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Doping und Suchtgefahr



ergänzende Artikel / Zitate



1974 Wolfgang Wolf: Zur Frage des Dopings (S. 10 und 11)

"Viele der in der Folge zu behandelnden Dopmittel führen auf Grund ihrer pharmakodynamischen Wirkung nach wiederholter Einnahme, insbesondere bei Personen mit entsprechender Konstitution ("Psychological make up" .s. Bericht des "Expert Comitee on Drugs Liabel to Produce Addiction" 1952), zudem noch zur "Gewohnheitsbildung" (habituation), einige sogar zur "Sucht" (addiction).

 

a) "Gewöhnung" (Gewohnheitsbildung) ist ein durch wiederholte Anwendung eines Arzneimittels erzeugter Zustand ...
b) "Sucht" ist ein Zustand periodischer oder chronischer Intoxikation, der durch wiederholte Zufuhr eines Pharmakons hervorgerufen und charakterisiert wird

1. durch den Wunsch, ein Pharmakon wegen seiner euphorischen Wirkung fortgesetzt einzunehmen,

2. durch das Fehlen einer Tendenz zur Dosissteigerung,

3. durch psychische Abhängigkeit von der Substanzwirkung bei fehlender physischer Abhängigkeit und fehlenden Abstinenzerscheinungen und

4. durch Beschränkung allfälliger gefährlicher Auswirkungen des Zustandes auf das Individuum.

 

b) "S u c h t« ist ein Zustand periodischer oder chronischer Intoxikation, der durch wiederholte Zufuhr eines Pharmakons hervorgerufen und charakterisiert wird

1. durch das unwiderstehliche Verlangen bzw. den Zwang, die Einnahme des Stoffes fortzusetzen und ihn sich mit allen Mitteln zu verschaffen,

2. durch die Tendenz zur Steigerung der Dosis,

3. durch psychische und physische Abhängigkeit von der Substanzwirkung und

4. durch gefährliche Auswirkung des Zustandes auf Individuum und Gesellschaft.

 

Der Ausdruck "Gewöhnung" wird im medizinischen Sprachgebrauch nicht nur im Sinne von "Gewohnheitsbildung" (habituation), also zur Charakterisierung des durch chronischen Gebrauch verschiedener Pharmaka und Genußmittel wie z. B. Coffein, Nikotin, Salizylaten, Azetanilid, Bromiden, Tranquilantien etc. herbeigeführten, oben definierten Zustandes angewendet, sondern, insbesondere in der Pharmakologie, auch zur Bezeichnung zweier verschiedener Reaktionsformen des Organismus auf wiederholte Zufuhr eines Pharmakons, die im folgenden als aktive und als passive Toleranz bezeichnet

werden ... (W. R. KUKOVETZ11).

 

In neuer Zeit hält die WHO wegen der fließenden Übergänge zwischen den Begriffen Gewohnheitsbildung und Sucht den übergeordneten Begriff "Arzneimittelabhängigkeit « (drug dependence) für geeigneter (zit. nach G. KUSCHlNSKY und H. LÜLLMANN22). Darunter versteht man den psychischen Zwang zur Wiederverwendung einer bestimmten Substanz, die auf Grund früherer angenehmer Wirkungen auf das Individuum den Wunsch nach ihrer Wiederverwendung bis zur Triebhaftigkeit intensiviert. Auch für unsere folgenden Betrachtungen fände diese Definition sinngemäß Anwendung.

Ferner kommt es bei einer Zahl von Dopsubstanzen oft auch zu Schädigungen im Sinne einer Hirnleistungsschwäche, d. h. zu einer (prinzipiell zuerst noch reversiblen) Desintegration der höheren Hirnleistungen, vor allem der intellektuellen Funktionen, oder es kann ein sogenanntes organisches Psychosyndrom entstehen, das durch eine Verminderung von Auffassung und Aufmerksamkeit, durch Abstumpfung von Affekten, Störung der Emotionen im Sinne deren Verflachung, durch Verminderung des Assoziationsbetriebes und durch schwere Störungen der Merkfähigkeit und des Gedächtnisses charakterisiert ist. Die beiden letzteren Symptome weisen bereits zur organischen Demenz. EEG-Veränderungen können nachweisbar werden. Körperliche Belastungen im Sport - normalerweise ohne Konsequenz für die Hirnfunktion - können bei gleichzeitiger Einwirkung solcher Medikamente eine zusätzliche Noxe darstellen. (H. HOFF und W. SLUGA23 und persönliche Mitteilung von W. SLUGA.) Diese Erscheinungsbilder gesellen sich noch zu den übrigen somatischen Schädigungen, womit sich ein verhängnisvoller Kreis schließt."

 



Ist die Grenze zwischen Doping und Sucht schmal?
Warum soll man, wenn man schon gewisse Substanzen konsumiert, nicht noch andere nehmen? Sobald ein Sportler seinen Konsum nicht mehr unter Kontrolle hat, wird er abhängig. Es gibt hohe Risiken für psychiche Notlagen und damit steigt das Bedürfnis nach zusätzlichen Substanzen zu greifen um sich anzuregen. Darauf folgt eine weitere Depression. Es ist ein Teufelskreis. Das sind für uns die schwierigsten Fälle, die wir zu behandeln haben.
(Dr. Sabine Afflelou, Centre d'addictologie et de psychopatologie des sportifs de Bordeaux, 18.2.2004)

Der im Folgenden herausgestellte Textauszug ist Teil einer Untersuchung auf der Basis einer soziologischen Dissertation von Jean-Pierre Escriva "Intensivsport und Sport zwischen Norm und Abhängigkeit".

Mit Hilfe von Intensivinterviews wird folgende These überprüft:

Intensiv-Sport ist ein Abhängigkeits-/Suchtverhalten, ob mit oder ohne Substanzmissbrauch, der gedopte Spitzensportler ist eher ein überangepasstes Individuum als ein Mensch mit abweichendem Verhalten.

Der Text erschien in Sociétés contemporaines 4/2001 (no 44), p. 129-147.

 

Die Frage nach einem Zusammenhang zwischen Sport und Sucht, seien es Drogen-/Medikamentensucht, Essstörungen oder Abhängigkeit von sportlichen Tätigkeiten an sich, wird in Frankreich schon seit längerer Zeit gestellt und erforscht. Es gibt einige Hinweise darauf, dass entsprechende Beziehungen bestehen, wobei Ursachen und Wirkungen vielfältig und nicht eineindeutig zu bestimmen sind. Es gibt aber Hinweise darauf, das leistungsstarke, leistungswillige Sportlerinnen und Sportler einem hohen Suchtrisiko ausgesetzt sind.

 

>>> Sport intensif et dopages entre normes et déviances

 

Inhalt:

 

1. LE SPORT INTENSIF COMME CONDUITE ADDICTIVE

TOXICOMANIES AVEC ET SANS DROGUE

ADDICTIONS AU SPORT

DÉPLACEMENT DES ADDICTIONS

 

2. INCIDENCES DE L’INSTITUTION SPORTIVE

LE CAS DE PASCALE OU L’ABSENCE DE CAUSES APPARENTES

LE CAS DE MANU, OU L’ENGRENAGE

 

3. L’ADDICTION COMME SURADAPTATION AU SPORT INTENSIF

DES CONTRAINTES STRUCTURELLES DE L’INSTITUTION

DIALECTIQUE DES STRUCTURES ET DES DISPOSITIONS

 

4. UNE NORMALITÉ DÉVIANTE ?

 

Zitat:

Le Chalet de Thianty

Der Verein « Le Chalet de Thianty » wurde 1985 als Zentrum zur Nachsorge von Patienten verschiedener Suchtrichtungen gegründet. Neben der Arbeit mit Drogensüchtigen liegt ein Schwerpunkt auf der Arbeit mit ehemals gedopten Sportlern. Pierre Dolivet (Psychosoziologe) ist Leiter eine Gruppe (spezialisierte Erzieher, Animateure, Krankenschwester, Koch, Sekretärin), die sechsmonatige Aufenthalte für jeweils 9 Patienten organisiert, davon 15% Spitzenssportler. Autonomie/Mündigkeit ist die Grundlage des Projekts, das in drei Phasen à 2 Monaten abläuft.

 

Phase 1: Abschottung gegenüber der familiären Umgebung, um zu sich selbst finden zu können und den jahrelang durch Sucht misshandelten Körper zu behandeln/pflegen.

Phase 2: Psychologischer Schwerpunkt mit Behandlung von verschütteten Traumatismen, Konfrontation mit Psychologen anstatt seelischen/psychischen Verletzungen mit Substanzen zu behandeln.

Phase 3: Phase der sozialen Wiedereingliederung mit Vorbereitung auf die Rückkehr in das aktive Leben.

 

Seit 1985 ist dies bei 70% gelungen (soziale und berufliche Integration). Der Autor war mehrmals zu längeren Aufenthalten in dem Zentrum. Zunächst scheinen Exsportler den anderen Patienten zu ähneln. Die meisten haben als Ursachenbeginn den elterlichen Wunsch nach Erfolg im Sport. Die Eltern investieren viel in die sportliche Zukunft ihrer Kinder. Wenn sie dann abstürzen, dann sowohl hinsichtlich des Sports, über den sie sich für die Eltern wertvoll gemacht haben, aber auch für ihr Selbstbild. Zudem haben die ehemaligen Spitzensportler ein spezifisches Verhältnis zu ihrem Körper. Die Originalität des Chalet de Thianty besteht darin, dass die Sportler einen anderen Umgang mit ihrem Körper über andere sportliche Aktivitäten in den Bergen lernen, inklusive Risikosportarten. (Klettern, Rafting). Die Ex-Sportler sind meist die schwierigsten Patienten, da sie einige Dinge im Umgang mit Sport neu lernen müssen, die Konzentration auf das Hier und Jetzt, die Akzeptanz des anderen als Partner, die im Gebirge lebensnotwendige Solidarität.

 



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Ein anderes großes Thema hinsichtlich der gesundheitsschädlichen Wirkungen des Dopings sind Depressionen ­ und zwar nicht erst, seit José-Maria Jiménez und Marco Pantani damit in Verbindung gebracht werden. Andere Radsportler erlitten ähnliche Schicksale, Selbstmordversuche und Selbstmorde hat es schon bei früheren Generationen gegeben. Auch für ein Abgleiten in die Sucht nach der Karriere gibt es viele Beispiele.

 

1999 berichtete Hans Michalsky, 1972 und '76 Olympiateilnehmer im 1.000-Meter-Zeitfahren und heute erfolgreicher Geschäftsmann, im Deutschlandfunk: "Ich kenne viele Fälle. Die Leute leben heute schon nicht mehr, sind durchgedreht, rauschgiftsüchtig oder alkoholabhängig." Seiner Meinung nach waren psychische Erkrankungen schon damals ein Problem im Zusammenhang mit Doping.

 

Depressionen oder verschiedene Formen einer Sucht als Spätfolge einer Doping-Karriere? Wolfgang Stockhausen spricht von einer Suchtverlagerung, die besonders durch das Hormon-Doping dramatisch zugenommen habe. "Amphetamine und auch Peptidhormone wie hGH, EPO und andere, haben ein unmittelbares Dosis-Wirkungsprinzip. Das heißt, man erlebt die Leistungsverbesserung in direktem Zusammenhang mit der Einnahme. Das unterscheidet die Peptidhormone von den Anabolika." Der Mediziner kennt Äußerungen von Radsportlern, die nach Einnahme von hGH am nächsten Tag "fuhren wie ein Moped". Im Umkehrschluss bedeute dies, so Stockhausen, dass man ohne diese Medikamente "ein Insuffizienzgefühl erleidet. Man fühlt sich einfach schlapp, schlecht und damit minderwertig. Für einige beginnt damit der Einstieg in eine Drogenkarriere".

 

Ähnliches schildern aktive Radprofis, wenn sie sich beim harten Training schlecht fühlen. Da wird schnell mit Amphetamin nachgeholfen. Hinzu kommt die Wahrnehmung, dass Erfolge offenbar nur noch mithilfe von Medikamenten möglich sind ­ lässt man die Mittel weg, ist der Misserfolg vorprogrammiert. Ein Teufelskreis, der sich im Leben nach dem Sport fortsetzt.

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The death of Italy's popular cyclist Marco Pantani from what appeared to be a cocktail of cocaine and anti-depressants shows a link between performance-enhancing drugs and recreational drugs that society cannot ignore, say leading campaigners against doping in Italy and France.

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"The distinction between doping [in sport] and recreational substances is only a formal one," Sandro Donati, a member of Italy's National Olympic Committee who has been at the forefront of the fight against drugs in sport for 25 years, told the Guardian.

"The sports world likes to make the distinction because they don't want to be in the same bracket as people involved in narcotics. The effects on the nervous system of using steroids, testosterone or stimulants are very similar."

He is echoed by Dr Gérard Dine, who devised the health monitoring system that was brought into French cycling following the Tour de France drugs scandal of 1998.

"Everyone knows that there is a massive over-consumption of medicines in high-level sport," Dine told the French magazine Vélo this week. "If an athlete functions during his career with sleeping pills to sleep, anti-depressants to reduce stress and stimulants to make his muscles respond, we should not be surprised that he ends up a drug addict."

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Donati concurs: "Pantani's death says to me that the use of doping for many years brought him a level of performance that was higher than nature intended, which meant that he created a dream world around himself."

Both men feel that society needs to become more aware of the demands made on high-level performers. "Trainers, managers, journalists and television see athletes as machines," said Donati. "There are natural limits and we must teach athletes to accept those limits, but we are a long way from doing that."

 



FAZ: Suchtpotential in Fußball und Handball "Nirgendwo wird so viel getrunken", 2.3.2007

Mit Doping kann man die Ergebnisse von Untersuchungen, wie sie in diesem Artikel beschrieben werden, nicht direkt verbinden. Der verbreitete Alkoholkonsum unter Jugendlichen in Sportvereinen, insbesondere im Fußball und Handball lässt jedoch ein Verhalten sichtbar werden, welches unter Umständen die Hinwendung zum Doping im Sinne der Leistungssteigerung begünstigt.

 

Zitate:

Als der Paderborner Sportwissenschaftler Wolf-Dieter Brettschneider vor sechs Jahren die Studie zum Thema "Jugendarbeit in Sportvereinen" präsentierte, war er selbst erschrocken. "Es sind fürchterliche Ergebnisse", sagte der Urheber der Arbeit, "mir tun diese Daten selbst weh." Speziell was den Drogenkonsum anbelangt, kam er nach der Untersuchung, bei der Gruppen von zwölf- bis achtzehnjährigen Jugendlichen drei Jahre lang beobachtet wurden, zu ernüchternden Resultaten. "Aus der Entwicklung der Konsumraten legaler und illegaler Drogen kann nicht abgelesen werden, dass der Sportverein die Kinder gegen Drogen stark macht", heißt es in der Studie. "In der Entwicklung des Rausch- und Trinkverhaltens unterscheiden sich die Sportvereinsmitglieder nicht von den vereinsdistanzierten Jugendlichen." In manchen Sportarten kann sogar ein gegenteiliger Effekt nachgewiesen werden. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass "nirgendwo so viel geraucht und getrunken wird wie im Fußball oder Handball".

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Eine weitere Studie, die Dissertation der Erziehungswissenschaftlerin Beate Locher von der Universität Heidelberg (2001), geht sogar noch weiter. Die Befragung von Jugendlichen und Übungsleitern kommt zu dem Ergebnis, dass zwar im Alter von 13 Jahren prozentual weniger Vereinsmitglieder als nicht an Vereine gebundene Jugendliche regelmäßig bis gelegentlich Alkohol trinken. Dieses Verhältnis kehrt sich allerdings bei den Sechzehnjährigen um. Besonders in Mannschaftssportarten werde dem Alkohol und da wiederum dem Bier besonders zugesprochen. Beate Lochers Untersuchung, die im Raum Baden gemacht wurde, weist auf ein deutliches Stadt-Land-Gefälle hin: So wird auf dem Land unter den dreizehn- bis sechzehnjährigen Mitgliedern von Sportvereinen deutlich mehr geraucht und Alkohol getrunken als in der Stadt.

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Auf den Einfluss legaler Drogen auf die Bereitschaft, Dopingmittel zu nehmen, verweist der Italiener Alessandro Donati. Der Anti-Doping-Aktivist berichtet von einer Erhebung unter 40.000 Schülern, die einen Zusammenhang zwischen Rauchen und der Einnahme von Dopingmitteln aufzeigt. Laut Donati kommen auf einen Nichtraucher, der Dopingmittel einnimmt, sechzig Raucher, die sich zu chemischen Leistungssteigerern und vermeintlichen Schönmachern hingezogen fühlen.

 

Sport und Sucht haben viele Verbindungen. Sport selbst kann zur Sucht werden. Nach dem Karriereende sind Berufsathleten aus verschiedenen Gründen suchtgefährdet. Viele vermissen das Hochgefühl von Wettkampf und Erfolg. Andere haben möglicherweise mit dem Leistungssport jahrelang psychische Probleme überspielen können, die nun massiv zurückkehren. ...



5.7 Macht Doping süchtig?

Fällt auch Doping unter die Suchtdefinition der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung?

Definition von Sucht: „Sucht ist das zwanghafte Verlangen nach bestimmten Substanzen und/oder Verhaltensweisen, die Missempfi ndungen vorübergehend lindern oder erwünschte Empfindungen auslösen, und die konsumiert werden, obwohl negative Konsequenzen für die eigene Person oder andere damit verbunden sind“ (Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Köln).

 

Nicht immer, aber oft genug. Direkt suchterzeugend kann der Missbrauch von Cannabis und Amphetaminen sein. Zwar sind Doping und Drogensucht zumeist nicht dasselbe. Es gibt jedoch Schnittmengen zwischen beiden Problemfeldern. Dopingmittel selbst müssen dabei noch nicht einmal süchtig und abhängig machen. Was mit ihnen erreicht werden kann, könnte jedoch eine süchtig machende Wirkung entfalten: Erfolg, Ruhm, Beliebtheit, der Ausstoß von Adrenalin im Wettkampf und von „Glückshormonen“ nach Siegen – das Gefühl, oben zu sein! Diese Dinge können zur Sucht werden. Sie können der Anlass sein, leistungssteigernde Medikamente, die für sich genommen keine Suchtwirkung entfalten, immer weiter einzunehmen.

 

Dopingmittel können aber auch eine Suchtwirkung entfalten, die direkt mit ihrer Wirkungsweise zusammenhängt. Werden sie eine Zeit lang abgesetzt, kann das Gefühl körperlicher Stärke schwinden. Depressionen und Schwächegefühle können an seine Stelle treten. Bei Kraftsportlern wird berichtet, dass sie nach Absetzen von Anabolika einen Gewichtsverlust hinzunehmen hätten, der mit einem Kraftverlust einhergeht. Deshalb wurden in der Vergangenheit die besten Leistungen von Werfern oder Gewichthebern nicht bei Olympischen Spielen oder Weltmeisterschaften erzielt, denn dort fanden Wettkampfkontrollen statt.

 

Häufig vermischen sich direkte und indirekte Suchtwirkungen. Körperliche und psychische Auswirkungen können ebenfalls nicht klar voneinander getrennt werden. Oft wird jedoch von einer „psychogenen Wirkung“ von Dopingmitteln gesprochen. Da die Trennung von Körper und Geist jedoch nur in der Theorie möglich ist, spielt es eine untergeordnete Rolle, auf welchem Weg genau ein Zusammenhang zwischen Doping und Sucht besteht. Sicher ist, dass ein Zusammenhang besteht. In ganz gravierender Form zeigt sich dieser Zusammenhang möglicherweise sogar erst nach der Karriere. Nach französischen und schweizer Untersuchungen ist der Anteil ehemaliger Leistungssportler/-innen und Besucher/-innen sportbetonter Schulen unter Patienten, die in Suchtzentren betreut werden, überdurchschnittlich hoch. Männer sind wesentlich mehr gefährdet als Frauen.

 

Insgesamt hat etwa jeder vierte deutsche Jugendliche zwischen 14 und 25 Jahren Erfahrungen mit Haschisch gemacht. Nach Brettschneider/Kleine liegt der Konsum von Haschisch bei Vereins- und Leistungsfußballern deutlich höher als bei Nichtvereinsmitgliedern (Brettschneider/Kleine 2001, 332). Offenbar besteht das Risiko, dass der Haschischkonsum mit dem Umfang des Sporttreibens zunimmt.

 

Das Ergebnis entspricht französischen Erfahrungen mit Suchtverhalten. Jugendliche Sportlerinnen und Sportler mit mehr als acht Stunden Training pro Woche greifen demnach häufi ger zu Alkohol und Zigaretten als solche, die nicht so extrem trainieren. Je länger intensiv Sport getrieben wird, desto höher ist anscheinend die Gefährdung. Extreme Ausrichtung auf den Sport scheint extremes Verhalten auch in anderer Hinsicht begünstigen zu können. Und fällt nach der Karriere der bisherige Hauptlebensinhalt weg, führt dies zu einer Verunsicherung, die neuen Extremen erst recht Tür und Tor öffnet – gerade auch Drogen. Sich ausschließlich auf Sport zu konzentrieren, kann also gefährlich sein. Sinnvoller ist es, andere Interessen weiter zu pfl egen und sich schon während der Leistungssportkarriere eine berufliche Perspektive zu erarbeiten.

 

Die Befürchtungen, dass Doping Suchtverhalten erzeugen könnte, wird nach diesen Ergebnissen sogar noch übertroffen: Leistungssport an sich kann offenbar schon süchtig machen! Vieles spricht dafür, dass diese „Sportsucht“ in einem engen Zusammenhang mit Doping steht. Beide Verhaltensweisen verstärken sich anscheinend gegenseitig.

 



2018 Brissonneau, Montez de Oca

2018 veröffentlichten Christophe Brissonneau und Jeffrey Montez de Oca ihre Studie zu französischen Sportlern und ihre Ärzte "Doping in Elite Sports, Voices of french sportspeople and their doctors, 1950-2010."

 

In einem Kapitel fassten sie Aussagen von Radsportlern zusammen, die unter Depressionen und Drogensucht litten und beschreiben die Umstände, die für Sportler*innen gefährlich werden können. Die Aussagen beziehen sich auf die Jahre 1990 bis 2000, lassen sich aber generalisieren.

Hier eine Zusammenfassung:

Dekompensation und Sucht - Folgen des Profiradsports

 

Eine Karriere im Profiradsport führt gegen Karriereende häufig in die Drogensucht. Unsere Interviews zeigen, dass Drogensucht häufig ihre Wurzeln in der driiten Phase der Karriere hat, wenn der Fahrer im Profiranking angekommen ist. Die Freude am Radsport, die während der Amateurzeit vorhanden ist, schwindet mit den Anforderungen des Profitrainings, das die Fahrer häufig als monoton und sehr fordernd beschreiben. Zusätzlich verlangt das Kilometerfressen ein Training bei jedem Wetter. Der Griff nach Amphetaminen oder dem Pot belge kann helfen die Zeit zu überbrücken oder Schmerz zu unterdrücken. Am Ende der Tour de France, währnd der Kriterien, während der Wintermonate und auf Parties, greift der Radsportler schon mal zu psychoaktiven Substanzen.

 

Gruppendruck macht es schwierig, nein zu sagen, niemand ist gerne Außenseiter. Heutzutage nehmen aktive Fahrer keine Amphetamine oder Mischungen wie den Pot belge während der Vorbereitungsphasen von Rennen und während Rennen mehr, da diese keine Leistungsvorteile bringen und leicht nachweisbar sind.

 

Auch wenn viele Sportler gelegentlich nach psychoaktiven Drogen greifen, muss festgestellt werden, dass deren Konsum nicht automatisch mit Suchtproblemen einhergeht. Das zeigen Interviews sowie die Auswertungen der Anonymen Doping-Hotline ecoute dopage. Dennoch führen viele Sportlerkarrieren in einer Drogensucht. Das betrifft auch Profifußballer Holsstein et. al. 2015), deren Karriereende zwar selten abrupt kommt aber absehbar wird, doch der Spieler braucht häufig 1 bis 2 Jahre bis er sich dessen klar wird. Die Erkenntnis kann dann eine existenzielle Krise auslösen, denn der ehemalige Spieler muss sich ein neues Leben und eine neue Identität schaffen. Einem Radsportler geht es genauso. Einer der Interviewten beschreibt diese Phase, als er sein letztes Team verlassen musste, als Trip durch die Hölle. Nach Verlassen dieser besonderen Welt, die seinem Leben einen Sinn gab, scheiterte er daran, sich neu und selbstbewusst aufzubauen und zu stabilisieren. Er ist nicht mehr der Radsport-Gott, wie ein Interviewter meinte, er ist nichts besonderes mehr; er ist ab jetzt normal, durchschnittlich, alles wird sinnlos.

Der Drogenkonsum beginnt gerne, wenn der Fahrer nach Trainingszeiten allein verbringen muss und wird vor allem nach längeren Trainingsunterbrechungen auf das Trainings ausgeweitet. Diese Selbstmedikation bei psychischen Problemen beeinflusst des Fahrers Fähigkeiten und dessen Leistungsvermögen, was wiederum zu erhöhter Medikation führen kann. Diese Spirale kann dann zur Entlassung vom Team und zum Karriereende führen. Die Drogenabhängigkeit erklärt sich danach nicht allein aus der Einnahme von Drogen sondern in Verbindung mit den Lebensumständen der Sportler.



Körperkult und einhergehende Suchtpotentiale

 

Nicht nur das Training auch die Essgewohnheiten spitzen sich zu und werden immer rigoroser. Um den Stoffwechsel im Rahmen der Diät weiter anzuheizen, nehmen immer mehr Fitness-Studiokunden Fatburner, Grünteekapseln, L-Carnitin und andere Nahrungsergänzungspräparate ein. Junge Männer, die an einem schnellen Muskelaufbau interessiert sind, konsumieren vorzugsweise Eiweißpulver, Creatin und Prohormone. Beim Konsum derartiger Mittel entwickelt sich bereits eine Missbrauchsmentalität, die den Einstieg in die Missbrauchsspirale markieren kann – wohlgemerkt kann, nicht zwangsläufig muss.

 

Nicht wenige Studiomitglieder wagen dann aufgrund entfesselter Selbstansprüche den folgenreichen Griff zu Humanarzneien wie Ephedrin, Clenbuterol, Anabolika oder Wachstumshormonen. Die Missbrauchspraktiken werden sodann stetig radikaler und risikoreicher; sie drohen allmählich zu eskalieren.

 

Der Begriff Eskalation impliziert bereits eine gewisse Eigendynamik und Steigerungsform. Beide Aspekte können wiederum Merkmale für ein bereits ausgebildetes Suchtverhalten sein. An den biographischen Verlaufsfiguren von leistungsorientierten Körpermodellierern lassen sich diese Merkmale problemlos festmachen (vgl. Kläber 2010: 94ff.). Ab dem Zeitpunkt, an dem es zu einer ersten Missbrauchshandlung kommt, entfaltet sich eine ungemein potente Eigendynamik.

 

Der spiralförmige Verlauf der Missbrauchshandlungen verdeutlicht einen Anfang ohne Ende, der für viele User-Biographien kennzeichnend ist. Die Missbrauchs-„Karriere“ weist folgende Etappen auf, wobei der durchschnittliche User auf der 2. oder 3. Etappe verharrt:

a) Etappe des Driftens: Nahrungsergänzungspräparate

b) Etappe des Konsolidierens: Humanarzneien

c) Etappe des Experimentierens: Tierarzneien

d) Etappe des Eskalierens: Betäubungsmittel

 

Durch eine Toleranzentwicklung im Hinblick auf die verwendeten Medikamente verdichten und verschärfen sich die Missbrauchshandlungen unaufhörlich.

 

Die Dosierungen werden sukzessiv erhöht, die Einnahmezeiten verlängert und immer öfter Dopingsubstanzen miteinander kombiniert. Umgangssprachlich kann man dies auch als ‚Teufelskreis’ bezeichnen, dem man nur sehr schwer wieder entkommt und der nicht selten auch den Konsum von Tierarzneien mit einschließt. Zu viel hat man bereits auf sachlicher, zeitlicher sowie sozialer Ebene in den Körper investiert, so dass Rückschritte oder Stagnationen nicht mehr hinnehmbar sind. Ganz im Sinne einer stoffgebundenen Suchtform wird die Gesundheit zunehmend aufs Spiel gesetzt und der Sportlerkörper damit zum riskierten Körper. Medikamentenmissbrauch im Sinne des Dopens gewinnt dann allmählich Züge einer Drogensucht und die Wahrscheinlichkeit dafür, dass zusätzlich Betäubungsmittel wie Kokain, Marihuana u.Ä. eingenommen werden, steigt deutlich an (vgl. Boos et al. 1998: 710f.).

 


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