"Wie jeden Tag stand ich während des Trainings am Beckenrand, als mich der beim ASK Potsdam für die Sektion Schwimmen zuständige Arzt Jochen Neubauer zu sich ins Zimmer 131 an der Kopfseite der Halle bat. Neubauer schloß die Tür hinter sich, wir saßen uns an seinem kleinen Konferenztisch gegenüber. Dann legte er einen verschlossenen Briefumschlag auf den Tisch. "Paß mal auf", sagte der Arzt, "hier sind ein paar Pillen drin. Red da mal nicht drüber und gib denen, die zur Europameisterschaft fahren, pro Tag eine halbe Tablette. Du wirst sehen, das ist gut so."
In dem Umschlag waren 12 blaue Tabletten, rund, etwas vier Millimeter lang. Jeweils eine halbe davon sollte ich den Schwimmerinnen während der nächsten 12 Tage verabreichen - "und zwar am besten so, daß sie nichts davon merken", wie Dr. Neubauer betonte. Der Einfachheit halber könne ich die Pillen in Wasser auflösen und sie dann "dem Vitamingetränk beimischen". Auf meine Frage, was das denn überhaupt für ein Mittel sei, meinte Neubauer lapidar: "Das erkläre ich dir ein andermal. Gib das mal, ist schon okay."
Schließlich klärte er mich noch über mögliche Nebenwirkungen auf. "Die Mädels", meinte er, würden durch diese Tabletten vermutlich "ein bissel lustiger" werden, und sollte eine Sportlerin zudem "über Verspannungen klagen", so müsse man eben mal einen Tag mit der "Gabe" aussetzen. Weil uns beide zu diesem Zeitpunkt schon ein absolutes Vertrauensverhältnis verband, habe ich an diesem Tag keine weiteren Fragen gestellt und mich strikt an die Anweisungen gehalten."
Regner meinte, er habe zu dem damaligen Zeitpunkt nicht gewusst, dass es Oralturinabol gewesen sei und er die minderjährigen Mädchen gedopt habe. Das wurde ihm erst im Laufe der nächsten Monate klar. Ende September 1987 wurde er von Dr. Neubauer aufgefordert eine Geheimhaltungserklärung zu unterschreiben dahingehend, "daß alles was im Zusammenhang mit den "Unterstützenden Mitteln" (UM) steht, der strengsten Geheimhaltung unterliegt." Der Trainer wollte wissen, was denn UM seien, erhielt die Antwort darauf von Neubauer aber erst vier Wochen später, "dies sei ein Beitrag von medizinischer Seite, der die Sportler belastungsverträglicher macht und auch psychisch ein bißchen lockerer."
Nachdem Regner den Trainerposten für die 'weibliche Spitzengruppe des ASK Potsdam' erhalten hatte, wurden ihm die Dopingmittel nicht mehr versteckt sondern in Originalverpackungen gereicht. Er hatte sie dann 'ohne dass es jemand merkt' auszugeben. Ein DDR-zentrales 'Programm für die sportmedizinische Untersuchung' steuerte das Anabolikadoping. Darin wurde penibel festgehalten, welche Sportler wann was erhalten haben. Die Dosierung sei jedoch vor Ort vorgenommen worden. Verantwortlich vor Ort waren die Klubärzte. So hatte Dr. Neubauer bei den Gesprächen mit Regner "meist den Ordner mit den Terminen für meine Sportler vor sich liegen. Die Anforderungen wurden stets genau befolgt, denn sie garantierten perfektes Training: Nie wurde ein Mitglied des ASK Potsdam des Dopings überführt."
Feste Dosierungen gab es nicht. Die Trainer standen untereinander in Konkurrenz, die Erfolge der Sportler waren auch die Erfolge des Trainers und so behielt jeder seine Mengengaben für sich. Abgestimmt werden durften diese nur mit dem Arzt.
Dass Neubauer auch über Neuentwicklungen und deren Erprobungen informiert war, wird deutlich durch eine Bemerkung gegenüber Regner 1988, wonach "zur Zeit neue Dopingmittel ausprobiert werden, die aus Nasenspray-Fläschchen eingenommen werden. Dieses Experiment habe sich aber, so der Doktor, "nicht bewährt".
Im April 1989 in Vorbereitung auf einen Länderkampf mit der UDSSR erfuhr Regner weitere Details einer 'perfekten Vorbereitung'. Die Gabe von Oral-Turinabol war demnach lediglich eine erste Phase ("M1"). Danach sollte er "vier Tage lang eine andere Sorte von Medikamenten verabreichen. In Fachkreisen nenne man das "M2". [STS 646] Vom 14. bis 17. April gab ich jeder Sportlerin täglich eine weiße Fünf-Milligramm-Tablette, die ich wiederum in einem Umschlag vom Doktor bekommen hatte: Bis zur Europameisterschaft im August in Bonn mußte dieser Zyklus noch zweimal wiederholt werden, und zwar jeweils während eines Höhentrainingslagers." Regner bekam zunehmend Gewissensprobleme auch weil er anhand von Selbstversuchen die Wirkungen einschließlich der Gefährlichkeit der Anabolika feststellen konnte.