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Deutschland-Tour, 3. Etappe

von badorties, August 2006



Man weiß, daß man nicht mehr dreißig ist, wenn:

 

Aber alles von Anfang an: Früh wollte ich ins Bett, da die Deutschland-Tour vor den Pforten Kassels Station machte. Das schaffte ich auch irgendwie. Um ein Uhr Nachts aber fand sich eine rollige Katze bei uns auf dem Hinterhof ein. Dies erschien mir relativ seltsam, da mein Vermieter ausdrücklich in unseren Mietverträgen die Haltung von Säugetieren verbietet.

 

Leider hatte sich das bei der Katze noch nicht herumgesprochen und so versuchte sie bis in den frühen Morgen hinein vergeblich ihren Liebeshunger zu stillen. Ich wußte gar nicht mehr, wie laut und schlafraubend so ein Tier sein kann. Am nächsten Morgen stellte es sich dann heraus, an gerade eben diesem Morgen, an dem ich mit meinem Rad zum Start der 3. Etappe nach Witzenhausen wollte – 33 km Strecke mit einem der „Kasseler Hügel“ zwischen Nieste und Kleinalmerode, 6 km Steigung bei durchschnittlich 3,2% - eigentlich keine Strecke, vor der ich nach meinen 20 km in Süd-Limburg im Juni Angst haben sollte, außerdem hatte ich seitdem ca. 200 km zurückgelegt und konnte am Abend zuvor meinen Heimweg (ca. 600m Steigung bei 4,5% Durchschnitt) auf dem großen Blatt mit einem 12er Ritzel gut durchtreten.

 

Mein Kreislauf hing nach dieser Nacht aber eher, daß er lief. Ich beschloß also den Zug zu nehmen: 15,20€ bis in die Kirschenstadt und retour – im Juni hatte ich nach Aachen und zurück das Vierfache gezahlt, ich wußte bislang nicht, daß Kassel so weit westlich liegt. Vom Bahnhof Witzenhausen Nord sind es ca. 15 Minuten Fußweg in die Innenstadt, dort angekommen läßt mich das mittelalterliche Flair der Fachwerkhäuser wundern, daß ich in den letzten 10 Jahren nicht öfters in Witzenhausen gewesen bin, auch wenn die zügige Durchquerung der alten Gassen nicht mehr als 10 Minuten in Anspruch nimmt, ist die kleinste Universitätsstadt Deutschlands sehr pittoresk. Zentraler Punkt ist natürlich der Marktplatz, wo der große Präsentations- und Einschreibtruck der D-Tour stand. Karsten Migels und ein weiterer, dessen Namen ich immer wieder vergesse (Stefan?), die Standard-Präsentatoren von Upsolut, waren auch in Witzenhausen am Werk.

 



Spuckekuchen und Latzi

Als ich gegen 9.30 Uhr am Marktplatz ankam, hatte ich noch meinen letzten Rennbesuch in Sittard in Erinnerung, wo das Häuflein von ca. 43 Zuschauern bei der letzten Etappe der Ster Elektrotour gegenüber den Fahrern und dem Begleittroß deutlich in der Minderzahl war. In Witzenhausen waren um diese Zeit bereits zehnmal so viel, der Marktplatz füllte sich zusehends und am Ende sollen es dort und an der Strecke 10.000 Zuschauer gewesen sein, wie die örtliche Presse berichtet. Und das, obwohl oder gerade weil, zu diesem Zeitpunkt nur die Kirschenkönigin und einige Prinzessinnen die Bühne mit Karsten und seinem Mitstreiter teilte. Apropos Kirschen (ca. 140.000 Kirschenbäume sollen sich in und um Witzenhausen befinden) - wenig später stellte eine örtliche Konditorin ihren „Spuckekuchen“ vor, der im weiteren Verlauf der Präsentation dem Team Gerolsteiner für den Sieg in der Mannschaftswertung der zweiten Etappe überreicht wurde. Er wird angeblich ohne Spucke hergestellt und hat seinen Namen nur aufgrund der weiteren Verwendung der nicht entsteinten Kirschen auf seiner Oberfläche...Wie auch immer, der Name dafür ist typisch nordhessisch (hier ißt man auch Ahle Worscht und Weckewerk...) : Guten Appetit!

 

Danach suchte Karsten Migels nach ein paar Kindern, die auf der Bühne die Wertungstrikots vorstellen sollten. Er fragte gleich den ersten der Steppkes, wer denn sein Lieblingsfahrer sei: „ Latzi!“ antwortete dieser – So verdutzt hatte man den Eurosportreporter schon lange nicht mehr gesehen, denn auf sein „ Lutzi? Kenne ich gar nicht! (lachend)“ „ Lutzi? Kenne ich gar nicht! (lachend)“ erwiderte Karsten, doch der Kleine beharrte auf seiner Aussage. Im weiteren Verlauf stellte sich heraus, daß damit Laszlo Bodrogi gemeint war und der ist wiederum ein Sohn des Cousins der Oma des Kleinen, die in Witzenhausen wohnt und auch vor Ort war und mit der Laszlo dann noch über eine halbe Stunde redete. Im Übrigen scheint Witzenhausen familiär einige Ableger gebildet zu haben, ganz im Sinne der Agrarwissenschaften die hier gelehrt werden, wohnt auch der Bruder des D-Tour Veranstalters Kai Rapp hier.

 



Kirchen und Kirschen

Schließlich kamen die ersten Fahrer zum Einschreiben, der Marktplatz hatte sich inzwischen gut gefüllt. Vom Applaus der vorgestellten Fahrer standen Stinki (als Fast-Lokalmatador aus gleich um die Ecke) , Vinokourov und Zabel ganz hoch in der Gunst der Zuschauer, Jens Voigt gelang es sich um das Interview mit Migels zu drücken, war aber mit Linus Gerdemann der begehrteste Autogrammschreiber. Das ahnte Vino wohl und hielt sich bis kurz vor dem Start mit ein paar anderen Fahrern im Tour-Village auf um noch einen Kaffe zu trinken. Schade eigentlich, auf ein Autogramm von ihm hatten bestimmt viele der Anwesenden gehofft. Außerdem hofften halb-zugezogene Nordhessen, so wie ich, daß spätestens beim Auftritt von Kim Kirchen, (dessen Nachname auf Nordhessisch „Kirschen“ bedeutet, währenddessen die nordhessischen „Kirschen“ meistens Sonntagsvormittags nach dem Glockenläuten bevölkert werden) daß dieses Wortspiel irgend jemandem auffiele, aber auch in unserer Region hat das Hochdeutsche halbwegs Einzug gehalten...

 

Direkt vor mir stand ein älterer Herr mit einem selbstgemachten Plakat: „ Bitte liebe Fahrer, kein Doping! Eure Fans.“ welches er auch mehrmals in die Höhe hielt. Vom Teufel Didi Senft bekam er dafür eine Ehrung mit dessen Dreizack, von den HR-Reportern wurde er interviewt und als er es André Greipel vor die Nase hielt von dem ein Lächeln, was von meinen zeitweiligen Standnachbarn so interpretiert wurde, daß er wohl auch bis zum Anschlag voll wäre und daß man ihm sowieso nicht traue. Ich frage mich nach deren zahlreichen zynischen Kommentaren immer noch, warum die überhaupt gekommen waren – der alte Herr hatte zumindest Initiative gezeigt.

 



die rettende Kohlroulade

Bis zum Start waren es nur noch wenige Minuten, ziemlich spät schrieb sich Björn Schröder ein, den ich letztes Jahr nach dem Zeitfahren in Ludwigshafen (noch für Wiesenhof fahrend, Radelspatz wird sich erinnern können) getroffen habe und dem ich für die Etappe alles Gute wünschen wollte, als mir plötzlich ein wenig schwarz vor Augen wurde. Mist! dachte ich, der fehlende Schlaf und nur ein Salami-Baguette in den letzten 40 h waren wohl zu wenig. Aber nach ein paar Sekunden war ich wieder OK und wenig später rollten die Fahrer in Richtung Start. Ich trottete nebenher und merkte verstärkt, daß sich mit der Bewegung mein Unwohlsein verstärkte. Nach ca. 10 Metern sah ich Björn nur wenige Meter von mir entfernt, aber da überkam mich ein erneuter Schwindel und ich war sehr erstaunt, daß ich als Mitläufer in der Masse direkt in der Kurve zum Start einen Platz in der zweiten Reihe ergattern konnte. Und plötzlich stand „er“ direkt an der Absperrung, ich rief ein paar Mal „Atze, Atze“ und war erstaunt, daß er nicht reagierte. Seltsam, dachte ich, beim näheren Hinschauen kam ich aber drauf, daß es sich wohl um Fabio Sacchi gehandelt haben muß, da ich Atze ein paar Meter weiter in der Menge entdeckt hatte.

 

An diesem Punkt verabschiedete sich mein Kreislauf fast völlig und ich mich aus der Menge, weil ich mich irgendwo anlehnen mußte. Ich muß wohl wirklich schlecht ausgesehen haben, denn der freundliche Bewacher des Tour-Village, der immer noch mit seinem gelben D-Tour T-Shirt die Leute am Durchgehen hinderte, hatte nichts dagegen, daß ich mich direkt neben dem Eingang am Marktplatzbrunnen anlehnte. So verpaßte ich die zweite Durchfahrt des Peloton, zumindest akustisch habe ich sie in Erinnerung. Nach ein paar Minuten hatte ich mich erholt und kehrte in eine Gaststube direkt hinter dem D-Tourtruck ein. Wie lange hatte ich keine Kohlroulade mehr gegessen, aber danach konnte ich wenigstens wieder gehen.

 

Zuhause angekommen versuchte ich die Zielankunft in Schweinfurt zu verfolgen, ich wachte 6,67 km vor dem Ziel auf und zum Glück noch einmal 500m davor. Daß Ciolek gewonnen hatte wußte ich auch noch, als ich um 20.00 Uhr meinen Mittagsschlaf beendet hatte...

 

Tja, daran merkt man: man ist halt nicht mehr 30...


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