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von Jan Brainweak, Oktober 2007

&copy Fotos: Mani Wollner, Jan Brainweak



Mallorca mit Markus, Mädels und Motoren

Wie schon erwähnt begab sich unsere kleine feine Sportgruppe im Frühjahr regelmäßig zum Trainingslager auf die größte der Balearen-Inseln, meistens in der zweiten März-Hälfte. Das war zu jener Zeit, als es in Mitteleuropa noch einen Winter gab, der den Namen verdient hat. Seither haben ja unsere motorisierten Freunde kräftig daran gearbeitet, dass es mit der Klimaerwärmung voran geht. Mit gutem Erfolg, so dass sie neuerdings schon im Februar mit geöffnetem Cabrio-Verdeck durch die Landschaft heizen können. Macht aber andererseits wiederum auch die Flüge ins Trainingslager überflüssig, womit der CO₂-Ausstoß reduziert würde. Möglicherweise also ein Nullsummenspiel in der Milchmädchenrechnung.



Was für ein Panorama!
Das "Malle" abseits der Sangria-Eimer


Im vorigen Jahrhundert war ein geregeltes Straßentraining während der Wintermonate jedenfalls schwierig bis unmöglich, weshalb auch wir die Saisonvorbereitung "auf Malle" absolvierten. Und wir waren weiß Gott nicht die einzigen, wie einem schon der Blick aus dem Fenster beim Landeanflug bewies: So ungefähr das erste, was man zu Gesicht bekam, waren Radfahrergruppen.



Das erste wiederum, das man nach der Landung, am Förderband auf sein Gepäck wartend, zu sehen bekam waren: Rentnerhorden. Kurz nach uns war ein Flieger aus Leipzig gelandet, dessen Gepäck am gleichen Band wie unseres ausgeladen wurde. Während wir noch gelassen auf unser Hab und Gut warteten, drängelten sich unsere älteren Mitbürger rabiat nach vorne, uns dabei auf die Zehen tretend und Ellbogen in den Magen rammend. Wirklich unglaublich, aber tatsächlich so geschehen. Aber muss man vielleicht auch verstehen. Sie sind ja in der "schweren Zeit" groß geworden, in der man um alles kämpfen musste (also in einem "kompetitiveren Umfeld", wie es ein berüchtigter Sozialdarwinist vom Main wohl nennen würde), und das sind bis heute prägende Erfahrungen.



Die Malle-Trainingsgruppe: den Kampf gegen die Geriatrie auf die Fahnen geschrieben?


Änderte allerdings nichts daran, dass unser Flieger trotzdem als erster entladen worden war und die Gepäckstücke am laufenden Band vorbeirollten. Die Altersstarrsinnigen machten jedoch keinerlei Anstalten, uns durch zu lassen, und das machte mich dann doch allmählich wütend. So musste auch ich einige Senioren zur Seite schubsen, als ich meiner Gepäckstücke ansichtig wurde. Und als ich meine Fahrradtasche in schwungvollem Bogen vom Band hievte, mähte ich dabei ein halbes zeterndes und keifendes Altersheim um. Stolz bin ich nicht darauf, aber für mein geistiges Wohlbefinden war es okay.



Unser Standort im Nordosten der Insel war jedesmal der selbe, allerdings hatte ich häufig wechselnde Partnerschaften auf dem Zimmer. Und in einem Jahr teilte ich eben mit Markus Tisch und Bett. Das war einerseits sehr unterhaltsam, weil Markus ein äußerst talentierter Geschichtenerzähler ist. Andererseits etwas nervig, weil er als ehemaliger Karatekämpfer seiner Leidenschaft für Kampfsportarten auch vor unserem gemeinsamen TV-Gerät frönte. Und ich mich irgendwie nicht recht auf Roland Barthes' "Fragmente einer Sprache der Liebe" konzentrieren konnte, während unter urtümlichem Gegrunze Lippen aufplatzten, Blut spritzte und in Eier getreten wurde.



Und wie üblich hatte nach etwa fünf Tagen mein Zimmergenosse unser Zuhause dauerhaft okkupiert. Das Schema war jedes Jahr das gleiche. Erst tobte sich Markus tagsüber bei unseren gewiss nicht ruhigen Radtouren aus. Und während sich alle anderen dann der Körperpflege widmeten und sich, gemütlich auf dem Bett fläzend, allmählich mental auf die harte Schlacht am warmen Buffet vorbereiteten, schnürte Markus umgehend die Laufschuhe, um seine 10 bis 15 Kilometer zu Fuß abzuspulen. Das ging auf Dauer natürlich niemals gut – spätestens nach einer Woche lag er fiebernd im Bett und war zu nichts mehr zu gebrauchen. Was ihn allerdings im Folgejahr nicht davon abhielt, das gleiche Programm wieder durchzuziehen. Mit exakt dem gleichen Resultat.



Lustige Touren zwischen 'Hirni' und Kampfsport


In dem Jahr, in dem wir Tisch und Bett miteinander teilten, waren wir ein paar Tage später dran als die anderen, und als Markus endlich wieder fit war, waren unsere Teamgefährten alle bereits abgereist. So wären wir nur noch zu zweit durch die Gegend gezuckelt, hätten wir nicht in unserem Hotel die Bekanntschaft eines bekloppten Triathleten gemacht. Er hatte uns irgendwann, als wir noch eine größere Gruppe waren, angequatscht. Wir sähen ziemlich schnell aus und er suche eine geeignete Gruppe, bei der er sich an seinem Regenerationstag in den Windschatten hängen könne. 'Was für ein Aufschneider!' dachten wir. Trotzdem nahmen wir ihn mit, und ertrugen auch seine bescheuerten Sprüche und sein seltsames Verhalten. Er schien ganz froh darüber zu sein, mal etwas Gesellschaft zu haben. An den folgenden Tagen fuhr er allerdings wieder alleine. Einmal wegen des "höheren Trainingseffektes", wie er betonte, aber hauptsächlich, weil der Narr Vollpension gebucht hatte. Deshalb konnte er immer nur kurze Touren machen, bevor er zum Mittagessen wieder im Hotel sein musste.



Markus nannte ihn endgültig nur noch den "Hirni", nachdem er erfahren hatte, dass unser neuer Freund seine Laufeinheiten in sengender Sonne auf der Hauptstraße immer an einer Großsbaustelle entlang absolvierte, obwohl wir den Albufera-Park fast vor der Haustür hatten (wo Markus sein Pensum abspulte) oder die Strandpromenade entlanglaufen konnten (was ich gelegentlich – SEHR gelegentlich - tat). Aber diese Strecke hatte er nun einmal exakt vermessen und nur exakte Daten lieferten ihm Anhaltspunkte über seine Form. Schließlich war er nicht zum Vergnügen hier, sondern bereitete sich auf den Duathlon in Zofingen vor. Da gab es keine faulen Kompromisse.



Übermotivierte Triathletinnen, nerviges Kettenquietschen und Serpentinen: "Erhöht den Trainingseffekt!"


Eines Tages bastelte ich im Fahrradkeller des Hotels ein wenig an meinem blauen Goldstück herum, als ein klickernder Freilauf die Ankunft eines anderen Radlers anzukündigen schien. Den bekam ich allerdings nicht zu Gesicht. Er schien im Gang vor der Tür angehalten zu haben, und kurz darauf hörte ich jemanden sich schnellen Schrittes entfernen. Wenig später kehrten die schnellen Schritte zurück, kurz darauf hörte man Schuhplatten in Pedale einklicken und ein Radler entfernte sich. Nachdem sich das dreimal wiederholt hatte, ging ich doch mal nachschauen. Es war natürlich unser Powerman in spe, der "Wechseltraining" machte. So etwa 15 bis 20 Wiederholungen wären angesagt. Er hatte halt einen echten Sockenschuss.



Es betrifft zwar nicht ihn, passt aber doch an diese Stelle: Einmal war auch eine grössere Triathlon-Trainingsgruppe bei uns im Hotel. Ihre allabendlichen Trainingsbesprechungen und gymnastischen Übungen am Pool waren auch Realsatire pur. Am besten war aber, als ich einmal hinter einem sehr nett aussehenden Girl der Gruppe am Büffet anstand. Mit den Worten "Wie geht's denn so?" wollte ich ein etwas näheres Kennenlernen einleiten und mich eventuell im Eiscafe 'Monaco' mit ihr verabreden. Allerdings wurde meine harmlose Frage etwas zu ausführlich beantwortet. Nach einem mehrminütigen Vortrag, von dem mir im wesentlichen die Worte "Fettverbrennungszone", "Rekom" und "anaerobe Schwelle" im Gedächtnis geblieben sind, war mein Interesse an einer Fortsetzung der Unterhaltung jedenfalls deutlich abgeflaut.



Aber zurück zu unserem Zweikämpfer: Für Markus und mich stand noch eine große Deja – Valdemossa-Runde auf dem Programm, die mit knapp 200 Kilometern und vielen Hügeln sehr anstrengend zun werden versprach. Deshalb heuerten wir kurzerhand den Bekloppten dafür an, der auch prompt auf dem Hinweg brav den heftigen Gegenwind von uns fernhielt. So hätten wir beide entspannt die schöne Landschaft genießen können, wäre uns nicht das schreckliche Quietschen der Kette unseres Domestiken auf die Nerven gegangen. Darauf angesprochen kam nur wieder sein Standardspruch: "Erhöht alles den Trainingseffekt!" Er war halt irgendwie – anders.



Die "Harten" in Malles Garten: Sieht gar nicht soooo schlimm aus...


Es gefiel ihm auch sichtlich, dass er wieder etwas Gesellschaft hatte. Zwar musste er zwei Flaschen wie uns im Windschatten mitschleppen, aber immerhin erhielt er von denen Bestätigung und Bewunderung für seine Leistungen. (Das Gefeixe hinter seinem Rücken bekam er natürlich nicht mit.) Außerdem hatten wir intellektuelle Fähigkeiten in die Waagschale zu werfen: Erst übernahm ich auf spanisch die Bestellungen im Bäckerladen, und dann gab Markus im Kartäusergarten von Valdemossa einer Gruppe Franzosen in deren Landessprache Auskunft über uns und unsere Aktivitäten. Unser dritter Mann – mit sämtlichen Sprachen dieser Welt (inklusive der deutschen) eher auf Kriegsfuß stehend – staunte nicht schlecht über unsere polyglotte Weltläufigkeit. Seine anerkennenden Worte halfen ihm aber gar nichts mehr, als wir auf dem Rückweg unser gewohntes knallhartes Finale fuhren - ohne jede Rücksicht auf seine zuvor geleistete Arbeit. "Nur die Harten kommen in den Garten" war unsere Antwort auf seine Beschwerde beim Abendessen. Womit wir gleichzeitig bewiesen, dass wir auch bei dämlichen Sprüchen jederzeit mit ihm mithalten konnten.



Die restlichen Tage gingen wir jedenfalls wieder getrennte Wege. Auf meinen Vorschlag hin starteten Markus und ich einen Ausflug nach Palma. Obwohl wir seit Jahren auf der Insel zu Gast waren, hatten wir die Hauptstadt noch nie betreten. Sie lag zwar ganz am anderen Ende, aber 70 Kilometer sind doch eine eher läppische Distanz. Einmal hin, dort gemütlich Kaffee trinken und wieder zurück - so lautete der Plan. Und der wurde auch lässig durchgeführt.



Mit Palmen wirkt der Regen nur halb so schlimm


Etwas Sorge bereitete uns allerdings das Wetter. Von Sonnenschein am Start wechselte es über wolkig zu bedeckt und schließlich zu völlig trübe. Aber wir erreichten die Kapitale trockenen Arsches, und erst als wir die "wunderhübsche" Playa de Palma entlangrollten, fing es an zu tropfen. Unter grauen Betonarkaden, wo sich bereits ein kleines Menschengrüppchen versammelt hatte, fanden auch wir Zuflucht.



Da sich die Leute aus unerfindlichen Gründen den zugigsten und kühlsten Winkel zum Unterstehen ausgesucht hatten, hielt ich mich etwas abseits. Nicht so Markus, der gleich nähere Bekanntschaft mit zwei Grazien aus Jena geschlossen hatte. Er stellte mich als seinen Kollegen vor, und wir machten uns zu viert auf die Suche nach einem netten Café am Fuße der Kathedrale.



Ich fand die beiden Mädels jetzt nicht so wahnsinnig spannend, aber Markus war Feuer und Flamme. Besonders die Dunkelhaarige hatte es ihm angetan – erst recht, nachdem er erfuhr, dass sie in einem Sportartikelladen in der Laufschuh-Abteilung arbeitete. Und sie wusste auch, was "Zofingen" bedeutet, als wir ein paar lustige Geschichten über unseren abwesenden neuen Freund erzählten. Dennoch verlief die Konversation eher zäh, und da sich von Westen dunkle, wirklich SEHR dunkle, schwarze Wolken näherten, bliesen wir zum Aufbruch. Die Laufschuh-Verkäuferin riss sich zum Abschied noch die Münzen unter den Nagel, die WIR als Trinkgeld deponiert hatten, und so zog auch Markus ein eindeutiges Resümee, als wir wieder auf dem Rad saßen: "Was für zwei selten dämliche Hühner!"



Aber viel Zeit zum plaudern hatten wir nicht – die schwarzen Wolken kamen bedrohlich näher. Und so forderte der Tag, der eigentlich als Kaffeefahrt geplant war, doch wieder den ganzen Mann in einem auf 70 Kilometer verlängerten knallharten Finale.



Kein Eselskarren, aber immerhin Schafe


Wir waren gut, wir waren schnell – aber wir waren nicht schnell genug. Plötzlich wurde es stockfinster und der Himmel öffnete seine Schleusen. Innerhalb kürzester Zeit war die Straße überschwemmt und die Felgen unserer Räder verschwanden im Wasser. Das setzte die Bremskraft der Felgenkneifer doch erheblich herab, aber zu bremsen brauchten wir ohnehin nicht mehr. Außer uns war keine Menschenseele mehr unterwegs. Eine seltsam tosende Stille hatte sich breit gemacht, und der Ozean, aus dem einst alles Leben entstand, schien nun alle Lebewesen verschluckt zu haben. Nur wir waren aus unerfindlichen Gründen verschont geblieben. Wir – und ein Bauer, der uns in einer Senke irgendwo zwischen Sineu und Muro mit seinem Eselskarren entgegenkam. Und direkt vor uns ein Wendemanöver in absolutem Zeitlupentempo unternahm, während wir mit knapp 70 Sachen und ohne funktionierende Bremsen auf ihn zurasten. Unser panisches Geschrei interpretierte er scheinbar als jauchzenden Gruß unter harten Regenmännern, jedenfalls winkte er uns grinsend zu, als wir so gerade eben die verbliebenen fünf Zentimeter freier Straße zwischen Eselskarren und Straßenmäuerchen erwischten. Die tödlichen Blicke, die wir ihm zuwarfen, blieben wohl unter unseren Mirrorshades verborgen.



Zwischendurch hatten wir zwischen den dunklen Wassermassen kurzzeitig die Orientierung verloren, was Markus zu dem abartigen Vorschlag veranlasste, ich sollte doch mal die Karte aus der Plastiktüte in der Trikottasche hervorholen, um wieder auf Kurs zu kommen. Aber das kam überhaupt gar nicht in Frage. Schließlich hatte ich sie nur leihweise von der Gedenkbibliothek überlassen bekommen, und bei dieser Sintflut wäre sie in Sekundenschnelle durchgeweicht und wieder Bestandteil der Natur geworden. Und schließlich erreichten wir auch so unsere Unterkunft, wo wie zum Hohn genau in dem Moment die Sonne durch die Wolken brach, als wir die Einfahrt zum Radkeller hinunter rollten.



Zum Thema "harte Höhenmeter"


Der Tag war zwar nicht so gemütlich verlaufen wie geplant, aber die Roadmap für den folgenden und letzten Tag auf der Insel wurde trotzdem nicht mehr modifiziert: Neben einem touristischen Teil mit Begehung der Jungfrauen-Halbinsel sollten zum Abschluss noch ein paar harte Höhenmeter Richtung Tankstelle / Kloster Lluc gemacht werden. Allerdings unternahmen wir nur den ersten Teil gemeinsam. Die "Jungfrauen" hatten wohl unsere Sinne vernebelt, so dass wir uns aus den Augen verloren hatten.



So machte ich mich solo über Pollença auf den Weg zum Kloster, um nach einem gemütlichen 'cafe con leche' die Abfahrt Richtung Campanet in Angriff zu nehmen. Das schmale Bergsträßchen war erheblich belebter, als ich es in Erinnerung hatte. Beiderseits der Straße saßen Familien beim Picknick und waren bester Laune. Etwa ein Feiertag? Oder die normale Sonntagsbeschäftigung der Mallorquiner? - das waren meine Überlegungen, die jedoch kurze Zeit später ad absurdum geführt wurden. Von unten näherte sich ein eklig-insektenhaftes Geräusch, das schnell lauter wurde und sich als Rennwagen entpuppte, vor dem ich gerade noch ins Gebüsch fliehen konnte. Ich war mitten ins alljährliche große Bergrennen geraten, und es hatte oben nicht den geringsten Hinweis oder gar Absperrungen gegeben. Ganz anders unten am Start, wie Markus später berichtete. Er hatte den umgekehrten Weg wie ich nehmen wollen, war aber von Polizei und Streckenposten daran gehindert worden. So hatte er nur ein paar weitgehend flache Kilometer abgespult, während für mich der letzte Trainingslager-Tag durch die irgendwie inkonsequente mallorquinische Organisationskunst beinahe auch der letzte überhaupt geworden wäre.


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