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Doping im Radsport



Sam Van Rooy

Was denken Sportler wirklich über Doping? Können wir Ihnen glauben, wenn sie diese Praxis ablehnen und angeben, es seien immer nur wenige, die dopen? Zweifel daran sind erlaubt.

 

Der junge belgische Fahrer Sam Van Rooy, der 2004 im JONG-VLAANDEREN 2016 TT3 - Team (U23) fuhr und 2005 für das BODYSOL - WIN FOR LIFE - VLAANDEREN CYCLING TEAM fährt, schlägt andere Töne an und fordert die Freigabe von Doping.

 

Der Originaltext auf Flämisch ist auf WielerAdvies.com nachzulesen und erschien im Dezember 2004.

Mehr Infos zu Sam sind auf seiner Homepage zu finden: Sam Van Rooy .

 

Die Übersetzung:



Dopingkontrollen - wo?

Sam Van Rooy:

 

Während der 3 Jahre, die ich radfahre, mußte ich noch kein einziges Mal bei einer Dopingkontrolle urinieren. Das heißt einerseits, dass ich noch nicht das Glück hatte bei einem großen Rennen auf dem höchsten Treppchen zu stehen, andererseits aber habe ich doch schon 2. und 3. Plätze bei wichtigen Rennen belegt. Ich habe auch schon einige Kirmesrennen gewonnen, aber in dieser Szene sind Dopingkontrollen Raritäten.

 

Zweimal wurde ich zu einer Dopingkontrolle gerufen. Einmal in Spanien, nämlich bei der Bira-RF und einmal beim 'Triptyque des Monts et Chateaux'. In Bira (es war nach einer Bergetappe) wurde ich zu einem kaputten Campingwagen hinter dem Podium begleitet. Da mußte ich nur ein Papier unterschreiben – eine sogenannte Freistellung/Befreiung (?) – danach konnte ich ins Hotel gehen. Dasselbe beim Tryptique.

 

Bei Kriterien ist der Diletantismus noch schlimmer. Selten habe ich da nach dem Rennen etwas von einer Kontrolle bemerkt. (...). Wenn man – vor allem im Sommer – unter Cyclinglink nachsiehst, ist man verblüfft, wieviele (Kirmes-)Rennen veranstaltet werden. Man kann das als positiv und bereichernd ansehen und auch als charakteristisch für ein Radsportland wie Belgien, aber meines Erachtens muss der Kalender – vor allem was die Kriterien anbelangt: Einteilung, Anzahl, Infrastruktur usw. – dringend verändert werden. Es ist ein aussichtloses Unterfangen – wegen der Kosten aber auch organisatorisch – für soviele Rennen Dopingkontrollen zu organisieren.

 



Existenzsicherung und Doping

 

Zum Doping: in den letzten Monaten wurden auffallend viele Dopingfälle bekannt, nicht nur bei den Profis, sondern auch aus den darunterliegenden Kategorien, vor allem aus meiner eigenen Kategorie: Elitefahrer ohne Vertrag. Ich kann das nur begrüßen. Ich kann sagen: Je mehr Fahrer erwischt werden, um so weniger unehrliche Konkurrenten habe ich, um so dichter bin ich dabei.

 

Laßt mich aber deutlich werden: Ich bin gegen Doping bei Jugendlichen und Amateuren, aber Doping bei Profis finde ich ansonsten ganz normal. Was gewöhnlich  (...) vergessen wird, ist, dass Profis fahren um ihr Brot zu verdienen. Einverstanden: sie fahren gern, sie leben für den Radsport und die meisten genießen auch sehr das typische Interesse, das dem Radsport in unserem Land, oder lasst mich sagen im größten Teil Europa’s, entgegengebracht wird.

 

Aber: für neun von zehn Profis ist es vor allem eine bange Existenz mit wenig Sicherheit (...)

 

Eine Saison mit wenigen oder minderwertigen Leistungen, bedeutet für viele das sofortige Aufhören, wonach sie (von ‘Held auf Null’ sozusagen) genötigt sind, sich aufs Neue unter die gewöhnlichen, arbeitenden Menschen zu begeben. Im Radsportmilieu bekommt man gewöhnlich nur eine Chance.

 

Ist es daher seltsam, wenn ein Berufsfahrer nach verbotenen Mitteln greift, so als hätte er eine Wahl: einerseits Dopinggebrauch, um im der Profiszene bleiben zu können, um sein Brot verdienen zu können und andererseits keine sogenannten illegalen Produkte zu verwenden, was bedeutet, nicht mehr mitkommen, abgehalftert werden, um so – meistens ohne Abschluss -  bis ans Ende seiner Tage, läßt es mich so sagen – Fließbandarbeiter in einer Fabrik zu sein?

 

Ich sehe das nicht ein.

 



Unterschiede

 

Lasst mich jedoch auch eine falsche Vorstellung vieler Menschen - meistens Befürwortern von Doping - die gegenwärtig ziemlich ‘in’ ist, richtigstellen (vom Tisch fegen): eine Tour de France kann – was die Länge, den Parcours und die Witterungsverhältnisse anbelangt – durch gute Betreuung, genug Pausen und angepasste Ernährung ohne Doping bestritten werden. Ohne weiteres.

 

Das ist jedoch ohne das Renngeschehen (...) gesehen. Wenn man die Rivalität mit einbezieht, wird von den Fahrern und den Teamleitern nach allem gesucht, was die Leiden erträglicher macht und den Fahrern bessere Leistungen ermöglicht.  



 

Es ist bekannt: der Radsport ist für sich genommen der schwerste Sport, den es gibt. (...) Ein Fahrrad ist eine Maschine, die nichts fühlt, die nur so schnell sein kann wie ein Fahrer treten kann. Menschen, die nicht radfahren, begreifen das nicht.

 

Auf der Ebene von Logistik, Material, Ernährung, Organisation usw. stehen die meisten Teams (vor allem mit dem Start der ProTour) auf demselben Niveau. Auf dieser Ebene kann  – und mag, u. A. infolge einiger UCI-Regeln, unter Vorbehalt des Radgewichts – ein entscheidender Unterschied nicht mehr gemacht werden.

 

Talent und Training machen naturgemäß den Unterschied. Etwa ein Jan Ullrich sollte durch sein Training auf jeden Fall besser sein als ein Mario Aerts (der lange als einer unserer potentesten Rundfahrtfahrer der Zukunft angesehen wurde). Hier kann von einem echten natürlichen Klasse- und Niveauunterschied gesprochen werden.

 

Zwischen Lance Armstrong und Roberto Heras gibt es jedoch keinen großen natürlichen Unterschied, zumindest nicht mit einem Armstrong, wie er früher war. Der ausschlaggebende Unterschied kann dann nur noch mit Doping hergestellt werden.

 



Zwang

 

Und wie kann man das einem Fahrer übelnehmen? Ein Fabrikarbeiter, der verpflichtet wird noch mehr Teile innerhalb einer gewissen Zeit zu produzieren, muss, um das hinzubekommen eben nach Pillen oder anderen Drogen greifen. Es ist übrigens bekannt, dass viele LKW-Fahrer nach Drogen greifen, um die unmenschlich lange Anspannung hinter dem Steuer aushalten zu können.

 

Ansonsten bleiben sie ohne Einkommen. Ein Radrennfahrer macht genau dasselbe. Und zum anderen ist dies die normale Folge eines überall herrschenden Neoliberalismus. Es ist wirklich seltsam, dass immer die Radsportler öffentlich gebranntmarkt und als Verbrecher der schlimmsten Sorte hingestellt werden.

 

Radsport ist kein Idiotenspiel wie Fußball, wo mit viel Glück mal diese mal die andere Mannschaft gewinnt (...), und wo neun von zehn Profis ernsthaft überbezahlt sind. Viel Rennfahrer wissen – nicht nur aufgrund der medizinischen Untersuchungen – dass Gewinnen bei bestimmten Rennen für sie nicht möglich ist. Sie können nur hoffen, dass sie, und dafür muß jedes Jahr erneut alles getan werden – und sei es nur als Wasserträger (ohne diese schweren Belastungen kleinreden zu wollen) – von einer Mannschaft eingestellt werden, um auf diese Weise ihr Brot zu verdienen.



Realitäten

 

Diese Radrennfahrer sind erwachsene Menschen, die selbst darüber bestimmen können, was sie nötig haben, um Leistung zu erbringen. Diejenigen, die dafür nichts übrig haben – was ich allerdings verstehe – sollen von selbst aufhören und sich einen anderen Job suchen.

 

Vielleicht komme ich etwas grob rüber, aber ich weiß, dass die meisten Radliebhaber – und sicher diejenigen, die selbst auf einem guten Niveau gefahren sind – genauso darüber denken.

Ein gutes Beispiel hierfür ist die Museuuw-Geschichte. Welcher Radfan möchte Museuuw hängen sehen und ihm seine Titel wegnehmen? Niemand hat zu mir gesagt: “Museuuw ist ein Betrüger, Museuuw ist kein guter Fahrer seit er des Dopings überführt wurde.

 

Noch ein falscher Gedanke, der bei vielen Radlaien vorzufinden ist, nämlich dass jeder Fahrer, der sich dopt von selbst zu einem guten Fahrer wird und alles mögliche gewinnen kann. Großer Quatsch. Ein talentierter Fahrer, der Doping nimmt, kann sich um ein paar Prozente verbessern – es gibt sogar Wissenschaftler, die meinen, dass Doping die Leistung überhaupt nicht verbessert, die  Fahrer dies nur glauben läßt - , aber ein Fahrer, der sozusagen bei den Rennen hinten rumhängt, kann kein Rennen gewinnen, selbst dann nicht, wenn er über das beste Doping der Welt verfügt.

 

Übrigens: bei Radrennen geht es – mit sehr viel Training – grosso modo darum, wer den stärksten Körper hat, die beste Kondition besitzt. Das Dopen verbessert schon die Leistung um ein paar Prozente. Aber es ist auch gleichzeitig ein Anschlag auf den Körper des Fahrers.  Darum: Ein Fahrer, der über die richtigen Gene verfügt, die ihn zu einem Topfahrer machen, sollte auch die schwere Belastung, die von medizinisch kontrollierten Dopingprodukten ausgeht, am besten vertragen können. Das kann auch als Verdienst verstanden werden.

 



Gebt Doping frei

 

Doping sollte also freigegeben werden,  sofern die Teams ihre Fahrer (...) medizinisch und ethisch betreuen können, und eine Überdosis / Überversorgung mit Produkten, die wirklich unverantwortlich schlimm sein könnte für den Körper, ausgeschlossen werden kann. Bei einigen Produkten muss man abwägen: die kontrollierte Anwendung von EPO ist nach einigen Wissenschaftlern für den Fahrerkörper sogar besser.

 

Lasst dem Profifahrer in Ruhe. Laßt ihn den schwersten Beruf der Welt so ausführen wie er es für richtig hält. Haltet die Jugend aber davon fern. Steckt alle Energie in die Dopingkontrollen bei den Jugendlichen und den Amateuren, hier ist Radfahren ein Hobby  wofür kein Doping nötig ist.

 

Gebt den Radsportfans ihre (gewünschten) ‘Brot und  Spiele’, ohne das heuchlerische Gelaber über die Dopingmittel, laßt das Spektakel sein. Es ist mir egal was für Mittel die Gladiatoren verwendet haben. Sie haben recht.

 

 

Übersetzung von maki

Februar 2005


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