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Andreas Singler: Im Geiste der Täter

Sportwissenschaftler spielen bei der Erforschung des DDR-Sports systematisch das Thema Doping herunter

 

Kurz nach der Wiedervereinigung machten sich die Sportwissenschaftler Wolfgang Helfritsch und Ulrich Becker an ein Forschungsprojekt über die Kinder- und Jugendsportschulen in der DDR. Ergebnisse sind in dem 1993 veröffentlichten Buch „Dokumentationsstudie Pädagogische KJS-Forschung“ nachzulesen. Das Thema Minderjährigendoping spielt darin keine Rolle. Ein Mitarbeiter der Projektgruppe wurde später gefragt, ob diesbezüglich keine Dokumente gefunden worden seien. „Doch“, soll die Antwort gelautet haben, „ganze Stapel. Aber die haben wir gleich wieder in den Schrank zurück gestellt.“

 

Beim Thema Doping schaut die Sportwissenschaft gerne weg, daran hat sich auch im darauf folgenden Jahrzehnt bis auf wenige Ausnahmen nichts geändert. Mittlerweile hat sich eine Reihe Autoren und Forschergruppen im Auftrag des Bundesinstituts für Sportwissenschaft (Bisp) mit unterschiedlichen Phänomenen des DDR-Sports beschäftigt. Die hauptsächlich von westdeutschen Forschern erarbeiteten Ergebnisse liegen mittlerweile vor. Häufig sind sie äußerst irritierend. Bereits 1998, als der in Potsdam lehrende Professor Hans- Joachim Teichler über „Das Leistungssportsystem der DDR in den 80er Jahren und im Prozess der Wende“ (Hofmann-Verlag Schorndorf) berichtete, durfte man sich wundern. Bei der Analyse der DDR-Erfolge spielte Doping bei Teichler lediglich die Rolle einer Ursache unter vielen. „Auch wir sind der Überzeugung, dass eine Überbetonung einzelner Erfolgselemente und monokausale Erklärungen ... wenig Sinn machen“, schrieb Teichler. Viel bedeutsamer sei „die Beschleunigungsphase von 1969/70 mit der Verdoppelung der Mittel bei gleichzeitiger Reduzierung der besonders geförderten Sportarten“. Dass in diesem Zeitraum Doping-Verbandskonzeptionen inklusive des Frauendopings aus der Taufe gehoben wurden und nur dadurch der Siegeszug des DDR-Sports in einer auffälligen Größenordnung ermöglicht wurde, wollen Forscher wie Teichler nicht wahrhaben. Und tut es dennoch einer wie sein Potsdamer Kollege Giselher Spitzer („Doping in der DDR“), wird er aus dem Kombinat der Sporthistoriker systematisch ausgegrenzt. Spitzer steht mit seiner Meinung, dass Doping das zentrale Instrument der Leistungsförderung im Osten war, nahezu alleine da.

 

Leichter tut sich da die vornehmlich in Göttingen ansässige Gruppe um Wolfgang Buss. Mit seinem Kollegen Christian Becker hat Buss zwei Bücher über die Frühgeschichte des DDR-Sports herausgegeben. Mit ihnen ist das vom Bisp in Auftrag gegebene Gesamtvorhaben abgeschlossen worden, weshalb dieses Projekt besondere Aufmerksamkeit verdient. Dem rund 20-köpfigen Autorenkollektiv ging es vor allem darum, dass die erzielten Ergebnisse „aus dem Muster früherer ideologischer Befangenheiten herausgelöst werden konnten“. An deren Stelle traten seltsame ideologische Unbefangenheiten. Besonders die Kritik an der intensiven Beschäftigung von Kollegen mit den vordringlichsten Problemfeldern verwundert. „Inhaltlich drohte die ‚Aufarbeitung\' der DDR-Sportgeschichte eine Zeit lang auf die Aspekte ‚Doping, ‚Staatssicherheit und Leistungssport\' ... reduziert zu werden“, schreiben sie in ihrem ersten Buch („Der Sport in der SBZ und frühen DDR“, Verlag Hofmann, Schorndorf). „Dies“, fahren Buss/Becker mit unverhohlenem Populismusvorwurf fort, „entsprach sicherlich dem vorherrschenden öffentlichen Interesse, welches aber nur bedingt die wissenschaftlichen Paradigmen bestimmen sollte.“ Doping und Stasi, so Buss/ Becker, sei nicht alles gewesen im DDR-Sport.

 

Die wissenschaftlichen Paradigmen der Göttinger Gruppe und manches ihrer Kollegen sind andere. Die beiden Herausgeber erläutern sie im zweiten Buch zur Frühgeschichte des DDR-Sports („Aktionsfelder des DDR-Sports in der Frühzeit 1945 bis 1965“, Sport & Buch Strauß, Köln). Es sei darum gegangen, „den Dialog zwischen den Sporthistorikern Ost und West, der bis Mitte der 90er Jahre eher stockend verlaufen war, zu intensivieren“. Die bedrohte Quellensituation habe genützt werden müssen. Zeitzeugen galt es zu gewinnen – statt sie zu verprellen. Und Männer wie den mittlerweile verstorbenen Genossen Edelfried Buggel galt es einzubinden, einen der Mitgestalter des Doping-Staatsplanthemas also. Der einstige Stellvertretende Staatssekretär für Körperkultur und Sport durfte ein Kapitel über Volks- und Breitensport verfassen.

 

Ein bemerkenswertes Geschichtsverständnis legt die durch alte DDR- Kader ergänzte westdeutsche Forschergruppe an den Tag. Akzeptiert würden Ergebnisse nur, wenn „sich der Einzelne mit seiner individuellen Lebensleistung hierin auch wieder finden kann“, schreiben Buss/Becker. ...

 

Der Verdacht, dass hier eine Geschichte im Geiste der Täter geschrieben wurde, liegt nahe. Akzeptanz ging vor wissenschaftlicher Wahrheit – erklärtermaßen sogar: „Und das wichtigste hieran war der gemeinsam gegangene Weg, die fruchtbare Kommunikation“, schreiben Buss/Becker. Dass man sich mit den Kollegen und Zeitzeugen aus der DDR gut verstanden hat, war die Hauptsache. So gesehen können die Forschungsziele der vom Steuerzahler finanzierten Bisp- Projekte als vollständig erreicht betrachtet werden.

 

Andreas Singler, November 2002

 

Besten Dank an A. Singler für die Überlassung des Textes.


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