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Selberschreibfestival 2007



Karin: Das Jahr danach...

 

- ließ mich gleichgültig werden

 

Viele Stunden konnte ich am Bildschirm verbringen, selbst öde Sprinteretappen wurden nicht verschmäht. Die wichtigsten Rennentermine waren im Kopf und immer versuchte ich, mir dafür Zeit frei zu halten. Damit war es nach der Tour de France 2006 vorbei. Nach und nach rückten andere Dinge in den Vordergrund. Die Fahrer zum Mitfiebern wurden immer weniger, die Teams immer suspekter, die Funktionäre immer lächerlicher. Meine Begeisterung schwand. Bei Patrik Sinkewitz zitterte ich in Frankfurt noch mit und jubelte, doch lange währte diese Freude wieder einmal nicht. Später schaltete ich das Fernsehgerät zwar noch hin und wieder an, aber dessen Ton aus. Vieles, was die Reporter so über das Renngeschehen und die Fahrer erzählten, wirkte nur noch banal, Bedeutungsloses bedeutungsvoll vorgetragen. Im Radio gab es Besseres.

 

- weckte meine Wut

 

Jahrelang hatte ich viel Zeit und vor allem heftige Gefühle investiert, habe mitgefiebert und mitgelitten. Ich bewunderte den Willen, das Durchhaltevermögen, den Ehrgeiz, das Verlierenkönnen, den Kampfgeist der Profis. Ich versuchte Ihren Beteuerungen zu glauben, entschuldigte überführte Dopingsünder als Einzelfälle, hoffte auf das Kontrollsystem. Jetzt nach all den Geständnissen, Teilgeständnissen, Netzwerkenthüllungen, Vorwürfen und Dementis, fühlte ich mich plötzlich verraten, benutzt, für dumm verkauft und wurde wütend.

 

- hielt mir den Spiegel vor

 

Hinter der Wut meldete sich aber noch eine andere Stimme. Wusste ich die ganze Zeit über wirklich nichts oder wollte ich nur nicht wissen? Was war denn mein erster Gedanke damals 2003 während der famosen Jahrhundert-Tour, als Jan Ullrich am Tag vor der Etappe nach Alpe d’Huez angeblich eine verdorbene Eiweißinfusion erhielt? Schnell weg damit, das kann passieren. Warum empfand ich diese Hype um das superfaire Warten Jans gelegentlich als unangenehm? Schnell weg damit, freue dich. In Gesprächen behauptete ich schon lange Zeit, dass Armstrong und Ullrich und die meisten anderen sich wahrscheinlich dopten, ergänzte aber, ganz abgeklärter Mensch, solange nichts nachgewiesen sei, gelte die Unschuldsvermutung - für alle. Und im Innersten hoffte ich inständig, sie mögen diejenigen, die ich mochte, auch Jan, nie erwischen. Angst stellte sich bei mir ein, als sich die Hinweise auf eine Zusammenarbeit mit Fuentes während des Giros verdichteten. Er sollte doch endlich die Tour gewinnen und der liebe Kerl bleiben und ich wollte meinen Spass haben.

 

- sah mich hilflos

 

Meine eigene Konstruktion brach zusammen. Letztlich hatte ich das System mit unterstützt, es aufrechterhalten, davon profitiert. Ich hatte die Augen verschlossen, mich taub gestellt, es mir bequem gemacht. Jetzt war ich enttäuscht, teilweise angewidert von dem gesamten Ausmaß des Betrugssystems und der Praktiken. Plötzlich wurde alles schwierig und anstrengend für mich, aber Wegsehen war mir nicht mehr möglich. Was war richtig, was war falsch? Ich wusste es nicht, ich ahnte nur, ich musste mich entscheiden.

 

- machte mich ungerecht

 

Ich habe mich entschieden, gegen Doping, sowohl im Breiten- als auch im Spitzensport. Geholfen hat mir ein 17jähriger, der mir begeistert von seinen Studiobesuchen und schön definierten Muskeln erzählte. Doch ich will nicht, dass er sich Pillen einwirft und sich Spritzen setzt, um sich fit und schön zu fühlen und ich will nicht, dass andere dem gleichtun oder dies gar tun müssen. Die meisten Radprofis meinen anscheinend, sie kämen ohne zusätzliche Mittel nicht mehr aus und das gesamte Umfeld scheint sie darin zu unterstützen. Ich habe keine Lust mehr, diese enge, sich abschottende Sportwelt zu unterstützen, ich bin misstrauisch, ich glaube niemandem mehr, für mich gilt der Generalverdacht für den Profiradsport (und so manche andere Sportart auch). Ich gehe zwar immer noch davon aus, dass es Berufs-Fahrer und -Fahrerinnen gibt, die es sauber versuchen, die sich wehren, dass es aufrichtige Funktionäre und Trainer gibt – nur, wo finde ich sie? Wie erkenne ich sie?

 

- gab mir wieder Hoffnung

 

Ich gebe zu, dass ich nach und nach diese vielen Enthüllungen weniger abstoßend als interessant fand. Und gerne würde ich noch mehr erfahren darüber, was während Jahrzehnten ablief und vertuscht wurde. Ich finde es spannend. Die vielen Skandale und Skandälchen begrüße ich, je mehr um so besser. Die Diskussion in den Medien mag in weiten Teilen tendentiös und effekthascherisch sein, doch es werden mittlerweile auch Hintergründe und Zusammenhänge thematisiert. Strukturen werden infrage gestellt und endlich geraten auch Verbände in die Kritik. Das Bild wird langsam detailgenauer. Ich sehe eine Entwicklung hin zum Besseren.

 

- zeigte mir, dass ich den Profi-Radsport immer noch mag

 

Auch wenn mir bei den TV-Übertragungen der Ton fehlte, ich den meisten Fahrern nicht traute, ich viele nicht mehr kannte, ertappte ich mich im letzten Jahr gelegentlich dabei, wie mich allein vom Hinsehen ein Hauch der ehemaligen Faszination erfasste. Wehmut folgte zwar sofort, denn viele traurige Erinnerungen schoben sich ins Bewusstsein, aber ich fühle, der Radsport hat bei mir noch eine Chance.

 


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