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Illustrirte Zeitung, Nr 3147. 22. Oktober 1903
Originalzeichnung von E. Limmer

Es war ein regengrauer Sonntag, der 1. Oktober, an dem sich Robl, Dangla und Görnemann auf dem Dresdener Sportplatz im Hundert-Kilometer Fahren messen sollten. Am Nachmittag hellte sich indes das Wetter ein wenig auf, und so konnte wider Erwarten das Rennen doch noch gefahren werden, das für einen der daran Beteiligten so verhängnisvoll werden sollte. Görnemann wollte eigentlich an diesem Tage in Plauen i.V. starten wo der Große Preis des Vogtlandes ausgefahren wurde; der Ehrgeiz, sich mit Gegnern wie Robl und Dangla zu messen, trieb ihn jedoch nach Dresden. Hier war er den Freunden des Sports nicht mehr unbekannt; hatte er doch bereits am 27. September auf der Dresdener Bahn Rekords gefahren, die in jenem grauenvollem Rennen von dem Sieger Robl auch nicht annähernd erreicht worden sind. Für die Tausende von Zuschauern stand es fest, daß Görnemann diesmal als Sieger triumphieren werde, wenn ihm nicht etwa wiederum ein Unfall zustieße. Denn als "Pechvogel" war er von jeher bekannt; immer kam ihm, wenn er den Sieg fast schon errungen hatte, etwas dazwischen, ein Defekt an der Maschine, ein Zusammenstoß, ein Sturz oder Ähnliches. Aber mit zäher Ausdauer hielt er an seinem halsbrecherischenSport fest, auch nachdem man ihn am 6. September d. J. im Zwei-Stunden-Rennen um den Friedenauer Goldpokal blutüberströmt und bewußtlos aus der Bahn getragen hatte.
So sah ihn denn jenerSonntag wieder hinter dem fauchenden Motor. Schon war die reichliche Hälfte des Rennens zurückgelegt. Keiner der drei Fahrer gab dem anderen an Tempo etwas nach. Die Vorsprünge, die etwa der eine oder andere infolge der Unachtsamkeit der Gegner gehabt hatte, waren nahezu vollständig wieder ausgeglichen. Robl führt, ihm folgt dicht auf den Fersen Görnemann, in etwas größerem Abstand Dangla. Die Spannung unter den Zuschauern hat den höchsten Grad erreicht. Wenn es jetzt Görnemann gelingt, Robl zu überholen, gehört ihm aller Wahrscheinlichkeit der Sieg! Und der zähe, kleine Berliner setzt seine ganze Kraft ein; alle Blicke sind auf ihn gerichtet, als er in der 139. Runde zum Vorstoß ansetzt. Dicht hinter Robl fährt er die Kurve in die Höhe. Da, ein Schrei des Entsetzens! Vom Vorderrade des Motors hat sich der Mantel gelöst. Die Bahn versperrend, steht das Fahrzeug quer darauf. Es schlägt um. Görnemann rennt mit seinem Rad dagegen an. Er stürzt mit furchtbarer Vehemenz kopfüber auf die steinharte Bahn, überschlägt sich, und noch einmal prallt sein Kopf gegen den Zementstein. Das alles ist das Werk eines Augenblicks. Als den entsetzten Zuschauern das schreckliche Ereignis zu klarem Bewußtsein gekommen war, da sahen sie den Körper des Verunglückten, lang ausgestreckt, wie leblos die steile Bahn hinabrollen. Eine Bahre nahm ihn auf, und man trug ihn hinweg. "Es ist nicht so schlimm, nur eine leichte Gehirnerschütterung; er ist bei Bewußtsein und kann sprechen", so tröstete man die von Entsetzen ergriffenen Zuschauer. Als aber der kühle Herbstabend herniedersank, da hatte der tollkühne Fahrer sein Leben ausgehaucht. Sein Motorführer war mit zerschundenen Gliedmaßen und zerfetzten Kleidern davongekommen.
Alfred Görnemann war 27 Jahre alt und der einzige Sohn begüteter Eltern in Berlin. Mit umflorten Bannern haben die Dresdener Radfahrer seinen Leichnam zum Bahnhof geleitet. Der Sarg verschwand unter Blumen und Kränzen.
H. G. Zimmer

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