In späteren Jahren gab Ralf Reichenbach, mittlerweile in der Bodybuilder-Szene aktiv, öffentlich zu, 1977 gelogen zu haben. 1987 erklärte er gegenüber der Wochenzeitung die Zeit: "„Allet, wat ick jetzt sage, is eijentlich vaboten ". ... wenn ihn - „das war fast jedes Jahr im Frühling - Infektionen kurz vor den Meisterschaften zurückwarfen, schluckte er Muskeln auf- und Eiweiß einbauende Anabolika - „ein paar Wochen lang, niedrig dosiert. Wenn ich, wie andere, vierzig Tabletten am Tag genommen hätte, dann würde ich allerdings auch nicht darüber reden. Im Fall des Falles aber „bin ich auch jetzt noch dafür". Gleichzeitig meinte er aber, dass die Leistung bei optimaler Ernährung und optimalem Training mit zusätzlichen Gaben von Anabolika nicht zu steigern sei. (die Zeit, 1.5.1987)
1988 im Stern und 1989 im ZDF-Sportstudio wurde er deutlicher und forderte von den Verbänden „mit der Heuchelei zum Thema Anabolika aufzuhören.“ Anabolika seien für den Spitzensportler unverzichtbar und unter ärztlicher Kontrolle auch unschädlich, die Nebenwirkungen seien so in den Griff zu bekommen. Unverzichtbar seien die Mittel vor allem aufgrund der hohen Qualifikationsnormen, international und national, die clean nicht zu erreichen seien. Doch wenn dann dann Athleten positiv seien, würden sie eben von denselben Leute aus dem Sport geworfen werden. Für Reichenbach sind Spitzenfunktionäre und Verbände die "wahren Verbrecher". (Rhein-Neckar-Zeitung, 3.4.1989) Trainingskontrollen hält er für sinnlos, führten diese doch höchstens zu einem "raffinierteren Betrugssystem". (SZ, 12.4.1989) Erinnerungen von Gerhard SteinesGerhard Steines und Ralf Reichenbach waren in den 1970er Jahren die deutschen Hoffnungsträger im Kugelstoßen. Sie lernten sich 1971 kennen. Zwischen den beiden entwickelte sich sich eine lebenslange Freundschaft. Ab 2003 begann Steines, Sportredakteur einer mittelhessischen Zeitung, seine Erinnerungen in ausführlichen Texten auf der Internet-Seite seiner Zeitung zu veröffentlichen. Ralf Reichenbach spielt darin eine wesentliche Rolle.
>>> Gerhard Steines, Sport-Leben, Teil 1 - 4 Die folgenden Zitate stammen aus diesem Text. Ralf Reichenbach, in Steines Erinnerungen Jan genannt, beendet seine Leichtahletik-Karriere mit 32 Jahren, nachdem die Leistungen nachgelassen hatten und sich gesundheitliche Probleme einstellten. "Am liebsten würde ich bis 50, 60 auf höchstem Niveau weitermachen und dann tot umfallen." Alt werden, krank werden, unbedeutend werden, das ist sein Alptraum." Doch was tun nach dem Sport? Was bleibt danach? Er findet sich kaum zurecht. Aktiv steigt er in das illegale Spieler-Milieu ein, organisiert Roulettespiele, sportliche Betätigung findet er im Squash. Er verdient gut. Seinem Wunsch auf hohem Niveau mit dem Sport weitermachen zu können, scheint er durch die Entdeckung des Bodybuildings näher gekommen zu sein. Er betreibt mittlerweile ein eigenes Fitnesstudio und arbeitet selbst zielstrebig auf eine Teilnahme bei den Wahlen zum 'Mister Universum' hin.
Jan beginnt auch andere Bodybuilder mit den diversen Stoffen zu versorgen. In den USA erkrankt er plötzlich an einer Myokarditis, einer durch Viren verursachten Herzmuskelentzündung, die er allerdings nicht ernst nimmt, nach wenigen Tagen setzt er sein Training fort. Bei der Wahl seiner Mittel für den Wunschkörper lässt er kaum etwas aus, selbst Fettabsaugen und Paraffinspritzen werden von ihm als unabdingbar angesehen.
Bald muss er erkennen, dass sein Herz irreparabel geschädigt ist. Die Notwendigkeit einer Transplantation zeichnet sich ab. Die Beschwerden zwingen ihn dazu, sein Intensivtraining aufzugeben. Leichtes Training über wenige Stunden ist erlaubt, wird aber nicht eingehalten.
Der schwer Herzkranke benutzt seine überschüssige Energie wieder für Glücksspiele, reüssiert und kann nicht davon lassen. Er reibt sich auf in einer leidenschaftlichen sexuellen Beziehung, in der er der Abhängige ist, begleitet von zahllosen unbedeutenden kleinen Affairen. Alles vor dem Hintergrund einer Ehe. Jan befindet sich in einer sich ständig schneller drehenden Spirale der Selbstzerstörung. Steines: "Er weiß, dass ich ihn für einen Selbstmörder halte. Er bläst sein Leben auf wie einen Luftballon, jeden Tag ein bißchen praller. Ich weiß nicht, wann der Ballon platzen wird, aber er wird platzen. Jan nimmt dieses Bild auf, akzeptiert es, fast freudig." Valium und Alkohol sind Begleiter, die Wachstumshormone als Herzmedikament wurden ersetzt durch ein neues anderes aus den USA. Doch geholfen hat es nicht. Ralf Reichenbach starb am 12. 2. 1998 mit 47 Jahren. Er kannte das Risiko und steuerte bewusst auf das Ende zu. Gerhard Steines: "Ralf Reichenbach ist nicht an den Spätfolgen von Anabolika gestorben, sondern – wenn überhaupt – an Akutschäden. Nach dem Ende seiner Laufbahn als Kugelstoßer hat er Dinge gemacht, die eine Art Selbstmord mit Anlauf waren. Für ihn als Bodybuilder gab es keine Dopingregeln mehr, sondern höchstens noch Drogengesetze. Wenn er oben im Himmel sitzen sollte, wird er sogar sagen, "es war gut so, wie ich gelebt habe". Er hat Dinge getan, vor denen ich ihn immer gewarnt habe. Er hat sich aber nicht warnen lassen. Das war ein großer Streit zwischen uns. Eigentlich unser einziger, denn wir waren die besten Freunde." ( mittelhessen.de, 10.1.2009)
von Maki, Mai 2011
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