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von Jan Brainweak, September 2007

&copy Fotos: Jan Brainweak, Mani Wollner, MrsFlax



Pleiten, Pech & Pannen...

Historisches Bildmaterial: die Original-Malle-Trainingsgruppe

Wer ein echter Rennradler sein will, muss natürlich sein Trainingslager in der Saisonvorbereitung auf Mallorca abhalten. So waren auch meine Teamkollegen und ich schon des öfteren auf der Balearen-Insel abgestiegen, und es war meistens ein großer Spaß. Gezieltes Grundlagentraining war allerdings so gut wie unmöglich, da die einzelnen Trainingstage eher wie harte Etappen bei einer großen zweiwöchigen Rundfahrt gefahren wurden. Was doch etwas an die Substanz geht. Und apropos Substanz: Auch das zweite Trainingsziel, nämlich dem angesammelten Winterspeck Einhalt zu gebieten, wurde meist verfehlt. Fast ebenso viele Stunden wie auf dem Rad wurden nämlich im Speisesaal des Hotels verbracht, um dem abendlichen Buffet beizukommen. Oder bei Bäckern, um die Vorräte von Enseimadas und Panades zu plündern.



Frühling auf Mallorca


Man kehrte also häufig mit höherem Kampfgewicht und etwas ausgelaugt in die Heimat zurück, aber die Form war erstaunlicherweise meistens doch ganz passabel geworden. "Die muss man doch auch mal irgendwie nutzen!" kam es Kamerad Markus eines Jahres in den Sinn. Und bei der Durchforstung des Wettkampfkalenders war ihm der Helenesee-Duathlon ins Auge gesprungen.



Viel lieber als Rad zu fahren läuft Markus nämlich durch die Gegend. Ursprünglich war er mal Karatekämpfer und hat das auch quasi semiprofessionell betrieben, indem er Selbstverteidigungskurse für Frauen gegeben hat. Aber irgendwann hat er damit aufgehört. Vielleicht weil es bei einer Abschlussveranstaltung mal Ärger gegeben hatte. Um ein realistisches Szenario darzustellen, hatte er auf dem Parkplatz eines Industriebetriebes nächtens einen Parcours aufgebaut, den die Teilnehmerinnen absolvieren mussten. Den potentiellen Räuber und / oder Vergewaltiger gab er selbst, und alles lief total realitätsnah ab. Die Frauen traten ihm volles Rohr und mit viel Geschrei gegen das Suspensorium – ganz so, wie er es sie gelehrt hatte. Leider hatte er vergessen, die wenigen Anwohner vorab zu benachrichtigen, so dass plötzlich mehrere Einsatzwagen der Polizei die Szene aufmischten.



Danach hatte er sich dem Ausdauersport zugewandt. Erst kam er aufs Rad, aber schon bald verfiel er mehr und mehr dem Laufen. Kürzllich hat er seinen dreißigsten Marathon unter drei Stunden absolviert – verteilt auf fast sämtliche Kontinente. Beispielsweise ist er den Peking-Marathon gelaufen. Während seines Aufenthalts dort wurde er von chinesischen Lauffreunden in ein typisches Restaurant ausgeführt. In das Lokal gelangte man durch einen schmalen Gang, der links und rechts von Käfigen gesäumt war. Darin warteten Nutrias auf ihr Schicksal – nämlich von einem Gast ausgesucht und anschließend vom Leben zum Tod befördert und tischfertig gemacht zu werden.



Markus ist auch ein echter Kämpfer vor dem Herrn: Beim Berlin-Marathon hat er sich einmal so ins Koma gelaufen, dass er tatsächlich im Ziel kollabiert und erst im Sanitätszelt wieder aufgewacht ist. Am Tropf hängend stammelte er nur ständig "Jungfrau! Jungfrau!" Der Hintergrund war, dass er wenige Wochen später an einem Marathonlauf aufs Jungfrau-Joch teilnehmen wollte, was er jetzt gefährdet sah. Die Rote-Kreuz-Mitarbeiter müssen ihn jedenfalls für vollkommen durchgeknallt gehalten haben.



Bleiente?


Zurück zum Thema: Als Radfahrer und Läufer war es natürlich nur ein kurzer Schritt zum Mehrkämpfer, und das heißt in diesem Falle zum Duathlon. Zwar hatte sich Markus auch schon als Triathlet versucht, dort gab es aber aufgrund leichter Schwimmschwächen für ihn nichts zu erben. Leichte Schwimmschwäche ist aber doch zu beschönigend ausgedrückt, merke ich gerade. Er war richtig schlecht im Schwimmen, und das wurde auch nicht viel besser, nachdem er sich beim Uni-Sport für intensives Schwimmtraining angemeldet hatte. Die Trainerin, ein Überbleibsel aus alten DDR-Kader-Zeiten gab sich anfangs zwar Mühe, ihn durch paramilitärischen Drill auf Vordermann zu bringen, musste aber doch irgendwann die Vergeblichkeit ihrer Bemühungen einsehen. Nach einigen frustrierenden Erlebnissen (es wurden zum Beispiel Staffelwettbewerbe ausgetragen, wobei man mit einer Hand eine brennende Fackel über Wasser halten musste. Bei der Bildung der Mannschaften blieb Markus regelmässig als Letzter übrig, und seine Teamgefährten verdrehten nur die Augen, wenn sie ihn in der Staffel hatten, weil sie genau wussten: Sie konnten sich die Seele aus dem Leib schwimmen und würden doch nur den letzten Platz belegen.) hat er dann dem Dreikampf endgültig entsagt.



Womit wir endlich wieder beim Helenesee-Duathlon wären. Sein Werben um dortige Teilnahme hatte insofern Erfolg gehabt, als er meinen Namensvetter, den kleinen Jan, und mich überreden konnte. Das bedeutete zwar ein paar läuferische Extraschichten auf Mallorca, aber das Laufen am Strand hatte auch einen gewissen Reiz. Zumindest die drei oder vier mal, die ich mich dazu aufraffen konnte.



Tschüß, Insel! Hallo, Duathlon!


Der Sonntag nach unserer Rückkehr von der Insel war der große Tag, und so machte ich mich Samstagnachmittag daran, mich und mein Material vorzubereiten. Das Rad kam aus der Tasche, in der es noch von der Flugreise verpackt war, auf den Montageständer, ein bißchen gewienert, Kette geölt und alle Gänge durchgeschaltet – da macht es plötzlich 'Ratsch!' - Schaltzug gerissen. Sämtliche Kisten und Schublädchen durchwühlt – kein Ersatz zu finden. Die Radläden hatten damals um diese Zeit bereits alle geschlossen, auch diverse Telefonanrufe bei Bekannten blieben ergebnislos. Was sind das alles bloß für Leute, die nicht einmal die gängisten Verschleißteile zu Hause vorrätig haben.



Nun war guter Rat teuer. Ohne Halt durch das Drahtseil zwang die Feder den vorderen Umwerfer auf das kleine Kettenblatt. Mit einer Maximalübersetzung von 39/14 oder so würde ich mich im Wettkampf wohl ziemlich blamieren. Was also tun?



Mir fiel wieder ein, dass Markus als akribischer Vorbereiter mit dem Veranstalter telefoniert und Erkundigungen über den Ablauf der Veranstaltung eingeholt hatte. Dabei hatte er unter anderem erfahren, dass der 40-Kilometer-Radkurs vollkommen flach sei. Wozu brauchte ich also einen vorderen Umwerfer? Kurzerhand wurde das Bauteil einfach abmontiert und die Kette auf das große Blatt gelegt. Nebenbei auch gleich ein paar Gramm Gewicht gespart – ich war stolz auf mich und meine Idee.



Hat zwar 13%, ist aber auch auf dem großen Blatt noch machbar...


Nachdem wir am folgenden Morgen allerdings den Bahnhof von Frankfurt / Oder verlassen hatten und gemütlich Richtung Helenesee strampelten kamen mir erste Bedenken. Ein Verkehrsschild kündigte eine 8%ige Steigung an... Ansonsten war mir schon öfter mal der Verdacht gekommen, dass die Brandenburger Straßenmeistereien die "8%"-Schilder im Großeinkauf mit starkem Preisnachlass erworben und seither an jedem kleinen Hügelchen ein solches aufgestellt hatten. So ist unter anderem am Ortsausgang von Trebbin der vermutlich flachste Achtprozenter des gesamten Universums zu bewundern.



Aber hier entsprach das ausnahmsweise mal der Realität. 'Mist!' dachte ich, 'wieso ist es hier so hügelig?' Aber das musste ja noch nichts zu bedeuten haben, obwohl wir schon bedrohlich nahe an Start und Ziel waren.



Dort angelangt wurden wir alsbald zur Wettkampfbesprechung gebeten. "Die Radstrecke ist ein T-Kurs mit zwei Wendepunkten", erklärte der Wettkampfleiter. "Es geht zunächst über den Berg, auf der anderen Seite wieder runter, dann kommt die erste Wende. Wieder zurück über den Berg, geradeaus zur zweiten Wende und dann zum Ziel." Meine Miene verfinsterte sich. Dreimal über diesen Drecksberg mit 53/17 würde mir Schnellkurbler ziemlich in die Beine fahren.



... auch eine Art "Umwerfer"


Aber nicht mehr zu ändern. Missmutig stellte ich mich zum Start auf. Zuerst waren zwei Lauf-Runden à 3,5 Kilometer am See entlang zu absolvieren, danach die 40 Kilometer mit dem Rad, und zum Abschluss noch einmal eine Runde zu Fuß. Der Startschuss knallte und alle rannten los wie die gesengten Säue. Ich musste mitrasen, ob ich wollte oder nicht. Viel schneller als im Training. Und auch viel schneller, als ich eigentlich geplant hatte.



Wider Erwarten ging es eigentlich ganz gut. Ich lag zwar ungefähr auf Höhe der ersten Läufer im hinteren Drittel des Feldes, aber mehr hatte ich für die Laufstrecke auch nicht erwartet. Auf dem Rad würde ich das Feld schon von hinten aufrollen, und außerdem lag der kleine Jan als gut trainierter Läufer noch hinter mir.



Nach dem Lauf ging es in die Wechselzone, und ich Blindfisch hatte zuerst Mühe, mein Rad zu finden. Dann war ich relativ planlos beim Umziehen, und rechts und links von mir auf dem Rad entschwindende Konkurrenten machten mich ein wenig hibbelig. 'So ein, zwei mal den Wechsel üben wäre vielleicht nicht verkehrt gewesen', dachte ich mir, aber nun war es zu spät.



Spaßkiller "holpriger Waldweg"


Irgendwann schwang ich mich dann auch in den Sattel und begab mich über einen sehr holprigen Waldweg hinaus auf die Strecke. Dankenswerterweise hatten die Organisatoren die schlimmsten Löcher und Wurzelanhebungen mit roter Leuchtfarbe markiert, so dass auch ein Sehbehinderter wie ich problemlos daran vorbeikam. Endlich auf der richtigen Straße angekommen wollte ich auf Renngeschwindigkeit beschleunigen, merkte aber sofort: Es ist nicht wie sonst auf dem Rad!



Der ungewohnt schnelle Lauf war mir doch sehr in die Beine gefahren und ich fand meinen üblichen Tret-Rhythmus nicht. Zwar konnte ich recht schnell drei oder vier andere Teilnehmer überholen, aber dann kam schon der Anstieg und die Beine wurden mir noch schwerer als zuvor.



Ächzend und schnaufend quälte ich mich im dicken Gang über die Kuppe und musste auf der anderen Seite erst einmal rollen lassen und die Beine ein wenig schütteln. Mit einem vermutlich aufmunternd gemeinten "Forza!" zischte der kleine Jan an mir vorbei und meine Laune wurde noch schlechter. Eigentlich lasse ich mich von dem auf dem Rad nicht abhängen, aber heute war eben alles ein wenig anders.



Immer schön eng um die Hütchen...


Vor der ersten Wendemarke kamen mir die Spitzenleute schon entgegen, und ich entdeckte Markus in ziemlich aussichtsreicher Position. Wenigstens er würde wohl Spaß und ein Erfolgserlebnis haben, falls er nicht noch wegen Windschattenfahrens disqualifiziert werden würde (Er fuhr zwar nicht hinter, sondern versetzt neben seinem Konkurrenten, aber bei Seitenwind ist das ja auch viel effektiver). Ich dagegen quälte mich mehr schlecht als recht über die Runden und machte nach der Eichhörnchen-Taktik nach und nach ein paar Plätze gut. Gleich zwei Konkurrenten auf einen Streich überholte ich bei der zweiten Wendemarke – beide mit Carbon-Laufrädern ausgerüstet, deren Bremseigenschaften sie wohl nicht so recht trauten. Also schlichen sie langsam bis zur Wendemarke und eierten um die Kurve, während ich mit Volldampf auf die Pylone zuhielt, einmal beherzt an den Bremshebeln zog, das Rad zur Seite kippte und wieder Fahrt aufnahm. 'Triathleten!' dachte ich. 'Schwätzer vor dem Herrn. Wissen alles über Fettverbrennungszonen und ähnliches Zeug, verbringen noch mehr Zeit mit Trainingsplanung als mit dem schon sehr zeitintensiven Training an sich, holen alles aus ihrem Körper raus was rauszuholen ist – aber richtig radfahren können sie einfach nicht. Das steht ja wohl fest.'



Kurz vor dem Abzweig zur Wechselzone konnte ich nach längerem Kampf meinen letzten Gegner überholen und nahm mir fest vor, den kleinen Vorsprung, den ich auf ihn herausgefahren hatte, mit letztem Einsatz auf der Laufstrecke zu verteidigen. Dermaßen (über)motiviert flitze ich den holprigen Waldweg hinab in die Wechselzone. Und während ich bei der Ausfahrt bergauf noch auf die Leuchtmarkierungen geachtet hatte waren sie mir jetzt im Eifer des Gefechts völlig entgangen. Es gab einen heftigen Schlag, als ich über eine größere Asphaltblase rumpelte, und mein Tritt ging ins Leere – Kette heruntergefallen. 'Don't panic, reine Routinesache!' Ich spielte am Schalthebel, um den Antriebsstrang wieder dorthin zu befördern, wo er hingehört, aber es tat sich nichts. Ich Depp hatte ja gar keinen Umwerfer dran.



Na, dann mal absteigen und Kette wechseln!


Es half nur absteigen und die Kette von Hand wieder auflegen. Neben den schwarzen Fingern, die ich mir dafür einhandelte, überholte mich auch noch mein Hauptgegner während dieser Prozedur. Weg war er, den Kampf mit ihm konnte ich vergessen. So verlief der Rest des Wettkampfes ohne Aufregung. Vor mir war niemand zu sehen auf der Laufstrecke, und von hinten kam auch keiner mehr.



War auch ganz gut so, denn ich setzte nur noch rein mechanisch einen Fuss vor den anderen. Wäre jemand an mir vorbeigelaufen – ich hätte mein Tempo überhaupt nicht mehr variieren können. Es ging nur noch ums Ankommen.



Ich belegte irgendeinen Mittelfeldplatz, was eigentlich ganz okay war. Etwas ärgerlich, dass der kleine Jan direkt vor mir platziert war. Der hatte auf der letzten Laufrunde scheinbar noch ordentlich eingebüßt, während Markus sogar zur Siegerehrung gerufen wurde und irgendeinen Sachpreis abstaubte.



Für ihn war es im Gegensatz zu mir ein perfekter Tag. Und für mich war der Schlamassel damit noch nicht zu Ende. Nach Erwerb eines Schaltseiles und vor der Montage des Umwerfers dachte ich mir, wenn ich das Ding schon mal frei in der Hand habe, dann kann ich es auch mal gründlich reinigen und auf Hochglanz bringen. Gedacht, getan. Mittels Nitroverdünnung wurden sämtliche schwarzen Fettrückstände abgewaschen und das Meisterwerk italienischer Schmiedekunst schön poliert. Ein irgendwie erotischer Akt – allerdings mit jähem Interruptus. Urplötzlich war das Leitblech einfach abgebrochen. Hatte ich es etwa zu intensiv liebkost? Egal, es war jedenfalls ein Desaster, die ultimative Katastrophe und ein äusserst unschöner Abschluss meines ersten und bisher einzigen Duathlon-Wettkampfs.


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