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Antidoping



Dossier Reform Antidoping





Aufarbeitung Doping-Geschichte



Beispiel Deutschland

Die Literatur zur allgemeinen Geschichte des Dopings ist für Laien nicht überschaubar. Meist wurde sie geschrieben auf wissenschaftlich theoretischer Basis für wissenschaftliche Zwecke. Ob diese Werke breiter wahrgenommen werden und Wirkungen entfalten, lässt sich wahrscheinlich nicht sagen. Das Thema Doping ist jedoch längst eine öffentliches, breit diskutiertes geworden. Damit müssten Erkenntnisse verständlich und auch erschwinglich breit gestreut werden.

 

Weithin gilt die Annahme, dass zum Verständnis der Problematik Ursachenforschung, Struktur- und Motivationsanalyse gehören sollten. Dazu wäre es hilfreich, wenn vermehrt Aufarbeitungen nationaler Doping-Geschichte vorlägen, denn nur wer die Vergangenheit kennt, kann verstehen, begangene Fehler wirksam korrigieren oder es zumindest versuchen.

 

Insbesondere in Deutschland wurde und wird diese Meinung relativ laut vertreten. Es liegen hier zur Doping-Historie mittlerweile umfangreiche Studien vor, wahrscheinlich die weitestgehenden weltweit. Angesichts der Doping-Geschichte der beiden deutschen Staaten hat sich das fast zwangsweise ergeben. Nach der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten erzwangen Veröffentlichungen über das DDR-Dopingsystem mit Hinweisen auf das West-Doping durch Brigitte Berendonk und Werner Franke, Sportorganisationen und teilweise auch die Politik, dem DDR-System nachzuspüren. Vor allem Diskussionen über die Weiterbeschäftigung erfolgreicher Trainer*innen beschäftigten Sportdeutschland. Am Rande kamen dabei auch Dopingvorfälle in Westdeutschland zur Sprache. Diese Bemühungen um Erkenntnisse versandeten jedoch schnell. Es war vor allem mutigen Sportler*innen, Werner Franke und Forschern wie Giselher Spitzer zu verdanken, dass die mit dem Doping, insbesondere dem Minderjährigendoping, verbundenen Gesundheitsschäden öffentlich wurden. Es dauerte ein Jahrzehnt, bis Gerichte den klagenden Dopingopfern Recht gaben und einige Verantwortliche schuldig sprach. Mittels Studien, die vor allem auf einige verbliebene Stasiunterlagen zurück greifen konnten, ergab sich ein recht umfassendes Bild des ehemaligen DDR-Sport- und Dopingsystems. Aufgrund dieser Erkenntnisse und der damit verbundenen öffentlichen Diskussion sah sich die Politik gezwungen, längerfristige und umfangreiche Hilfe für DDR-Dopingopferhilfe zur Verfügung zu stellen. Eine Hilfe, die erst in jüngster Zeit aufgestockt werden musste, denn die Gesundheitsschäden werden mit zunehmendem Alter der Athletinnen und Athleten immer offensichtlicher. Auch das ist vor allem hartnäckiger privater Initiative, hier dem Verein Doping Opfer Hilfe (DOH) zu verdanken (>>> Portrait Doping Opfer Hilfe).

 

Parallel zur Aufklärung des DDR-Dopings verstummten die Forderungen nach Aufklärung des Dopings in Westdeutschland nicht. Es hatte im Westen über die Jahrzehnte etliche Dopingskandale und Diskussionen gegeben, auch war das sportliche Wettrüsten der Sportsysteme der Öffentlichkeit nicht verborgen geblieben. Ernsthafte Aufklärungsbemühungen seitens des Sports und der Politik gab es jedoch nicht. Auch hier waren es private Initiativen, die nach der Wende versuchten, Licht ins Dunkel zu bringen und zusammenhängend die Dopinggeschichte Westdeutschlands zu ergründen und darzustellen. Karl-Heinrich Bette, Uwe Schimank veröffentlichten 'Doping im Hochleistungssport - Anpassung durch Abweichung' eine Analyse der sozialen Bedingungen und Abhängigkeiten, die heute noch Gültigkeit besitzt.

Andreas Singler und Gerhard Treutlein stellten 2000 und 2001 ihre beiden Bücher 'Doping in Spitzensport' und 'Doping-von der Analyse zur Prävention' vor. Darin finden sich bereits die wichtigsten Erkenntnisse, die in den späteren Studien inhaltlich und analytisch ergänzt wurden.

 

Die Gesamtheit der heute vorliegenden Forschungsergebnisse über das westdeutsche Doping kann als erzwungene Folge der Enthüllungen über die DDR-Verhältnisse gesehen werden. Versuche möglichst viel im Dunkeln zu lassen, gab und gibt es zuhauf. Möglicherweise wäre auch vieles nie angesprochen worden, hätte es nicht den Radsportboom um Jan Ullrich und das Team Telekom gegeben und den Festina-Skandal, der das Thema Doping in die Medien katapultierte. Die Vorgänge im IOC, die zur Gründung der WADA führten, bereiteten ebenfalls den Boden. Die späteren Entwicklungen um das Radsportteam provozierten Untersuchungen über die Jahrzehnte währende Rolle der Sportmedizin an der Freiburger Universität.

 

Die ersten Ergebnisse der Untersuchungen rund um die Freiburger Sportmedizin erzeugten letztlich genug Druck, um Gelder für Studien durchzusetzen, die sich der Dopinggeschichte ganz Westdeutschlands ab den 1950er Jahren bis 2007 widmen sollten. Die Jahre nach 1990 konnten jedoch aus verschiedene Gründen nicht untersucht werden. Finanzielle und zeitliche Engpässe wurden als Hauptgründe angegeben, doch gestaltete sich die Quellenanalyse um so schwerer je näher die Untersuchungszeit der Gegenwart kam. Archivmaterial steht nicht zur Verfügung und Zeitzeugen sind nur schwer zu finden. Personen, die selbst noch den Institutionen und Organisationen angehören oder ihnen verbunden sind, über die sie berichten könnten, schweigen.

 





Gerhard Treutlein:
Wenn wir dem Satz aus der Soziologie zur Einordnung der verpassten Möglichkeiten zur Dopingbekämpfung folgen: „Nicht Handeln ist auch Handeln“ (Bette, nach Geser 1968), bleiben vor allem das Wegsehen und Nichthandeln von Politik und organisiertem Sport zu hinterfragen, z.B.: Wie viel Wissen muss denn noch produziert werden, bis nicht mehr behauptet werden wird, man wisse nicht ausreichend etwas über die Dopingvergangenheit der BRD, man könne deshalb nicht weitergehend gegen Doping vorgehen und für eine umfassende moderne Dopingprävention sorgen? Ehrlicher und gründlicher Kampf gegen Doping war in der Bundesrepublik nicht erwünscht; mit viel Heuchelei wurde verdeckt, was an Doping im Spitzensport ablief und abläuft. Nicht wenige Athletinnen und Athleten zahlten dafür mit ihrer Gesundheit und zum Teil mit ihrem Tod. Offen bleibt die Frage, welchen Spitzensport der Staat fördern kann und soll: Dopingbekämpfung in Westdeutschland – eine Geschichte des Versagens der Antidopingpolitik.
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Haben diese Untersuchungen und Erkenntnisse zur gesamtdeutschen Dopingvergangenheit kurzfristig etwas gebracht? Wurden vorhandene Dopingstrukturen damit gesprengt? Wurde das Bewusstsein, mit Doping schwere Regelverletzungen zu begehen, erhöht? Helfen sie Doping zu verhindern? Oder wächst damit die Gleichgültigkeit bzw. die Ablehnung der Anti-Doping-Bemühungen? Schwer zu sagen. Immerhin können mit diesem Hintergrundwissen Diskussionen zum und über das Thema inhaltlich überzeugender geführt und Präventionsprogramme gezielter entwickelt werden.

 

Es haben sich einige Punkte ergeben, die in einem ernsthaften Kampf gegen Doping zu beachten wären. Manche davon sind in sich nicht eindeutig und müssten im Detail ausgehandelt werden, so z. B. die Rolle der Politik. Durch die Jahrzehnte zog sich auch der Hinweis, dass Qualifikationskriterien die Entscheidung zum Dopen maßgeblich mit beeinflussten. es zeigte sich aber auch, dass die Einschätzung des Dopens als Fehlverhalten sowohl bei Sportler*innen als auch dessen Umfeld, häufig nur mangelhaft ausgeprägt war. Entscheidend für das Dopinggeschehen, waren aber vor allem die eng vernetzten Personalstrukturen im letztlich sehr kleinen Kreis des westdeutschen Leistungsports, Dopinggegner und -kritiker hatten da oft nur wenig Mitsprache.

Immerhin gab es kleine messbare Erfolge. So wurde es nach der Vorlage erster Studienergebnisse schwieriger, Doping belastete Personen in Sportgremien zu platzieren. Es waren z. B. nach der Gründung der deutschen Nationalen Anti-Doping-Agentur noch Personen in ihr Aufsichtsgremium berufen worden, die bekanntermaßen mit Doping in Berührung standen. Es entflammen auch immer wieder heftige Auseinandersetzungen üm Personen mit DDR-Stasi- und Dopingvergangenheit, die in Sportinstitutionen gewählt werden oder deren Vergangenheit nach Meinung vieler verklärend dargestellt wird. Auseinandersetzungen, die der offenen Diskussion der Vergangenheit geschuldet sind.

 

Andererseits erwecken Reaktionen aus Politik und Sport regelmäßig den Eindruck, als wären sie völlig ahnungslos. Als Beispiel kann die Veröffentlichung von Simon Krivec Buch 'Die Anwendung von anabolen-androgenen Steroiden im Leistungssport der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 1960 bis 1988 ...' dienen. Bekannte Anti-Doping-Kämpfer sahen sich daraufhin gezwungen, mit einer Sonderausgabe des Magazins Doping zu antworten: >>> Doping in Deutschland.

 



Erforschung der Dopingstrukturen und -voraussetzungen im internationalen Kontext

Martin Schimke, Sportrechtler am CAS:
Wir reden hier oft über teils Jahrhunderte alte, eingefahrene, simple Vereins- und Verbandsstrukturen ohne professionelle Kontrollmechanismen. Vom Tennisverein um die Ecke bis zum internationalen Verband. Der Sport kann über die Verbandsautonomie seine eigenen Regeln setzen. Da hat ganz lange niemand drauf geguckt. Erst jetzt durch die Kommerzialisierung, durch die Transparenzanforderungen der Gesellschaft kommt eine Art Tsunami auf diese alten Strukturen zu. Das braucht natürlich eine Übergangsphase, womöglich Jahrzehnte, um das Selbstverständnis verschiedener Mitglieder der großen Sportfamilie zu reformieren. (19.6.2018)
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Diese kurze Zusammenfassung der konflikt- und hindernisreichen Entwicklung, die zu den vorliegenden Erkenntnissen zur deutschen Dopinghistorie nach dem zweiten Weltkrieg führte, lässt erahnen, wie schwierig sich ähnliche Ausarbeitungen in anderen Nationen gestalten würden. Totalitäre Staaten mit ihren Sportorganisationen dürften kaum dazu bereit sein, doch auch andere dürften wenig Notwendigkeit sehen und eher alles daran setzen, dass Vergangenes verdeckt bleibt. Und Sportverbände reagieren selbst erst in höchster Not.

 

Aufklärende Impulse gehen meist von größeren Skandalen aus.

Zu nennen ist hier insbesondere Kanada. Die Regierung reagierte nach dem Ben Johnson-Dopingfall bei den Olympischen Spielen 1988. Eine Kommission unter Leitung von Charles L. Dubin legte in langwieriger und schwieriger Arbeit vergangenes Geschehen um Doping offen.

Der >>> DUBIN-Report ist bis heute ein Vorbild.

Ermittlungen und Dokumentationen zu einzelnen Sportarten liegen mittlerweile häufiger vor. In den Niederlanden konnte mit öffentlichen Geldern nach den Enthüllungen um das Radsportteam Rabobank eine Studie zu Doping im niederländischen Radsport erstellt werden.

In den USA reagierte die US-Anti-Doping-Agentur USADA mit bis dato unbekanntem Aufwand im Skandal um Lance Armstrong und auch im Balco-Skandal wurde umfangreich ermittelt. Dabei wurde aber kaum auf vorhandene Strukturen, die mit einer Dopingtradition im US-amerikanischen in Verbindung stehen, verwiesen. Hierzu liegt privat erstellte Literatur vor. Zu nennen sind auch Journalist Mark Johnson mit dem Buch 'Spitting in the Soup' und aus dem Jahr 1991 Robert Voy 'Drug, Sports and Politics'. Zu Großbritannien arbeitete z. B. Ivan Waddington. Französische Autoren liefern eine Fülle an Informationen, die sich hauptsächlich um die Radsporthistorie drehen. Anfang 2018 veröffentlichten Christophe Brissoneau und Jeffrey Montez de Oca eine Studie über Doping in Frankreich mit dem Schwerpunkten Mediziner und Elitesportler*innen aus dem Radsport, Gewichtheben und Bodybuilding. Sie stellen die Entwicklung des französischen Sportsystems dar, setzen die Aussagen Betroffener dazu in Beziehung und analysieren vor dem Hintergrund historischer Entwicklungen und individueller Gruppenstrukturen.

 



Die Arbeit der Kommissionen, die sich nach Skandalen mit den Vorgängen in Verbänden wie dem IAAF oder zuvor mit der UCI beschäftigten, zeigen, dass Änderungen möglich sind bzw. erzwungen werden können. Auch wenn diese Änderungen noch viel Diskussionsbedarf haben und vor allem keinesfalls der Öffentlichkeit entzogen werden dürfen. Hilfreich wären weiterführend Studien rund um das russische Staatsdopings mit Analysen des Sportsystems vergangener Jahrzehnte. Aus Russland gelangten nur sehr spärlich Informationen über das Dopingsystem während der Zeit des kalten Krieges an die Öffentlichkeit. Auch nach Ende des Kommunismus lebten die eingespielten Verhältnisse weiter wie sich spätestens nach den Olympischen Spielen in Sotschi zeigte. Es ist zweifelhaft, dass Russland bereit sein wird, von sich aus seine Dopingvergangenheit aufzuarbeiten. Die Causa Russland zeigt aber deutlich, wie wichtig das Erkennen und die Berücksichtigung der Vergangenheit sein kann. Insbesondere wenn die Erfahrungen mit den Dopingopfern der DDR zugrunde gelegt werden, liegt die Befürchtung nahe, dass es auch in Russland, der ehemaligen UDSSR (aber auch in anderen ehemaligen Staaten des Ostblocks) entsprechende Dopingopfer zuhauf gibt und geben wird.

Dass internationale Verflechtungen mit verschiedenen Sportverbänden einschließlich des IOC eine große Rolle spielen, macht das Alles nicht einfacher.

 

Zitat:

DLF, 29.10.2017: Philipp de Pencier:

Lassen sie mich nur kurz hinzufügen. Wir hatten Beispiele für einen kulturellen Wandel bei der Dopingproblematik, die anscheinend erfolgreich waren. Wenn sie zurück auf die USA blicken, die in den 1970ern und 80ern Doping im Privatsektor hatten, die direkte Auswirkungen auf die Gründung der US-Anti-Doping Agentur hatte, was einige Jahrzehnte gedauert hat. Die Kultur der Leichtathletik in den USA hat sich grundlegend gewandelt. Auch im europäischen Radsport und anderswo gibt es einen Wandel.<br>Teilweise wegen Problemen in der Vergangenheit oder wegen Wechseln an der Verbandsspitze im Internationaler Radsport-Verband (UCI), wegen dem Engagement einzelner Länder oder von Radsportteams. Die Leute wissen glaube ich gar nicht, dass das Anti-Doping-Programm im Radsport zum Großteil von den Fahrern oder den Teams selber finanziert wird. Wenn es also auf verschiedenen Ebenen Verpflichtungen gibt, dann kann man den Kulturwandel beeinflussen, aber wie Rune gesagt hat, es braucht halt Zeit.<br><br>Rune Andersen: Und es braucht auch einen Wandel im Kontrollsystem. Es gibt nur zwei Weltsportarten, nämlich den Radsport und die Leichtathletik, die unabhängige Organisationen haben, die sich mit dem Anti-Doping-Kampf auseinandersetzen.



kleines Fazit

Die Forderung nach Transparenz von Entscheidungen und deren zugrunde liegenden Strukturen gehört heute ebenso wie die Forderung nach Unabhängigkeit der Anti-Doping-Organisationen zu den am Häufigsten verlangten Bedingungen einer sinnvollen Reform des Anti-Doping-Systems. Um solches wirkungsvoll umsetzen zu können, wären Erkenntnisse historischer Forschung von hohem Nutzen. Ex-WADA-Ermittler Jack Robertson bezog sich bei seiner Forderung nach Unabhängigkeit von WADA und Nationalen Anti-Doping-Agenturen explizit auf den DUBIN-Report, der in Kanada dazu geführt hatte, dass eine Anti-Doping-Agentur, das Canadian Centre for Ethics in Sport, heute die kanadische NADO, geschaffen wurde, die weiterhin unabhängig agieren sollte (CBC: Dealing with doping: Sports world can learn from Canada and Ben Johnson legacy, 12.2.2018).



Anna Efverström et al.:
In order to capture a variety of voices and perspectives, 13 elite athletes from five different continents and three international sports federations were interviewed. The analysis shows that when global anti-doping policy is implemented in different contexts and under different conditions, inequities and structural injustices emerge concerning infrastructure, knowledge and support at the individual athlete level. These consequences may have implications for the legitimacy of anti-doping work, because the existence of procedural justice may be called into question. We therefore suggest that anti-doping policy-making should be based on taking into account these different conditions and being aware of the perspectives that underpin regulations intended to be applied global.
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Der Wunsch nach Aufarbeitung nationaler Dopinggeschichte und/oder einzelner nationaler und internationaler Verbände lässt sich vergleichen mit dem Verlangen nach Aufarbeitung anderer historischer Ereignisse. Damit stellen sich selbstverständlich auch die Probleme, die generell mit historischer Forschung verbunden sind. Doch sehr vereinfacht und idealistisch ausgedrückt, könnten entsprechender Aufarbeitungen, auch wenn sie nur punktuell und unvollständig sind, Voraussetzungen für Verbesserungen schaffen.

Einen entsprechenden Ansatz verfolgt die WADA unter Günter Younger zu China (insidethegames.biz, 24.3.2018, Zitat s.u.). Anlass war die Flucht der Ärztin Xue Yinxian, die 2017 in Deutschland Asyl beantragte und vieles über frühere Dopingverhältnisse zu berichten hatte und hat (sportschau.de, 21.10.2018, c4f: China und Doping).

 

Die Aufarbeitung historischer Dopingprozesse ist eine komplexe Zukunftsaufgabe, die Einsicht bringen könnte in über Jahrzehnte gewachsenen Sport- und Dopingstrukturen, die sich international ähnlich aber auch sehr unterschiedlich entwickeln konnten. Das damit verbundene Verständnis dürfte Erklärungen dafür bereit halten, warum trotz des weltweiten umfangreichen Antidopingsystems dessen Erfolg in Frage steht und der Ruf nach Reformen immer lauter wurde. Sie kann helfen, Doping begünstigende Strukturen zu erkennen und dazu anregen, Änderungen zu wollen und herbei zu führen. Das ist umso wichtiger, als sich Wandel nur langfristig erreichen lässt. Dopingkulturen sind verankert und verbunden mit politischen und ökonomischen Machtinteressen höchstens durch Transparenz, offene Diskussion und daraus folgender Prävention langfristig zu ändern.

Die Aufarbeitung sollte aber auch dazu betragen, die gesundheitlichen Folgen von Dopingmissbrauch an Sportler*innen aufzudecken und sofern noch möglich, Hilfsprogramme anzubieten.

 

Die Aufarbeitung von Dopinggeschichte kann Verständnis für unterschiedliche soziale, kulturelle und ethische Voraussetzungen wecken. Möglicherweise leidet das weltweite Anti-Doping-System auch am Mangel daran.



Zitat zum Beispiel Russland

Olivier Niggli, Generalsekretär der Welt-Anti-Doping-Agentur, FAZ, 22.02.2018, Gespräch geführt von Christoph Becker:

...

Jahrelang gab es erstaunlich viele russische Doping-Fälle, die aber als Einzelfälle behandelt wurden.

So viele hatten wir nicht, das Doping-System sollte genau das ja verhindern.

...

Es ist nicht schwarzweiß. In Russland gab es einige Fälle, ja. Aber es ist ein großes Land. Lange Zeit hatten wir keinen konkreten Zugriff, höchstens ein Unwohlsein. Ja, wir hatten Informationen von den Stepanows, aber vom Ausmaß hatten wir keine Vorstellung, bis Rodtschenkow (der ehemalige Leiter des Moskauer Anti-Doping-Labors, d. Red.) ausgepackt hat. Wir wurden misstrauischer, weil das System zwar positive Proben versteckt hat, aber mit dem Blutpass nicht umgehen konnte. In der Leichtathletik gab es plötzlich abnormale Daten. Da haben wir die IAAF gefragt: Was macht ihr mit diesen Blutpässen? Was ist da los? Wir haben nicht verstanden, warum sie nichts machen. Es war unvorstellbar für uns, dass die IAAF das Problem war. Wir dachten, sie hätten zu viele Fälle, zu viel Arbeit. Würden wir heute so etwas sehen, könnten wir eine Buchprüfung oder eine Ermittlung auslösen.

 

Welche Fehler sind Ihnen bei der Überprüfung der Wada mit der Sache aufgefallen? Vergangene Woche sagten Sie, Whistleblower sollten nicht mehr an die Öffentlichkeit gehen, um ihren Schutz zu gewährleisten. Das Ehepaar Stepanow wurde von der Wada an die Öffentlichkeit gewiesen, weil sich nichts tat.

Da widerspreche ich. Sie wurden an die ARD verwiesen. Aber das heißt doch nicht, dass sie unbedingt die Stars der Show sein mussten. Whistleblower können dir sagen, wo du suchen musst nach der Nadel im Heuhaufen. Aber deshalb muss man doch nicht in die Öffentlichkeit. Wir haben das alles gelesen, dass wir früher hätten handeln müssen. Aber wir hatten keine Ermittlungsmöglichkeiten. Für meinen Vorgänger war das ein Problem, weil er nicht wusste, was er machen sollte. Er brauchte mehr, Stepanow reichte nicht. Wäre er nur mit Stepanow gekommen - sehen Sie sich an, wie die Russen jetzt reagieren angesichts eines Bergs an Beweisen. Und sie sagen immer noch nein! Im Pound-Bericht aus dem November 2015 geht hervor, dass Pound ein Gefühl hatte, dass es ein Doping-System gab, aber erst Rodtschenkow hat das Ausmaß klargemacht. Und wir haben drei oder vier Tage nach dem Artikel in der "New York Times" McLaren beauftragt. Ich denke nicht, dass wir Dinge verschleppt haben. Und wir haben uns nie in die Untersuchungen eingemischt. Wir haben bezahlt, das war teuer, und wir haben sie ihren Job machen lassen.

 

Wie viel haben Sie ausgegeben?

Viereinhalb Millionen Dollar für beide Untersuchungen. Das System hat funktioniert. Wenn die eine oder die andere Seite Einfluss genommen hätte, gäbe es die Russland-Geschichte heute vielleicht gar nicht. Aber das ist nicht passiert. Das Timing war schwierig, deshalb wurden uns Vorwürfe gemacht: zweieinhalb Wochen vor Rio. Aber wir haben ja nicht ausgesucht, wann Rodtschenkow auspackt. Pound hatte ihn dreimal interviewt, und er hat nichts gesagt. McLaren hat seinen Bericht binnen 40 Tagen fertiggestellt.

 

Es gibt Leute, die sagen: Er hat in 40 Tagen geschafft, wofür zwei IOC-Kommissionen anschließend 16 Monate brauchten.

Das zeigt doch, dass wir effizient waren.

 

Und doch wurden Sie vom IOC scharf kritisiert. War das unfair?

Ja. Wir standen alle vor einer unbekannten Situation. Es gab keine Regeln, es gab Konfusion. Die Wada-Exekutive gab eine Empfehlung ab, das IOC widersprach. Es war unfair, die Institution und das System für eine schlechte Nachricht zu kritisieren.

 

Sie haben mitbekommen, dass Rodtschenkow gegenüber CBS geschätzt hat, etwa 20 andere Staaten betrieben ein ähnliches System. Sind Sie zuversichtlich, diese Länder zu finden?

Ich weiß nicht, ob das stimmt. Aber die Ermittler suchen nach Beweisen. Sie warten nicht darauf, dass ihnen etwas zufällt. Sie suchen. Ich weiß nicht, ob es zwanzig Länder sind oder fünf.

...



Zitat zum Beispiel China

Ernst Younger, WADA Chefermittler, berichtet über die Notwendigkeit und Schwierigkeiten der historischen Recherche zu China (insidethegames.biz, 24.3.2018):

An inquiry was launched by the World Anti-Doping Agency (WADA) last year after Xue Yinxian, a former doctor for the Chinese Olympic team, alleged that medals won in the 1980s and 1990s were achieved through a systematic doping programme existing across all sports.

Xue, a 79-year-old who fled China two years ago and sought political asylum in Germany, told broadcaster ARD that athletes aged as young as 11 were among more than 10,000 people introduced to the compulsory doping scheme.

It prompted concerns about current doping in China four years before the country hosts the 2022 Winter Olympic and Paralympic Games in Beijing.

 

Younger: "What we are trying to figure out is what can we do because of the statute of limitations, which is 10 years, and everything what happened was in the 1980s and 1990s," ...

"We have some indications that we can follow-up, and we will do that, and the rest we will recommend to the Executive Board to see what they want to do with this information."

 

"Actually, it's really hard because the witness herself said, in the media as well, that she never saw that [doping] but was dealing with the consequences, she was a witness of hearsay, so it is also something where you need to find other sources which corroborate that." ...

 

"The link to the current information is almost impossible because it was 30 to 40 years ago,"

 

"It's really hard after so many years to find something."

 

"We are trying to find out if there are some links to the current situation, which I cannot comment on so as not to endanger the investigation." ...

 







 

Monika, Februar 2018


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