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Auf die Suchtgefahren, die vom Betreiben des Sports selbst ausgehen, der Sucht nach immer mehr Bewegung, wird in Folgenden nur am Rande eingegangen. Es gibt jedoch Verbindungen und Wechselwirkungen, die in genaueren Analysen beachtet werden sollten. Einfache, monokausale Erklärungen verbieten sich bei der Betrachtung und Beurteilung von Suchtverhalten.



Zitat aus <i>Der pharmakologisch verbesserte Mensch</i>

Der hier zitierte Text stammt aus dem TAB-Bericht 34, 2012

Der pharmakologisch verbesserte Mensch - Leistungssteigernde Mittel als gesellschaftliche Herausforderung, S. 267ff.

 

"Körperorientierte Aktivitäten, neben kosmetischen Eingriffen vor allem Diäten und verschiedene Formen den intensiven, organisierten oder nichtorganisierten Sporttreibens zur Verbesserung der Ausdauer, der Steigerung der Kraft oder der Ästhetisierung des Körpers, werden von Psychiatern und Soziologen als Ausdruck eines Wunsches gewertet, angesichts der individuellen Überforderung durch die Komplexität moderner Gesellschaften wenigstens die Kontrolle über den eigenen Körper auszuüben - und dies soweit wie möglich (...). Die Selbstformungsversuche werden von besonders leistungsorientierten Menschen äußerst hartnäckig vorgenommen und scheinen dabei immer mehr außer Kontrolle zu geraten. Hierfür sprechen zunehmende Fälle von Essstörungen, das nach Singler (2010) bislang viel zu wenig diskutierte Phänomen der Sportsucht und die vermutete Zunahme der Prävalenzraten des Dopings bzw. Arzneimittelmissbrauchs im Freizeitsport (...).

 

Über die Bedingungs- und Verstärkungsfaktoren herrscht allerdings keine wissenschaftliche Klarheit. Im vorliegenden Zusammenhang ist eine wichtige Frage, welche Wechselwirkungen zwischen Leistungsorientierung, Substanzgebrauch und Suchtproblematik bestehen und welche sonstigen gesundheitlichen und sozialen Folgen auftreten können. Besorgniserweckende Hinweise stammen aus Untersuchungen vor allem französischer Suchtexperten, die bei (Hoch-)Leistungssportlern eine deutlich höhere Anfälligkeit für Drogensucht gefunden haben als bei nicht- oder Gelegenheitssportlern. Ob dies primär auf die bereits vorher vorhandene Persönlichkeitsstruktur der Betroffenen zurückzuführen ist, die sie sowohl zum Leistungssport als auch in die Substanzabhängigkeit geführt haben, welchen Anteil der Substanzgebrauch und die Systemstruktur des Leistungssports aber auch z.B. die Konsequenzen der jahrelangen Konzentration auf den Sport für die Berufs- und Lebensperspektive haben, muss noch weiter untersucht werden (...).

 

In den französischen Untersuchungen gab der Großteil der Drogensüchtigen unter den ehemaligen Sportlern an, keine Verbindung ihrer Abhängigkeit zum Doping zu sehen. Die meisten waren erst nach ihrem Karriereende süchtig geworden, wobei unerheblich war, ob das Karriereende durch eine Verletzung oder altersbedingt eingeläutet worden war (...). Dies spricht auf jeden Fall dafür, dass intensives Sporttreiben nicht, wie häufig vermutet, eine prospektive Wirkung entfaltet, sondern sogar das Suchtrisiko erhöhen kann (...). Hinweise für einen kausalen Zusammenhang zwischen intensivem Sporttreiben und Sucht stammen bislang aus Tierversuchen (...), in denen hyperaktive Ratten nach längerer Bewegungsabstinenz deutliche Entzugserscheinungen und eine erhöhte Affinität zu Amphetaminen oder Morphinen aufwiesen (...). ... Der Athlet, so Lowenstein (...), gerate in Abhängigkeit von "inneren Drogen, die bei intensivem Sport produziert werden" (Adrenalin, Dopamin, Endorphin u.a.). Bereits bei längeren Pausen innerhalb einer durch permanente Hyperaktivität gekennzeichneten Sportlerkarriere werde der Kreislauf der neurobiologischen Belohnung unterbrochen. Damit steige die Gefahr, dass sich ein Bedürfnis entwickle, den entstandenen Bedarf durch exogene Zufuhr von Drogen zu decken, Nach Lowenstein (...) wird es besonders gefährlich, wenn der tägliche Trainingsumfang vier bis fünf Stunden übersteigt. Ab da wachse die Gefahr, dass Bewegung als einzige Form eines akzeptablen Lebensgefühls angesehen wird. Sport werde damit zum Zwang. Innehalten sei gleichzusetzen mit dem Gefühl der Bedrohung. Verletzungen könnten nun nicht nur als physische Beeinträchtigung empfunden werden, sondern sich geradezu als psychische Katastrophe auswirken (...).

 

Das soziale Umfeld scheine für Sportler zu den entscheidenden Faktoren zu zählen, die angesichts der bei intensiv betriebenem Hochleistungssport wachsenden Gefahr von Sucht· und Abhängigkeitsverhalten mäßigenden oder verstärkenden Einfluss ausüben können. Nicht Substanzen oder Verhaltensweisen alleine erzeugten Sucht, sondern die Umgangsweise einer bestimmten Persönlichkeit mit Substanzen in einem soziokulturellen Umfeld (...). Mit simplen Präventionsstrategien kann dieser komplexen Problematik daher nicht erfolgreich begegnet werden (...).

 

Bemerkenswert ist im Zusammenhang mit der Hyperaktivität im Sport wie im Berufsleben, wie wenig die Gesellschaft von diesen eigentlich kaum zu übersehenden Problemen bislang Notiz genommen hat. Plausibel erscheint die Vermutung der Psychiaterin Alayne Yares (1991), dass die hohe gesellschaftliche Wertschätzung der Leistung den Blick verstelle für die pathologischen Seiten der Leistungserbringung."


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