An den Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion
Herrn Volker Kauder *
An den Fraktionsvorsitzenden der SPD-Fraktion
Herrn Dr. Frank-Walter Steinmeier
An den Fraktionsvorsitzenden der FDP-Fraktion
Herrn Rainer Brüderle
An den Fraktionsvorsitzenden der Fraktion Die Linke
Herrn Dr. Gregor Gysi *
An die Fraktionsvorsitzenden der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen
Frau Renate Künast
Herrn Jürgen Trittin
Betr. Antrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen – Drucksache 17/12393
Rente für Dopingopfer in der DDR
Rottenburg, 27. Mai 2013
Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,
mit gleicher Post habe ich Ihre Kollegin, Frau Viola von Cramon, dazu beglückwünscht, dass sie als einziges Mitglied des Bundestages in der Aussprache zum Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Rente für Dopingopfer in der DDR – Drucksache 17/12393 – öffentlich Stellung genommen hat.
Es ist sehr selten, dass der Spitzensport, insbesondere seine dunklen Seiten, im Bundestag zur Sprache kommt, da der Sport in Deutschland nicht staatlich sondern souverän ist. Deshalb wurden Dopingopfer der Bundesrepublik (nicht nur die der DDR), noch nie im Deutschen Bundestag thematisiert.
Es war die Aufarbeitung von Unrecht im staatlichen Sport der ehemaligen DDR, die schon vor über 20 Jahren in der 173. Sitzung des Deutschen Bundestages mit allerdings bedeutend mehr Rednern begonnen wurde.
Die Vereinigung des Sports, insbesondere des Spitzensports und seines Führungspersonals – in der DDR staatlich, in der BRD souverän – haben die Probleme geschaffen, die heute noch nach über 20 Jahren Sport und Politik belasten.
Im vergangenen Jahr scheiterte, wie Sie wissen, der Halb-Millionen-Forschungsauftrag „Doping in Deutschland von 1950 bis heute aus historisch-soziologischer Sicht im Kontext ethischer Legitimation“. Die zugesicherte Weiterführung ist bis heute nicht erfolgt.
Die Olympischen Spiele in London, der sportliche Höhepunkt des Jahres, wurden mit einer deutschen Affäre belastet, die noch immer nicht abgeschlossen ist. Die UV-Behandlung von Blut am Olympia-Stützpunkt Erfurt wird jetzt in letzter Instanz am Internationalen Sportgerichtshof (CAS) mit großer Diskretion verhandelt. Das Ergebnis – und das ist sicher – wird sportpolitisch Schäden hinterlassen.
Dass sich in dieser Sache, wie auch in der seit Jahren andauernden Affäre der Freiburger Sportmedizin, Staatsanwaltschaften und Sportgerichtsbarkeit bizarre Auseinandersetzungen liefern, irritiert die Öffentlichkeit und schadet allen Beteiligten.
Die Erfurter Staatsanwaltschaft stellte im vergangenen Jahr das laufende Verfahren gegen den verantwortlichen Arzt ein, da eine Verurteilung nicht zu erwarten sei,merkte aber an, „Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft handelt es sich bei der vom Beschuldigten vorgenommenen UV-Bestrahlung um einen objektiven Verstoß (gegen den Wada-Kodex) und damit um eine verbotene Methode.“
Fast zur gleichen Zeit stellte die Freiburger Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gegen die beiden früheren Mannschaftsärzte des Radrennstalls Team Telekom ein, weil sich kein hinreichender Verdacht konkreter Verstöße gegen Strafbestimmungen ergeben habe.Doch Jahre zuvor hatten einige der betroffenen Fahrer Doping zugegeben, zum Teil wurden sie sportrechtlich belangt.
Wenn Sportrecht und öffentliches Recht nebeneinander, ja gegeneinander agieren, sollte das den politischen Repräsentanten der Bundesrepublik nicht gleichgültig sein, vor allem wenn der DOSB-Präsident und Kandidat für die IOC-Präsidentschaft dieser Tage für die Olympischen Spiele 2016 von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich unmissverständlich höhere finanzielle Zuwendungen einfordert.
Damit ist das schwierige Zusammenspiel von Spitzensport und Staat angesprochen. Wenn die von beiden Seiten geheim gehaltene staatliche Förderung des Spitzensports erst durch Klagen - Sportförderung ohne Transparenz -von Journalisten etwas gelüftet wird, sind Vorwürfe ernst zu nehmen, die sogar einen Rückzug des Staates aus der finanziellen Förderung des Spitzensports als plausibel ansehen.
Das ist eine der Folgerungen, die Professor Dr. Arthur Kreuzer (1) von der Universität Gießen in seinem bemerkenswerten Artikel ‚Doping und Strafrecht‘ vor wenigen Tagen zog.
Bleibt zum Schluss noch der Blick auf die Betroffenen, die Spitzenathlet(inn)en von heute und gestern.
Im Februar 2013 gestand der Kugelstoß-Olympiasieger von 1976, Udo Beyer, erstmals ein, gedopt zu haben. Unrechtsbewusstsein zeigt er auch heute noch nicht, denn‚so äußerte er sich in dem Film ‚Einzelkämpfer‘ „der Zweite ist ja der erste Verlierer“ (2).
Seine beiden Disziplinkolleginnen, die inzwischen 37jährige Kugelstoß-Europameisterin Nadine Kleinert forderte dieser Tage für überführte Dopingsünder schon beim ersten Vergehen eine lebenslange Sperre.eine Forderung, die aus Athletenkreisen schon lange zu hören ist. Auch die amtierende Halleneuropameisterin Christina Schwanitz bekräftigte das wenig später. Die 27jährige Bundeswehrangehörige hatte noch im März in der DLF-Diskussion ‚Druck, Doping, Depressionen‘ mit der Aussage aufhorchen lassen, das sie ihr Tun als eine Verteidigung Deutschlands ansehe, als eine Art Krieg führen auf sportlicher Ebene.
Im März dieses Jahres gab der Präsident des russischen LeichtathletikverbandesValentin Balachnitschew – seit 22 Jahren im Amt – ein bemerkenswertes Interview. Auf die Frage nach Gründen für Doping in Russland sagte er:
Gesellschaftliche. Es gibt ein niedriges Niveau von Moral und Bildung. Und es gibt hohe finanzielle Anreize. Die Mittel sind leicht zu besorgen. Das ist doch nicht nur in meinem Land ein Problem, dass alle Leute von Fairplay reden und sich nicht daran halten. Wir müssen Athleten zu Fairplay erziehen. Wir müssen die Moral des Sports ändern. Was bedeutet Fairplay? Es ist nur ein Image. Welches ist die Philosophie des existierenden Sports? Geld, Geld, Geld, Geld! Wir drängen die Athleten, wir drängen die Trainer, so etwas zu tun. Wir müssen da rauskommen. Wir brauchen eine Moral im Sport. (3)
Jede Diskussion über Doping wird durch den Tod ehemaliger Spitzenathlet(inn)en beendet.
Hartmut Briesenick, vielfacher DDR-Meister, mehrfacher Europameister im Kugelstoßen starb am 8. März diese Jahres, wenige Tage vor seinem 64. Geburtstag.
Helga Arendt, Hallenweltmeisterin 1989 über 400m, Hallen-Weltrekordlerin über 4-mal-200-Meter mit einer Staffel des SC Eintracht Hamm (Helga Arendt, Silke-Beate Knoll, Mechthild Kluth, Gisela Kinzel) mit 1:32,55 min und zwölffache deutsche Meisterin, starb am 11. Mai 2003 mit 48 Jahren. (4)
Auch wenn es aus medizinischer und juristischer Sicht nie belastbare Beweise geben wird, die den Zusammenhang von Spitzensport, Doping und frühem Tod beweisen werden - wer will sie denn schon - diese ‚Rekorde‘ bleiben für immer und ewig.
Es gibt eine große Nähe zwischen erfolgreichen Spitzensportlern, ihren Funktionären und der Politik, denn der Glanz dient allen.
Deshalb darf es nicht sein, dass die Abgeordneten des Deutschen Bundestages ihre Beiträge zur dunklen Seite des Spitzensports bei einer Bundestagsdebatte wie der vom 16. Mai 2013 geräuschlos zu Protokoll geben.
Mit freundlichen Grüßen
Hansjörg Kofink
Hansjörg Kofink Lenaustraße 8, 72108 Rottenburg
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(1) Kreuzer, Doping und Strafrecht, FAZ 17.5.2013
(2) Beyer 'Ich wusste über alles Bescheid, Tagesspiegel 16.2.13
(3) Russlands Leichtathletik Chef 'Geld Geld Geld Geld‘, FAZ 05.03.2013
(4) „Extrem viel reingepumpt“, Der Spiegel 49/ 1990