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The Tour Must Go On

von torte, 05.07.2006

 

Super-Gau? Wenn man sich die Fernsehbilder anschaut, kommt ein ganz anderer Eindruck auf. Am Straßenrand jubelnde Fans, der Asphalt bepinselt wie eh und je, die Dörfer an der Strecke herausgeputzt für die Durchfahrt der "Ritter der Landstraße". Le Tour est mort, vive la Tour! Tourdirektor Prudhomme hat natürlich recht, wenn er sagt, dass die Tour die Helden macht und nicht die Helden die Tour. Wenn die "Alten Recken" abtreten, rücken neue Gesichter nach, deren Siege sie zu Idolen machen – zum Nutzen aller Beteiligten. Nicht umsonst ist die "Große Schleife" eines der größten Sportevents der Welt: Sie kann ihre Dramen jedes Jahr neu erfinden. Die Tour de France ist für die breite Öffentlichkeit zum Synonym für Radsport geworden. Was wiederum kein Schicksal ist, sondern hochprofessionelles Marketing und perfekt inszenierte Medienarbeit der Organisatoren.

 



Gelegenheit, das Image zu polieren

Vor diesem Hintergrund schrumpft auch der Fuentes-Skandal auf seine wirkliche Substanz zusammen. Die Tour und der Profiradszirkus nutzen die Gelegenheit Ballast abzuwerfen – zum Nutzen aller Beteiligten. So absurd es klingt: Der Fall Fuentes ist geradezu ideal, um Imagekorrekturen zu betreiben. Die Tourorganisation und die Sportlichen Leiter haben durch Ausschluss und Suspendierung verdächtiger Fahrer ihre Entschlossenheit demonstriert. Die Sponsoren präsentieren sich als verantwortungsbewusst, indem sie bei erhärtetem Verdacht ihr Geld zurück ziehen. Die Medien haben die Möglichkeit, sich als Enthüller zu profilieren und neue, unverdächtige Stars zu produzieren. Die einzigen, die wirklich im Regen stehen bleiben, sind die Fahrer. Gedopt, erwischt, gefeuert, verachtet, der Häme und dem Spott der Öffentlichkeit ausgesetzt.



Normalität ist nichts Unrechtes

Selber schuld? Sicher. Jeder im Peloton ist volljährig und somit für sein Handeln selbst verantwortlich. Die Enthüllungen um die Blutwerkstatt des Dr. Fuentes machen jedoch eines sehr deutlich: Das System Profiradsport ist bestens organisiert, eingespielt und auf alle Eventualitäten vorbereitet. Die Fahrer sind das schwächste Glied in der Verwertungskette – sie sind zum einen zum Erfolg verdammt und zum anderen diejenigen, welche die Härte des Sportrechts unabgefedert trifft. Das Wort vom Rennstall fordert geradezu den Vergleich mit den Kühen heraus, die erst gemolken und dann geschlachtet werden - von einem Umfeld, das über Jahrzehnte gewachsen ist, das eigene Regeln und Moralvorstellungen produziert. Der Vergleich mit mafiösen Strukturen liegt nicht allzu fern, was die geradezu familiären Bande zwischen Rennställen, Rennorganisationen, Medien betrifft – und das über Generationen. Insofern haben sich die Mancebos, Bassos und Ullrichs geradezu als Musterprofis verhalten. Sie haben alles getan, um erfolgreich zu sein und dabei unauffällig zu bleiben. Genau darum fühlen sie sich nicht im Unrecht: In ihrer Welt haben sie sich völlig normal verhalten. Und Normalität ist nichts, was das Gewissen beunruhigt.



Drei Wochen Unruhe

So richtig es ist, den Fahrern ihre Verantwortung schmerzhaft spüren zu lassen, so wichtig ist es, die Strukturen aufzuzeigen. Wir werden sehen, wie stark das Interesse der Öffentlichkeit daran ist, sich nicht nur an den gefallenen Heroen zu erregen, sondern die Normalität beunruhigend zu finden: Pharmafirmen, die mit ihren Präparaten auf dem sportlichen Schwarzmarkt mehr verdienen als im klinischen Bereich. Labors, die unentdeckbare Designerdrogen entwickeln gegen gutes Geld. Sportmediziner, die ihren Wissensvorsprung in bare Münze umsetzen wollen. Sportliche Leiter, denen Fehltritte der Fahrer vor ihrer Verpflichtung nur ein Achselzucken wert sind. Sponsoren, die nur für Sieger zahlen. Medien, die so lange wegschauen, bis der Held "Fallhöhe" erreicht hat und ein Skandal die Auflage steigern hilft.

 

Die Tour de France wird auch in diesem Jahr drei Wochen lang rollen, auch in diesem Jahr wird das "Gelbe Trikot" einen Fahrer unsterblich machen. Wie weit der Recherchehunger von Journalisten, Justiz und Sportfunktionären darüber hinaus reicht, bleibt abzuwarten.


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