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Rolf Järmann

2007 lancierten Hobby-Radfahrer, Amateurfahrer und ehemalige Radprofis - mit dabei Rolf Järmann - eine Petition, mit deren Hilfe Druck auf die sportlich Verantwortlichen des Profiradsports einschließlich der UCI ausgeübt werden sollte. Die Petition enthält verschiedenen Maßnahmenvorschläge.

die Petition

 

Am 6. 9. 2000 berichtete in der Neuen Züricher Zeitung ein anonymer Schweizer Radprofi über seine Dopingpraxis.

Später bekannte sich Rolf Järmann offen zu diesem Text.

Das Geständnis wurde später in dem Buch 'Doping, Spitzensport als gesellschaftliches Problem' (c4f- Buchbesprechung) veröffentlicht.

Der NZZ Verlag gestattete C4F die Wiedergabe, Herzlichen Dank.

 

Wie er über Doping denkt vor dem Hintergrund der Armstrong-Affaire 2005, sagt er in folgendem FAZ-Interview: „Ohne Dopingkontrollen gäbe es tote Sportler”

 

der NZZ-Artikel:



Aus der Perspektive des Sportlers - eine Innenansicht

Elmar Wagner

 

Als der Radrennfaher X. nach etlichen großen Siegen zurücktrat, hatte er mehr als 10 Jahre Profikarriere hinter sich. Lange hatte er sich gegen Doping gewehrt. Doch irgendwann ging es auch für ihn nicht mehr ohne. Nun spricht der Schweizer über die dominante Rolle von EPO, den Dopingalltag und die ernüchternde Zeit nach der "Skandal-Tour" 1998.

 

Erstmals mit Doping konfrontiert wurde ich Anfang der 90er Jahre in meinem italienischen Team. Doch eigentlich ging es da gar nicht um Doping, weil das fragliche Mittel noch nicht auf der Liste der verbotenen Substanzen stand. Es ging um Erythropoeitin, um EPO. Der Teamarzt versuchte gar nicht erst, uns etwas vorzutäuschen. Er klärte uns ziemlich genau auf, um was es sich bei EPO handelt. Okay, vielleicht wurden wir ein bisschen manipuliert, indem er uns sagte, EPO sei nicht schädlich. Der Teamarzt zwang uns aber nicht zum Konsum dieser Substanz, er überließ es jedem einzelnen Sportler. Doch er sagte uns auch, dass EPO schneller machen würde - und dass es alle Konkurrenten bereits konsumieren. Er gab uns zu verstehen, dass wir in Sachen medizinischer Präparation bereits hinterherhinken. Anfänglich lief alles über den Teamarzt. Er hatte schließlich das Wissen. Mit den Jahren wussten wir selber genug um ohne Arzt auszukommen. Von jenem Zeitpunkt an war nicht mehr genau bekannt wer wieviel EPO spritzte.

 

Ich machte lange keinen Gebrauch von EPO. Ich sagte zu Beginn klar nein zu dieser Substanz, weil ich zuvor in einer dermaßen heilen Welt gelebt hatte, dass ich von der neuen Möglichkeit überrumpelt wurde. Ich war in einem Schweizer Team Profi geworden, und all die Jahre danach war Doping überhaupt nie ein Thema. Meine Rennen gewann ich damals nur mit Wasser und Brot, und ich dachte, das würde ewig so weiter gehen.

 

Anfänglich war es kein Problem, dass ich mit EPO nichts zu tun haben wollte. Aber irgendwann blieben die Resultate aus - und der Druck wurde größer. Von überalll her war es spürbar: Einerseits von mir selber, andererseits von der Mannschaftsleitung her. Diese gab zwar vor, meinen Entscheid gegen Doping zu akzeptieren, gleichzeitig ließ sie aber durchblicken, dass sie jetzt Resultate wolle.

 

Irgendwann sagte ich: Okay , dann nehme ich halt was. Der Mannschaftsarzt gab mir EPO, das ich allerdings nie injizierte. Zu Hause warf ich alles weg - und so hatte ich vorderhand Ruhe. Die Resultate wurden natürlich nicht besser, und so tauchte der Mannschaftsarzt eines Tages wieder auf. Er fand heraus, dass ich nichts nahm. Doch ich wurde weiterhin nicht zu Doping gezwungen, es blieb mein persönlicher Entscheid. Selbst der sportliche Leiter insistierte nicht. Ich vermutete jedoch, dass außer mir alle EPO nehmen - innerhalb der Mannschaft wurde offen darüber geredet.

 



Der Entscheid für EPO

 

Eines Tages im Herbst 1994 sagte ich mir: Ich beweise allen, dass es auch ohne EPO geht. Dafür trainiere ich den Winter hindurch pickelhart. Ich kam wirklich super in Form, hatte aber nie eine Chance auf den Sieg. Obwohl ich im Finale stets dabei war - wenn die anderen Gas gaben, fiel ich weg. Ich stellte mir die Grundsatzfrage: höre ich auf mit dem Velofahren oder mache ich weiter, und zwar mit reellen Erfolgsaussichten? In der Woche, in der ich den Entscheid fällte, fühlte ich mich miserabel. Ganz allein hatte ich die Verantwortung zu tragen: Ich entschied mich fürs Weitermachen. Oder genauer: Ich entschied mich für EPO, und zwar für die Minimalvariante. Von jenem Zeitpunkt an ging es mir psychisch wieder besser - und ich gewann nach einer zweijährigen Durststrecke schnell wieder Rennen.

 

Durch das Hinzukommen von EPO wurde das Training viel härter und umfangreicher. Zuvor hatte es natürlich Leistungsdifferenzen gegeben, doch die wurden nun verwischt. EPO hob alle Profis auf dasselbe Niveau, den Unterschied konnte man nur noch durch das Training machen.

 

Ich wußte, dass andere Mittel im Umlauf waren. Doch auf diese ist der Rennfahrer nicht angewiesen. Aus meiner Sicht gibt es nur ein Mittel, das nützt: EPO. Allein damit lassen sich Rennen gewinnen. Man könnte es vielleicht so sagen, aus dem Bauch heraus: EPO macht dich 10 Prozent schneller, und alles andere zusammen bringt noch ein halbes Prozent zusätzlich. Und auf dieses bisschen mehr kann man locker verzichten - erst recht, weil man nicht genau weiß, wie gefährlich das Ganze ist. EPO hat für den Sportler zwei entscheidende Vorteile: es ist einfach zu kontrollieren, und wenn man es nicht übertreibt, ist es auch nicht gefährlich.

 

Zugegeben, ich weiss nicht, wieviel mir andere Dopingmittel noch gebracht hätten. Ich stelle nur fest, dass ich eine sehr gute Muskulatur habe, ohne dass ich dafür viel tun musste. Ich sehe jedenfalls nicht ein, weshalb ich - mit Anabolika oder so - noch mehr Muskeln hätte zulegen sollen. Aber der Unterschied zwischen einer Hochform mit und ohne EPO war enorm. Bei mittelmäßiger Form lässt sich selbst mit EPO nicht viel ausrichten, doch wenn die Form da ist, kann man superschnell fahren. Das ist ein unglaubliches Gefühl: eine Steigung, die man sonst mit 20 Stundenkilometer erklimmt, plötzlich mit 25 km/h hinaufbolzen zu können.

 



Offene Kommunikation

 

Bis zur Tour de France 1998 wurde offen über EPO geredet - innerhalb der Mannschaft und unter den Teams. Das heißt: EPO hat die ganze Kommunikation über Doping offener gemacht. Man redete darüber, weil jeder wußte: ohne EPO ist nicht viel möglich. Diese Substanz war stets ein Thema. Zum Beispiel, wer dafür bezahlen mußte und wer nicht. In meinen Mannschaften hatten wir für EPO zu bezahlen, das bedeutete, dass ich anfänglich für etwas Geld ausgab, das ich zuhause gleich wieder fortwarf. Das war ein teurer Spass.

 

Als bei uns in der Mannschaft erstmals EPO auftauchte, setzte der Teamarzt die Schwelle bei einem Hämatokritwert von 48 Prozent fest. Ein Jahr später lag der interne Schwellenwert bereits bei 50 Prozent, ein weiteres Jahr später bei 52 Prozent. Er wäre immer weiter gestiegen, hätte der Weltverband UCI 1997 nicht eingegriffen und den maximal erlaubten Wert auf 50 Prozent festgesetzt. Das war das Beste, was die UCI machen konnte.

 

Ich selber würde den Wert allerdings bei 52 Prozent fixieren. Denn erst was darüber liegt, ist nicht mehr natürlich. Den UCI-Wert von 50 Prozent kann man nämlich auch natürlich überschreiten, und daher sind immer Ausnahmeregelungen nötig. Doch eigentlich müsste man sämtliche Blutwerte messen. Und wer darüber liegt, wird wegen Dopings länger gesperrt, nicht nur für zwei Wochen nach Hause geschickt. Natürlich habe auch ich die Grenzen auszuloten versucht, als die Grenzwerte noch nicht festgelegt waren. Einmal spritzte ich, bis ich einen Hämatokritwert von 55 Prozent erreichte. Den optimalen Effekt verspürte ich allerdings bei 52 Prozent.

 

Als ich in Frankreich unter Vertrag genommen wurde, war ich über die Praktiken einiger französischer Fahrer geschockt. Die hatten dort das Gefühl, EPO allein genüge nicht und spritzten sich alles mögliche. Ich versuchte ihnen klarzumachen, dass ich nur EPO nehme - daneben aber hart trainiere.

 

Trotzdem kannte ich keine EPO-Sucht, weil ich genau wusste: es hilft nur bei Hochform, und diese Form hat man sechs, sieben Wochen pro Jahr - länger nicht. Und je mehr man zuvor ohne EPO leidet, desto besser wirkts nachher - auch im Kopf. Allein der gezielte Einsatz von EPO war daher sinnvoll. Wobei ich Rennfahrer kenne, die im Dezember mit EPO-Injektionen beginnen und erst im September damit aufhören. Doch die fahren kein Deut besser.

 



Kein Thema für die Familie

 

Zu Hause war EPO nie ein Thema, weil ich genau wusste, das es verboten ist - selbst als es noch auf keiner Dopingliste stand. Auch meiner Frau erzählte ich nichts. Aufgrund ihres Berufes hätte sie genau gewusst, worum es da geht. Sie wäre garantiert dagegen gewesen. Ganz am Anfang unternahm ich zwei, drei Anläufe, ihr alles zu sagen. Doch dann sagte ich mir: Das ist meine Sache. Ich wollte niemanden sonst mit hineinziehen. Auch nach der Tour-de-France-Affaire haben wir nicht darüber gesprochen. Ich hatte ein starkes Mitteilungsbedürfnis, das ich allerdings nur mit Kollegen im Radsport ausleben konnte. Andere Personen hätten das Ganze nicht begriffen.

 

Dieses offene Reden miteinander war mir sehr wichtig. Dabei thematisierten wir auch das schlechte Gewissen. Anfänglich war es ziemlich stark, es bereitete mir seelische Probleme. Aber irgendwann akzeptierte ich, dass Doping zu meinem Beruf gehört. Und weil ich vermutete, dass alle andern genau gleich handelten, verflog das schlechte Gewissen. Das heißt: ganz verflüchtigte es sich nicht, weil mir bewußt war, dass ich etwas Unerlaubtes tat. Das Schuldgefühl war aber etwa gleich groß wie bei einer Fahrt mit 130 Stundenkilometern auf der Autobahn.

 

Unter uns Profis diskutierten wir vor allem, bei welchem Hämatokritwert der Effekt am besten war - und wie man sich EPO beschafft. Wir sprachen auch über andere Dopingmittel, allerdings brachte ich darüber nur sehr wenig in Erfahrung. Ich erinnere mich an das Frühjahr 1998, als das Kürzel PFC (Perfluorcarbon) auftauchte. Plötzlich hieß es, alle würden PFC nehmen. Doch keiner meiner Kollegen hatte zuvor davon gehört. Ich zweifle noch heute daran, dass irgendjemand PFC konsumiert hatte. Das einzige große Thema war EPO.

 

Ich glaube, dass ich über die gesundheitlichen Konsequenzen des EPO-Konsums ziemlich gut informiert war. Ich beschaffte mein Wissen nicht nur via dem Mannschaftsarzt, sondern auch vom Hausarzt und anderen. Ich gelangte zur Erkenntnis, dass mäßig eingesetztes EPO keine gesundheitlichen Schäden nach sich zieht. Dieser Meinung bin ich noch heute; ich habe meiner Gesundheit sicher nicht geschadet. Einzelne Etappen der Tour de France waren mit Sicherheit schädlicher.

 

>>> Fortsetzung Rolf Järmann

 


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