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Deutsche Ärzte und Doping



Dr. Lothar Kipke

Dr. Lothar Kipke arbeitete als Oberarzt am Forschungsinstitut für Körperkultur und Sport (FKS). Er war langjähriger Verbandsarzt im Schwimmverband der DDR (bis 1985), Olympiaarzt und Mitglied der Medizinischen Kommission des Internationalen Schwimmverbands FINA. 1984 wurde er Leiter und Bezirkssportarzt der Sportmedizinischen Hauptberatungsstelle (SHB) Leipzig (Spitzer, Sicherungsvorgang Sport, S. 282). Anfang der 50er Jahre trat er als Leistungsschwimmer von Empor Lindenau aktiv.

Kipke lieferte über viele Jahre zahlreiche Berichte als IMS "Rolf".

Im Januar 2000 wurde Lothar Kipke, geständig, von der 22. Strafkammer des Landgerichts Berlin wegen Körperverletzung in 58 Fällen zu einem Jahr und drei Monaten Gefängnis auf Bewährung und einer Buße über 7 500 Mark verurteilt. (Berliner Zeitung 13.1.2000)

Am 1.1.2010 wurde er 82 Jahre alt.



rege Stasitätigkeit des IMS 'Rolf'

Schon früh lieferte Lothar Kipke als IMS 'Rolf' ausführliche Berichte ab (Spitzer: 'Kipke war einer der höchstrangigen und willigsten IM gewesen', Sicherungsvorgang Sport, S. 283). Über seinen Kollegen Siegfried Israel schrieb er 1971, dass dieser vielfältige Erfahrungen mit Doping im Radsport habe und dass die Erfolge Täve Schurs und anderer zu weiten Teilen 'Methoden des Dopings' geschuldet seien. (S.a. unter Siegfried Israel)

 

Ebenfalls 1971 informierte er den Deutschen Turn und Sportbund (DTSB) über seine Teilnahme an der konstituierenden Sitzung der Konrollgruppe Sportmedizin in Hinblick auf die Olympischen Spiele, an der Vertreter von DTSB, SED, SMD und FKS teilgenommen hatten und auf der Erfahrungen über Anabolika (Turinabol, Fortabol und holländische Präparate ausgetauscht wurden. Diese Mittel seien nicht im Urin nachweisbar und damit keine Dopingmittel, formulierte Kipke u.a.. Die Wirkungen seien günstig gewesen und "es wurde beraten, welcher Sportlerkreis künftig welche Präparate bekommt. Die Ärzte und Aktiven sollen künftig durch die Leitung entspr. abgesichert werden. Außerdem wurde beraten, wer eingeweiht wird." (Spitzer, Doping, S. 244/245)

 

Lothar Kipke gehörte zudem Anfang 1975 der Forschungsgruppe 'Zusätzliche Leistungsreserven' (ZuLei) an, mit der die DDR begann, das staatliche fest reglementierte Dopingsystem zu installieren. Er war Mitglied der Arbeitsgruppe I 'Energetik' und neben Prof. Schramme zuständig für den Schwimmsport.



Dopinggroßversuch im Schwimmen

Aus dem Jahr 1977 liegt ein handschriftlicher Bericht vor, nach dem IMS 'Rolf' detailliert einen Anabolika-Großversuch in der DDR-Schwimmnationalmannschaft beschreibt. Dessen Konzeption für Mädchen und Männer wurde 1976 am FKS festgelegt. Betroffen waren 28 Mädchen und Frauen und 48 Männer. 11 Sektionsärzte sowie die Cheftrainer und Trainer der ausgewählten Trainingsgruppen waren einbezogen.

Als Prinzipien wurden festgehalten:

"- bei Sportlern unter 18 Jahren wird die Legende Verabreichung von Vitaminen angewendet, d.h.alles geschieht ohne Wissen der Betroffenen.

- Sportler über 18 Jahren werden in die Problematik einbezogen und vom Trainer mündlich zum Schweigen verpflichtet."

 

Ermittelt werden sollten u.a. die individuellen Anstiegs- und Abklingraten der Substanzen, das Verhalten des körpereigenen Testosteronspiegels, die Ermittlung der Leistungswerte. Beteiligt an den Versuchen waren u.a. die Trainer Warnatzsch, Gläser, Krause, Hübner, Sack, Vorpagel, Herberg, Leopold, Neumann, Rosenkranz, Freyer, Fricke, Henneberg. (Spitzer, Doping, S. 282ff, siehe auch der Spiegel, 18.8.1997)



Höppners Bedenken

Der DDR-Schwimmsport gehörte zu den Bereichen, in denen am stärksten und verantwortungslosesten experimentiert wurde. 1977 hält Manfred Höppner, IMS 'Technik', fest: "Nach Einschätzung des ... wurde bei den Schwimmern etwas zuviel getan. Die enormen körperlichen Veränderungen (Oberschenkel, Rücken) sind eindeutig auf die Anwendung von Anabolen zurückzuführen, wie auch Auswirkungen auf die Sprache und das Zurückgehen der Brüste. Daß speziell bei den weiblichen Aktiven derartige Nachwirkungen auftreten, hat seine Ursache darin, daß durch die Anwendung von Anabolen männliche Hormone dem Körper zugeführt werden und quasi Schein-Zwitter erzeugt werden. Deshalb ist mit der Anwendung sehr verantwortungsvoll umzugehen ... Nach Einschätzung des IMV gibt es jedoch hierbei enorme Verstöße, indem zwischen Aktiven und Trainern zusätzliche Maßnahmen durchgeführt werden. ...

Seitens des [Schwimm-] Verbandsarztes Dr. Kipke wurden bisher als einzigem Verband keine Listen bei der Leitung des Sportmedizinischen Dienstes über Personenkreis und Dosierung hinterlegt. Er begründete dies damit, daß dies angeblich im Rahmen eines Forschungsvorhabens erfolgt und deshalb noch nicht darüber gesprochen werden könne. Eine erfolgte Rücksprache mit Prof. [...] ergab jedoch, daß dies nicht den Tatsachen entspricht und es besteht der Verdacht, daß Dr. [...] im Alleingang mehr angewendet hat als üblich." (Spitzer, Doping, S. 44/45)



Seppelt/Schück zitieren aus Stasi-Akten des Manfred Höppner: "Selbst die Aktiven stellten [...] die Frage, ob wir jetzt schon bei mittelmäßigen Veranstaltungen die "scharfen Sachen" brauchen [...] Dr. Kipke [...] legt [...] beim Spritzen eine regelrechte Brutalität an den Tag, indem er ohne Rücksicht der eintretenden Schmerzen die Spritze regelrecht in den Körper jagt." Kipke selbst erklärte 1978 in einer Fernsehsendung die Erfolge der DDR-Schwimmerinnen mit 'tschechischen Knödeln ' und 'Puffreis zum Dessert'. Unter den von Kipke versorgten Schwimmerinnen waren viele Minderjährige. Das Durchschnittsalter der 16 Schwimmerinnen, die 1976 bei den Olympischen Spielen in Montreal antraten, betrug 16,4 Jahre, lediglich 4 waren älter als 18 Jahre. (Seppelt/Schück, Kinderdoping, S. 46ff)

 

2000 wurden Kipkes Reaktionen während seines Berliner Prozesses wie folgt beschrieben: "Von den erheblichen Nebenwirkungen für die Schwimmerinnen will der Mediziner erst im Laufe der Jahre erfahren haben, "uns wurde von den Forschern und von der Industrie nichts erzählt". Biologisch seien die Mädchen ohnehin erwachsen gewesen, dozierte er in der Pause vor Reportern auf dem Flur." (Berliner Zeitung, 13.1.2000)



Der Internationale Schwimmverband FINA sah bis 2021 keinen Anlass, Kipke die verliehene silberne Ehrennadel (badge of honour) abzuerkennen (SZ, 6.9.20169). Erst im November 2021 wurde Lothar Kipke von der Ehrenliste des Verbands gestrichen (Deutschlandfunk 17.11.2021).





 

Monika, März 2010


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