Liebe Gudrun, lieber Daniel, lieber Wolfgang, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kollegen, und vor allem liebe Juniorbotschafterinnen und –Botschafter für Dopingprävention der deutschen Sportjugend!
Zunächst einmal möchte ich mich bei denen bedanken, die mich für den Preis vorgeschlagen haben, dem Allgemeine Deutsche Hochschulsportverband und der deutsche Sportjugend, sowie jenen im DOSB, die mich für diesen Preis ausgewählt haben. Ich fühle mich sehr geehrt, in einer Reihe mit Hans Lenk, Gunter Pilz und Transparency International zu stehen. Den Preis nehme ich stellvertretend entgegen für all jene, die mich gefördert, unterstützt und auch gefordert haben.
Meine Konfrontation mit den Themen Doping und Prävention von Medikamentenmissbrauch und Doping ist geprägt durch die Begriffe „Wegsehen – Hinsehen – Handeln“. Als der wegweisende Artikel meiner Vereinskameradin Brigitte Berendonk mit dem Titel „Züchten wir Monstren“ 1969 in der Wochenzeitung „Die Zeit“ erschien, war ich noch in der Phase des Wegsehens, in dieser Phase sind nicht wenige bis heute. Ich dachte mir: Sie mag ja recht haben, aber so etwas sagt man doch nicht über Kameraden!
Beim vorolympischen Kongress in München 1972 hatte ich eine Auseinandersetzung mit dem DDR-Sportsoziologen Erbach, dem späteren DDR-Staatssekretär Sport. Er behauptete, die Qualität des DDR-Gesellschafts- und Sportsystems würde durch die vielen seit Ende der sechziger Jahre errungenen Medaillen nachgewiesen werde. Mein Hinweis in der Diskussion auf den möglichen Missbrauch von Anabolika brachte mir eine Beobachtung von 1972 bis 1989 durch den DDR-Auslandsgeheimdienst ein. Dass das Thema „Doping“ nicht nur in der DDR sondern auch in der BDR ein Tabu war, zeigten die Kommentare der Freiburger Mediziner Keul und Klümper zu einem Manuskript von Pfetsch/Stork/Beutel und Treutlein, das Ergebnis eines Forschungs-projekts im Auftrag des Bundesinstituts für Sportwissenschaft zu „Ursachen von Leistungssteigerungen im Sport“. Keul und vor allem Klümper logen kräftig, im Auftrag des Direktors des Bundesinstituts, August Kirsch, gleichzeitig Präsident des deutschen Leichtathletikverbands. Als junger Assistent war ich ziemlich erschüttert und verdrängte deshalb zunächst das Thema. Als ich in den 80er Jahren versuchte, das Doping zu thematisieren, war die Reaktion: „Hast Du Belege, hast Du Beweise, sonst bist Du ein Verleumder“. So wurde ein rechtzeitiger sinnvoller Umgang mit der Dopingproblematik verhindert.
Auf einen grundsätzlich anderen Weg hätte sich der deutsche Sport 1991 nach dem Buch von Brigitte Berendonk „Dopingdokumente“ begeben können. In diesem Buch wurde das Staatsdoping der DDR, zum Teil aber auch das Doping in der Bundesrepublik offen gelegt. 26 Prozesse waren die Folge. Das Wegsehen und Verschweigen war Pflicht, für viele bis heute, wie ich als Mitglied der Evaluierungskommission der Universität Freiburg für die dortige Sportmedizin feststellen musste, die Mauer des Schweigens ist bis heute stabil. Und Aggressionen gegen Dopinggegner sind häufig. Beim hiesigen Olympiastützpunktfest 1992 habe ich mitbekommen, wie ein Vertreter meines Vereins zum Präsidenten eines Fachverbands sagte: „Der Berendonk gehört aufs Maul gehauen“; in meinem Beisein wurde 2008 Werner Franke vom Leiter des Olympiaparks München als Verbrecher bezeichnet, ich selbst vom ehemaligen Bundestrainer Steinmetz einer ehemaligen Studentin gegenüber ebenfalls als Verbrecher. Die allgemeine Reaktion war und ist: „Lass‘ doch mal den alten Scheiß, lass‘ uns konstruktiv in die Zukunft schauen“. Daraus wurde aber nichts, es ging im Wesentlichen weiter wie zuvor. U.a. wurde der verurteilte Doper Spilker Rechtswart und Vizepräsident des LSB Thüringen. Der Doper Springstein wurde wieder integriert und 2002 sogar zum Trainer des Jahres gewählt. Der Hauptunterstützer des Dopingchampions Klümper, Eberhard Gienger, wurde 2006 Vizepräsident des DOSB und ist heute sportpolitischer Sprecher der CDU. Der höchst umstrittene Ex-Staatssekretär und Präsident des badischen Sportbunds Freiburg, Gundolf Fleischer leugnet die Dopingverstrickungen von Keul und Klümper bis heute. Der deutsche Olympiachefmediziner vom 2006 und immer noch hoch verehrte Georg Huber aus Freiburg verführte 1988 den heranwachsenden Georg Lechner zum Doping mit Anabolika, ohne über gesundheitliche Gefahren aufzuklären. Die Hauptsache war, eine Medaille zu gewinnen. Die Sozialisation durch frühere Akteure wirkt bis heute; unter dem Druck, ausreichend Medaillen vorweisen zu müssen, fehlt dem organisierten Sport weitgehend die Kraft zur Selbstreinigung.
Da nach dem Erscheinen des Berendonkbuchs beklagt wurde, dass es in Sachen Doping nur gegen die Ossis gehe, habe ich von 1996 bis 2001 zusammen mit Andreas Singler ein durch die Pädagogische Hochschule Heidelberg gefördertes Projekt durchgeführt, das in die beiden Bücher „Doping im Spitzensport“ (2000) und „Doping – von der Analyse zur Prävention“ (2001) mündete. Darin wurden Fakten zur westdeutschen Dopinggeschichte offen gelegt, das Ergebnis unseres Hinsehens. Obwohl beim Verlag fast 60 Besprechungsexemplare angefordert wurden, war die Medienreaktion dazu gering. Erst Recht gab es keine Reaktionen des Sportsystems und schon gar nicht Strukturveränderungen.
Als Professor an einer Pädagogischen Hochschule sah ich es als meine Pflicht an, nicht bei der Forschung stehen zu bleiben, sondern Aktivitäten zur Umsetzung der Forschungsergebnisse in die Prävention zu unternehmen. Da ich viele Kontakte nach Frankreich habe, konnte ich mich zusätzlich auf die dortigen Erfahrungen und Materialien stützen. Dies mündete ein in die Veröffentlichung der dsj-Präventionsbroschüre „Sport ohne Doping! Argumente und Entscheidungshilfen“ ab 2004 (über 40.000 verteilte Exemplare) sowie in weitere Materialien und konkrete Präventionsmaßnahmen ab 2007. Kräftige Hilfe erfuhren wir 2008/2009 durch die Lautenschläger- und die Hopp-Stiftung.
Wie viele Athleten sich heute dopen, wissen wir nicht, jedenfalls deutlich mehr als die 0,8%, die durch Dopingkontrollen überführt werden. Das wissen wir durch Untersuchungen wie von Emmrich und Pietsch oder Striegel und Simon.
Aus theoretischen Überlegungen und Erfahrungsberichten wissen wir: Die beste Prävention ist die Vorbildwirkung von Eltern, Trainern und sonstigem Umfeld. Meine Aufforderung an Eltern: Haltet Eure Kindern nicht fern vom Leitungssport, aber schaut genau hin und beobachtet, was dort gemacht wird. Wichtig ist die Qualität des Umfelds: Neben Eltern und Trainern können im Umfeld Juniorbotschafter für Dopingprävention eine entscheidende Rolle spielen, deshalb der Ansatz der dsj: Peer-to-peer-education, Juniorbotschafter sollen Vorbilder für sauberen Sport sein und andere, ihre peers, dahingehend beeinflussen.
Ein Beispiel für das Ergebnis einer guten Präventionsarbeit: Ein damals B-Jugend-Bester jugendlicher Hammerwerfer wurde erstmals zu einem nationalen Lehrgang eingeladen. Der Bundestrainer nahm ihn bei der Ankunft auf die Seite und sagte: „Du bist zu schwach gebaut, Du musst Deine Ernährung verändern.“ Von seinem Heimtrainer wusste der junge Athlet um die Parallelsprache, d.h. die darin enthaltene Aufforderung zum Doping. Er antwortete: „Wieso Ernährung verändern? Ich wohne noch bei meiner Mutter und die kocht gut.“ Er wurde nicht mehr zu Lehrgängen eingeladen. Den Hammer warf er noch so lange, wie er einigermaßen mit seinen Altersgenossen mithalten konnte.
Was brauchen wir für die Zukunft:
1. Wie von Perikles Simon und mir schon mehrfach gefordert weniger Doping-Kontrollen und dafür Einsatz des dadurch gesparten Gelds für die Erarbeitung neuer Nachweismethoden und für die flächendeckende Prävention von Medikamentenmissbrauch und Doping.
2. Wir brauchen eine Kultur des Hinsehens und Handelns, zum Schutze der Individuen als auch des Sportsystems.
3. Als Basis hierfür brauchen wir eine wesentliche Entwicklung des Problembewusstseins in Vereinen sowie Landes- und Bundesverbänden. Nur dann wächst die Bereitschaft, Maßnahmen durchzuführen und Präventionsexperten einzusetzen.
4. Damit hängt die Notwendigkeit der Ausbildung einer großen Zahl von Präventionsexpertinnen und -experten zusammen, eine Voraussetzung für eine flächendeckenden Prävention in meinem Sinne, nämlich mit den Schwerpunkten Anleitung zum Argumentieren und Reflektieren, zum Treffen von sinnvollen Entscheidungen und zum Verantworten der eigenen Entscheidungen. Drei entsprechende Anträge von mir sind aber abgelehnt worden.
5. Wir benötigen des Weiteren eine solide finanzielle und personelle Basis für die Dopingprävention – davon sind wir meilenweit entfernt.
6. sollte das Thema „Medikamentenmissbrauch, Doping im Leistungssport sowie Alltagsdoping“ in ein Fach „Gesundheitserziehung“ in der Schule integriert werden. Anders als beispielsweise „Health Education“ in der kanadischen Provinz Ontario gibt es das im deutschen Schulwesen bisher so nicht.
7. Wir brauchen die von Bette und Schimank schon 1995 geforderte externe, unabhängige Beobachtungsplattform, bei der sich z.B. Whistleblower melden können. Sie soll rechtzeitig den organisierten Sport und die Gesellschaft auf sich entwickelnde Probleme hinweisen und Veränderungsvorschläge einbringen können. Ohne all dies ist der Leistungssport wie ein Zug, der führerlos auf einen Abgrund zurast.
Der Sportsoziologe Henning Eichberg wies schon vor ca. 40 Jahren daraufhin, dass die heutige Form des Spitzensports genauso verschwinden könnte wie das im 18. Jahrhundert beliebte „jeu de paumes“ in den Ballspielhäusern von Paris. Wenn uns etwas am Leistungssport als wertvolle Möglichkeit für die Persönlichkeits-entwicklung liegt, sollten wir uns dies zu Herzen nehmen. Eine Voraussetzung für einen sauberen Leistungssport ist die Forderung des französischen Sportpädagogen Jacques Personne: Aucune médaille ne vaut la santé d'un enfant - Keine Medaille der Welt ist es wert, dafür die Gesundheit eines Kindes zu riskieren!
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!