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Rolf Järmann, Teil 2

 



Die verschiedenen Typen

 

Meines Erachtens gibt es vier Typen von Radrennfahrern.

 

- Der erste Fahrer verwendet keinen kritischen Gedanken zum Thema Doping. Er läßt alles mit sich machen. Von denen gibt es viele, denn der Rennfahrer ist von Natur aus keine Intelligenzbestie.

 

- Der zweite Fahrer rennt jedem potenziellen Dopingmittel nach, weil er der Überzeugung ist, ohne ließe sich nichts machen. Diese Typen waren bekannt, weil sie selbst vor kleinsten Rennen mit Pillen und Spritzen hantierten.

 

- Der dritte Fahrer nimmt quasi gezwungenermaßen Dopingmittel, weil der Druck in- und außerhalb des Teams sehr hoch ist. Zu diesem Fahrertyp gehört der weitaus größte Teil der Profis, ich schätze rund 80 Prozent. Sie nehmen zwar EPO, würden aber viel lieber ohne fahren.

 

- Der vierte Fahrer nimmt gar nichts. Dieser Typus war selten. Schließlich wars bis zur Tour de France 1998 so: wer pur fahren wollte, war nach zwei Jahren mangels Erfolgen weg vom Fenster. Dazu gibt es sehr viele Beispiele, besonders in der Schweiz.

 



In der Apotheke

 

EPO mußte ich mir selber besorgen. Obwohl das heikel war, kam ich in der Schweiz relativ einfach an EPO. Ich ging immer in Apotheken, bestritt also den offiziellen Weg. Mit einem ärztlichen Rezept konnte ich EPO in jeder Apotheke beziehen. Die Apotheker sind nicht blöd, die wussten genau, wofür ich das brauche würde. Beim erstenmal dachte ich zwar, der Mann hinter der Ladentheke würde mich nicht kennen. Doch bereits bei meinem zweiten Besuch sprachen wir übers Velofahren. Die Apotheker äußerten keine Bedenken, die waren froh, dass sie leicht den Umsatz erhöhen konnten. Ich hatte trotzdem immer große Mühe, eine Apotheke zu betreten. Es brauchte dazu mehrere Anläufe, und der Puls war dabei höher als im Training. Wenn im Laden andere Leute standen, kaufte ich einfach Lutschtabletten, ging wieder und versuchte es später wieder. Es war eine Tortur.

 

Aber ich wollte EPO nicht einfach über eine Relaisstation beziehen. Ich hatte einfach zu große Angst - vor unsauberen Substanzen und dass irgendwann was auffliegen würde. So konnte ich bei jedem Skandal Ruhe bewahren; ich wußte, dass ich nicht tangiert würde.

 

Ich hatte nie das Gefühl, durch Doping die Radsportfans hinters Licht zu führen. Denn selbst ohne jedes Dopingmittel würden die gleichen Fahrer vorne liegen - EPO hat an der natürlichen Hierarchie mittelfristig nichts verändert. An der persönlichen Leistung verändert sich ebensowenig. Außerdem merkt der Zuschauer nicht, ob jemand ein oder zwei Stundenkilometer schneller oder langsamer den Berg hinauffährt. Ich habe auch mit EPO stets gelitten und harte Kämpfe geliefert. Ich hatte darum gegenüber den Fans nie ein schlechtes Gewissen. Das hatte ich höchstens an gewissen Kriterien, an denen der Sieger vorbestimmt war.

 

Vom Weltsportverband UCI wurden wir Fahrer nie gefragt, wie das Dopingproblem am besten zu bekämpfen sei. Dabei hätten wir am meisten Interesse daran gehabt. Niemand konsumierte gerne Dopingmittel - die meisten waren dagegen.

 



Die Veränderungen

 

Der Dopingskandal an der Tour de France 1998 entwickelte sich ziemlich langsam. Als die Meldung von der Festnahme des Festina-Pflegers Willy Voet eintraf, war mir sofort klar, dass er Dopingmittel mitgeführt hatte. Ich sagte mir, dass es ja irgendwann soweit kommen mußte. Mich interessierte einzig, welche Substanzen Voet bei sich hatte. In der Öffentlichkeit wurde das Ganze aufgebauscht. Ich wusste ziemlich genau, was bis zu jenem Zeitpunkt in Sachen Doping gelaufen war - und es war nicht so schlimm, wie die Medien behaupteten. Am meisten ärgerte ich mich aber, dass Leute, die vom Radfahren keinen Schimmer haben, plötzlich großflächig über Doping berichteten. Radsport, Radsport, immer nur der Radsport. Da gingen mir die Augen auf, ich merkte , wie die Medien funktionieren - die sogenannten seriösen berichteten keinen Deut präziser als die andern. So wurde etwa suggeriert, dass sich an den Rennen alle mit EPO dopen würden. Das ist natürlich Unsinn: An der Tour de Suisse nahmen vielleicht 20 Prozent EPO, die andern spritzten an anderen Rennen. Niemand stand das ganze Jahr hindurch unter EPO.

 

Eigentlich war ich froh, dass der Knall endlich erfolgte. Obwohl danach das Leben als Radprofi viel härter wurde: jeder misstraute jedem. Selbst unter Kollegen sprach man nicht mehr offen über Doping. Es war das Ende der offenen Kommunikation. Selbst den Leuten in der eigenen Mannschaft traute ich nicht mehr. Damals realisierte ich wieder, dass wir tatsächlich etwas Verbotenes tun. Ich handelte sofort, indem ich sämtliche Dopingsubstanzen fort warf und nichts Verbotenes mehr nahm. Das machten scheinbar alle andern auch, weil sie Angst hatten, erwischt zu werden. Mit einem Schlag hätten also alle sauber fahren sollen. Schon im Herbst merkte ich jedoch aufgrund einzelner überraschender Leistungsexpoits, das das nicht der Wahrheit entsprechen konnte. Das Misstrauen wuchs, und die ganze Atmosphäre war vergiftet.

 



Die Sprachregelung

 

Okay, wir Sportler haben uns sicher auch gegen außen nicht optimal verhalten. Nur haben wir in der Dopingdiskussion lediglich zwei Möglichkeiten: lügen oder nichts sagen. Ich musste eine eigene Sprachregelung finden. Die Kunst dabei war, nicht zu lügen und doch nicht alles zu sagen. Ich musste sehr überlegt formulieren. Ich habe nur ein einziges Mal gelogen, und zwar in einer Fernsehsendung auf die Frage, ob ich gedopt habe oder nicht. Damals muss mir jeder die Lüge angesehen haben, ein dermaßen schlechtes Gewissen hatte ich. Ich hatte mich einfach überrumpeln lassen. Diese Unwahrheit bereue ich noch heute.

Sonst war ich der konkreten Frage immer ausgewichen. Wenn sich jemand nach meinem persönlichen Dopingkonsum erkundigte, entgegnete ich: "Hast Du Schwarzgeld?" Und ich gab die Antwort gleich selber: "Wenn du nein sagst, glaubt dir niemand, wenn du ja sagst, hast du die Steuerfahndung auf der Pelle." So wand ich mich stets um die konkrete Antwort.

 

All jene, die auf die Frage mit "Nein" antworteten, verloren unter den Radkollegen an Ansehen. Weil sie suggerierten, dass sich alle anderen sehr wohl dopen würden. Ich habe auch sonst einige Aussagen von einstigen Konkurrenten mitbekommen, die mich an den Kopf greifen ließen. Mit diesen Leuten möchte ich heute lieber nichts mehr zu tun haben. Es gab auch einige, für die mein Respekt gewachsen ist. Zum Beispiel für die drei Schweizer, die den Dopingkonsum gestanden. Die hielten für uns den Kopf hin. Für uns, die wir kein bisschen besser waren. Anstatt Zülle, Dufaux und Meier zu bestrafen, hätte man besser sämtlichen Profis Straffreiheit garantiert und sie über die Dopingpraktiken sprechen lassen. Aber so ging die ganze Lügerei weiter. Schade, dass die großen Radstars nicht aufstanden und auspackten, dann wären ihnen alle andern gefolgt. Aber vermutlich hatten wir alle Angst vor den finanziellen Konsequenzen. Die meisten Profis hatten zu wenig Geldreserven - und daher hielten sie still. Andernfalls wären sie erledigt gewesen.

 

Zeitweise habe ich Alex Zülle beneidet. Denn er hatte nach seinem Dopinggeständnis den Kopf wieder frei, der Druck war weg.

 



Wenig gebracht

 

Bis zur Tour de France galt es als Fair-play, sich zu dopen, weil das alle andere auch taten. Doch erst im Frühjahr danach gab es das richtige Fair-play wieder. Ich bin überzeugt, dass beim Saisonstart 1999 fast hundert Prozent der Profis sauber fuhren. Als Rennfahrer merkt man das einfach. Ganz kurz hatte ich die Hoffnung, das alles gut werden würde. Bald schlichen sich aber Zweifel ein: warum fuhr plötzlich dieser oder jener so stark? So begann sich das Rad wieder langsam zu drehen. Die Angst vor den Kontrollen verflog jedenfalls schnell, wir merkten, dass das allein zur Verbesserung des Images initiiert worden war. Es konnte schlicht nichts bewiesen werden.

 

Ja, was hat sich seit der Tour 1998 eigentlich verändert? Es ist sich jeder wieder bewusst, dass er etwas Verbotenes macht, wenn er EPO injiziert. Das verändert im Kopf einiges. Ich bin überzeugt, dass es heute viel mehr Profis gibt, die sich nicht mehr dopen. Die aber gewinnen die wichtigen Rennen nicht. Viele große Fahrer machen genau gleich weiter, weil sie mehr Möglichkeiten haben, Doping zu organisieren. Es scheint da einfach keine Lösung zu geben. Zwei Jahre Diskussionen haben nur sehr wenig gebracht. - das ist eine frustrierende Einsicht.

 



Die Spritze

 

In der Schweiz war die Sportmedizin lange hinter dem Mond. Als Junior und Amateur wurde ich hier nie mit Doping konfrontiert. Gut, wir haben ab und zu darüber gesprochen. Aber es kam nie so weit, dass wir sagten: Jetzt probieren wir es mal. In der Schweiz ist die Dopingwelt noch heute fast heil. Das hat damit zu tun, dass eine Spritze hierzulande immer noch als etwas Gefährliches betrachtet wird. Wer als Schweitzer eine will, muss zum Arzt gehen. In Italien hingegen kann man Spritzen im Supermarkt kaufen. Die Italiener setzen sich lieber eine Spritze, als dass sie eine Pille schlucken. So nach dem Motte: lieber etwas ins Blut geben als sich den Magen verderben. Mein Glück war, dass ich stets Angst vor der Spritze hatte. Irgendwann schaffte ich es doch, mir unter die Haut zu spritzen - doch in die Venen, das war mir nie möglich.

 

Es gibt verschieden Mentalitäten gegenüber der Sportmedizin. Ein Italiener oder Franzose ist viel schneller bereit sich zu spritzen, als ein Schweizer. In Spanien wird es ähnlich sein wie in Italien. Als ich dort zu Beginn meiner Profikarriere Rundfahrten bestritt, wussten wir jeweils, dass es in er letzten Etappe keine Dopingkontrollen geben würde. Das war Horror, wie da jeweils gefahren wurde. In der Schweiz wächst man da geradezu gehütet auf. Es wundert mich überhaupt nicht, dass die meisten hiesigen olympischen Medaillengewinner der letzten Jahre entweder aus dem Ausland kamen oder dort trainierten.

 

Ich bereue nichts, ich würde alles nochmals genau gleich machen. Auch die ganze Dopingsache brachte mir viel - sie zwang mich zum Nachdenken, über mich und die Welt. Dank dem Sport bin ich sehr weit gekommen - auch persönlich. Ich fand heraus, dass ich Erfolg will, fast um jeden Preis. Manchmal bereue ich es, nicht skrupelloser gewesen zu sein. Dann wäre meine Zukunft finanziell besser abgesichert, und ich könnte nur noch nach dem Lustprinzip arbeiten. Aber nun werde ich als "normal" Berufstätiger aus monetären Gründen zum Teil Dinge machen müssen, hinter denen ich nicht 100prozentig stehen kann.

 

Stolz bin ich aber auf meine Siege, für die ich die moralische Limite nicht wirklich überschreiten musste. Aber letzteres interessiert ja niemanden.

 

>>> Järmann Teil 1

 


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