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Selberschreibfestival 2007



le coq sportif: "Los! Gestehen Sie!"

Ingenting

Först kom ingenting

Sen kom ingenting

Sen kom ingenting

men ingenting är (ingenting, inget, inget)

De jävlarna tog oss

en efter en

De ljög och bedrog oss

med sanningen

De jävlarna tog min älskling där

Från krönet av kullen kan jag se

min förlorade värld *

 

(kent, "Ingenting")

 

 

Der 25. Mai 2007 war ein bedeutender Tag für den Radsport. Kein "harter Kerl gewinnt beeindruckende Bergetappe"-bedeutender Tag, auch kein "ehemaliger Toursieger wird beim Verkehrsvergehen erwischt"- bedeutender Tag, sondern ein "ehemaliger Toursieger gesteht Epo-Doping"-bedeutender Tag. Epo-Doping beim ehemaligen Toursieg.

 

Am 25. Mai 2007 sitze ich vor dem Fernseher und versuche, unter der deutschen Simultanübersetzung den nicht allzu eingängigen Dialekt von Bjarne Riis zu verstehen, während ich gleichzeitig einen dänischen Ticker zur Pressekonferenz verfolge und mit meiner Redakteurin und einer Kollegin bei Cyclingnews chatte. (In der Ruhe vor dem Sturm fragen sie mich noch, ob eigentlich alle dänischen Männer keine Haare haben, als Riis und sein Pressechef in ihren Konfirmationsanzügen auf die Bühne treten. In Anbetracht der Verhältnisse vor Ort bin ich froh, dass ich es nicht mehr geschafft hatte, kurzfristig in den beschaulichen Vorort von Kopenhagen zu reisen, wo die Büros von CSC liegen.) Den ganzen Tag hänge ich schon angespannt vor dem Computer und halte Ausschau nach Anzeichen und Gerüchten, was genau Riis auf der Pressekonferenz bekanntgeben wird. Nach den Ereignissen der vorhergegangenen Wochen besteht jedoch wenig Zweifel, worum es gehen wird. "Wenn er Epo-Gebrauch während der Tour '96 zugibt, flashen wir!" lautet meine Anweisung. Es wird recht schnell klar, daß wir flashen.

 

Nachdem ich auf die Schnelle ein paar knackige Zitate für den News-Flash übersetzt habe, verbringe ich den Rest des Nachmittags damit, Riis' Geständnis auf englisch zusammenzufassen. Mechanisch übertrage ich die Einzelheiten seines "Geständnisses" und frage mich dabei, ob mein persönliches Unwort des Jahres "Geständnis" oder "Pressekonferenz" sein wird. Während des Schreibens habe ich wenig Muße, mir Gedanken über meine persönliche Meinung zu dieser Sache zu machen, aber hinterher fühle ich mich leer und enttäuscht. Ich merke, dass ich tatsächlich gehofft hatte, dass Riis den Mumm haben würde, auch bei seinem Geständnis die Dinge anders zu machen als andere. Dass er den Mumm haben würde, nicht nur über Dinge zu reden, die keinen mehr interessieren, weil sie verjährt sind. Trotzig sah er aus, als er das zugab, was ohnehin schon alle wussten, und dieser Trotz brachte ihn wohl auch zu seiner legendären Aussage, daß sein gelbes Trikot zuhause in der Garage läge und man es sich gerne holen könne. Eigentlich habe er überhaupt keine Lust, über die Vergangenheit zu reden, weil ihn die Zukunft interessiere, sagte er. Den Mund machte er nur auf, weil die Gegenwart ihn daran hinderte, sich auf die Zukunft zu konzentrieren.

 

Aber wie sollen wir wegen der paar Brocken, die ihr uns hinwerft, an die Zukunft glauben können? Warum gesteht ihr nur das, was nicht weh tut? Soll das etwa Vertrauen schaffen? Ihr betrügt uns mit einer Wahrheit, die uns nicht interessiert.

 

Den Text habe ich mir, nachdem ich ihn an die Redakteurin abgeschickt hatte, nie mehr richtig angesehen. Kaum ein Text fiel mir so schwer. Der Radsport zerreißt mich immer noch innerlich, weil ich einerseits nicht zurück kann zu jenem einfachen "Ignorance is bliss", und andererseits nicht genügend Anlass für Vertrauen um Hier und Jetzt sehe. Aber ich kann auch nicht einfach aufhören, den Sport zu lieben.

 

Die Geständnisse des Jahres 2007 haben viel ins Rollen gebracht, und Veränderungen können für den Radsport nur gut sein. Aber wie soll Vertrauen aufgebaut werden? Das geht nur durch Ehrlichkeit. Und wenn man nichts Ehrliches zu sagen hat, sollte man lieber den Mund halten. Die moralische, oder vielmehr psychologische Frage, die mich beim Thema Doping immer am meisten interessiert hat, und auf die ich immer noch keine befriedigende Antwort gefunden habe, ist die: Wie kann sich jemand, der weiß, daß er lügt, vor eine Kamera stellen und genau diese Lüge aussprechen, und dies vor allem mit dem Zorn des Gerechten tun, und dabei nicht innerlich kaputtgehen? Und wie sollen wir einem Sport vertrauen, der solches Verhalten produziert?

 

Es ist einerseits verständlich, daß es den Beteiligten schwerfällt, das wirkliche Ausmaß der Katastrophe zuzugeben, besonders, wenn man bedenkt, was mit denen geschehen ist, die nur Bruchstücke öffentlich zugegeben haben. Der Wille zur Änderung wirkt jedoch andererseits wenig glaubwürdig, wenn das "System Radsport" diejenigen bestraft, die offen reden. Dann wirken auch aufwendige Blutmonitoringsysteme wie Make-up, wenn es den Anschein hat, daß die Denkweise immer noch die gleiche ist, dabei könnten sie eine so wichtige vertrauensbildende Maßnahme sein. Das System Radsport liegt eigentlich schon längst am Boden und schlägt verzweifelt um sich, doch die Chancen zu wirklich tiefgreifenden Neuerungen werden wieder und wieder verpasst.

 

*Nichts

Erst kam nichts

Dann kam nichts

Dann kam nichts

aber nichts ist (nichts, nichts, nichts)

Die Bastarde holten uns

einen nach dem anderen

Sie logen und betrogen uns

mit der Wahrheit

Die Bastarde holten meine Liebste dort

wo ich vom Gipfel des Hügels aus

meine verlorene Welt sehen kann

 


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