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BRD / DDR - Vergangenheit



2013 Braun, Jutta: "Aufarbeitung der Geschichte und Bewältigung von Folgen der SED-Diktatur und des Übergangs in einen demokratischen Rechtsstaat im Land Brandenburg"

Zu dieser Sitzung war auch Prof. Dr. Ines Geipel geladen. In ihrer Rede betonte sie die immer noch herrschende Ignoranz, die in Sport, Politik und Medien über die Problematik des DDR-Dopingopfer herrscht. Zudem belegte sie mit Beispielen, dass sich der offizielle Sport des Landes Brandenburg bislang wenig mit seiner Stasi-Vergangenheit auseinander gesetzt hat.
Ines Geipel: Der Sport in Brandenburg, eine geschlossene Gesellschaft

Am 22. Februar 2013 befasste sich die Enquete-Kommission „Aufarbeitung der Geschichte und Bewältigung von Folgen der SED-Diktatur und des Übergangs in einen demokratischen Rechtsstaat im Land Brandenburg“ auf ihrer 28. Sitzung u. A. mit dem von Dr. Jutta Braun et. al., Zentrum deutsche Sportgeschichte Berlin-Brandenburg (ZdS), unter gleichem Namen vorgelegten Gutachten:

 

>>> Jutta Braun et. al.: "Aufarbeitung der Geschichte und Bewältigung von Folgen der SED - Diktatur und des Übergangs in einen demokratischen Rechtsstaat im Land Brandenburg"

 

Der Landesssportbund Brandenburg reagierte auf die Diskussion in der Enquete-Kommission und kündigte eine ausführliche Beschäftigung mit der Stasi- und Doping-Vergangenheit an:

Erklärung des Landessportbundes Brandenburg e.V. (02.05.2013)

 

 

Auszüge aus dem Gutachten:



Inhaltsverzeichnis

A. Einleitung: Fragestellung und Schwerpunkte

 

B. Sport in der DDR auf zentraler und regionaler Ebene

1. Allgemeine Strukturmerkmale

1.1. Sport im Systemkonflikt

1.2 Anleitung und Kontrolle des Sports

1.3 Sonderrolle der "bewaffneten" Sportverbände SV Dynamo und ASK Vorwärts

1.4 Strukturelle Weichenstellungen: Zweiteilung der Sportarten und Nachwuchs-Sichtung

1.5 Die Sportclubs

1.6 MfS und Leistungssport

1.7 Doping in der DDR

2. Das regionale Leistungssportgefüge – Sportclubs und Kinder- und Jugendsportschulen am Fallbeispiel der ehemaligen Brandenburger Bezirke (1953-1990)

2.1 Die SC in den Bezirken Potsdam, Cottbus und Frankfurt/Oder: Gründung, Aufgaben und Topografie

2.2 Die Kinder- und Jugendsportschulen (KJS) in den Bezirken Potsdam, Cottbus und Frankfurt/O.: Entwicklung und Strukturen

2.3. Das MfS und Doping in den Sportclubs und Kinder- und Jugendsportschulen

 

C. Transformation des Sportsystems in Brandenburg

1. Vom Staatssport zum autonomen Sport

1.1 Liberalisierung des Sportverkehrs und Westwanderung

1.2 Positionen der Bürgerbewegung im Sport und Machtverlust des DTSB

1.3 Einführung des Vereinsprinzips, Verbandsbildung und Beitritt zum DSB

1.4 Von der Diktatur lernen? Forderungen bundesdeutscher Sportfunktionäre und Politiker

1.5 Von der Diktatur lernen? Die KJS in der Transformation (1990 bis heute)

2. Das regionale Leistungssportgefüge im Wandel – Transformation in den Sportclubs des Landes Brandenburg

2.1 Umstrukturierung des Brandenburger Leistungssportsystems

2.2 Vereinstransformation in den drei Brandenburger Bezirken

3. Breitensport in der Transformation

 

D. Historische, juristische und gesellschaftliche Aufarbeitung im Sport

1. Doping

1.1 Das Jahr der Kommissionen: "Reiter-" und "Richthofen-" Report 1991

1.2 Die Recherchen von Werner Franke und Brigitte Berendonk

1.3 Die Doping-Prozesse (1998 bis 2000)

2. Tätigkeit für die Staatssicherheit

 

E. DDR-Sport im Geschichtsbild Brandenburgs: Stand und Perspektiven

 

F. Fazit

 

G. Literaturverzeichnis



FAZIT, 3. Aufarbeitung und politische Bildung

Auch aus den Brandenburger Bezirken meldeten sich Geschädigte des Doping-Systems zu Wort und traten in den Moabiter Doping-Prozessen Ende der 1990er Jahre als Zeugen/innen oder Kläger/innen auf. Allerdings sind die Einzelheiten des Doping-Systems in der DDR, insbesondere der Einbeziehung von Kindern und Jugendlichen, nur in den Gerichtsakten bzw. in der entsprechenden Fachliteratur detailliert nachzulesen. Hier wäre es notwendig, die Funktionsmechanismen des Systems stärker im Rahmen politischer Bildung deutlich zu machen, um dem landläufigen Vorurteil vorzubeugen, Doping sei letztlich überall auf der Welt "das gleiche". Das trifft zwar auf den Tatbestand des Sportbetrugs zweifellos zu, allerdings darf der Unterschied nicht verwischt werden, dass in der DDR eine staatlich organisierte und mit repressiven Methoden durchgesetzte Täuschung und Körperverletzung vieler Athleten, darunter zahlreicher Minderjähriger, stattfand. Dem Aufklärungswillen auf Seiten des ostdeutschen Sports war jedoch abträglich, dass nach 1989/90 zunächst gesamtdeutsch gedachte, sportpolitische Untersuchungen zum Doping in Ost und West angesichts der besseren Beweislage sich rasch auf den Osten fokussierten und sich hierdurch ostdeutsche Sportler einseitig an den Pranger gestellt fühlten. Es ist demgegenüber notwendig, Doping in der DDR nicht isoliert, sondern im Gesamtkontext aktueller sportethischer Fragen zu diskutieren: durch welche Mechanismen fühlen sich auch heute Nachwuchssportler ermutigt oder gedrängt, sich einer illegalen Doping-Praxis anzupassen bzw. laufen Gefahr, ihre Gesundheit für den Leistungssport zu opfern. Der Stellenwert von Medaillen für das Selbstbewusstsein und Selbstverständnis einer Gesellschaft sollte nicht nur vor dem Hintergrund der DDR-Erfahrung auch heute kritisch hinterfragt werden.

 

Zu öffentlichen Kontroversen führte und führt wiederholt das Thema Staatssicherheit im Sport. Der erste LSB-Präsident von Brandenburg wollte trotz entsprechender Belastung an seinem Amt festhalten und wurde hierin durch fast die Hälfte der Wahlberechtigten beim Landessporttag 1993 bestärkt. In dieser Hinsicht durchlief der Brandenburger Sport eine ähnliche Entwicklung wie in Thüringen und Sachsen-Anhalt, wo die ersten Jahre der neuen Landessportbünde ebenfalls von langwierigen Auseinandersetzungen um MfS-belastete Führungspersonen begleitet waren. Bedauerlicherweise wird die Diskussion um Stasi-Belastungen im Sport häufig erst dann geführt, wenn prominente Sportler oder Funktionäre aufgrund von Presse-Enthüllungen "enttarnt" werden. Erheblich sinnvoller wäre auch hier, im Rahmen von historischen Studien und politischen Bildungsmaßnahmen zu verdeutlichen, in welch hohem Ausmaß das Sportsystem der DDR auch in den drei ehemaligen Brandenburger Bezirken von der Staatssicherheit gelenkt und infiltriert war und selbst Jugendliche systematisch vom MfS angeworben wurden. Denn nur so wird verständlich, weshalb viele Aktive, die primär ihren Sport betreiben wollten, sich gedrängt fühlten, sich zugleich als "IM" vom geheimdienstlichen Herrschaftsapparat der SED instrumentalisieren zu lassen.

 

„Es gibt keinen besseren Schlüssel zum Charakter einer Gesellschaft als die Art der Geschichte, die sie schreibt oder eben nicht schreibt.“302 Im Sinne dieser Bemerkung des Historikers Carr ist es wünschenswert, den Sport nicht allein auf seine Rolle als Medium der Unterhaltung zu reduzieren, sondern gleichzeitig zu erkennen, dass die Verfasstheit des Sports immer auch die politischen Verhältnisse abbildet. In einer historischen Sicht ist hierbei – gerade mit Blick auf den nahenden 25. Jahrestag der Friedlichen Revolution 1989 – auch zu würdigen, welche elementare Rolle der Sport an der Basis beim Neubeginn nach 1989/1990 im Zuge der demokratischen Umwandlung und Selbstorganisation der Gesellschaft, dem so genannten "zivilgesellschaftlichen Aufbruch", spielte.


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