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Geschichte Deutscher Radsport



Der Arbeiter Rad- und Kraftfahrerbund Solidarität



die Anfänge

 

Die Geschichte des organisierten deutschen Radsports beginnt 1869 mit der Gründung des Altonaer Bicycle-Clubs, dem ältesten Radsportverein der Welt. Schnell bildeten sich weitere, deren Mitglieder alle gutsituierte Bürger wie Kaufleute, Beamte, Akademiker waren. Aufgeschlossen gegenüber der neuen Sportidee hatten sie vor allem die finanziellen Mittel, um sich Fahrräder zuzulegen. Den Arbeitern fehlte vorerst die Zeit und das Geld, um sich der neuen Mode widmen zu können. Als sich deren soziale Lage durch die neue Sozialgesetzgebung unter Bismarck etwas besserte, zogen sie nach und schnell bildeten sich in den 80er Jahren die ersten Arbeiter-Radsportvereine. Sie wurden von den Sozialdemokraten unterstützt und erhielten häufig den Beinamen Solidarität. Diese eigenständige Entwicklung ist auch Ausdruck der ausgeprägten Klassengesellschaft des späten 19. Jahrhunderts. Ein Arbeiter gemeinsam in einem Club mit Bessergestellten war fast undenkbar.

 

Die Arbeiterbewegung hatte ein anderes Sportverständnis entwickelt als das eher konservativ-nationalistisch orientierte Bürgertum. Nicht Leistungssport und Rekorde standen an erster Stelle, sondern Körperbeherrschung, Körperkultur sowie Radwandern. Saal- und Kunstradsport entwickelten sich zu Aktivitätsschwerpunkten, die ergänzt wurden durch attraktive Freizeitangebote wie Touren- und Wanderfahrten, bei denen es nicht um Kilometerfressen und hohe Geschwindigkeiten ging, sondern um das gemeinschaftliche Erleben. Ein Handbuch aus dem Jahr 1928 empfahl, dass bei Fahrten eine Geschwindigkeit von 15 Kilometern pro Stunde nicht überschritten werden solle, damit die Älteren und schwächeren Teilnehmer nicht abgeschreckt würden. Auch Radwettfahrten im Langsamfahren wurden ausgetragen: z. B. 1925 in Uetersen "100 Meter-Langsamfahren": Dabei mussten die Teilnehmer eine bestimmte nur 1 m breite Strecke möglichst langsam zurücklegen. Sofortige Disqualifikation gab es bei Absteigen und Anhalten. Da solch ein Fahren eine gute Beherrschung des Körpers und des Fahrrades verlangte, kannte man dieser Disziplin verkehrserzieherische und sportliche Bedeutung zu.

 

Man sah sich auch etwas wie eine Gewerkschaft und engagierte sich in den Städten für Radwege, protestierte gegen finanzielle Belastungen, z. B. die Fahrradsteuer und erhob Proteste gegen die klare Benachteiligung der Radfahrer im Straßenverkehr, die lange Zeit nicht gern gesehen wurden (manche Straßen waren für Radfahrer gesperrt).

 

Das Kunstradfahren war in der Weimarer Republik äußerst beliebt, auch als Mannschaftssport, z. B. ging es in Kiel 1928 um den norddeutschen Gaumeister im "6er Herren Kunstreigenfahren". Diese Aktivitäten standen in großem Gegensatz zu denen der bürgerlichen Verbände, deren Schwerpunkt in den 20er Jahren eindeutig im Radrennsport lag.

 

Allerdings wuchs innerhalb der Solidaritäts-Vereine der Wunsch nach Radrennen, vor allem um für die Jugend attraktiv zu bleiben. Anfangs taten sie sich sehr schwer damit, organisierten halbherzig Kurzstreckenrennen, bis sie dem Zeitgeist nachgeben mussten und sich zumindest zu 50 km-Distanzen aufrafften.

 



1893 gab es den Versuch, überwiegend von Sozialdemokraten, einen Zentralverband der Arbeiter-Radsportvereine zu gründen, der ein ausgeprägtes politisches Programm haben sollte. Schnell wurde diese Absicht verboten. 1896 gelang ein erneuter Anlauf, nachdem man das Programm politisch bereinigt hatte. Auf dem 4. Arbeiter-Radfahrer-Kongress in Offenbach wurde von 18 Delegierten aus 12 Städten der Arbeiter-Radfahrerbund "Solidarität" gegründet, mit diesem Beinamen sollte die enge Verbundenheit zur Sozialdemokratie ausgedrückt werden. Hauptsitz des Bundes war zunächst Chemnitz, 1907 wurde er wegen der bekannten politischen Toleranz der Stadt Offenbach dorthin verlegt.

 



eine Erfolgsgeschichte

 

Gutes Material war aufgrund der finanziellen Situation der Mitglieder nicht selbstverständlich. Aufbauend auf einer Berliner Einkaufsgenossenschaft, die sich 1901 dem ARBS anschloss und schnell expandierte - zu Beginn des ersten Weltkrieges bestanden bereits 142 Verkaufsfilialen bzw. -stellen - kam es 1910 zur Übernahme durch den Bund und in Offenbach zu einem Neubau des genossenschaftlich organisierten Fahrradhauses "Frisch auf", welches ab 1912 den Mitgliedern zu günstigem Material verhelfen konnte. 1922 wurde hier trotz der schwierigen Nachkriegszeitverhältnisse die Eigenproduktion von Fahrrädern aufgenommen, später kamen noch Motorräder und Nähmaschinen hinzu. Das Projekt stellte Räume für die Bundesverwaltung des Radfahrerbundes zur Verfügung, ebenso wie für die Arbeiter und Angestellten drei große Mehrfamilienhäuser errichtet wurden, die für die damalige Zeit recht luxuriöse ausgestattet waren. Ein Haus existiert heute noch.

 



 

In den zwanziger Jahren entwickelte sich der Bund zum größten Radfahrerverband der Welt mit 280 000 Mitgliedern, darunter ca. 50 000 Frauen. Der Name wurde in Arbeiter Rad- und Kraftfahrerbund Solidarität" (ARKB) umgeändert, nachdem man vielerorts Motorradabteilugen eingerichtet hatte. Die Ursache lag in der in Arbeiterkreisen weitverbreiteten Motorradbegeisterung. Den Mitgliedern stand ein komplettes soziales Sicherungssystem mit Unfall-, Haftpflicht, Raddiebstahls- und Rechtschutzversicherung zur Verfügung, bei entsprechend langer Mitgliedschaft gab es gar eine Unterstützung im Sterbe- und Notfall.

 

Etwas Knatsch musste natürlich auch sein, die SPD beäugte das rege Treiben der Vereine misstrauisch. Nach ihren Vorstellungen lenkten der Sport und die Unterhaltungen die Arbeiter etwas zu sehr von der politischen Arbeit ab, richtige Arbeiter sollten sich eigentlich keine Räder leisten können.

 

Der Bund hatte aber Erfolg, auch 1930 war er noch immer der größte Radsportverband der Welt mit 330.000 Mitgliedern.



im Dritten Reich

 

1933 versuchte der ARKB im Gegensatz zum Bund Deutscher Radfahrer erst gar nicht sich mit den Nationalsozialisten zu arrangieren. Daher wurde 1934 die Solidarität schnell verboten und aufgelöst mit der Begründung, dass es sich um eine "Sportorganisation sozialdemokratischer Weltanschauung" handle. Es kam zu einer Beschlagnahme der Vermögenswerte, die Fabrik ging in die Mayweg-Werke über, die 1938 zur REX-Maschinenbaugesellschaft mbH wurde, in der während des Krieges u. a. ca. 600 Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter Kriegsmaterial produzieren mussten. Die Wohnhäuser wurden 1935 veräußert. Die späteren Bomben trugen ihren Teil zur Vernichtung von Vereinseigentum ebenfalls bei. Manch ein Mitglied wurde aufgrund seines sozialistischen und kommunistischen Engagements in ein Konzentrationslager deportiert, einige schlossen sich dem Widerstand an.

 



keine Wiedergeburt

 

Der Neustart nach dem Krieg erwies sich als schwierig. Schon 1945 werden die ersten Wiedergründungen von Vereinen vorgenommen, aber dazu war die Erlaubnis der zuständigen alliierten Militärbehörden nötig. Man wollte eher unpolitisch, neutral sein und die Freude am Sport genießen. Die SPD und die Gewerkschaften hielten sich mit der Unterstützung zurück. Im Oktober1947 gelang es den Vereinen der Solidarität ihren Dachverband unter dem alten Namen Arbeiter-Rad- und Kraftfahrerbund "Solidarität" neu zu gründen, der Bund Deutscher Radfahrer (BDR) folgte erst ein Jahr später im Dezember 1948.

 

Von Beginn an stand die Solidarität in harter Konkurrenz zum BDR, der keinen Verband neben sich zulassen wollte. Nur der BDR wurde von der Militärregierung in Deutschland anerkannt, er wurde Mitglied im Deutschen Sportbund und hatte damit das Monopol für die Ausrichtung nationaler Veranstaltungen, mit dem Beitritt in die UCI oblag der internationale Sport ebenfalls dem BDR. Das hatte zur Folge, dass einige Solidaritäts-Vereine in den BDR wechselten. Heftig tobten die Auseinandersetzungen zwischen den Dachverbänden zur Entschädigungsfrage und um die Rückgabe des Eigentums. Es gab zwar Anfang der 50er Jahre Gespräche zwischen den beiden Verbänden aber der BDR, der als alleinige Interessenvertretung des Radsports anerkannt bleiben wollte, verhinderte doch lange die Aufnahme des ARKB in den Deutschen Sportbund, erst 1977 machte der Bundesgerichtshof mit einem entsprechenden Urteil den Weg frei, diese Option wurde aber nicht wahrgenommen. Noch in den 50er Jahren hatten die Solis, deren Schwerpunkte in Bayern, Baden und Hessen lagen, mehr Mitglieder als ihre Konkurrenz. Da aber nur die Mitgliedschaft im Deutschen Sportbund eine Wettbewerbsteilnahme ermöglichte, änderte sich das schnell.

 

Erschwerend hinzu kam auch der Name Solidarität, der politischen Linken zugerechnet, mussten sich Mitglieder und Verbandsvertreter öfter fragen lassen ob sie aus dem Osten kämen, in den Jahren des kalten Krieges keine Empfehlung. Lange Zeit führten beide Verbände getrennte Meisterschaften durch. Erst 1961 gelang es beiden eine gemeinsame Hallenradsportmeisterschaft zu veranstalten. 1976 fanden sie sich zu einer "Arbeitsgemeinschaft Hallenradsport" zusammen und 1982 wurden die Beziehungen endgültig, wenn auch z. T. zum Nachteil des RKB, der mittlerweile das Arbeiter aus dem Namen gestrichen hatte, geregelt. Auch nach 1980 kam es noch zu einigen neuen Vereinsgründungen, die vor allem mit neuen Angeboten für den Breitensport warben, Angebote, die später auch von einigen traditionellen Vereinen übernommen wurden.

 

Heute führt der RKB ein Randdasein, ihre Bundeszentrale hat ihren Sitz noch in Offenbach.

 

Immer noch sollen von den "gritzegriene" Frisch-auf-Fahrädern einige auf Offenbachs Straßen zu finden sein.



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Quelle:

Rad-Kultur-Bewegung: 100 Jahre rund ums Rad: Rad- und Kraftfahrerbund Solidarität, R. Beduhn/ J. Klocksin (Hg.), Klartext-Verlag 1995

 

Beitrag von maki, 2002

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