Doping-Forscher Perikles Simon : „Ein massives Wettrüsten – wie im Kalten Krieg“
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Das Ziel, nicht nur bei Olympia, sind Medaillen – aber mit welchen Mitteln? Bild: Reuters
Funktioniert das Anti-Doping-System doch? Forscher Perikles Simon spricht über die Aufrüstung von Dopern und Fahndern, folgenreiche Rechenfehler in Laboren und die Chance, ein krankes Leistungssystem halbwegs zu heilen.
Das IOC hat bei der Nachprüfung von 1550 Kontrollen der Sommerspiele in Peking (2008) und in London (2012) rund 100 Doper enttarnt. Funktioniert das Anti-Doping-System also doch?
Nein. Das IOC hat vom investigativen Vorgehen einiger Medien profitiert. Es wusste, wonach gesucht werden musste und bei wem. So kam es zu einer aus Sicht des Sports hohen Quote (rund 6,5 Prozent, d. Red.) positiver Fälle unter den Nachgeprüften. Dabei sind ein paar neue Nachweisverfahren eingesetzt worden. Es ist auffällig, dass bestimmte Länder in den Fokus gerieten, deren Athleten altbekannte Substanzen verwendeten.
Vor allem Russen, anderen Osteuropäern und Asiaten wurden nachträglich Medaillen aberkannt. Ist der Westen sauber?
Sehr unwahrscheinlich. Deshalb kann man auch nicht von einem funktionierenden Anti-Doping-System sprechen. Es ist immer noch wie früher. Der Westen dopt anders. Aus den Prozessen gegen den früheren Radprofi Lance Armstrong, gegen die ehemalige Sprinterin Marion Jones und andere wissen wir, dass diese Doper sich polytoxikoman verhalten.
Sie vergiften sich mit allem, was auf dem Markt ist?
Ja. Alles, was nicht nachweisbar zu sein scheint, aber die Leistung steigern könnte, nehmen diese Athleten ein. Die Analytiker haben es dann schwer, diesen Manipulationen auf die Schliche zu kommen.
Sportfunktionäre behaupten aber, auch den gewieften Dopern immer näher gekommen zu sein...
...Was ich für fragwürdig halte. Es ist ja kein Geheimnis, dass es Einblicke gibt in die Laboratorien. Man kennt sich. Zwar nicht der Doper direkt den Analytiker, der ein Testverfahren entwickelt. Aber über die Welt-Anti-Doping-Agentur, über die entsprechenden Gremien kommen die Verbandsoberen mit den Forschungsoberen in Kontakt, da findet ein Informationsaustausch statt. Wenn zum Beispiel ein Anti-Doping-Labor für Olympische Spiele eingerichtet wird, dann wird unter der Hand im Voraus bekannt, was wie getestet wird, welche Testverfahren zum Einsatz kommen und welche eben nicht. Im Sinne eines transparenten Anti-Doping-Kampfes ist es auch wichtig, dass dies der Öffentlichkeit bekannt wird. Bislang ist es aber so, dass vor allem Sportfunktionäre präferentiell diese Informationen haben oder Sportärzte, die mit Verbänden zusammenarbeiten. Wir haben anhand der Bestechungen in der Leichtathletik erkennen können, wie so etwas noch heute läuft.
Der Igel ist immer noch weit voraus?
Der Vergleich ist mir zu niedlich. Inzwischen können wir erkennen, dass auf beiden Seiten, auf der Doping- und auf der Anti-Doping-Seite, massivste Geschütze aufgefahren werden. Athleten experimentieren mit ihren Körpern in einer Weise, die wir vor zwanzig Jahren wohl für unmöglich gehalten hätten. Ihr Umfeld arbeitet, das hat der McLaren-Report am Beispiel Russland aufgedeckt, mitunter mit Geheimdiensten zusammen. Wir kennen das aus der DDR. Auf der anderen Seite setzt der Anti-Doping-Kampf teilweise die Gesetze der Mathematik außer Kraft, nur um eine positive Probe zu bekommen. Hier ist ein massives Wettrüsten im Gange - wie im Kalten Krieg.
Sie meinen, Anti-Doping-Labore begehen Rechen- und Verfahrensfehler?
Verfahrensfehler sind in einer sehr renommierten Wissenschaftszeitschrift aktuell beschrieben worden, und das deckt sich mit meinen Erfahrungen. Der Beitrag im EMBO-Report („Doping and drug testing“, d. Red.) sagt, dass sich Labore nicht an die gängige wissenschaftliche Praxis halten, wenn sie den Epo-Test einsetzen (Epo soll die Ausdauerleistungsfähigkeit massiv erhöhen, Anm. d. Red.).
Was werfen Sie Analytikern vor?