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Historisches aus dem Radsport



die Brüder Aimé und René Olivier

Die Brüder Aimé und Olivier, geboren in Lyon (Frankreich), begeisterten sie sich in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts als junge Menschen für die vielversprechende Art der Fortbewegung auf zwei Rädern. Sie gehörten zu den ersten Radtouristen in der Geschichte des Fahrrades, wenn auch nicht zu den ersten, wie in weiten Teilen der Literatur beschrieben (* s.u. Hans-Erhard Lessing). Mit eigenen Erfindungen, wie einer Bremse, trugen Sie zu deren Weiterentwicklung bei (* zur Erfindung der Bremse s.u.).

 

Hintergrundartikel:

>>> Des Centraliens à l’origine de l’industrie du cycle

>>> La famille Olivier et la première industrie du cycle au monde

>>> Bicycle: The History, Aimé and René Olivier



Draisinen 1849 im Pariser Bois de Boulogne


Zusammenfassung der Berichte:

Die frühe Geschichte des Fahrrads ist eng verbunden mit den beiden Brüdern Aimé und René Olivier, die einer Lyoner Bürger- (Industriellen-)familie entstammen. Ein weiterer Bruder Marius wird am Rande in diesem Zusammenhang erwähnt. Ihr Vater Jules besaß in Avignon eine Chemiefabrik. Nachdem Aimé und René das Lyzeum la Martinière besucht hatten, setzten sie ihre Ausbildung mit gutem Erfolg in Paris an der École Impériale des Arts et Manufactures (Ecole Centrale) (Aimé von 1861 - 1864, René von 1863 à 1866), zu deren Gründern ihr Onkel der Mathematiker Théodore Olivier gehörte, fort.

 

Die Geschichte der Brüder Olivier kreuzte sich mit der der Gebrüder Pierre und Ernest Michaux, die im März 1862 angeblich als erste Tretkurbeln, das Pedal, einführten (aber vielleicht war es auch Pierre Lallement) - damit wurde die Draisine zum Velociped. Diese letztlich bahnbrechende Erfindung sprach sich zumindest unter den Ingenieursstudenten, zu denen Marius, Aimé und René Olivier gehörten, schnell herum. Vielleicht lag es auch daran, dass sie das Velociped in den Pariser Straßen gesehen hatten. Aimé und René begeisterten sich sofort für dieses Fortbewegungsmittel, vor allem René hatte schnell das Potential dieser Erfindung begriffen. Ab 1963 traf er sich, Aimé war mittlerweile wieder in Lyon, des Öfteren mit Pierre Michaux und diskutierte mit ihm dessen Erfindung und schlug Verbesserungen vor. Angeblich lieh René Michaux 1863 10 000 Francs. Er schickte seinem Bruder ein Exemplar, das dieser mit viel Engagement studierte und dann um Verbesserungen rang. Unterstützung erhielten die Brüder durch den Vater Jules, der ebenfalls Begeisterung zeigte - der Begriff Velociped als Bezeichnung für die Draisine mit Pedalen soll auf ihn zurückgehen (genau datiert auf den 8.10.1864).

 

Mittels der vorhandenen technischen Ausrüstungen im elterlichen Chemiebetrieb konnten verschiedenen Versuche unternommen werden. Aimé wollte eine Maschine konstruieren, die für lange Distanzen geeignet war. Dazu war eine Bremse notwendig - und Aimé erfand eine *. In seinem Hinterkopf reifte vielleicht bereits der Plan selbst auf Tour zu gehen, immerhin hatten die beiden Brüder 1863 die Strecke Paris-Lyon in einem Boot zurück gelegt.



frühe Radtouristen

die von den Brüdern 1865 zurückgelegte Strecke Paris - Avignon handschriftlich notiert

>>>
Bericht von K. Kobayashi: Von Paris nach Avignon - auf den Spuren der Gebrüder Olivier

Am 1. August 1865 informierten die beiden Brüder ihren Vater darüber, dass sie gemeinsam mit dem befreundeten Journalisten Georges De la Bouglise auf dem Rad von Paris nach Avignon fahren wollten. Der Freund, der dieselbe Schule wie die Brüder besuchte, hatte sich ebenfalls für das Fahrrad begeistert. Auch er soll sich mit neuen Entwicklungen beschäftigt und die Brüder Michaux unterstützt haben. Doch er verlor das Interesse, wurde Bergwerksingenieur mit dem Spezialgebiet Gold.

 

Die drei Freunde starteten am 25. August 1865 in Paris wahrscheinlich auf Michaux-Rädern in Paris nach Avignon, es könnten aber auch Entwicklungen von M. Gabert gewesen sein. Die Reise in die Heimatstadt der drei ging über 794 km und dauerte 8 Tage. Die zwei Brüder Avignon erreichten das Ziel ohne ihren Freund, der unterwegs aufgegeben hatte. Damit hatten sie im Durchschnitt 100 km am Tag zurück gelegt - eine bemerkenswerte Leistung angesichts der schlechten Straßen und eines Gefährtes, das auch Knochenschüttler genannt wurde. Diese Fahrt gilt als Beginn des Radtourismus.



industrielle Fertigung der Velocipede

Die Nachfrage nach den Velocipeden stieg, so dass der erst zögernde Pierre Michaux ermutigt wurde im Mai 1868 in Paris in der Rue Goujon einen Werkstatt zu kaufen und gemeinsam mit den drei Brüdern Olivier die Société Michaux et Compagnie gründete. Mittlerweile waren jedoch schon weitere Konkurrenten auf dem Markt.

 

Michaux investierte 16 000 Francs, die Brüder Olivier 50 000 Francs. Geld war deren Problem nicht, hatten doch René und Aimé in wohlhabende Familien eingeheiratet. Der Name Michaux galt als Werbeträger, im Hintergrund brachten die Oliviers jedoch Verbesserungen und Konstruktionsänderungen ein und förderten Werkstätten für Zulieferer. Nach Keizo Kobayashi fertigte die Compagnie (Gesellschaft) zu dieser Zeit 12 Maschinen pro Tag und beschäftigte ca. 60 Arbeiter. Allerdings kam es zwischen Michaux und den Brüdern Olivier zu Unstimmigkeiten, da letztlich die Oliviers das Sagen hatten. Im April 1869 wurde die Firma aufgelöst und kurz darauf wieder von den drei Brüdern Olivier aufgekauft. Sie gründeten die Compagnie Parisienne des Vélocipèdes und begannen "nach dem Prinzip « Time is Monney »" zu produzieren. Pierre Michaux wurde durch Jean Baptiste Gobert ersetzt. Auf ihn geht die Gründung zweier Manegen in Paris zurück, in denen Anfänger das Radfahren erlernen konnten. Auch in Wien existierte bereits ein solches 'Vélcipéd-Gymnasium'.

Manege der Compagnie des Velocipèdes in der Pariser rue Jean-Goujon zum Erlernen des Radfahrens, 1869


Angeblich konnte die Gesellschaft der Gebrüder Olivier im Jahr 1869 mit 150 Arbeitern 300 Räder von einfachen bis komplizierten Varianten, in über 80 Fabrikationsstellen, davon 15 in der Provinz, produzieren. Die Geschäfte liefen so gut, dass 6 Filialen in Großbritannien und einen in St. Petersburg gegründet wurden. Aufgrund ihrer finanziellen Stärke unterstützte die Compagnie Parisienne eine internationale Ausstellung im Pariser Viertel Pré-Catelan - les Fêtes de la Vélocipédie - die vom 30. Oktober bis zum 5. November stattfand. Fast 80 Velociped-Modelle wurden hier vorgestellt. Die Compagnie Parisienne glänzte mit einer Ausstellung zu der Entwicklung des neuen Gefährtes.




Dreirad von Michaux




Die Brüder Olivier initiierten (?) das erste offizielle Radrennen auf einer Bahn am 31. Mai 1868 im Pariser Park von Saint-Cloud und förderten großzügig das weltweit erste große Straßenradrennen, dass am 7. November 1869 von Paris nach Rouen über 123 km stattfand.



Gedenkmedaille anlässlich des Rennens Paris-Rouen, 7.11.1869
Richard Lesclide (1891), Gründer der ersten Radsportzeitung le Vélocipède Illustré, die das Rennen Paris-Rouen ins Leben rief

100 Teilnehmer und Teilnehmerinnen traten nach le cyclisme von 1912 am Morgen um 7.30 Uhr bei Regen auf den schweren Kopfsteinpflasterkurs zum Start an, 300 sollen sich gar zuvor eingeschrieben haben. Mit dabei waren auch Drei- und Vierräder. James Moore hatte das Ziel um 18.10 Uhr als erster erreicht. Als erste von fünf angetretenen Frauen traf Miss America am Morgen um 6.20 Uhr als 29. ein (nach Les Woodland war Miss America das Pseudonym einer Engländerin).



1870 stoppte der Krieg den wirtschaftlichen Aufschwung Frankreichs. Die Niederlage von Sedan stürzte das Land in große ökonomische Schwierigkeiten. 1874 musste die Compagnie Parisienne des Vélocipèdes mit einem Verlust über 1 Million Francs aufgeben. Die Oliviers zogen sich daraufhin aus der Fahrradproduktion komplett zurück und wandten sich hinfort der familiären Chemieproduktion zu. Begünstigt wurde der Niedergang der Fahrradproduktion der Brüder Olivier wohl auch durch die Konkurrenz bezüglich der Weiterentwicklungen des Fahrrades. So soll zwar die Entwicklung von Rädern mit Kautschukbändern auf sie zurück gehen, doch Beweise gibt es nicht. Sie hatten wahrscheinlich versäumt sich ihre Erfindungen patentieren zu lassen, so dass andere die weitere Geschichte des Fahrrades bestimmten.



Der König von Kahel

Kurze Zeit später starb (?) René Olivier nach einem Reitunfall. Über Marius sind keine Informationen mehr bekannt. Aimé machte weiterhin auf sich aufmerksam. Er wurde in Marenne Direktor einer Chemiefabrik und Bürgermeister der Stadt. Seine Liebe zum Velociped zeigte sich hier dadurch, dass er die Briefträger der Gemeinde mit Rädern ausstattete.

 



Von 1880 bis 1919 widmete sich Aimé seiner großen Liebe Afrika. Kurz nach dem Tode seines Schwiegervaters verließ er 1880 Frau und Kind und brach zu seiner ersten von insgesamt fünf Expeditionen in das damalige Königreich Fouta Djalon, einer Bergregion im heutigen Guinea auf, die von dem Volk der Peul bewohnt wird. Hier gelang ihm anscheinend ohne koloniales Gehabe ein gleichberechtigter Dialog mit dem Ergebnis, dass die Peul ihm anboten, ihr König zu werden. Mit lokalen Kräften schloss Aimé Handelskontrakte ab, die ihm aber Konflikte mit fränzösischen Kolonialbehörden einbrachten, die seine auf Gleichberechtigung basierenden Vorstellungen nicht teilten. Unterstützt wurde er durch Ferdinand de Lesseps und Louis Faidherbe, Gouverneur des Senegal. Aimé, der gerne König dieser Region werden wollte, hatte ein entsprechendes Angebot der Peul für das Kahel-Plateau über 20 km Länge, mitten in Fouta Djalon liegend, erhalten und konnte so einige Zeit bis zur Eroberung durch die Franzosen als Monarch residieren. Er hatte auch davon geträumt, das Land mittels der Einführung der Eisenbahn zu entwickeln, doch dieses Projekt war zum Scheitern verurteilt. Auf adelige Würde musste er jedoch nicht ganz verzichten. Während einer seiner frühen Reisen wurde dem Franzosen von Luis I. von Portugal der Titel Vicomte von Sanderval verliehen. Nach ihm wurde ein Ortsteil von Conakry, der Stadt, die 1887 von den Briten an die Franzosen übergeben und die Hauptstadt von Französisch-Guinea wurde benannt, noch heute gibt es einen Stadtteil mit dem Namen Sandervalia (oder hieß der Ort vor der Gründung Conakrys Sandervalia und erhielt Aimé davon den Namen?). Unter dem Titel "Der König von Kahel" (Le Roi de Kahel) erschien 2008 ein preisgekrönte Roman von Tierno Monénembo.

Aimé starb 1919.



* Aimé Olivier wird gelegentlich als Erfinder der Fahrradbremse erwähnt. Es gab aber schon wesentlich früher mindestens eine entsprechende Konstruktion, wie folgende Abbildung einer Laufmaschine des Jahres 1817 zeigt:

1817 Laufmaschine mit schräger Bremse
Bild und Hinweis von Hans-Erhard Lesseing - vielen Dank!


 

* Hans-Erhard Lessing wies 2015 daraufhin, dass die ersten Radtouristikreisen schon früher stattfanden:

"So hat ein ungenannter Brite die 800 Kilometer London - Falkirk wohl bereits 1819 mit der Laufmaschine zurückgelegt. Auch Karl Drais selbst ist im Oktober 1818 per Laufmaschine 630 km nach Paris gefahren, und zuvor im März seine Mannschaft ohne ihn denselben Weg."

 



 

von Monika, Januar 2011


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