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Geschichte internationaler Radsport



Kniffe und Schliche unserer Schrittmacher, I

enthüllt von Fredy Budzinski

Sport-Album der Radwelt. 7. Jahrgang, 1909

 

>>> C4F-Portrait Fredy Budzinski

 



die Welt will nur betrogen sein...

Vor einigen Jahren erschien in der "Rad-Welt" ein F.B. unterzeichnetes Gedicht, dessen eine Strophe lautete:

Die Welt will nur betrogen sein,

Das merke dir genau;

Wie du das machst, ist ganz egal,

Vor allem mach es schlau.

 

Dieser Ratschlag war allgemein gegeben, aber er hatte in Bezug auf den Radrennsport eine Wirkung, welche die Redaktion der "Rad-Welt" nicht beabsichtigte und auch nicht voraussehen konnte. Den Rat nahmen sich nämlich die Herren von Motors Gnaden zu Herzen, und in welcher Weise sie ihn befolgten, soll in nachstehendem klargelegt werden.

 



Die Anfänge

Mit dem Wachsen der Motorkräfte wuchs die Schnelligkeit und mit der Schnelligkeit die Findigkeit der Schrittmacher. Als die Herren von der Lederjacke noch Trikots trugen und die Fortbewegung der Führungsmaschine noch zum Teil in ihren Beinen ruhte, fand ihr Scharfsinn keine rechte Gelegenheit, sich zu betätigen, denn jede Mehrbelastung des Schrittmacherapparates zu Gunsten des Dauerfahrers war mit einer höheren körperlichen Anstrengung des Schrittmachers verbunden. Das ging den Schrittmachern, trotz aller ihrer Arbeitswut, doch etwas gegen den Strich, und sie strebten danach, sich mehr und mehr zu entlasten. Durch die Verwendung starker Motoren wurde die körperliche Arbeit der Schrittmacher auf das Steuern der Führungsmaschine beschränkt, denn das Treten war längst unmodern geworden und alle Arbeit hatte man dem gutmütigen Motor aufgebürdet. War der Motor zu schwach, die geforderte Arbeit zu leisten, so wurde ein kräftiger Kollege in den Rahmen gesetzt, dieser wich einem noch stärkeren, und so ging es fort, bis man zu den heutigen Riesenmaschinen gelangte.

 

Da der Schrittmacher seine Arbeit bis auf das Lenken vollständig auf die Maschine abgewälzt hatte, so konnte er sich mit Ruhe daran machen, immer neue Vorteile zu Gunsten seines Fahrers auszuklügeln. Das gutmütige Tier, der Motor, liess sich alles gefallen, und wenn er ab und zu einmal bockte, so war das nicht Bösartigkeit, sondern nur eine Störung in der Benzin- und Luftverdauung oder in den luftgeblähten Füssen.

 

So wie sich ein Flieger erst mit den Jahren entwickeln kann, auch wenn er das Zeug zu einem erstklassigen Fahrer von Geburt an in sich hat, so entwickelt sich auch ein Schrittmacher erst mit der Zeit. Die Technik des Beschummelns ist nicht so leicht zu erlernen, denn sie soll zwar in der Öffentlichkeit betätigt, von dieser aber nicht bemerkt werden. Die Kunst liegt also darin, der Welt etwas vorzuflunkern, die Kollegen anzuführen uns sich selbsr resp. dem Fahrer einen Vorteil zu verschaffen, der ohne das in Frage stehende Hilfsmittel nicht zu erzielen wäre.



Das klingt alles recht mystisch, aber die nachfolgenden Zeilen werden wie die Enthüllung von Zauberkünstlertricks wirken, wenn man die Leistungen der Schrittmacher in bezug auf die Finessen nicht überhaupt als Zauberei  bezeichnen will. Der Zauber ist allerdings faul, aber Künstler sind die Schrittmacher doch, und zwar zweifache Künstler. Sie sind erstens Fahrkünstler und nur, wer es einmal probiert hat, im Eilzugstempo auf einem schmalen Zementstreifen dahinzujagen, nie den Mut und denn Kopf zu verlieren und ausserdem auf dem hinter dem Rücken befindlichen Fahrer zu achten, kann begreifen, was zur Ausübung des Schrittmacherberufs gehört. Zweitens sind sie Erfindungskünstler, denn was sie im Laufe der Jahre an Finessen, Schnippchen und Mogeleien geleistet haben, würde, richtig beschrieben und skizziert, einen stattlichen Band füllen. Wir können hier nur die bedeutendsten Tricks behandeln und die kleineren flüchtig streifen, denn der Rahmen des alles behandelnden Sport-Albums ist zu eng, um alles darzustellen, was der Kampf mit dem Winde und den Wettfahrbestimmungen im Lauf der Jahre gezeitigt hat.

 



Der Kampf mit dem Winde

Der Kampf mit dem Winde begann, als die ersten Motortandems stärkere Motoren bekamen, und als es dem Hintermann gestattet wurde, seine Beine still zu halten. Die auf feststehenden Pedalen ruhenden Füsse wirkten beruhigend auf den Fahrer und die Beine brachen die Luft. Bald danach eschienen, ohne dass Publikum oder Rennleiter es beachteten, rechts und links neben dem Hinterrade schmale Blechstreifen, die mit den Beinen zusammen eine ganz nette schützende Wand bildeten und sich verbreiterten, je stärker die Motoren wurden (Abb. 1).

 

Uebrigens gingen die Schrittmacher, die der schnellen Entwicklung des Motorenbaues kaum zu folgen vermochten, anfänglich von einer falschen Annahme aus. Sie glaubten, der Wind, der den Fahrer am Oberkörper treffe, sei der gefährlichste, und sie versuchten, durch Oeffnen der Jacken den Luftwiderstand zu brechen und den Fahrer zu schützen. Ein besonders begabter Fahrer berichtigte diese Ansicht, und bald begann das Verbauen der Motoren nach der entgegengesetzten Seite, nach unten. Der Fahrer hatte nämlich die Beobachtung gemacht, dass der Wind, der die Räder des Rennrades trifft, der weitaus schlimmere sei, und er ersann zum Schutze der wirbelnden Speichen eine Einrichtung, die bald Nachahmung fand.

 



Hinter der Riemenscheibe erschien plötzlich ein ca. 20 cm breites Blech, das auf der anderen Seite ein Brüderchen bekam; diese Gebrüder Blech wurden durch ein Leder verbunden, das bis auf die Erde herabhing und so die Räder des Fahrers vor dem Wind schützte. Der Vergrösserung dieser Teile stand nichts im Wege, und als die Motorkräfte wuchsen, wuchs auch dieser vollkommene Windschutz, der sich allgemach bis zur spanischen Wand ausdehnte (Abb. 2).

 

Im letzten Berliner 24-Stundenrennen 1901 erhielt das Schrittmacherwesen einen gewaltigen Stoss vorwärts, denn was in diesem Rennen an Windschutz geleistet wurde, lässt sich kaum beschreiben. Eierkistenbretter, Deckel, Seitenteile von Fahrradkörben etc. wurden an die Tandems montiert, und die Schnelligkeit der Fahrer stieg mit dem herannahenden Ende, statt nachzulassen.

 

Mit der Einführung des Niederrades durch Marius Thé, der dem ersten Niederrad-Schrittmacher Arthur Heimann folgte, trat der Bruch mit der Tandemführung ein. Nur Robl und Dickentmann blieben dem Zweisitzer treu; alle anderen Fahrer warfen sich dem Niederrade in die schützenden Arme, und ein neuer Kampf begann. Die Erfahrungen mit dem Tandem wurden auf das Niederrad übertragen, aber die einsitzige Maschine war etwas unsicher, da der eine Mann alles allein tun musste. Um eine grössere Sicherheit für den Fahrer herbeizuführen, ersann man die Schutzrolle. In der Richtung und in der Höhe der Hinterradachse wurde eine Stahlrohrrolle angebracht, die auf Kugeln gelaget war und bei der geringsten Berührung mit dem sich drehenden Vorderrade der Rennmaschine in rollende Bewegung geriet, so dass keine bedeutende Reibung entstand. Mit der Geburt der Rolle war der Bruch mit dem Tandem fertig und bis auf den heutigen Tag hat das Niederrad seine Vorherrschaft behauptet.

 

Die beiden Tandem benutzenden Weltmeisterfahrer liessen sich indessen nicht in der Fortsetzung des Kampfes gegen den Wind beirren und fanden bald heraus, dass der Luftwiderstand geringer wird, wenn der Wind kurz vor dem Fahrer eine Spaltung erleidet. Robl kam auf die Idee, seine bis dahin fast aufrechtssitzenden Steuerleute ganz gebückt auf der Maschine sitzen zu lasen, damit sich der Wind an ihrem Körper nicht brechen könne, sondern mit der ganzen Wucht den Körper des Hintermannes träfe und so kurz vor dem Fahrer gespalten werde. Die Voraussetzung traf zu. Der Luftwirbel wurde grösser, der Wind schloss sich später und das Tempo wurde schneller (Abb. 3).

 



 

Schneller aber, als das Tandem durch den gebückten Steuermann, wurde der wieder erwachte Tom Linton durch den Windschutz seines Niederrades, hinter dem er kaum zu sehen war. Der Engländer schlug alle Weltrekorde, und Marius Thé nahm den Kampf mit dem Winde mit Hilfe eines raffiniert erdachten Windschutzapparates auf.

 



Dieser Apparat bestand eigentlich nur in einer grossen, bis zur Erde reichenden Blechtafel, aber sobald Linton an der Rolle war, zog Thé mit einem Bowdendraht die Tafeln so zusammen, dass Linton gleichsam in einem Kasten fuhr (Abb. 4).

 

Inzwischen hatten die Tandemleute die Entdeckung gemacht, das rauhe Wolle den Wind besser aufhalte, als glattes Gewebe, und bald erschienen sie mit ganz grob gestrickten Trikots am Start. Damit aber nicht genug, trugen sie breite wollene Shawls und grob gehäkelte Mützen, selbst in glühendster Hitze. Die Leder an den Blechen wurden durch rauhe Tücher ersetzt, der sogenannte Oelschutz durch Scheuerlappen bis zur Erde verlängert und so viel Packleinwand, als nur irgend möglich, verwendet. 

 






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