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Tour de France 1994, 15. Etappe

<font size=1><b>von <a href="mailto:svenm_alesi@web.de">Sven</a></b></font>



17. Juli 1994: Die Sternstunde eines Wasserträgers – Eros Poli als Solist über den Ventoux

 

Eros Poli war bis zu jenem 17. Juli 1994 ein weitgehend unbeschriebenes Blatt im Peloton. Einer unter unzähligen italienischen Radprofis, die ihre gesamte Karriere dem Helferdasein widmeten.

 

Gleichwohl hatte auch Poli bis dato einige Erfolge aufzuweisen, wenngleich diese in seine Zeit als Amateur fielen: 1984 wurde er in Los Angeles Olympiasieger im 100-km-Mannschaftszeitfahren. In selbiger Disziplin wurde er drei Jahre später im österreichischen Villach gemeinsam mit Roberto Fortunato, Mario Scirea und Flavio Vanzella Weltmeister. Seine für einen Radprofi gewaltige Körpergröße von 1,94 m mit einem Gewicht von 85 kg prädestinierte ihn geradezu für diese ganz spezielle Disziplin des Radsports. Doch allein durch diese Körperproportionen war frühzeitig abzusehen, dass aus Poli niemals ein Giro- oder Tour de France-Sieger werden konnte. Nachdem er sich nach langen Jahren im Amateurbereich 1990 dazu entschloss, endlich Profi zu werden, stellte es für ihn dank seiner Erfolge im Unterbau auch kein sonderliches Problem dar, einen Profi-Vertrag für das Jahr 1991 zu bekommen. Mit der italienischen Equipe „Del Tongo-MG“ zog er ein wahres Glückslos, durfte er doch hautnah miterleben, wie sein Teamkollege Franco Chioccioli den Giro d’Italia 1991 sensationell gewinnen konnte. Jenen Giro beendete er auf dem 129. und fünftletzten Platz – mit vier Stunden und 20 Minuten Rückstand auf seinen Teamkollegen. Dies war jedoch völlig nebensächlich, denn Schwergewicht und Neuprofi Poli kämpfte sich grandios über solch gewaltige Dolomiten-Riesen wie Mortirolo, Fedaia und Pordoi und war auf den flacheren Etappen immer „da“, wenn Chioccioli ihn brauchte.

 

Jungfräulich blieben die Palmarès von Poli die folgenden Jahre – als Wasserträger und Tempobolzer war er jedoch unersetzlich und daher unentbehrlich für den jeweiligen Kapitän, der nach 1991 in der Regel Sprintstar Mario Cipollini heißen sollte. Diesem seine unwiderstehlichen Massensprints vorbereiten war von nun an die Aufgabe Polis, die er als Lokomotive des Cipollini-Zuges jahrelang vorbildlich löste.

 

1994 nahm sein Mercatone Uno-Team neben Giro d’Italia auch an der Tour de France teil: Mitglied des Neuner-Kaders war selbstredend Eros Poli. Die Aufgabenverteilung im Mercatone Uno-Team war infolge der Tour-Absage von Cipollini nur schleierhaft definiert. Zwar befand sich mittlerweile mit Franco Chioccioli ein alter Bekannter wieder im selben Boot, doch der Giro-Sieger von einst war in die Jahre gekommen und demnach kein heißer Anwärter mehr auf vordere Platzierungen.

 



Diesem glücklichen Umstand, nicht vollends für Helferdienste geopfert werden zu müssen, verdankt Poli wohl seine Sternstunde: An jenem brütend heißen 17. Juli 1994 stand bereits die 15. Etappe der Frankreich-Rundfahrt auf dem Programm. Das Peloton hatte bereits zwei schwere Bergetappen in den Pyrenäen in den Knochen und vier Etappen in den Alpen sollten in den folgenden Tagen noch auf dem Programm stehen. Als ideale Gelegenheit für Ausreißer hätte man daher diesen 15. Tagesabschnitt von Montpellier ins malerische Provence-Städtchen Carpentras über 231 lange Kilometer interpretieren können, wenn, ja wenn da nicht der legendäre Berg im Weg gestanden hätte, dem der Brite Tom Simpson 1967 zum Opfer gefallen ist: Der Mont Ventoux, 1912 Meter hoher Gigant der Provence, um den sich Mythen ranken und mit dem vielen Legenden verbunden sind.

 

„Der Ventoux ist Gott des Bösen, dem Opfer gebracht werden müssen“, schrieb Roland Barthes, französischer Philosoph und Radsport-Fan.

 

21 Kilometer heißer Asphalt bis zum windigen Gipfel des „Teufelsberges“: Eros Poli schien sich an diesem Tage einiges vorgenommen zu haben. In der Gesamtwertung (natürlich) weit zurück, wurde sein Angriffsversuch nach 60 km des Tagespensums nicht weiter beachtet. Begleitung in Form von anderen Mitausreißern erfuhr er keine – zu aussichtslos erschien das Unterfangen. Zudem schien das Peloton auch nicht gewillt zu sein, bereits vor dem Ventoux irgendwelche Körner sinnlos zu verschleudern. Dementsprechend „bummelte“ das Feld, während Poli Minute um Minute herausfahren konnte. Der Anstieg zum Ventoux begann in Bédoin, ca. 60 Kilometer vor dem Ziel in Carpentras, und das Feld erreichte den Fuß des Berges sage und schreibe 23:45 Minuten später als Poli, der in diesen knapp 24 Minuten bereits einen harten und einsamen Kampf gegen die Hitze, die zehn-prozentige Steigung hinauf bis zum Chalet Reynard, und vor allen Dingen gegen sich selbst führte. Die fanatischen Zuschauer schrien Poli hinauf – jeder Meter schmerzte in den Beinen, jedes Gramm seiner insgesamt 85 000 schien als immense und unüberwindbare Bremskraft zu wirken. Mit schwerem Tritt und einem wankenden Oberkörper, der einem Schiff in höchster Seenot glich, quälte sich der Italiener den „Teufelsberg“ hinauf. Währenddessen attackierte der Italiener Marco Pantani als Erstes aus dem Peloton und setzte sich ab. Dahinter versuchten es mit Richard Virenque (Frankreich) und Pjotr Ugrumov (Russland) die nächsten Fahrer – der Vorsprung Polis schmolz wie Eis in französischer Sonne: Pro Kilometer verlor er im Schlussteil des Anstieges hinter dem Chalet Reynard, wo ihn die berüchtigte karge Mondlandschaft in Form der Stein- und Geröllwüste des Ventoux nicht mehr von der Seite weichen wollte, jeweils ca. eine Minute pro Kilometer, als der Tour-Führende Miguel Indurain hinter Chalet Reynard das Tempo verschärfte und das Feld im Alleingang sprengte. Virenque und Ugrumov wurden rasch eingeholt und nur noch Armand de las Cuevas, Luc Leblanc, Pascal Lino (alle Frankreich), der Italiener Roberto Conti und Virenque konnten das Tempo des dreifachen Tour-Siegers mitgehen. Poli kämpfte sich derweil Meter um Meter auf glühendem Asphalt den Gipfel des Ventoux hinauf – der riesige Vorsprung, den er sich auf der Fläche herausfuhr, sollte ausreichen. Auf dem höchsten Punkt des Berges waren es noch 4:35 Minuten Vorsprung auf Pantani, sowie 6:03 Minuten auf die Indurain-Gruppe. Nun hätte nur noch ein Sturz oder Defekt Polis Triumphfahrt abrupt ein Ende setzen können. Nachdem er jedoch den Kampf mit sich und dem Berg gewonnen hatte, war das schlimmste überstanden und die restlichen Kilometer glichen einer Triumphfahrt. Beflügelt vom greifbar nahen Etappensieg „flog“ er die Kehren des Ventoux hinab, dem Ziel in Carpentras entgegen. Unter Tränen feierte er den Etappensieg und wurde infolge dieser fantastischen Leistung auch zum angriffslustigsten Fahrer der Tour de France 1994 gewählt.

 

Auch diese Rundfahrt konnte Poli letztendlich beenden. Sein grandioser Etappen-Sieg hatte ihm in der Gesamtwertung jedoch wenig gebracht: Im Schlussklassement waren von 117 Fahrern nur die beiden Niederländer Rob Mulders und John Talen hinter ihm. Für diese Tatsache hatte Poli gerüchteweise wohl nur ein müdes Lächeln übrig…

 

„Es war der größte Tag in meinem Leben. Es war ein Traum und ich konnte ihn mir erfüllen…“, sollte Poli später sagen.

 


Eros Poli im Interview (ZDF Online)


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