Zur Ethik und Moral des Sports
Der Sport ist Bestandteil des kulturellen Lebens eines jeden Volkes. Volkssport heißt Freude, Entspannung und Gesundheit für alle. Leistungssport ist Unterhaltung, Selbstverwirklichung und Animation für den Volkssport. Leistungssport heißt Völkerverständigung und in unserer Zeit auch Wegbereiten für ein gemeinsames Haus Europa.
Der Sport in unserem Land braucht radikale Reformen, die die veränderten politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse berücksichtigen, d.h. die echte Demokratie und volle Ausschöpfung der Möglichkeiten der Eigenfinanzierung gewährleisten. Der neue Sport der DDR wird jedoch nur dann ein Sport des Volkes sein, wenn er seine Vergangenheit offen legt und bereit ist, sie zu überwinden!
Die Geschichte der Körperkultur zeigt, dass die Moral des Sports stets ein Abbild der Moral der Herrschenden ist. Partei und Regierung der DDR missbrauchten den Sport in mehrfacher Hinsicht:
- Der Leistungssport wurde als strahlende Fassade errichtet, hinter sich die Diktatur einer Partei- und Regierungsclique, Amtsmissbrauch, Korruption, Misswirtschaft und Verrat am Volke verbargen. Glanz und Gloria nach außen wurden auf Kosten der Volkswirtschaft, des Volkssports und damit der Volksgesundheit erkauft.
- Brot und Spiele dienten der oberflächlichen Befriedigung des Volkes und der Sicherung des inneren Friedens. Aufwendige Jubelveranstaltungen wie Pfingsttreffen und Sportfeste sollten die Illusion der Einheit von Partei, Regierung und Volk vermitteln, das marode Staatswesen verschleiern und für die Verweigerung elementarer Menschenrechte entschädigen.
- Der Sport der DDR – ein gigantisches Dekorationsstück der Partei und Regierung – hat seine Wurzeln nicht im Volk. Die Notwendigkeit, das Sein der DDR durch den Schein olympischer Medaillen aufzupolieren, verlangte die vorrangige leistungssportliche Förderung olympischer Disziplinen. Die Beteuerung, nach der aus Millionen regelmäßig übender und trainierender Volkssportler folgerichtig die kleine Gruppe leistungsstarker Spitzensportler erwächst, ist als wohltönendes Märchen entlarvt. Tatsachen sind, dass
1. die Möglichkeiten der sportlichen Betätigung für die Bürger der DDR weit unter dem Standard entwickelter Industrienationen liegen;
2. private Initiativen zur Behebung dieses Notstandes unterbunden wurden (z.B. Genehmigung privater Fitnesszentren);
3. die ernsthafte Unterstützung des Volkssports mit dem Erkennen des leistungssportlichen Talents endete;
4. sogenannte „nichtolympische“ oder „wenig medaillenintensive“ Sportarten wie Kraftsport, Triathlon, asiatische Kampfsportarten, Hockey, Basketball, Tennis usw. bestenfalls widerwillig geduldet wurden, und
5. das quantitative und qualitative Angebot an Sportbekleidung, -geräten, -ausrüstungen und –anlagen bei weitem nicht ausreicht, um die Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen. Als Ausweg wird auf den „Sportplatz Natur“ verwiesen, der vielerorts – wie das Beispiel Leipzig zeigt – durch Verunreinigung der Umwelt der Gesundheit eher Schaden zufügt.
Die Existenz des Volkssports in der DDR ist also weniger eine Leistung von Partei und Regierung, sondern vielmehr das Verdienst ungezählter ehrenamtlicher Helfer, die als Übungsleiter, Kampf- und Schiedsrichter, Sportmediziner und Funktionäre fleißig und aufopferungsvoll arbeiteten.
Zur dauerhaften Beglaubigung dieser Täuschungsmanöver wurden und werden noch heute ganze Heerscharen gut bezahlter Partei- und Sicherheitsfunktionäre, Gesellschafts- und Erziehungswissenschaftler aufgeboten. Das führte im wahrsten Sinne des Wortes zur Entmündigung des Sports, insbesondere seiner Spitzensportler, die mit der politisch-ideologischen Erziehung der Kinder im Trainingszentrum begann und sich im „Sprechverbot“ gegenüber Sportlern, Funktionären und Journalisten nichtsozialistischer Staaten fortsetzte. Der Zorn der Bevölkerung wendet sich deshalb auch nicht – wie in zahlreichen Erklärungen glaubhaft gemacht werden soll – gegen den Leistungssport und die Leistungssportler an sich, sondern gegen ihren jahrzehntelangen Missbrauch.
Die Schreibtischtäter und ihre allzu willfährigen Helfer sind die eigentlichen Verursacher der tiefen moralischen Krise des Sports in unserem Land. Sie schieben heute die Spitzensportler wie Schutzschilde vor sich her und glauben sich so verstecken und aus der Verantwortung stehlen zu können. Nicht die Soldaten des Sports (Spitzensportler, Trainer usw.), sondern seine Generale, die für die Errichtung des perfekten Kasernensozialismus im Leistungssport Dank und Anerkennung ernteten und weiterhin mit Stolz auf diese „Leistung“ verweisen, gehören an den Pranger!
Wo sind die Stellungnahmen der Politfunktionäre und Erziehungswissenschaftler, die den Leistungssport zugunsten einer verfehlten Partei- und Regierungspolitik vom Volke trennten?
Wo ist die Positionierung der SED zum Leistungssport? Hat sie ihr Hätschelkind ausgesetzt?
Wo ist der Standpunkt des Herrn Krenz, der bis zum Oktober 1989 im ZK der SED für die Linientreue des Sports zuständig war?
Um den politischen Missbrauch des Sports für immer auszuschließen, um den Glauben des Volkes an die Ideale des Sports wiederherzustellen, muss sich der DTSB zur radikalen Reformen bekennen. Solange keine klaren vertrauensbildenden Konzeptionen und Strategien über den zukünftigen Kurs der Sportorganisation auf dem Tisch liegen, so lange wird das Volk nicht bereit sein, auch nur eine müde Mark für den Sport auszugeben.
Einerseits haben wir mit Befriedigung zur Kenntnis genommen, dass die Positionen zum Sport, die das Neue Forum bereits am 4.11.1989 in die Öffentlichkeit trug – zu einem Zeitpunkt also, zu dem der DTSB sich noch in tiefes Schweigen hüllte – heute Einzug in die Diskussion gefunden haben. Andererseits sind wir betroffen über die Zaghaftigkeit und Inkonsequenz, mit der die dringend erforderlichen Reformen in Angriff genommen werden. Jede Halbherzigkeit schafft neues Misstrauen!
Wir fordern deshalb:
- Sofortige Trennung von Partei und Sport (Wahl des Sekretariats des Bundesvorstandes des DTSB im November 1989: ein Präsident und fünf Vizepräsidenten bedeutet sechs altgediente SED-Funktionäre an den Schalthebeln des alten Machtapparates des Sports).
- Sicherung aller vertraulichen, streng vertraulichen und geheimen (Vertrauliche Verschlusssachen) Archivalien des DTSB.
- Umgehende Aufklärung moralischer, ethischer und finanzieller Vergehen (Fehlentwicklung des Sports; Doping, insbesondere Missbrauch anaboler Steroide; Unterschlagungen usw.).
- Unverzügliche Erarbeitung richtungsweisender Konzeptionen und Strategien, in denen der Einheit von moralischem und wirtschaftlichem Handeln Ausdruck verliehen wird.
Die Vertreter des Neuen Forums sind bereit, die Erneuerung des Sports in unserem Land weiterhin durch konkrete Beiträge zu unterstützen.
Nutzen wir die Kraft der Basis, um mit Sachlichkeit und Besonnenheit realistische Ziele und Aufgaben des Volks- und Leistungssports zu formulieren. Suchen wir gemeinsam nach Lösungswegen, die frei von unangemessenen finanziellen Forderungen die Existenz des DDR-Sports sichern. Stellen wir auch unseren Sport in den Dienst der Völker. Unterstützen wir ein gemeinsames „Unternehmen Olympische Spiele 2004 in Berlin“, fördern wir diese Vertragsgemeinschaft zwischen der BRD und der DDR, zwischen beiden Teilen Berlins, die durch kluges Management in ideeller und materieller Hinsicht beiden Staaten zum Vorteil gereich