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Alltag und Sport: NEM- und Medikamentenmissbrauch



Alltagsdoping, Gehirndoping, Lifestyle-Doping, Enhancement

Gehirndoping, die Einnahme von Medikamenten zur Steigerung der geistigen Leistungsfähigkeit, lässt sich aus dem US-amerikanischen Collegealltag, so eine Untersuchung, nicht mehr wegdenken. Doch auch in Europa ist der Griff nach Ritalin, Modafinil und ähnlichen Produkten weit verbreitet. Die medizinischen und sozialen Folgen sind noch nicht absehbar, können aber erschrecken.



2017 Enhancement unter Studenten

Neuere Erhebungen erhärten den Verdacht, dass Gehirndoping unter Studenten europaweit zunimmt, insbesondere in Stresssituationen wie Prüfungen (Stichwort Überforderungssyndrom) werden entsprechende Medikamente konsumiert.

the guardian: Universities must do more to tackle use of smart drugs, say experts

DLF: Neuro-Doping unter Studierenden"Großes Suchtpotenzial"

 





2013 Randomized Response Estimates for the 12-Month Prevalence of Cognitive-Enhancing Drug Use in University Students

Diese breit angelegte Studie an der Universität Mainz erbrachte, dass jeder fünfte Student zum 'Gehirndoping' mit den verschiedensten Mitteln, auch Medikamenten und Drogen, greift. Am anfälligsten sind Sportstudenten, hier versucht sich jeder vierte zu verbessern. Männer und jüngere Semester haben weniger Skrupel als Frauen und ältere Studenten. (FAZ, 31.1.2013)

 

Randomized Response Estimates for the 12-Month Prevalence of Cognitive-Enhancing Drug Use in University Students

 



TAB-Bericht "Pharmakologische Interventionen zur Leistungssteigerung als gesellschaftliche Herausforderung"

Das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) veröffentlichte einen Arbeitsbericht "Pharmakologische Interventionen zur Leistungssteigerung als gesellschaftliche Herausforderung", dessen ausführliche Zusammenfassung online abrufbar ist und der in Gänze in gedruckter Form kostenlos zu bestellen ist. 11.2011:

TAB: Der pharmakologisch verbesserte Mensch - Leistungssteigernde Mittel als gesellschaftliche Herausforderung

TAB: Zusammenfassung: Pharmakologische Interventionen zur Leistungssteigerung als gesellschaftliche Herausforderung

Inhaltsverzeichnis

 



Schwerpunktthema des Reports 2009 ist "Doping am Arbeitsplatz - Leistungssteigerung durch Psycho- und Neuro-Pharmaka?"

 

Die Fragestellungen lauten:

- Doping am Arbeitsplatz - Gewinnen pharmakologische Auf-bau- und Leistungshilfen an Bedeutung?

- Verordnete Psycho- und Neuro-Pharmaka: Sinnvolle Therapie oder verordnetes Doping?

- Auslöser und verstärkende Faktoren von Doping am Arbeits-platz: Besteht ein Bedarf an begleitenden oder gegensteuern-den Maßnahmen?

 

Zitat:

"Die Analysen im Rahmen diesjährigen Schwerpunktthemas haben eine Reihe beachtenswerter Ergebnisse zu Tage gebracht:

 

- Die Datenlage zu den vermeintlich leistungssteigernden Effekten von "cognitive enhancern" bei Gesunden sowie auch in Bezug auf potentielle Folgeschäden ist recht unzureichend. Diesem Mangel an objektiv nachweisbaren Effekten steht der Einsatz entsprechender Mittel durch Gesunde und deren subjektiven Erfahrungen gegenüber. Die Anwendung derartiger Medikamente durch Gesunde zeigt, dass die Wirkstoffe unter Alltagsbedingungen in gewisser Weise doch die erhoffte Wirkung entfalten. Ist die Gesellschaft der Wissenschaft etwa voraus?

 

- Nach der DAK-Bevölkerungsbefragung wissen rd. 44 % von gut 3.000 Erwerbstätigen im Alter von 20 bis 30 Jahre, dass Medikamente, die z.B. zur Linderung und Behandlung von alters- und krankheitsbedingten Gedächtniseinbußen oder Depressionen entwickelt wurden, auch bei Gesunden wirken können. Nahezu jeder fünfte Befragte (18,5 %) kennt persönlich mindestens eine Person, die derartige Medikamente ohne medizinisch triftige Gründe eingenommen hat bzw. einnimmt.

 

- Auch hat mehr als jeder Fünfte (21,4 %) persönlich bereits die Erfahrung gemacht, zumeist im direkten sozialen Umfeld wie Familie oder Kollegen, dass ihm ohne Therapienotwendigkeit derartige Medikamente empfohlen wurden.

 

- Rund 5 % der Erwerbstätigen im Alter von 20 bis 50 Jahren zählen nach eigenen Angaben zu den "Dopern". Diese Gruppe der selbstberichteten "Doper" reduziert sich auf etwa 1 % bis 2 % aller Befragten, wenn speziell nach der Häufigkeit der Arzneimittelanwendung und der Bezugsquelle resp. der Be-schaffungspraxis gefragt wird.

 

- Auf die Frage hin, womit "gedopt" wird, liegen Präparate gegen Angst, Nervosität und Unruhe" mit 44 % an der Spitze gefolgt von Mitteln gegen depressive Verstimmungen (35 %). Die derzeit vielbeachteten Präparate gegen Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen bzw. ADHS wurden hingegen nur von 13 % aller Befragten genannt.

 

- Bezüglich der Frage, wie und woher die Präparate bezogen werden, antworten rund 45 %, dass sie in der Standortapotheke diese ohne Rezept bezogen haben. Internetapotheken nennen gut 12 %. 14 % haben die Präparate über zumeist "normale" Arzt- oder Privatrezepte bezogen.

 

Insgesamt betrachtet stützen die Befragungsergebnisse nicht die Annahme, dass "Doping am Arbeitsplatz" bereits ein relativ weit verbreitetes Phänomen ist. Eine mögliche Begründung liefert die Frage nach Nebenwirkungen. Bezogen auf alle Befragten ist gut die Hälfte (49,9 %) der Meinung, dass mit der Einnahme potenter Medikamente ohne therapeutische Notwendigkeit Risiken verbunden sind, die den Nutzen überwiegen.

Sinnvolle Arzneimitteltherapie oder verordnetes Doping?

(...)

Nach Einschätzung der DAK wird es auch in Zukunft ein "Doping am Arbeitsplatz" ohne Risiken und Nebenwirkungen kaum geben.

Deswegen warnt die DAK schon heute schon heute vor den Gefahren: "Konzentriert, kreativ, karrierebewusst: wer glaubt, immer perfekt sein zu müssen und verstärkt zur Leistungssteigerung auf Pillen zurückgreift, lebt gefährlich". Vielmehr setzt die DAK auf einen gesundheitsbewussten Lebensstil anstelle eines leichtfertigen Umgangs von Medikamenten. Dazu bietet sie Betrieben und Beschäftigten präventive Problemlösungsstrategien auf verschiedenen Wegen an."

(...)

 



Symposium "Medikamentenmissbrauch in Deutschland"

Am 3. November 2011 fand in Berlin das Symposium "Medikamentenmissbrauch in Deutschland: Eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung".

 

Die verschiedenen Vorträge sind >>> hier nachzulesen bzw. abzurufen.

 



Befragung: Formen der Stresskompensation und Leistungssteigerung bei Studierenden

Eine Studie unter Studierenden des Wintersemesters 2010/2011 erbrachte, dass 5 % der Befragten gelegentlich zu Verschreibungs pflichtigen Medikamenten greifen. Weitere 5 % nehmen Vitamine u.Ä.. Betroffen sind vor allem Menschen, die stressbedingten Zuständen bzw. Situationen damit besser begegnen möchten. Am häufigsten greifen Studenten der Veterinärmedizin und der Sport/Sportwissenschaft zu Gehirndoping.

HIS.de: Die Ritalin-Legende: Wie verbreitet ist Hirndoping unter Studierenden?

Publikation HISBUS-Befragung: Formen der Stresskompensation und Leistungssteigerung bei Studierenden

 



Sind wir alle hyperaktiv? Ritalinmissbrauch

Eine Untersuchung aus den USA stellt die These auf, dass bei einer hohen Zahl amerikanischer Kinder zu Unrecht das "Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung" (ADHS) diagnostiziert wurde und eine Behandlung mit Ritalin erfolgte. Die Kinder waren lediglich in ihrer Entwicklung noch nicht so weit wie andere. Versagt hatten bei der Diagnose offenbar Mediziner, Psycholpgen und Psychiater.

FAZ, 19.08.2010: Sind wir alle hyperaktiv?

 

Auch deutsche Kinder, vorwiegend Jungen, erhalten zunehmend die Diagnose ADHS, möglicherweise aufgrund falscher Diagnosen.

FAZ, 13.02.2012: Wo die wilden Kerle wohnten

 



>>> Warum nicht sein Gehirn mit Medikamenten und Drogen aufputschen? - telepolis, 21./27.7.2008

"Das Thema des Psycho-Enhancements (manche sprechen auch vom "Mind Doping") beschäftigt uns in jüngster Zeit immer wieder. Wer würde sich in unserer Leistungsgesellschaft nicht darüber freuen, ein paar Punkte mehr "Intelligenz", mehr Aufmerksamkeit und Konzentration oder ein besseres Gedächtnis zu haben? Auch wenn die Zukunft noch unklar ist – und das gilt sowohl für die Medikamente, die noch kommen mögen, als auch für unseren Umgang mit ihnen – ist heute schon eines klar: Das Problem ist da und wird nicht von alleine verschwinden."

 

>>> telepolis: Warum nicht sein Gehirn mit Medikamenten und Drogen aufputschen? - Fünf Gründe gegen Psycho-Enhancement - Teil 1

>>> Mind-Doping für Alle? - Fünf Gründe gegen Psycho-Enhancement - Teil 2

 



siehe auch:

The Star, 23.1.2008: Stronger, faster, smarter?

 

«Bitte begebt euch im Anschluss an die Prüfung zur Dopingkontrolle ins Labor!» Solch eine Aufforderung könnte schon bald zum Schulalltag gehören – jedenfalls, wenn man der Hirnforscherin Martha Farah von der University of Pennsylvania Glauben schenken möchte, die zu den Vordenkern der Neuroethik zählt, jener jungen akademischen Disziplin, die sich mit den durch die Neurowissenschaften aufgeworfenen ethischen Fragen befasst. Angesichts der Ausbreitung des Hirn-Dopings an amerikanischen Schulen und Universitäten erachtet Farah es als wahrscheinlich, dass dort in Zukunft Anti-Doping-Regelungen eingeführt werden könnten, wie wir sie bisher nur vom Sport her kennen. Tatsächlich lassen die Ergebnisse von Erhebungen an amerikanischen Colleges aufhorchen: Demnach versuchen bereits heute bis zu 25 Prozent der Studenten gelegentlich, ihre geistige Leistung mit Medikamenten zu steigern. Das statistische Profil des typischen Dopingsünders sieht dabei folgendermassen aus: männlich, weisse Hautfarbe, Mitglied einer Studentenverbindung – und vergleichsweise tiefer Notendurchschnitt.

(...)

 

Zwang zur Leistungssteigerung?

 

Abgesehen von der Frage nach der Vertretbarkeit der Nebenwirkungen ergibt sich aus dem Hirn-Doping laut Farah und ihren Kollegen ein weiteres ethisches und letztlich auch rechtliches Problem: Wenn sich der Einzelne einer immer grösseren Zahl von gedopten Mitschülern, Kommilitonen oder Kollegen und Konkurrenten im beruflichen Umfeld gegenübersieht – wie lange kann er es sich dann noch leisten, auf chemische Selbstaufrüstung zu verzichten? Drohte es ihm nicht über kurz oder lang wie einem jener Radprofis an der Tour de France zu ergehen, die ohne Doping laut eigenen Aussagen abgeschlagen hinter dem Feld hätten herfahren müssen?

 

Neben indirektem Druck könnten sich die Beschäftigten einiger Berufssparten in Zukunft aber auch direktem Zwang ausgesetzt sehen: Bereits heute fliegen amerikanische Militärpiloten – ihre Zustimmung vorausgesetzt – manche ihrer Einsätze Modafinil-gedopt, und auch in der britischen und in der französischen Armee werden Versuche damit angestellt. Einmal angenommen, dass in naher Zukunft noch bessere Präparate mit weniger Nebenwirkungen auf den Markt kommen, die Fehlleistungen etwa bei Piloten oder Fluglotsen nachweislich senken könnten: Bestünde dann nicht sogar ein öffentliches Interesse daran, Angehörige solcher Berufsgruppen zur medikamentösen Erhöhung ihrer Wachsamkeit zu verpflichten?

 

Nach Einschätzung von Farah und weiteren Fachleuten könnte das Hirn-Doping aber auch unter dem Gesichtspunkt der Gleichheit problematisch werden. Sozial Benachteiligte dürften sich die einschlägigen Präparate aus Kostengründen nicht ohne weiteres über längere Zeit leisten können – wodurch sich ihre Chancen im Wettbewerb mit Begünstigten weiter verschlechtern würden. Dass diese Gefahr nicht von der Hand zu weisen ist, belegt das eingangs skizzierte Profil des typischen schulischen Dopingsünders. Zumindest in den USA zeichnet sich also ab, dass Hirn-Doping zu einem Privileg der Wohlhabenden werden könnte. Will man der damit verbundenen Erosion der Chancengleichheit entgegenwirken, bieten sich eigentlich nur zwei Möglichkeiten an: Entweder das Hirn-Doping wird an Schulen und Universitäten untersagt – oder es wird subventioniert und unter ärztlicher Aufsicht angeboten.

(...)

 



Interview mit Medizinerin Isabella Heuser

passend hierzu:

SZ: Doping-Kontrolle für Studenten

 



(...)

Apotheker berichten derzeit, dass der Verkauf von Psychopharmaka deutlich zunimmt. Dabei besteht der Verdacht, dass Antidepressiva nicht mehr nur gegen die Krankheit Depression eingenommen werden – sondern zur Leistungssteigerung. Im Jahr 2006 wurden in Deutschland allein von den neueren Antidepressiva, welche die Produktion des Botenstoffs Serotonin im Gehirn anregen, 4,8 Millionen Packungen verkauft. Sie haben im Vergleich zu früheren Medikamenten weniger Nebenwirkungen und, seit Prozac als eines der ersten Psychopharmaka der neuen Generation auf den Markt kam, auch das Image von Glückspillen.

 

»Diese Medikamente haben sich den gesellschaftlichen Bedürfnissen angepasst und sind damit im Alltag angekommen«, sagt Gerd Glaeske vom Zentrum für Sozialpolitik an der Universität Bremen. »Sie wirken nicht mehr nur dämpfend wie früher, sondern vor allem auch stimulierend.« Das Versprechen der Medikamente sei groß, »beinahe so, als könne aus einem traurigen Menschen ein schöner Schwan werden«. Und wer sei dafür nicht empfänglich, in einer Welt, in der jeder aktiv und leistungsstark sein soll und sxeine Persönlichkeit optimieren will?

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Dass sich Menschen unter anderem wegen Problemen am Arbeitsplatz oder drohender Arbeitslosigkeit psychiatrisch behandeln lassen, nehme immer mehr zu, sagt Rainer Rupprecht von der Universitätsklinik für Psychiatrie in München. Zu ihm kommen Patienten mit schweren, andauernden Depressionen, die in ihrer Lebensführung beeinträchtigt sind. Zwar werden die Medikamente besser, hätten weniger Nebenwirkungen, »aber den Durchbruch gibt es noch nicht«. Auch die neueren Antidepressiva würden meist erst nach etwa zwei Wochen wirken, bei einigen Patienten auch gar nicht, bei anderen müsse man Medikamente kombinieren, und die hätten immer noch Neben-wirkungen, wie Übelkeit oder eine sexuelle Funktionsstörung. »Wir wissen noch zu wenig über antidepressive Wirkstoffe.«

 

Trotzdem werden Antidepressiva wie ein Allheilmittel eingesetzt. Im Berliner Gesundheitszentrum für Frauen (FFGZ) kennt man viele Fälle, in denen sie gegen schlechten Schlaf oder Nackenschmerzen helfen sollten. »Die neuen Antidepressiva werden sehr schnell und beherzt verschrieben«, sagt die Mitarbeiterin Maya Krock. Manchmal würde aber vielleicht schon ein Schlaftee von Lidl reichen. Und das Krankheitsbild der Depression wird ständig erweitert: Es gibt Psychopharmaka, die beim Abnehmen helfen oder um das Rauchen aufzuhören. Die Medikamente, die Depressionen lindern sollten, werden immer mehr zum Mittel der Selbstoptimierung. Doch darüber öffentlich zu sprechen ist noch ein Tabu, vielleicht wie einst bei den ersten Schönheitsoperationen. Der Eingriff ins Gehirn, das Aufpolstern der Geisteskraft gilt noch als verpönt und nimmt doch unbemerkt von der Öffentlichkeit zu.

(...)

Mark S. beschloss vor einem Jahr, dass er seine Leistungen verbessern müsste. Eine Kommilitonin erzählte ihm von einem Mittel, das ihr beim Lernen geholfen hatte: Modafinil. Ein Medikament gegen Narkolepsie, eine seltene Krankheit, die Menschen am Tag plötzlich einschlafen lässt. Das US-Militär hat das Medikament für Piloten bei langen Flügen getestet, denn gesunde Menschen können mit dem Medikament sehr lange, angeblich bis zu 48 Stunden, wach bleiben. Mark S. hörte aber auch noch von anderen Substanzen, die im Umlauf sind: vor allem Antidepressiva. Und »Vitamin R«, wie ein Student, der ein Jahr in den USA gewesen war, das Medikament Ritalin für hyperaktive Kinder nannte – es wirke im Kopf wie »ein Konzentrationstonikum«. Eine Studie unter amerikanischen Studenten ergab, dass 16 Prozent schon einmal Ritalin genommen hatten. Für Deutschland gibt es keine entsprechenden Zahlen, nur eine von der Techniker Krankenkasse vor Kurzem veröffentlichte Statistik: Jedes zehnte für Studenten verschriebene Medikament, heißt es darin, sei ein Psychopharmakon.

 

Modafinil gilt in Deutschland noch als Betäubungsmittel, aber es wird diskutiert, ob es bald vom Arzt verschrieben werden kann. Mark S. bestellte eine Packung mit 40 Tabletten für 300 Euro bei einer Online-Adresse, die Präparate nach chemischer Originalrezeptur anbietet und ebenfalls von einer Mitstudentin empfohlen wurde. Er nahm die ovalen, weißen Tabletten drei Tage lang, immer morgens, bis er eine erste Wirkung feststellte. »Ich wurde einfach nicht mehr müde, auch nicht um zwei Uhr nachts. Mir fiel die Arbeit leicht, fast war es ein Gefühl, als wäre ich fixiert auf meine Bücher, den Computer.« Wenn er ins Bett ging, schlief er vier, fünf Stunden, am nächsten Tag fühlte er sich frisch, »kein Hang-over«, wie er sagt. Das ging so fast einen Monat, in dem er immer weniger Freunde sah, Verabredungen absagte, sich auf die Arbeit konzentrierte, bis er ein merkwürdiges Gefühl bekam, »als würde ein chemisches Skalpell jede Verwirrung oder Ablenkung langsam wegschneiden«.

 

Mark S. nimmt Modafinil seit einem Jahr regelmäßig, mit kleinen Unterbrechungen. Die Spätfolgen des Medikaments sind noch nicht erforscht, aber Mark S. findet das Mittel »so schön sauber«, das habe doch ein ganz anderes Image als etwa Kokain. Schließlich wolle man sich selbst ja nur verbessern. Dann sagt er: »Gäbe es an den Universitäten Dopingkontrollen vor den Prüfungen, das Ergebnis wäre erstaunlich.«

Die Idee, dass man seinen Geist optimieren kann (wofür in den USA bereits der Begriff »Neuro-Enhancement« geprägt wurde), hat vor allem auch durch die Vermarktungsstrategien der Psychopharmaka-Industrie Auftrieb erlangt, für die Millionenbudgets zur Verfügung stehen. Allein bei der Einführung von Prozac in den Achtzigerjahren gab die Firma Eli Lilly 21 Millionen Dollar für Werbezwecke aus. In Deutschland ist die Werbung für Psychopharmaka noch verboten, aber auf den Internetseiten von Konzernen wie etwa Wyeth Pharma mit dem Namen denkepositiv.com gibt es Checklisten, wie depressiv man ist, und es wird ganz allgemein für ein glücklicheres Leben plädiert. Bei Ärzten werben die Firmen für ihre Produkte mit Slogans wie: »Endlich wieder ich«, »Wer Sicherheit gefunden hat, kann frei in die Zukunft blicken«, »Echte Starqualitäten« oder »Aufklarende Wirkung schafft beziehungs-fähige Menschen«.

(...)

Die neuen Antidepressiva bringen Psychopharmaka »näher an den Menschen«, sagt Markus Gastpar, Chefarzt der Fliedner Klinik in Berlin. Denn die wissenschaftliche Theorie der Neurotransmitter, die unsere Gedanken und Gefühle steuern, hätte sich durchgesetzt. Das erscheint jedem plausibel – wenn es am Botenstoff Serotonin mangelt, dann muss man diesen Mangel beheben, und genau das sollen die unter der englischen Abkürzung SSRI (deutsch: »Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer«) zusammengefassten Medikamente bewirken. Eine Mangelerscheinung lässt sich in einer Gesellschaft, die auch Tabletten bei Ernährungsdefiziten nimmt, gut verkaufen. »Aber das ist nur eine Theorie«, sagt Gastpar. »Es könnten noch ganz andere Transmittersys-teme im Spiel sein, ganz andere Modelle sind denkbar. Die Forschung ist momentan in einer heißen Phase.« Bis dahin seien die heute erhältlichen Antidepressiva zwar das Beste, was es gebe, »aber eben nur eine Krücke, die hilft und keine Ursachen bekämpft«.

(...)

 




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