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Radlerprosa



etc. PP - Posers Prosa

Ernstes, Lustiges, Skurriles von Radsportfan Manfred Poser



IVCA-Rallye 2012 - Auf alten Rädern in Flandern

Manfred Poser machte mal wieder bei der Rallye des Veteranenfahrradverbands (IVCA) mit, die im Mai des Jahres 2012 in Gent in Flandern stattfand.



Der Schauplatz

Gent ist eine große belgische Stadt. Das stimmt; und auch nicht. Der Ureinwohner berichtigt sogleich: Gent sei eine flandrische Stadt. Belgien, dieser kleine, erst um 1830 entstandene Staat besteht aus zwei Hälften: dem stolzen Flandern im Norden, wo man Flandrisch spricht, einen Dialekt des Niederländischen, und dem südlichen Wallonien, angrenzend an Frankreich, wo das Französische gepflegt wird.

 

Es stand ein Riesenzelt außerhalb des Campingplatzes Blaarmeersen bei Gent, und dorthin strömten die Teilnehmer der 32. IVCA-Rallye. Mittlerweile wissen wir, dass es sich dabei um den internationalen Verband der Freunde von Veteranenrädern handelt. Sie schafften ihre alten Rösser also nach Flandern, dem Schauplatz der berühmten Flandern-Rundfahrt und Trainingsterrain vieler begeisterter Rennradfahrer.

 

Das Zelt wurde binnen weniger Stunden zu einem mobilen, improvisierten Fahrradmuseum, als nach und nach die Teilnehmer der Rallye eintrafen und ihre Schmuckstücke innen und außen anlehnten oder aufbockten, um das erste kühle Bier zu trinken, für welches Belgien ja auch berühmt ist. Schöne alte und interessante Räder gab es, und wir schauen uns gleich welche an.

Ralph Boreman aus Sheffield mit seiner Raleigh von 1920. Paraffinlampen vorn und hinten!
Ein altes schwedisches Militärrad. Einfacher
geht’s nicht.
Annemarie und Rod Driver aus Australien,
die gern auf kleinen Reifen rollen, demnächst durch Japan.
Robert Taylor aus Florida absolviert seine Reisen in Europa gern mit dem Klapprad.


Die Ankunft

Dani Bartholdi aus der Ostschweiz.
Seine Tochter und Evelyne Brunner beim ersten Versuch auf dem Hochrad.
Die Räder von Elsie und Tony Huntington vor ihrer Hütte.

Dani Bartholdi, seine Tochter Nadine, Peter und Evelyne Brunner waren um ein Uhr morgens in der Ostschweiz losgefahren und trafen nach einer Schlafpause zwischendurch am späten Nachmittag ein. Kanadier, Amerikaner und Australier landeten meist mit einem Flugzeug in Brüssel und fuhren nach Gent mit dem Rad. Jan Paulsen startete um drei Uhr morgens mit dem Auto in Drammen bei Oslo und holte Brian Rosenberg in Dänemark ab, der den Rest fuhr, während Jan schlief.



Der Norweger Jan Paulsen auf einem der kleinsten fahrbaren Räder der Welt, mit der man aber wohlweislich kein Rennen fährt.
Nadine Bartholdi probierte es auch.

Elsie und Tony Huntington (er auf dem Hochrad) ritten bei Vlissingen die niederländische Nordseeküste entlang bei starkem Gegenwind. Ich war aus Freiburg in sieben Tagen über die Vogesen und Nordostfrankreich nach Gent gekommen (auf einem heutigen Tourenrad). Man sieht, hier geht es um Leute, die ihre Räder nicht nur anschauen, pflegen und reparieren, sondern auch gern bewegen. Die meisten brachten ihr Rad jedoch im Anhänger oder am Wohnmobil mit, weil das natürlich praktischer ist.



254 Teilnehmer waren registriert. Ein Viertel kam aus Belgien, und nehmen wir noch die Engländer und Franzosen hinzu, hätten wir schon zwei Drittel der Mitwirkenden beisammen. 25 Deutsche und 18 Schweizer waren anwesend, ebenso viele Tschechen, 15 Niederländer, ein paar Ungarn und Russen. Sogar ein großes Team aus dem fernen Indonesien durfte bestaunt werden, weil es gute Kontakte zur ehemaligen Kolonialmacht gibt, den Niederlanden. Nette fröhliche Leute waren das. H. P. Wiratraman stellte sich als europäischer Fahrrad-Botschafter des volkreichen Inselstaats vor und erklärte, eineinhalb Millionen Menschen seien dort Mitglieder von 700 Fahrradklubs, die alle gleichzeitig am Sonntag Vormittag zu ihren jeweiligen Meetings zusammen kämen.



Die indonesische Delegation auf dem Campingplatz.

Die Teilnehmerzahl war ein Rekord, und beim Essenfassen abends zeigte sich, dass fast eine kritische Größe erreicht war. Der Lärmpegel war enorm, aber es war fröhlicher Lärm, gemacht von Leuten, die sich ein Jahr nicht gesehen hatten und sich überschwänglich verbal austauschten.



Century

Das bayerische Duo Reithmeier/Ettmüller beim Century.

An die Räder, fertig, los – die erste Nacht war kurz, denn der folgende Tag gehörte dem „Century“, der 100-Meilen-Fahrt, die als Konditionsprobe und Ausdauerprüfung gedacht ist. Start ist um fünf Uhr morgens, da stehen etwas unschlüssig zehn Fahrer herum, die dann losgondeln und in den folgenden neun bis zehn Stunden bei vier Kontrollstellen jeweils acht Mal ihr Kontrollkärtchen vorlegen, das wie vom Schaffner im Zug durchlöchert wird. Andere gehen später ins Rennen.



Der Autor mit seiner Stella Veneta nach dem Rennen.

Kann ganz schön öde werden, dieselben Streckenstücke immer und immer wieder zu durchrollen, und nach 100 Kilometern denkt man: Das endet nie. Ich war um 5.10 Uhr gestartet und hatte die 100 Meilen endlich um 14.30 Uhr beisammen, obwohl mich zwei Kilometer vor Schluss ein Platten ereilt hatte, weswegen ich meine bildschöne Stella Veneta – ein italienisches Rad von 1957 – ins Ziel schieben musste. Aber das Diplom für den Keller war gesichert. 20 Teilnehmer schafften die 100 Meilen in den 12 Stunden bis zum Kontrollschluss.



Die Rennen

Vom Flohmarkt habe ich nichts mitbekommen, aber ein ruhiger Vormittag schadet auch nicht. Nachmittags fanden dann auf einer ovalen Betonpiste Rennen statt in mehreren Kategorien. Unter anderem wurde der Hochrad-Weltmeister auf Originalmaschinen ermittelt, der höchste Titel, der zu vergeben ist. Der tschechische Sieger Josef Zimovčak fuhr wie der Teufel, vornübergebeugt und mit einer Trittfrequenz, die an Lance Armstrong erinnerte. Dabei soll der neue Titelträger doppelt so alt sein wie der Texaner zu seinen besten Zeiten.

 

Harter Kampf um den Titel des Hochrad-Weltmeisters.
Brian Rosenberg
aus Dänemark
entscheidet
das Rennen
der Männer
mit dem Safety,
dem Nicht-Hochrad.
Überholmanöver beim Frauenrennen. Die russische Siegerin stürzte hinterher leider auf dem Zielstrich und verletzte sich erheblich.
Der tschechische Hochradweltmeister
Josef Zimovčak.


Ausfahrt und Gala-Abend

Am Samstag dann ging es um halb zehn in Richtung Innenstadt, die vier Kilometer entfernt lag. Ein schöner Tag, die Stadt Gent war voller Touristen, Einkäufer und Müßiggänger, die mit dem Einzug der opulent gekleideten Altmeister etwas zu sehen bekamen. In ein abgezäuntes Geviert kamen die alten wertvollen Räder zu stehen, damit die Fahrer die Stadt kennenlernen konnten. Bei der Rückfahrt glitten wir durch einen Korridor an vielen staunenden Touristen vorbei und verursachten auch einen kleinen Verkehrsstau – Critical-Mass-Gefühl!

Radfahrer in der Innenstadt von Gent.
Die drei Bayern aus Ablaching. Von links:
Johannes Reithmeier, Richart Ettmüller, Winfried Goschl. Immer für einen Spaß zu haben.


Paul und Ellen Reid aus England mit ihrem Premier Tandem Tricycle von 1887.
Eine schöne tschechische Teilnehmerin.
Marco Lebreton und Natalie Labat, ein sympathisches Paar aus Südfrankreich.


Die IVCA-Rallye hat nunmehr eine lange Geschichte. Aber Retro-Veranstaltungen sind im Kommen, am liebsten mit Rennrädern. Am 23. und 24. Juni gibt es zum zweiten Mal die in Saumur „Rando Vélo Retro“ und am 1. Juli startet die Retro-Ronde van Vlaanderen um 11 Uhr in Oudenaarde. In Eeklo, nicht weit davon entfernt, fahren Fanatiker mit Rädern, die vor 1980 gebaut wurden, am 21. Juli den „Retrokoers Eeklo“, und dann, diesmal am Wochenende des 3. und 4. August, gibt es, etwas weiter im Süden, die vierte Retro Velo Classica in Badenweiler.

 

Im nächsten Jahr wird in dem französischen Ort La Chaussee St. Victor eine Hommage an Pierre Michaux gefeiert, ohne dessen Erfindung des Pedals das Fahrrad nicht zu denken ist. Von 28. April bis 1. Mai 2013 sollen in der Nähe von Blois so viele Michaux-Maschinen wie möglich zusammenkommen. Verantwortlich ist die Union Vélocipédique Belle Époque (boisseau.jacques@orange.fr).

 

Zurück nach Gent: Samstag Abends Mitte Mai gab es dann den Gala-Abend mit Preisverleihungen, Danksagungen, Wein für alle und Essen reichlich, Partymusik und Tanz, bis es dann gegen ein Uhr morgens auseinander ging. Immer traurig, dieser Abschied. Man kennt sich ja und hatte sich aneinander gewöhnt. Sind schon verrückte Leute, diese Veteranenradfreunde. Eines frühen Abends stand plötzlich ein Schotte vor den Zelten und spielte Dudelsack, und Günter Erber aus Hannover hat immer sein Akkordeon dabei.

Der Schotte
am
Dudelsack.
Beifall beim Gala-Abend. Die klatschenden Hände gehören Jan Paulsen aus Norwegen.


Es war alles wunderbar organisiert, darum am Ende noch, stellvertretend für das ganze Team, zwei wichtige Personen der schönen IVCA-Rallye 2012 in Gent.

Ben Beeckman,
ein
ruhender Pol,
immer
fröhlich.
Dirk van Luchem, der Organisator der Rallye, am Ende etwas sprachlos wegen Heiserheit.


 

&copy Text und Fotos Manfred Poser, Juni 2012


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