde! Ein Radrennen im Jahr muß sein! Und vielleicht erweist sich der Wettergott dann auch mal als Radsportfan...


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