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Dopingpraxis, ausgewählte Beispiele



Happy Hour: Cocktails machen die Beine schnell <br>Im Spitzensport wird nun suptiler gedopt

5. Oktober 2003, NZZ am Sonntag



Ein vertiefter Blick in die Welt des Sports ist immer auch ein Lesen im Kaffeesatz. Stagnieren die Leistungen in der Leichtathletik, weil nicht mehr gedopt wird? Weshalb waren die Radfahrer in der Vuelta so schnell unterwegs, obwohl nach dem Festina-Skandal 1998 das Ende des EPO-Zeitalters verkündet wurde? Solche Fragen stellen sich auch die Dopingfahnder, die aus Erfahrung wissen, dass immer wieder nach neuen Tricks gesucht wird, um Leistungen zu manipulieren.

 

Anabolika von den sechziger bis in die achtziger Jahre, EPO in den neunziger Jahren: Das waren Wunderdrogen, die Sportler auf ein neues Leistungsniveau hoben. Beide Substanzen sind nach wie vor verbreitet, doch sie werden angesichts verbesserter Kontrollen behutsamer eingesetzt. «Ein Mittel mit vergleichbarem Effekt gibt es heute nicht», sagt Martial Saugy, Leiter des Dopinglabors in Lausanne. Zwar werde diese Rolle immer wieder den Wachstumshormonen zugeschrieben, weil diese nicht nachweisbar seien. «Doch diese Antwort ist mir zu einfach», sagt Saugy. Denn viele Fachleute zweifeln daran, dass Wachstumshormone alleine einen grossen Leistungsschub bringen. Nimmt man sie in zu grossen Dosen, sind zudem die Nebenwirkungen zu stark. Das war der Grund, weshalb Bodybuilder nach Experimenten mit Wachstumshormonen bald wieder klassische Anabolika spritzten.

 

Saugy geht deshalb davon aus, dass Wachstumshormone heute als Booster für andere Produkte eingesetzt werden. Die Wirkung von EPO kann damit beispielsweise potenziert werden. In den Labors ist davon nichts zu sehen. Doch die Dopingfahnder arbeiten auch mit Informanten aus den infizierten Sportarten. Diese berichten, dass Anabolika, vor allem Testosteron, gross im Aufschwung seien. Saugy glaubt, dass es dabei nicht um den Aufbau von Muskelbergen geht, sondern um die Erholungsfähigkeit. Mit Cocktails aus EPO, Anabolika und Wachstumshormonen in kleinen Dosierungen könnte diese markant verbessert werden. Das wäre eine Erklärung dafür, dass Radrundfahrten wieder gefahren werden wie aneinander gereihte Eintagesrennen. Mit Cocktails haben Radprofis übrigens einschlägige Erfahrungen. Früher war es der berüchtigte «pot belge», eine Mixtur aus Amphetaminen, Heroin und Kokain, der sie unermüdlich strampeln liess.

 

Kleine Dosierungen könnten auch eine Möglichkeit sein, den Kontrolleuren ein Schnippchen zu schlagen. Das hat eine Untersuchung in den USA gezeigt. Beim Testosteron zum Beispiel wird das Verhältnis zum Epitestosteron im Körper gemessen. Ist es höher als 6, gilt die Probe als positiv. In der Durchschnittsbevölkerung liegt dieser Wert aber bei 1,5. Die amerikanische Studie ergab, dass heute auffallend viele Sportler einen Wert zwischen 1,5 und 6 aufweisen. «Darunter sind viele, die manipulieren», mutmasst Saugy. Es gibt heute eine Messmethode (IRMS), mit der nachgewiesen werden kann, ob Testosteron von aussen zugeführt wurde. Doch diese ist nicht anerkannt.

 

Selbst bei EPO ist der Nachweis nur eindeutig, wenn grosse Mengen gespritzt werden. Dann verschwindet nach einiger Zeit sogar das körpereigene Hormon und wird durch das künstliche ersetzt, was in der Analyse deutlich sichtbar ist. Wird aber ständig sehr wenig gespritzt, kann sich im Organismus ein fliessendes Gleichgewicht einstellen. Saugy nennt diesen Zustand Steady State. «Das macht die Analysen sehr schwierig.» Jacques de Ceaurriz, der Leiter des französischen Labors, meint, dass die Radsportler auch gelernt haben, ihre Kuren richtig zu terminieren. «Heute konzentrieren sich viele Fahrer auf einen oder zwei Saisonhöhepunkte. Da bleibt ihnen genügend Zeit, sich mit verbotenen Mitteln aufzubauen und dann 'sauber' an den Start zu gehen.

 

»In der Wettkampfperiode scheint es vermehrt darum zu gehen, eine hohe Leistungsbereitschaft zu entwickeln. Dabei helfen Psychopharmaka der neusten Generation, die deutlich weniger Nebenwirkungen haben. Als Beispiel dafür nennt Saugy Schlafmittel mit sehr kurzer Abbauzeit, die zu einer optimalen Erholung beitragen. Vor dem Einsatz wird dann ein Stimmungsaufheller genommen. Das Antidepressivum Prozac ist zum Beispiel in den USA unter Mannschaftssportlern sehr verbreitet. «Es stimmt positiv und hilft, den 'fighting spirit' zu entwickeln», sagt Saugy.Sehr ähnlich scheint Kelli White an den Leichtathletik-WM in Paris spekuliert zu haben. Es wird kolportiert, sie habe nach den ersten beiden Läufen über 100 m ein Schlafmittel genommen und dem Aufwachen am nächsten Tag mit einem Modafinil nachgeholfen. Dieses stimulierende Mittel wurde ihr zum Verhängnis. Auch wenn Modafinil als Dopingmittel gilt, ist Saugy überzeugt: «Es ging mehr darum, wie sich die Athletin auf der Startlinie präsentiert, als um eine reine Leistungsmanipulation.

 

»Mit Psychopharmaka begibt sich der Sportler in eine Grauzone, die schwer zu beurteilen ist. Psychoaktive Substanzen spielen auch in der modernen Gesellschaft eine Rolle, sie helfen vielen Menschen, im Alltag zu funktionieren. Prozac und Modafinil sind in den USA Modedrogen, mit Ritalin werden weltweit nervende Kinder ruhiggestellt, und neuerdings werden in Amerika Smart Drinks mit Ephedrin versetzt. Dopinglisten, die nur leistungswirksame Drogen aufnehmen, stossen hier an ihre Grenzen. Ein anderer Weg wäre laut Saugy, Vitamine und Spurenelemente zu definieren, die ohne Einschränkung erlaubt sind. Für alle Medikamente aber brauchte es ein glaubwürdiges Arztzeugnis. Das sei heute oft nicht der Fall. Strenge Kontrollen wären laut Saugy einfach durchzuführen. «An Leichtathletik-WM 500 Atteste zu überprüfen, ist mit dem vorhandenen Personal kein Problem.

 

»Verunreinigte Pulver als Gefahr für Athleten Nahrungsergänzungsmittel, sogenannte Supplemente, sind kein Doping. Sie dienen dazu, Defizite auszugleichen, die durch intensives Training entstehen. «Supplemente sind nur das Tüpfelchen auf dem i. Entscheidend ist eine gesunde Ernährung», sagt Nadja Mahler, Apothekerin am Sportwissenschaftlichen Institut des Bundesamtes für Sport in Magglingen (Baspo). Oft erhoffen sich Sportler allerdings von den Pülverchen und Tabletten eine Wunderwirkung. Eine Umfrage der Universität Aberdeen zeigte, dass manche Athleten täglich bis zu zwanzig verschiedene Produkte schlucken - meist in völlig überhöhten Dosen. Das lohnt sich für die Supplement-Industrie: Im Jahr 2000 setzte diese allein in den USA 16,8 Milliarden Dollar um. Im selben Jahr wurden weltweit 3,1 Millionen Kilogramm Kreatin verkauft.

 

Die Nahrungsergänzungsmittel werden von vielen Sportlern masslos überschätzt. Und sie sind nicht ungefährlich. Verschiedene Studien belegen, dass die Pulver oft mit Substanzen verunreinigt sind, die zu positiven Dopingproben führen können. Meist sind es sogenannte Prohormone: anabol- androgene Steroide, die im Körper zu aktiven Wirkstoffen umgewandelt werden können. Diese Stoffe sind in den USA legal als Nahrungsergänzungsmittel erhältlich. Ihre Wirksamkeit ist umstritten, aber sie stehen auf der Dopingliste. Und sie gelangen auch in harmlose Supplemente. Das Institut für Biochemie der Deutschen Sporthochschule Köln untersuchte 634 verschiedene Präparate. 15 Prozent enthielten Prohormone. Als Ursache werden ungenügend gereinigte Abfüllmaschinen vermutet.

 

Sehr heikel wird es bei Prohormon- Präparaten, die im Internet oft mit dem falschen Hinweis angepriesen werden, sie seien bei Dopingkontrollen nicht nachweisbar. Erstens stimmt das nicht, und zweitens haben Untersuchungen gezeigt, dass solche Produkte oft mit dem Anabolikum Testosteron versetzt werden, damit sie die versprochene Wunderwirkung entfalten. Ausserdem wurde in Prohormonen schon das Stimulans Ephedrin gefunden - in Dosen, die in den USA zu mehreren Todesfällen führten.«Hände weg von Produkten, die übers Internet verkauft werden!», sagt deshalb Nadja Mahler. Und sie verweist darauf, dass in der Schweiz hergestellte Supplemente relativ sicher seien: Es wurde noch nie eine Kontamination mit Dopingmitteln nachgewiesen. Was allerdings noch keine Garantie ist: Es gibt kein Qualitätssiegel für Supplemente. (reg.)Dank Gendoping zum Menschen ohne Grenzen? Muskeln, die im Schlaf wachsen. Eine körpereigene EPO-Fabrik. Gelenke und Sehnen, die titanischen Belastungen standhalten. Das sind mögliche Produkte der Gentechnik für den Spitzensport. «An den Olympischen Spielen 2008 werden die ersten genetisch modifizierten Athleten am Start stehen», sagt der amerikanische Wissenschafter Charles Yesalis. Sandro Rusconi, der an der Universität Freiburg ein nationales Forschungsprogramm zur Gentherapie leitet, ist skeptischer. «Effizientes Gendoping wird es in den nächsten Jahren nicht geben», sagt er.

 

Die Gefahr, dass mit Gentransfer im Sport zumindest experimentiert wird, ist freilich gross. «Die Technik ist sehr einfach, und es gibt genügend rücksichtslose Menschen auf dieser Welt», sagt Rusconi. Aber solche Versuche würden nicht zu einem Leistungssprung führen, sondern zu schweren Schädigungen der Sportler. Denn entgegen der landläufigen Meinung steckt die Gentechnik laut Rusconi noch in den Kinderschuhen. «Es wurden in den vergangenen Jahren viele naive Experimente gemacht - mit wenig Erfolg.» Dass es dabei nur wenige Unfälle gab, führt der Biochemiker auf die Vorsicht der Forscher zurück.

 

Das könnte sich ändern. Würde nämlich illegal mit Gentransfer gearbeitet, so geschähe dies zu 99 Prozent mit nichtklinischem Material. Das ist bis zu hundertmal billiger und einfach zu beschaffen, doch extrem gefährlich, weil es auf verschiedene Arten verunreinigt sein kann. Mögliche Nebenwirkungen sind lokale Entzündungen und Schockreaktionen, die zu Organschäden führen können. Im schlimmsten Fall reagiert der ganze Körper als System, und die Schädigungen werden lebensbedrohend. Mittelfristig kann es sein, dass der gewünschte Stoff übermässig produziert wird, und die manipulierten Proteine können unerwünschte Nebenfunktionen ausüben. Langfristig kann Krebs entstehen. «Bei einem sterbenskranken Menschen kann man gewisse Nebenwirkungen in Kauf nehmen, wenn dafür das Leben verlängert wird», sagt Rusconi. «Aber einen gesunden Menschen diesen Risiken auszusetzen, ist absolut nicht zu vertreten.

 

»Naheliegend scheinen derzeit Experimente mit EPO. Es gibt bereits Techniken, um die Produktion von Erythropoietin im menschlichen Körper zu steigern. Das Hauptproblem besteht laut Rusconi darin, diese Produktion zu steuern. «Das ist 20-mal komplizierter als klassisches EPO-Doping und hat 10-mal mehr Nachteile», sagt er. Denn wenn der Prozess ausser Kontrolle gerät, kann das Blut dick werden wie Konfitüre. «Der grosse Vorteil der Spritzenkuren ist ja, dass sie sich sehr gut dosieren lassen und jederzeit abgebrochen werden können.»

 

Ähnliche Nachteile haben Muskelmanipulationen mit Hilfe der Gentechnik. Es besteht die Möglichkeit, Wachstumsfaktoren in den Körper einzubauen oder natürliche Bremsen zu blockieren. So wurde bei jungen Mäusen eine Zunahme der Muskelmasse um 15 Prozent erreicht. Die Gefahr, dass das Wachstum dabei ausser Kontrolle gerät, ist laut Rusconi gross. «Anabolika und Wachstumshormone sind sicherer und effizienter.»

 

Allerdings können Anabolika seit Jahren nachgewiesen werden, und ein Test für Wachstumshormone steht vor dem Durchbruch. Da besteht die Gefahr, dass Genmanipulationen schnell als Alternativen propagiert werden. Rusconi ist jedoch zuversichtlich, dass auch diese Art von Doping ihre Spuren hinterlässt. «Wenn ein Protein an einem anderen Ort im Körper produziert wird als normalerweise, hat es etwas andere Anhängsel, die sich im Blut nachweisen lassen», sagt der Schweizer Forscher.

 

Das Rennen zwischen Dopern und Häschern hat auch in der Genmanipulation bereits begonnen. Sollte sich Rusconis Skepsis bezüglich des Machbaren als falsch erweisen, wäre er nicht nur unglücklich. «Wir hätten wenigstens einen Beweis, dass der Gentransfer funktioniert.»        

    

Eine Hitparade der Dopingmittel

 

Anabolika. Anabole Steroide dienen in erster Linie zum Muskelaufbau und verbessern die Erholungsfähigkeit. Ab den sechziger Jahren wurden sie im Leistungssport massiv eingesetzt. Einzelne Fabelrekorde in der Leichtathletik zeugen noch heute von der Wirksamkeit dieser Substanzen. Seit Ende der achtziger Jahre verhindern effiziente Kontrollen die gröbsten Auswüchse. Doch Anabolika spielen im Doping nach wie vor eine wichtige Rolle.

 

Wachstumshormone. Sie wirken ähnlich wie Anabolika, sind jedoch viel teurer und weniger effizient. Fachleute vermuten, dass sie hauptsächlich eingesetzt werden, um die Wirkung anderer Mittel zu multiplizieren. An einer Nachweismethode wird seit Jahren geforscht.

 

EPO. Erythropoietin erhöht die Produktion roter Blutkörperchen, was eine Verbesserung der Ausdauer zur Folge hat. Es wurde zuerst in den neunziger Jahren im Radsport eingesetzt, mutmasslich sogar schon früher von schwedischen Orientierungsläufern, unter denen es mysteriöse Todesfälle gab. EPO ist seit den Olympischen Spielen 2000 nachweisbar, wird aber immer noch häufig eingesetzt.

 

Psychoaktive Substanzen. Tranquilizer und Stimmungsaufheller spielen neuerdings eine wichtige Rolle. Dabei geht es nicht um frappante Leistungssteigerung, sondern um bessere Erholung und erhöhte Wettkampfbereitschaft. In diese Kategorie gehören das Antidepressivum Prozac oder der Wachmacher Modafinil.

 

Gendoping. Die Gentechnik verspricht eine Vielzahl neuer Dopingtechniken: Steigerung der körpereigenen Produktion von EPO oder Wachstumsfaktoren; bessere Durchblutung der Muskeln dank zusätzlichen Blutgefässen; gezielte Stärkung von Muskeln und Sehnen. Optimisten rechnen damit, dass diese Techniken bis 2008 anwendbar sind. Ob sie nachgewiesen werden können, ist offen. (reg.)   

    

 


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