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L'Etape du Tour 2008 von Checker, Andi & Co.



9. Tag, 06.07.2008: L’ÉTAPE DU TOUR: Pau – Hautacam (169 km)

• Strecke: Streckenverlauf (offizielle Homepage)

• Gesamt-km: 168,5 km

• Gesamt-hm: ca. 3500 hm



Nächtliche Geräusche...

Der heutige Tag dringt etwa gegen 3 Uhr früh erstmalig in mein Bewusstsein. Das Geräusch draußen klingt, als stünde unser Wohnmobil unter einem der Wasserfälle, die wir gestern im Cauterets-Tal bestaunen konnten. Mit ungeahnter Gewalt peitscht der Regen herunter, und was ich in diesem Moment denke, dürfte nicht schwer zu erraten sein. Ich schaue aus dem kleinen Fenster nach draußen auf die Wiese, wo Corny und Basti im Zelt liegen. Jeden Moment erwarte ich, dass sie panisch den Zelteingang aufreißen und ins Mobil flüchten, aber es tut sich nichts. Irgendwann nicke ich in der Monotonie des Regenrauschens noch einmal ein…

 

5 Uhr ist die Nacht für uns beendet, wenngleich es noch stockdunkel ist. Das Gewitter ist glücklicherweise erst einmal vorbei und hat eine hübsche Nässe auf dem Asphalt hinterlassen. Wie die anderen Teilnehmer um uns herum bereiten wir uns auf den Tag vor. Die Motivation ist doch arg gebremst, da es unangenehm kühl ist und am Himmel bereits die nächsten schwarzen Wolken lauern. Nach nicht allzu langer Zeit kommt dann auch erneut das kühle Nass, zunächst in Form von Sprühregen, von oben herab. Da meine Regenjacke nicht gerade kompakt und Platz sparend ist, ziehe ich lediglich eine Windweste über das Trikot, Ärmlinge und Überschuhe bleiben die einzigen wetterbedingten Zusatz-Accessoires. Mir ist von vornherein klar, dass dies angesichts der Wetterlage extrem wenig ist – aber irgendwie wird es schon gehen. Im Rennen sollte es ja schnell warm werden…

 

Kurz nach 6 Uhr verabschieden wir uns von Corny und begeben uns in Richtung der Startblöcke. Da wir 4000er Startnummern haben, müssen wir im 5. Block Platz nehmen. Das heißt im Klartext: 4 Blöcke und damit etwa 4000 Fahrer(innen) werden vor uns auf die Strecke geschickt. Eine gute Ausgangsposition sieht definitiv anders aus. Um uns herum hört man einen bunten Mix verschiedener englischer Dialekte, was uns vermuten lässt, dass dies eventuell der Startblock für die ausländischen Teilnehmer ist. Genau bestätigen ließ sich das jedoch nicht… Es regnete inzwischen wieder ziemlich intensiv, der erwachende Morgen begrüßte uns mit allerlei lieblichen Grautönen, und die Stimme im Lautsprecher plapperte pausenlos für mich unverständliches Zeug in der Landessprache daher. So langsam begann ich ein wenig zu frösteln.

 



Startschuß!

Um 7 Uhr war der offizielle Start des Rennens, und der erste Startblock wurde auf die Reise geschickt. Vier gefühlte Ewigkeiten dauerte es, bis die 4 Blöcke vor uns durch waren. Real war es wohl 7:12 Uhr, als wir endlich das Startsignal erhielten. Vom großen Parkplatz ging es zunächst rechts ab auf die lange, nicht sehr breite Gerade vorbei am Hippodrom. Und ich fror! Meine Güte, ist das kalt! Während der Stunde Wartezeit im Startblock schien jegliche Wärme aus meinem Körper gewichen zu sein. Ich fühlte meine zitternden Lippen schon blau anlaufen, der kalte Fahrtwind kroch direkt durch die bereits nasse Kleidung. Ich wusste nicht, wie ich die restlichen 168,5 Kilometer überstehen sollte. Wir bogen erst einmal links ab auf eine breite Straße Richtung Stadtzentrum von Pau. Geralf, den ich vorher noch gesehen hatte, war verschwunden, dafür tauchte bald die andere gelbe Regenjacke mitsamt Andi auf. Zusammen machten wir uns auf den Weg. Die ersten Kilometer verliefen quer durch die Stadt. Von einem geschlossenen Feld konnte hier hinten keine Rede sein, und im Zickzackkurs bahnten wir uns als Tandem den Weg nach vorn. Toll, jetzt sind nur noch etwa 3950 Leute vor uns! Ausgangs Pau wurde mir endlich wärmer, und ich war schon wieder hoffnungsvoller. Auf der Landstraße Richtung Norden ging die Aufholjagd weiter. Die meisten Teilnehmer waren (unbewusst ?) so nett und ließen den schmalen Radstreifen auf der rechten Straßenseite unbenutzt, so dass wir diesen konsequent als Überholspur nutzten. Nur selten konnten wir uns in den Windschatten eines anderen, gleichschnellen Fahrers hängen. Der Rest der Teilnehmer, also etwa 99,7%, fuhr einfach viel zu langsam, so dass wir die Arbeit selbst machen mussten. Naja, Andi durfte eigentlich die meiste Zeit meinen Windschatten genießen . Aber ich fühlte mich sehr gut und fuhr fokussiert wie in einem Tunnel – nach vorn, einfach so weit wie möglich nach vorn! Dass noch 150 bergige Kilometer vor mir lagen, war mir nebenbei durchaus bewusst. Aber ich hatte nicht das Gefühl, mich zu übernehmen.

 

In Rebenacq nach etwa 25 Kilometern ging es links ab erstmals in hügeliges Terrain. Die Straße wurde sehr schmal, was das Überholen extrem erschwerte. Immer wieder hingen wir hinter diversen Leutchen fest, die bereits an diesen Asphaltblasen nahe am Absteigen waren. Unglaublich - und die durften vor uns starten?! Wie wollen die denn jemals diese Strecke bewältigen? Im Stop-and-Go-Verfahren schlängelten Andi und ich uns weiter durch das Feld. Mittlerweile hatte es weitgehend aufgehört zu regnen, aber Kühle und nasse Straßen blieben zurück. Durch liebliches, sehr dünn besiedeltes Gebiet ging die Fahrt weiter nach Nay, wo uns wieder breitere und besser ausgebaute Straßen empfingen. In etwa hier löste sich plötzlich meine kleine Satteltasche mit Ersatzschlauch und Reifenheber und landete hinter mir auf dem Asphalt. Einen Moment lang überlegte ich umzudrehen, aber das Tempo war gerade recht hoch und hinter mir kamen beständig Fahrer. Also weiterfahren. Risiko. Andi ist ja auch noch da . 45 Kilometer waren zurückgelegt, und ich gönne mir erstmal eine Banane.

 



Die erste Bergwertung...

Hinter Bénéjacq wartete die erste Bergwertung der 3. Kategorie. Zweieinhalb Kilometer mit 7% im Schnitt. Unten ging es direkt ziemlich steil in zwei, drei engen Kurven in den Anstieg hinein. Wieder gab es Stau, wieder ließen sich die meisten von einem Hügelchen ihre Grenzen aufzeigen. Ich hatte mich jedoch ziemlich schnell freigekämpft und prompt Andi von meinem Hinterrad verloren. Immer wieder schaute ich nach hinten, konnte aber sein Trikot nicht entdecken. Ich fuhr dann mit gebremstem Schaum an der Seite von Paolo Bettini – zumindest war der Kerl neben mir klein, schmal und trug ein Weltmeistertrikot – nach oben. Hinunter führte dann die Fahrt nach Pontacq, wo wir nach einer engen Ortsdurchfahrt die breite D 940 Richtung Lourdes enterten. Die hatten wir bereits gestern per Wohnmobil in umgekehrter Richtung befahren. Hier war ich trotz zahlreicher Gesellschaft wieder weitgehend auf mich allein gestellt, was das Tempomachen anging. An einem klitzekleinen Hügelchen beispielsweise fuhr ich in zügigem, aber keinesfalls brutalem Tempo nach oben und entdeckte „meine“ Gruppe sofort 30 Meter hinter mir. Es war schon ein bisschen zum Verzweifeln. Gut, dass am Ortseingang von Lourdes plötzlich Andi wieder neben mir auftauchte und gleich ein paar starke Leute mitbrachte. So meinte er zumindest.

 

Mittlerweile hat es wieder leicht zu regnen begonnen, im Zentrum von Lourdes saß ein Fahrer nach Sturz scheinbar etwas schwerer verletzt am Straßenrand. Die Verpflegungsstelle ließen wir links (bzw. rechts) liegen und begaben uns auf die hervorragend ausgebaute, leicht abfallende Straße Richtung zweiter Bergwertung, auf die (die Straße) wir uns schon vor 3 Tagen in Erwartung einer feinen Tempojagd freuten. Leider gab es leichten Gegenwind, und Andis unentgeltliche Söldner waren scheinbar doch nicht so stark, ein entsprechend hohes Tempo vorzugeben. Trotzdem rollten wir bis zum Beginn des Anstiegs (3. Kategorie) im Windschatten mit. Am Berg fuhr dann plötzlich der Bettini-Verschnitt in nicht mehr ganz so angenehmem Tempo nach oben. Ich hängte mich an sein Hinterrad und merkte bald, dass mich das jetzt doch ein wenig Mühe kostet und wahrscheinlich nicht mehr viele hier mithalten können. Genauer gesagt, war hinter mir niemand mehr, Andi hatte ebenfalls abreißen lassen müssen. Am Ende der 2-Kilometer-Steigung fühlte ich mich besser – entweder, weil ich meinen Rhythmus gefunden hatte, oder weil Bettini etwas langsamer wurde. In der kleinen Abfahrt kamen einige Leute zurück, und im Flachstück nach Bagnères-de-Bigorre fand sich, durch Fahrer von vorn und hinten kommend, eine größere Gruppe zusammen. Leider ohne Andi. Wir ließen es erst einmal ruhig angehen, und ich aß mal wieder eine Kleinigkeit. Vor dem Anstieg zum Tourmalet keine schlechte Idee…Kurz vor Bagnères-de-Bigorre ist plötzlich Andi wieder da, der sich in einem gehörigen Kraftakt allein nach vorn gekämpft hat. Jetzt ist Zeit, das Tempo wieder ein bisschen anzuziehen. Ziemlich genau 100 Kilometer und 3 Stunden sind wir bereits unterwegs, aber das Rennen beginnt ja erst noch richtig! Das ständige Tempofahren im Flachen hat sicherlich Körner gekostet, aber die Beine sind noch frisch und bereit für den Col du Tourmalet.

 

Auf dem leicht ansteigenden Abschnitt in Richtung Campan fahren wir ein gleichmäßiges, nicht zu hohes Tempo. Trotzdem schmilzt die ehemals große Gruppe bald auf gerade einmal noch 6 Fahrer. Mein Teamkollege ist zum Glück noch dabei, des weiteren ein großer Kerl aus Schottland, der mir ständig Fragen stellt: Wie weit ist es von hier zum Tourmalet? Wie weit dann noch bis zum Ziel? In welcher Zeit willst du im Ziel sein? Usw… Überflüssig zu erwähnen, dass wir weiterhin Heerscharen anderer Fahrer überholen und direkt stehen lassen. Unter ihnen einer mit steifem Bein (!), der eine spezielle, wahrscheinlich eigengebaute Kurbel fährt, um auch mit dem steifen Bein noch ein wenig Kraft auszuüben. Wow, Respekt! Die Fahrt durch das Tal ist durchaus reizvoll, zumal es kurzzeitig etwas aufklart. Sogar die Sonne schafft es beinahe, sich zu zeigen. Beinahe…

 



Auf geht´s zum Tourmalet...

Kurz vor St-Marie-de-Campan werden die offiziellen 17,7 Kilometer des Anstiegs zum Col du Tourmalet angezeigt, und es wird prompt steiler. Sofort bin ich allein, d. h. vor meinen bisherigen Gefährten (man hat ja trotzdem ständig Fahrer vor, um und hinter sich ). Kurzer Blick zurück zu Andi, bevor wir nun endgültig eigene Wege und Tempi einschlagen. Ich fahre einigermaßen verhalten – es liegen noch 2500 Höhenmeter vor uns – in den Anstieg hinein. Hinter St-Marie-de-Campan flacht die Steigung ein wenig ab, es geht wellig und unrhythmisch bei durchschnittlich 3-4% Steigung weiter. Ich fühle mich gut und überlege, ob ich nicht noch ein bisschen schneller fahren könnte, als mich plötzlich der Schotte und zwei weitere Fahrer überholen. Ich lasse sie aber ziehen und fahre meinen Stiefel weiter. Schwer vorzustellen, dass sie dieses Tempo durchziehen können, v. a. der Schotte wirkte bereits sehr leidend. Hinter Gripp haben die Flachstücke dann endgültig ein Ende, die letzten 13 Kilometer mit über 8% durchschnittlicher Steigung beginnen. Mit 39:24 fahre ich in einem angenehmen Rhythmus, der Schotte und die beiden anderen kommen wieder näher. Ersterer fährt einen haarsträubenden Stil: gibt scheinbar einige hundert Meter lang alles, reißt sein Rad hin und her, schindet sich nach oben – um plötzlich zwei, drei dritte auszulassen und fast stehenzubleiben und umzufallen. Der fährt schon richtig am Limit, und insgeheim bewundere ich seinen Mut, sich bereits an diesem Punkt des Rennens so zu verausgaben. Als ich an ihm vorbei fahre, fragt er keuchend, wie weit es noch bis zur Verpflegungsstation in La Mongie ist. Der arme Hund…

 

Die Steilheit des Anstiegs erfordert jetzt immer öfter den Einsatz meines 27er Rettungsringes, aber solange noch Kraft in den Beinen ist… Die gefürchteten Rampen in den Galerien vor La Mongie sind erreicht, und ich komme unerwartet gut dort hinauf. Mittlerweile umgibt uns dichter Nebel, und es ist kalt – Bedingungen wie vor 3 Tagen auf der Luz-Ardiden-Tour. Am Verpflegungspunkt eingangs La Mongie halte ich sogar kurz an, um mir eine Trinkflasche wieder auffüllen zu lassen und einen kleinen Riegel einzustecken. Die Helferin ist sehr freundlich und verweist auf die belegten Brote am Nebentisch – aber dafür habe ich leider keine Zeit . Zurück auf der Strecke, nehme ich die letzten knapp 5 Kilometer zum Pass in Angriff. Die Sichtweite beträgt kaum mehr als 30 Meter, die Straße bleibt konstant steil. Aber um ehrlich zu sein – ich habe Spaß an dieser Auffahrt! Die Beine vermelden immer noch keine Schwäche und verrichten ihre Arbeit konstant wie ein Schweizer Uhrwerk. Und das Überholen der anderen Fahrer gibt noch ein bisschen zusätzliche Moral.

 



Passhöhe erreicht und runter geht´s...

Der Col du Tourmalet ist erreicht, und ich halte kurz an, um den Windstopper zu schließen und eine Zeitung unter das Trikot zu stopfen. Dann folgt die Abfahrt – uff! Mit „Blindflug“ ist das ganze recht gut umschrieben. Mit maximal 30 km/h geht es den Berg hinab, und dabei bin ich immer noch schneller als der Rest. Ganz geheuer ist mir das nicht, aber ich komme heil durch die Suppenküche. Kalt ist es natürlich, nass auch, aber es ist noch zu ertragen – trotz des dünnen Windjäckchens. Vor Barèges wird die Sicht besser, ich fahre rechts an einer kleinen Gruppe vorbei – und keiner geht mit. So ganz verstehe ich das nicht… Auf dem zweiten Teil der Abfahrt überhole ich weitere Fahrer, bis kurz vor Luz-St-Sauveur endlich mal jemand an MIR vorbeifährt. Klasse, an den hänge ich mich jetzt mal ran! Scheint eine gute Lokomotive zu sein, hoffentlich fährt er im Flachstück nicht zu schnell…Als ich besagten Fahrer erreicht habe, ist er plötzlich nicht mehr so scharf darauf, das Tempo aufrecht zu erhalten. Ein kleines Grüppchen von 5 oder 6 Leuten hat sich gefunden, und ich darf mal wieder die Spitze übernehmen. Allerdings tue ich das nur, um in aller Ruhe noch eine Banane meinem Verdauungstrakt zuzuführen. Keiner meiner Mitstreiter fährt vorbei, obwohl ich fast Stehversuche mache. Wir sind mittlerweile außerhalb von Luz-St-Sauveur auf dem letzten Stück der Abfahrt, welches immer wieder von kleinen Gegensteigungen unterbrochen ist. In die erste dieser – wirklich harmlosen – Rampen nehme ich direkt den Schwung aus der Abfahrt mit, drehe mich um – 20 Meter Abstand zum Rest. Das darf doch alles nicht wahr sein, was sind denn das für Pflaumen?! Mir reicht es - ich fasse den Unterlenker, gebe Druck aufs Pedal und fahre allein weiter. Sollen die doch weiter flanieren… Weit vor mir sehe ich eine größere Gruppe, etwa 500 Meter Vorsprung dürfte sie haben. Mittlerweile sind fast 150 Kilometer zurückgelegt, und ich kann meinen körperlichen Zustand kaum fassen. Bei vergleichbaren Veranstaltungen – z. B. Dreiländergiro – pfeife ich zu diesem Zeitpunkt bereits aus dem vorletzten Loch. Und jetzt spüre ich – Kraft. Stärke. Lust auf Tempobolzen. Ich fahre mich in einen kleinen Rausch hinein, das fühlt sich verdammt gut an! Zudem bringe ich es fertig, meine derzeitige Situation als mutige Soloflucht zu interpretieren – das pusht . Ein Begleitmotorrad fährt fast die gesamte Zeit neben mir, ich habe die Zuschauer am Straßenrand für mich allein – geil! Ein paar hundert Meter hinter mir sehe ich, wie sich meine ehemalige Gruppe aufgefüllt hat und nun hinter mir her jagt. Super, jetzt machen sie Tempo! Von denen lasse ich mich nicht mehr einholen, keinesfalls…

 

20 Kilometer vor dem Ziel wird die letzte feste Nahrung eingeworfen, der Riegel von der Verpflegungsstelle. Marzipan, aha. Nunja, ich habe nichts dagegen. Wenig später geht es rechts ab (die Profis fuhren hier geradeaus weiter am Fluß) auf eine schmale, wellige Straße, vorbei an Beaucens und unserem Zeltplatz – auf dem Corny hoffentlich wie geplant das Wohnmobil geparkt hat.

 



Der Schlußanstieg nach Hautacam...

Préchac ist der letzte Ort vor dem Schlussanstieg, hier gibt es in Form einer 400 Meter langen Steigung schon einmal einen klitzekleinen Vorgeschmack auf das kommende. Hier sammle ich auch die ersten, zurück gefallenen Mitglieder der großen Gruppe vor mir ein, und nach einer kleinen Senke geht es rechts ab auf die letzten 13 Kilometer und 1100 Höhenmeter. Doch was ist denn hier los? Hunderte von Zuschauern stehen am Straßenrand und jubeln. Ich kann nicht anders – Udo Bölts nacheifernd, winke ich links und rechts ins Publikum und strahle dabei wahrscheinlich wie ein Honigkuchenpferd. So etwas tolles ! Vor lauter Begeisterung vergesse ich prompt, aufs kleine Blatt runterzuschalten, und erschrecke kurz, warum meine Beine plötzlich so schwer geworden sein.

Jetzt heißt es: Rhythmus finden. Die Straße ist durch Pylonen zweigeteilt – rechts geht es bergauf, links darf man nachher wieder herunter fahren. Nach einem Kilometer steht bereits Corny mit allerlei Verpflegung und Aufmunterung am Straßenrand, aber ich nehme nur letzteres entgegen. Zu essen brauche ich nichts mehr (und habe ich sowieso noch in der Trikottasche), und eine fast volle Flasche sollte angesichts der Tatsache, dass kein plötzlicher Temperaturanstieg um 20 Gr… Kelvin stattgefunden hat, ausreichen. Ich habe meinen Tritt schnell gefunden und überhole erneut fleißig. Unglaublich, wie gut es immer noch läuft! Da allerdings weit uns breit niemand zu sehen ist, der annähernd in meinem Tempo bergauf fährt, befürchte ich, dass doch noch verdammt viele Starter vor mir sind. Aber was soll’s – eine gute Platzierung war bei dieser Startposition sowieso nicht zu erwarten.

 

Nach etwa der Hälfte des Anstiegs, mit Beginn der steilsten Kilometer, wird es so langsam hart. Von einem flüssigen Fahrstil muss ich mich in den 12%-Rampen weitgehend verabschieden, jetzt beginnen Kampf und Leiden. Aber ich breche nicht ein, noch immer gewinne ich Position um Position. Noch 5 Kilometer bis zum Ziel, jetzt zieht wieder Nebel in den Hang. Gleich wird es flacher, noch zwei knackige Serpentinen. Jetzt erst kommt die Gewissheit: ja, ich werde durchkommen! Und ich werde GUT durchkommen! Aber noch wartet das Steilstück zwischen Kilometer 3,5 und 2,5. Linkskurve, und die endlose, steile Gerade beginnt. Man sieht zwar nur wenige Meter weit, aber ich weiß ja, dass es hier noch einmal richtig hart wird. Wieder einen überholt. Tief gebeugt sitze ich auf dem Rad, gehe aber immer wieder aus dem Sattel. Alles ein Stück kraftloser als vorher, alles mit 39:27. Kurz wird es flacher, dann diese Linkskurve mit der letzten, besonders fiesen Steilrampe. Die kann man nur im Wiegetritt nehmen! Also raus aus dem Sattel, und die vorletzten Kräfte mobilisieren. Geschafft! Es wird flacher, das 2-Kilometer-Schild ist zu sehen. Hochschalten, beschleunigen. Auch wenn’s weh tut. Blick nach vorn – weitere kämpfende Solisten, die hole ich mir noch! Die Flamme Rouge! So etwas wie Befreiung steigt in mir auf, irgendwo her kommt noch mal ein wenig Kraft. Lange Linkskurve, noch 500 Meter. Hier überhole ich zum letzten Mal. Noch 300 Meter, Flachstück. Ich schalte hoch, setze zum Sprint an (für die Galerie ). Die kleine Rampe in der letzten S-Kurve wird weggedrückt, und dann ist auch schon der Zielstrich erreicht. Die Uhr am Ziel zeigt 13:19:?? , über sechs Stunden sind seit dem Start vergangen. Fertig.

 



Das Ziel ist erreicht!

Ich rolle aus, schwer atmend. Direkt nach der Zieldurchfahrt wird mir der Transponder abgenommen und eine Medaille um den Hals gehängt. Begleitet von anerkennenden Glückwünschen der super-freundlichen Helfer. Ich bin erschöpft, habe mich aber nicht völlig verausgabt und erhole mich relativ schnell wieder. Zufriedenheit stellt sich ein – ich glaube, das war eine ziemlich gute Leistung! Ich greife mir eine Flasche Wasser und ein paar Gelee-Bonbons (!) – die einzige Verpflegung hier oben. Das Ziel ist kein Ort zum Verweilen: es ist kalt, nass und nebelig. Nach ein paar Minuten begebe ich mich daher schon auf den Rückweg, bergab. Die Fahrer werden in Intervallen herunter gelassen, wie an einer Wasserrutsche im Erlebnisbad. Langsam sollten wir fahren und 30 bis 50 Meter Abstand lassen – der Sicherheit wegen. Auf geht’s.

 

Diese Abfahrt hinunter von Hautacam ist vielleicht – und das ist keine Übertreibung – der schlimmste Teil des gesamten Tages. Die Anspannung des Rennens ist weg, man hat ein bisschen oben verweilt und sich erholt (, ich habe nur einen lächerlichen Windstopper ) – und jetzt geht es bei nassen 8°C im Schneckentempo bergab, die Hände ständig an den Bremszügen. Ich fror ganz erbärmlich und versuchte mich damit abzulenken, dass ich die andere Seite der Straße nach meinen bergauf fahrenden Kollegen absuchte. Andi traf ich in etwa an der 2-KM-Marke, er sah ziemlich entspannt aus. Kurz vor ihm übrigens der leidensfähige Schotte. Basti verpasste ich beinahe – es war am letzten Steilstück, und ich konnte ihm nur noch hinterher rufen. Er machte einen ziemlich freudlosen Eindruch – aber gut, dort waren auch 13% . Den Blick immer nach links gerichtet, ging das Martyrium bergab weiter. Schlotter, bibber, zitter… Es dauerte bis etwa zum KM 7, bis ich Konrad traf, und vielleicht zwei Kilometer weiter unten kam auch Basti entgegen (der im übrigen sehr locker wirkte – hat sich anscheinend weitgehend geschont ). Jetzt muss ich nur noch Corny finden und den Autoschlüssel von ihm übernehmen. An die warme Dusche darf ich noch gar nicht denken… So gut wie möglich konzentriert, suche ich den Straßenrand nach Corny ab, aber er ist nicht zu sehen. Irgendwann merke ich, dass ich schon zu weit bin – hier ist ja schon die letzte Kurve vor unten! Ich steige ab, besser gesagt: ich versuche es. Ich bin völlig steif gefroren und kann mich kaum auf den Beinen halten. Der Vorgang, das Handy aus der Trikottasche zu ziehen, ist unter diesen Umständen schon eine beachtliche Leistung. Zu allem Überfluss ist der Handykontakt gestört. Telefonieren geht nicht, SMS treffen mit minutenlanger Verzögerung ein. Vielleicht ist Corny schon zurück am Wohnmobil? Es gibt nur eine Möglichkeit, das herauszufinden… Im Tal rolle ich die letzten Kilometer zurück, muss kurz vor dem Campingplatz noch einmal auf die Rennstrecke (was aber kein Problem ist), quäle mich diese vermaledeiten letzten 300 Meter hoch – und sehe das Wohnmobil am Eingang stehen. Ohne Corny. Natürlich abgeschlossen. Sch***. Also schicke ich eine „Ich bin schon hier“-SMS ab und warte. Es ist nicht mehr so kalt wie in der Abfahrt, aber lange kann und will ich auch nicht mehr auf meine Dusche warten. Zunächst trifft Andi ein, leicht am Knie lädiert, aber glücklich und zufrieden. Danach endlich Corny! Der Tag ist gerettet. Die anderen kommen ebenfalls unversehrt und erleichtert zurück. Es war ein harter Tag, mit schweren Anstiegen, harter Tempoarbeit, Kälte, Regen, gefährlichen Abfahrten, Leiden. Kurz: es war so geil!

 

Am Ende sprang Platz 106 für mich heraus! Und das bei Startposition > 4000! So weit vorn hätte ich mich nicht erwartet, denn im Bereich Platz 100-150 hätte ich durchaus stärkere Fahrer erwartet als jene, die ich am letzten Anstieg noch überholt habe. Nach Nettozeit (12 Minuten weniger) hatte ich sogar sogar Platz 67. Die Form war wirklich überaus gut, vielleicht so gut wie noch nie. Auch das Wetter kam mir durchaus entgegen – bei Hitze wäre ich mit Sicherheit nicht so weit vorn gelandet. Natürlich ärgert man sich ein wenig über die Chancenungleichheit – was wäre möglich gewesen, wenn ich im ersten Block gestartet wäre? Aber insgesamt war es ein geradezu euphorisierender Tag. Bitte mehr davon!

Ein dickes Lob geht an die gesamte Organisation des Rennens. Hier gibt es eigentlich nichts zu bemängeln, alles war höchst vorbildlich!

 

 

P.S. Nach Dusche, Erholung und Essen ging es ab Richtung Atlantik. Morgen: Ruhetag am Strand.

 


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