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Es war der Spätsommer 2008. Ich wollte mit dem Rad nach Osten, bis es nicht mehr weiterging: ans Schwarze Meer. „Ex oriente lux“ hieß es im alten Rom: Aus dem Osten (dem Orient) kommt und kam das Licht. Im Osten geht die Sonne auf, und im übertragenen Sinne: Aus dem Orient kamen die großen Religionen, und der Westen (der Okzident) war, wie der Dichter Josip Brodsky sagte, „immer nur Kunde“.
Orientalischen Gelehrten verdankte der Westen im 9. und 10. Jahrhundert die Wiederentdeckung Aristoteles’ und Platos, deren Werke in den mehr als tausend Jahren davor vergessen worden waren. Die Begegnung mit Sufi-Mönchen beeinflusste die frühen Vorstellungen von romantischer Liebe und Ritterlichkeit.
Zwei Bilder vom ersten Tag, der Fahrt durch das orientale Bayern, zeigen eine Kirche, die sich schamhaft verhüllt, weil sie renoviert werden muss sowie Kamele auf grünem bayerischen Gras.
Kirchlein in der Nähe von Bad Aibling |
die berühmten Bayern-Kamele |
Östlich von Salzburg der Wolfgangsee, wo sich das Weiße Rössl aber wegen des starken Regens verkrochen hatte, und dann einige Berge. Ein lustiger Tankwart sagte: „Da vorn kommt ein Hügel, der eigentlich keinen Sinn hat; keine Ahnung, wer ihn da hingestellt hat!“
Wenn man in die Steiermark eindringt, ein langes Tal entlang, erfährt man, wie schön es ist, in Richtung Osten zu fahren. Die Sonne bestreicht noch einmal in voller Breite die Landschaft, und das Licht, aufgefangen von Wiesen und Wäldern, wird smaragdartig und überirdisch.
Halt in einem Dorf, Biere in einer Bar, umgeben von steirischen Laberern, die froh waren über Abwechslung und meine Pläne mit „Dös schaffst du nie“ und „Wir holen dich dann ab“ quittierten. Auf dem ersten Bild sieht man die tiefe Bläue des Himmels, und das nächste ist von einem Friedhof bei Bruck an der Mur. Über dem Portal steht fast drohend: „Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen.“ In dieser Hoffnung strahlen schon die Lichtlein am Rad, aber es ist entschieden zu früh dafür.
Magischer blauer Himmel |
Wirklich verlockend, ein Friedhof in der Abendsonne |
Über den Mur-Radweg an die äußerste östliche Ecke Österreichs. Gleisdorf heißt der Ort, der schöner ist als sein Name. Nach der Pizza gehe ich noch durch den Ort: alte Häuser mit barocken Fassaden und auf dem Hauptplatz die Statuen von Heiligengestalten, anbetend oder leidend.
Ein verzückter Heiliger |
Am nächsten Tag in Richtung Grenze, noch einmal 30 Kilometer durch Dörfer und vorbei an abgeblühten Sonnenblumenfeldern. Ein hervorragender Radweg, bezahlt von der Europäischen Union, nahm mich auf.
Der Feind fährt schnell |
So wäre der Weg nach Arad in Rumänien ein Kinderspiel! Aber nichts da. Der Radweg endete, und ich war auf die Hauptstraße verwiesen, auf der Vierzigtonner dahindröhnten.
Willkommen in Ungarn |
10 Prozent Steigung: in Ungarn! |
Dann kam Ungarn und ein Schild, das Radfahrern die Weiterfahrt verbot. Ich musste einen Umweg fahren und lernte, dass Ungarn nicht überall flach ist. Später lernte ich auch, dass ich das Verbotsschild bequem hätte ignorieren können. Ich kam sogar an Polizeistreifen vorbei, die es überhaupt nicht interessierte, dass ich auf der Hauptstraße fuhr. Doch diese Lehren gelten immer nur für eine Reise.
Über die Dörfer: Ich erinnere mich an manche Bauern, die mich auf dem voll bepackten Rad einfach nicht sahen, sie schauten an mir vorbei, als gäbe es mich nicht. Vielleicht stimmt es, dass man nicht wahrnehmen kann, was in der Erfahrung nicht vorhanden ist: Wenn ich nie einen Fernradler gesehen habe, kann ich mit dieser Information nichts anfangen. Zudem sind die Ungarn sehr reserviert und für sich.
Das Schild bezieht sich auf die Straße links; rechts der Radweg |
Es war trocken und warm, ich näherte mich dem Plattensee, und wieder gab es in einer Stadt penetrante Schilder, die einem Radfahrer verboten, die Hauptstraße zu benutzen. Nicht besonders gastfreundlich! Darum lag der berühmte See noch eine Stunde entfernt, als es dunkel zu werden begann.
Ein Ort irgendwo; man trinkt für einen Euro ein Bier, und da man mit den Ungarn nicht richtig reden kann (eine äußerst schwierige Sprache ist das, die kaum einer kennt), deuten sie in die Ferne, man fragt sich durch, und nach einem Gulasch in einem Restaurant fand ich eine Unterkunft, eine billige Absteige, in der ein paar Arbeiter vor dem Fernseher hingen. Einer hielt mir seine Schnapsflasche hin, und da nahm ich einen tüchtigen Zug.
Stiller kleiner See am Abend |
Dann weiter am Plattensee entlang, und da holperte ich also über Kilometer lang über Baumwurzeln, die den Asphalt des Radwegs aufwarfen. Camping am Ostrand des Plattensees. Noch 120 Kilometer bis Budapest! Dorthin wollte ich aber nicht, sondern in die Schluchten des Balkan, kam auch gut voran, und immer wieder verwies mich ein Verbotsschild auf einen holprigen Radweg. Kiskunhalas hieß ein realistischer Ort für den Abend, doch zehn Kilometer vorher schleifte und schepperte etwas am Rad: Eine Strebe des Gepäckträgers hatte dem Geholper nicht standgehalten und war gebrochen. Das Hotel, das mir genannt wurde, war zu teuer. Doch da gab es unweit davon einen Campingplatz, und dort schlug ich mein kleines Zelt auf. Ein Fahrradgeschäft sollte es auch geben, sagte mir ein freundlicher Ungar.
Hübscher Rastplatz für Radfahrer am Plattensee |
Ist das die Puszta? Richtung Süden, Serbien zu |
Im Fahrradladen gab es einen mürrischen Mitarbeiter, der mir einen Gepäckträger für 25 Euro anbot, jedoch habe er keine Zeit, ihn zu montieren. Ich machte mich selber an die Arbeit, und langsam taute er auf, kam aus dem Laden heraus, ging aus sich heraus, gab Ratschläge. Es sah schon wieder besser aus.
der Pool. Musik: Whitney Houston |
Freitag. Das Gute am Campingplatz waren die Thermen gleich ums Eck. Im Preis inbegriffen. Am Pool lief die Musik von Whitney Houston, und ich lag da den ganzen Tag, holte ein Eis, schwamm im 40 Grad warmen Wasser drinnen und im kalten Wasser draußen. Bewunderte ein hübsches Mädchen, das sich auf einer Liege räkelte, sprach sie aber nicht an. Aß abends alleine im Restaurant. Das Leben ist eine Wüste. Kiskunhalas.
(DSCN0793)
Dann wollte ich nach Rumänien. Fuhr morgens los, überquerte die Grenze. Die Straße nach Arad sei schlecht, sagte ein Zollbeamter.
Temschwar, Dämmerung |
Temeschwar, Stadtzentrum |
Also gab ich Stoff und erreichte bei Dunkelheit Temeschwar. Natürlich rasen die Rumänen unerbittlich. Zahlreiche Grabkreuze an den Straßen sprechen von den Folgen. 1989, bei der Revolution, als Ceausescu nach Weihnachten rasch hingerichtet wurde, gab es da einen Aufstand. Die Medien hatten die ungeheure Zahl von 70000 Toten. Es waren aber „nur“ 700. Mittlerweile hat Temeschwar schon große Einkaufszentren und immer noch seine Wohnkolosse aus der alten Zeit.
Bordellatmosphäre |
mit Stil |
Wenn man zu spät ankommt, ist es schwer, ein Quartier zu finden, zumal in einer großen Stadt, die man nicht kennt. Nach drei vergeblichen Versuchen landete ich in einem schicken Hotel, in dem die Nacht 90 Euro kosten sollte. Was blieb mir übrig? Man kennt das aus armen Ländern. Es gibt teure Hotels nur für „Europäer“, die billigen Absteigen findet man nicht. Eine Pizzeria war nicht zu finden. Ich trank ein Bier für 70 Cent in einem Art Biergarten, holte mir eine Tüte Chips und noch zwei Bier in einem heruntergekommenen Kiosk an der Straße. Das Hotelzimmer war ein bordellähnlicher Alptraum in Orange, ein „abgespacter“ Raum mit Teppichboden, der nach weiblicher Betreuung verlangte. Aber wieder war ich allein.
Temschwar, Sonntag Morgen |
Dahinter Leere die Ampel sagt: zurück |
Am nächsten Tag hinaus aus Temeschwar. Doch irgendwie war meine Moral angeknackst. Ich fuhr ruhelos durch die Stadt, fand die Ausfallstraße Richtung Osten und haderte mit mir. Wartete eigentlich nur auf ein Zeichen, das mir ein „Halt“ zurufen würde, ein „Zurück!“ Und da war es: eine Ampel an einer unendlich öden Stelle. Vor mir lägen lange Straßen, von Vierzigtonnern berollt, und überhaupt, was suchte ich am Schwarzen Meer? Ich drehte um.
Es war ein Sonntag. Wenig Verkehr. Ich konnte an der Grenze zu Serbien entlang zurückkehren, wieder nach Ungarn eindringen und dann ein paar ruhige Tage am Pool in Kiskunhalas verbringen. Die Gegend war befremdlich. Aufgelassene Fabriken, triste Landstriche, und in einem Dorf machte ich Rast. Holte mir ein Bier und setzte mich zu den Trinkern draußen. Ein Mann mit Schnauzbart und stechenden Augen fixierte mich. Warum ich allein unterwegs sei? Ein anderer sagte, ich könne sein Gast sein, was aber eher abweisend klang. Der Bärtige schaute mich finster an. Die Stimmung war aggressiv. Ich trank schnell aus und fuhr weiter, bis ich noch ein nettes kleines Hotel fand. Es kostete 25 Euro, dafür ist das Essen und das Trinken sehr billig: 10 Euro für ein Menü mit drei Bier.
Verlotterte Silos an der serbischen Grenze |
... und die ganze Tristesse des Ostens |
Am nächsten Tag erreichte ich Kiskunhalas. Da war noch Monica, eine Prostituierte am Straßenrand, mit der ich redete. Hübsch, jung, hatte gerade die Schule geschmissen, weil ein Freund ihr anbot, hier in einem Waldstück an der Straße (schreckliche Straße, an der alle höllisch vorbeirasten) anzuschaffen. Einträglich vielleicht, aber unerträglich. Dann mahnte sie, ihr Freund könne gleich hier sein, ich soll doch abfahren, und fast hätte mich, weil ich nicht richtig wegkam, noch ein Raser abgeschossen. Und dann war ich wieder am Campingplatz bei meinen Leuten, acht deutschen Parteien, die seit Jahrzehnten immer hier sind, weil das Bier billig ist und die Thermen in der Nähe sind, die nichts kosten.
Mein grünes Zelt – und die anderen |
Krankenhaus Kiskunhalas, neben dem Zeltplatz |
Am Rückweg nach Kiskunhalas lag Szeged, eine wunderschöne alte ungarische Stadt. Hier lebt man gut, der Sohn eines Bekannten hat hier Medizin studiert und fand, es sei hier nicht so aggressiv wie in deutschen Universitätsstädten.
Universitätsstadt Szeged |
Eine Szegediner Apotheke |
Ich blieb noch ein paar Tage in dem Ort, der nichts Bedeutendes aufzuweisen hatte, aber irgendwie angenehm war. Lag da in der Ebene, 30 Kilometer von Rumänien im Osten und Serbien im Süden entfernt, einen Rewe gab’s, einen Markt am Busbahnhof, ein Museum für Stickereien. Sehr motiviert und kommunikativ sind die Leute nicht, aber wer spricht schon Ungarisch? Dann fuhr ich wieder ab. Kämpfte gegen den heißen Gegenwind, und bei 40 Grad durch endlose Wälder gegen den Wind zu fahren, ist kein Spaß. Wo war überhaupt die Puszta?
Büffel in der Puszta |
Sonnenuntergang auf dem Rückweg nach Westen |
Eigentlich war alles wie bei uns, Wälder und Felder, recht öde und verlassen. Bei Mohacz gibt es eine Fähre über die Donau, die nahm mich nicht mit, weil ich eine Minute zu spät war, und so musste ich in einem Gehöft vor Pécs (Fünfkirchen) absteigen, in dem es nichts zu essen gab. Also ein paar Bier. Eine Münchner Freundin sagt: „Zwei Bier sind auch ein Abendessen.“
Noch eine Nacht in einem Dorf unweit von Slowenien. In the middle of nowhere. Man glaubt gar nicht, wieviele gottverlassene Flecken es gibt.
Vor einem gepflegten ruhigen ungarischen Dorf |
Selbstbildnis vor Supermarkt |
Ein Abendessen in einer Pension, im Fernsehen lief eine ungarische Talentshow, die Welt ist überall dasselbe Loch, sagt der Italiener, und dann will man einfach nur zurück.
Und das geht schnell. Rückenwind, hinein nach Slowenien, auf kleinen Straßen in Richtung Maribor, und noch 25 Kilometer. Doch plötzlich gibt es keinen Radweg mehr, du rollst durch Kleinstädte, und hinter dir sind nur noch die Monster. Gejagt von Vierzigtonnern. Es wird zum Trauma. Man kann es nicht überleben. Noch 20 Kilometer bis Maribor, und ich gebe auf und quartiere mich in einem kleinen Hotel ein. Wenn du auf dieser Straße weiterfährst, killen sie dich.
Doch die Pensionswirtin hat eine kleine Straße über Hügel parat, Richtung Österreich. Und da ist die Grenze, ich treffe Gerald, der mit seinem Rennrad eine Ausfahrt macht und mich nett begleitet bis in die steirische Landeshauptstadt.
Bleibt noch eine Nacht im Hotel in Bahnhofsnähe, ibis, und die Klimaanlage läuft andauernd, dafür darfst du rauchen in arktischer Kälte. Egal, der Zug transportiert mein Fahrrad und die Packtaschen bis Salzburg und München, und das Unternehmen „Schwarzes Meer“ ist zu Ende.
Eigenwilliges slowenisches Chalet |
Schlussbild: Hauptbahnhof Graz, vom Hotel ibis aus |
Text und Fotos Manfred Poser, Mai 2010
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