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Frankreich Doping Geschichten(n)



1964 UNESCO-Seminar 'Doping'

Im Mai 1964 fand in Belgien ein Internatinales Seminar zum Thema Doping statt. Organisiert wurde es an den Universitäten Brüssel und Gent auf Initiative des Forschungs-Kommittees des Internationalen Rates für Sport und Körperbildung der UNESCO. Ein Tagungsband erschien 1965. Neben einer Bestandsaufnahme zu den Themen Dopingmittel und -kontrollmöglichkeiten ging es vor allem um den Begriff Doping, speziell um das Ringen nach einer weithin akzeptierten und praktikablen Doping-Definition.



Zitat aus dem Vorwort:

"This volume presents the Proceedings of the International Seminar on Doping, held in May 1964 at the Universities of Ghent and Brussels on the initiative of the Research Committee of the International Council of Sport and Physical Education, UNESCO, and organized by a local committee under the chairmanship or Professor emer. C. Heymans. Nobel Prize laureate.

The Seminar was intended as a multidisciplinary approach to the study of the doping problem in the field of sport and physical education. About fifty participants from ten countries were present at this small meeting, which offered the advantage of permitting closer scientific and social cantacts and of facilitating more free discussion than usually occurs in large meetings.

The multidisciplinary approach of the doping problem is well reflected in the papers presented, which were dealing with the pharmacological, biochemical, psychological, ethical, social and juridical aspects of doping.

Although the time for a complete and internationally accepted solution of the complete problems related to doping in the field of sport may still seem to be far away, real progress proved to be achieved at the outcome of the seminar, in the sense that it revealed the extent of the shortcomings in our knowledge and legislations with regard to the use of doping agents."



Pierre Dumas, von 1955 bis 1977 Chefmediziner bei der Tour de France

Dumas beschreibt den sich verändernden Stellenwert des Sports in der Gesellschaft. Einerseits findet eine Demokratisierung statt insofern als immer mehr Bevölkerungsschichten Sport ausüben (können), insbesondere in ihrer Freizeit, andererseits erreicht der Hochleistungssport immer größere Aufmerksamkeit und Attraktivität. Die Jagd nach Rekorden nimmt zu, die mediale Focusierung ebenso und damit hat auch die Bedeutung internationaler Siege für das nationale Bewusstsein zugenommen, dessen sich vor allem Politiker bewusst sind.

Damit steigt die Anziehung für junge Menschen sich dem Leistungssport zu widmen und gegebenenfalls Profi zu werden. Der Sport wird zunehmend als Chance wahrgenommen, sozial aufzusteigen. So stiegen aber auch die Versuchungen alle Mittel zu nutzen, die es angeblich gibt, um Erfolg zu haben. Vor diesem Hintergrund sieht Dumas vor allem die Gefahr, dass Jugendliche ausgenutzt werden und ohne Schutz dastehen, dass ihnen Leistungen abverlangt werden, die vergleichsweise in der Arbeitswelt im 19. Jahrhundert gängig waren und in Folge Jugendschutzgesetze nötig gemacht haben. Für Dumas sind unbedingt die Gesundheit und die soziale Zukunft der Jugendlichen zu schützen, sie haben Priorität vor Siegen und Ruhm für Land, Verband oder Club. Er fordert daher eine scharfe Aufmerksamkeit für entsprechende Entwicklungen, verlangt nach kontrollierten und studienbegleitenden Programmen für Training und sportliche Entwicklung. Dumas sieht Politik und Institutionen in der Pflicht umfassend Verantwortung zu übernehmen.

 

Laut Dumas ist Doping - "das Krebsgeschwür des Sports" - im Radsport extrem verbreitet, verschont aber nicht andere Sportarten wie Fußball, Leichtathletik, Rudern, Boxen, Langlauf, Schießen, Militärsport, Schwimmen, Kunstspringen. Doping werde für eine optimale Vorbereitung, die beste Leistung sowie für eine schnellstmögliche Erholung benutzt.

 

Laut Dumas wirft Doping vor allem Fragen in folgenden Zusammenhängen auf:

- Doping und Jugendliche

- Doping und Erwachsene

- Doping und Medikamentenbeschaffung (Soigneure, Einkauf)

- Doping und Mediziner

- Doping und Wissenschaft

 

In Bezug auf Jugendliche ergänzt er seine Ausführungen mit Zitaten jungendlicher Radsportler. Daraus geht hervor, dass sie von ihren Trainern bzw. Clubleitern und Medizinern allein gelassen würden, keine Beratung erhielten und nun u.a. vor der Frage stünden, wie sie sich ernähren sollten und welche zusätzlichen Substanzen wie Vitamine, Mineralien und Ähnliches notwendig seien. Die Grenzen zwischen Drogen und Medikamenten und anderen Substanzen seien aus Unkenntnis fließend. Die jungen Sportler wüssten lediglich, dass es üblich sei, bei verschiedenen Anlässen nach Hilfsmitteln zu greifen, aber sie wüssten nicht genau, um was es sich dabei handelt. Vieles sei zudem geheimnisvoll verklärt und öffne damit Tür und Tor für dubiose Ratschläge.

Den Erwachsenensport sieht er, insbesondere die Verhältnisse im Radsport, sehr pessimistisch. Er beschreibt einen nahezu flächendeckenden, auch die Amateure in den regionalen Clubs betreffenden Dopingmissbrauch mit Amphetaminen. Danach war auffälliges Verhalten während und nach Rennen sowie gesundheitliche Schäden häufig zu beobachten. Todesfälle und Selbstmorde waren ebenfalls nichts Ungewöhnliches. Eine Möglichkeit, das Problem zu lösen, sieht er in der Initiative des italienischen Radsportverbandes in Zusammenarbeit mit den Ärzten, wonach auffällige Sportler sich ärztlich untersuchen lassen müssten und bei Mißbrauch gesperrt würden.

 

Dumas beklagt die Möglichkeiten an illegale und legale Medikamente und Drogen zu kommen. Dabei spielten Pfleger und Betreuer häufig eine traurige Rolle aber auch Laboratorien, Apotheken usw., über die illegal Substanzen verfügbar würden, ganz abgesehen von den unterschiedlichen gesetzlichen Regelungen einzelner Länder, die den Kauf verschieden regulierten und ihn zum Teil einfach gestalteten. Damit habe sich ein grenzüberschreitender Handel etabliert.

 

Sind ärztlich verordnete Extra-Medikamente, die nicht in Verbindung stehen mit Krankheiten und Verletzungen, Doping oder nicht?

Dumas zitiert das Beispiel eines Tennisspielers, der am Vorabend eines Davis-Cup-Spiels von seinem Arzt eine Spritze mit Testosteron erhalten hatte und daraufhin gut erholt seinem Land die weitere Qualifikation ermöglichte.

Dumas hält den Befürwortern einer Medikalisierung unter ärztlicher Aufsicht vor, sie würden lediglich ihre eigene Verantwortung auf die Ärzte verlagern. Er spricht von Heuchelei und Illusion. Diese Medikamentalisierung der Sportler hätte weitgehend noch Experimentalcharakter, die Folgen wären auch Ärzten nicht gut bekannt.

 

Dringend fordert Dumas Studien über Wirkungsweise und Nebenwirkungen von im Sport eingesetzten Substanzen. Er zitiert Aussagen wonach im Sport so gut wie alles was an Medikamenten erhältlich sei, eingesetzt würde. Bewährtes und weniger Bewährtes, auch völlig Neues. Häufig seien noch nicht einmal alle Indikationen, geschweige denn Nebenwirkungen bekannt. Insulin, Digitalis, Strychnin, Schilddrüsenhormone, Monoaminooxidasen usw. waren z. B. in Italien gefunden worden.

 

Dumas lehnt den Einsatz von Medikamenten unter ärztlicher Aufsicht jedoch nicht vollständig ab, fordert aber eine international organisierte Überwachung der Ergebnisse. Er weißt zudem daraufhin, dass die Unabhängigkeit der Ärzte gewährleistet werden müsse, Druck durch diejenigen, die lediglich auf Leistung fixiert seien, müsse ausgeschlossen sein. Die Sport-Ärzte, sollten sie lindern oder schnell heilen wollen, kämen nicht umhin, sich mit den Trainern zusammen zu tun und sich trainingswissenschaftliche Kenntnisse anzueignen. Sportärzte müssten sich fest in das Teams integrieren.

 

Abschließend zitiert er französische Vorschläge, die im Rahmen der Dopingdiskussion der Europäischen Gemeinschaft gemacht wurden (>>> mehr Infos) und beschreibt die Hoffnung des Europarates, wonach es gelingen möge, eine europäische Kommission zu gründen, die sich gezielt mit Doping und den damit verbundenen medizinischen und wissenschaftlichen Problemen befasse.





Weitere Diskussions-Auszüge sind zu finden unter

>>> 1964 UNESCO-Seminar 'Doping'


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