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Historisches rund um den Radsport



Luc Leblanc gegen Richard Virenque:

<font size=1><b>Beitrag von <a href="mailto:svenm_alesi@web.de">Sven</a></b></font>, 2005



Die Hassliebe zwischen Frankreichs überragenden Kletterern der 90er Jahre.

 

Das aufstrebende Festina-Team hatte 1994 zwei dicke Fische an der Angel: Den damals 27-jährige Luc Leblanc, immerhin Fünfter der Tour de France 1991 und französischer Straßenmeister 1992, sowie den 24-jährigen Richard Virenque, aufstrebender Stern am Radsporthimmel. Beide verband nicht nur die französische Staatsbürgerschaft, sondern auch ihre außergewöhnlichen Kletterfähigkeiten, wenn es galt, Pässe über 20 Kilometer zu erklimmen. Doch beide unterschieden sich auch durch ihre jeweilige Persönlichkeit: Hier der aus dem bürgerlichen Limousin stammende, zurückhaltende und sensible Leblanc, dort der im marokkanischen Casablanca geborene Südfranzose Virenque - egozentrisch, impulsiv, heißblütig ohne Rücksicht auf Verluste agierend.

 

Luc Leblanc: explosiv am Berg, sensibel im Leben
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Festina 1994:<br> Gemeinsames Team, aber purer Egoismus

 

Während Virenque bereits im R.M.O.-Team, aus dem Festina entstand, aktiv war und sich in der Teamhierarchie schnell nach oben hangelte, hatte es der von Castorama gekommene Leblanc schwer, seine Interessen gegen den jungen Himmelsstürmer durchzusetzen. Dennoch sollten sich beide gemäß strikter Planung der Teamleitung besinnen und gemeinsam bei der Tour de France die Festung Miguel Indurain stürmen.

 

Die Tour 1994 wurde für beide erfolgreich: Leblanc siegte in Lourdes-Hautacam, nachdem er als einziger das Hinterrad von Miguel Indurain halten konnte, Virenque nach einem grandiosen Solo über Aspin und Tourmalet in Luz Ardiden. Gleichfalls holte sich Virenque zusätzlich noch das gepunktete Trikot des besten Kletterers. Zufriedenheit stellte sich bei Festina dennoch nur bedingt ein, denn anstatt zu kooperieren und mit scharfem Teamplaying Miguel Indurain aus dem Konzept zu bringen, konzentrierten sich die Individualisten Leblanc und Virenque hauptsächlich darauf, wer von beiden letztlich bester Franzose im Endklassement war. Der Kampf miteinander wurde dem Kampf gegeneinander untergeordnet. Sympathie und Harmonie waren Fremdworte: Von Beginn an konnten sich beide nicht riechen, so dass sowohl der eine, als auch der andere wenig erpicht darauf war, nur einen Handstreich für den Teamkollegen zu tun.

 

Die Spitze der Missgunst bei der WM in Agrigento

 

Schnell war abzusehen, dass über kurz oder lang nur für einen der beiden Platz bei Festina war und rasch kristallisierte sich heraus, dass der im Team wenig beliebte Leblanc gegen den Virenque’schen „Freundeskreis“ auf verlorenem Posten stand. Für Virenque sprachen zudem sein Alter sowie die Tatsache, dass er sich bereits mit jungen Jahren einen hohen Beliebtheitsgrad in Frankreich erarbeitete – ein Status, dem Leblanc seine ganze Karriere vergebens hinterher laufen sollte...

 

Dennoch stand im Jahre 94 noch ein bedeutsamer Wettbewerb an, bei dem sich beide nochmals für ein gemeinsames Ziel zusammenraufen sollten: Die Straßen-WM im italienischen Agrigento.

 

Das bergige Profil der Strecke war sowohl für Leblanc, als auch für Virenque maßgeschneidert, so dass man gespannt sein durfte, ob beide diesmal kooperieren würden - gemeinsam für den Erfolg der „Grand Nation“. Ein Interessenkonflikt war jedoch kaum zu vermeiden: Die beiden Aushängeschilder befanden sich in Top-Form und dachten nicht im Traum daran, die eigenen Erfolgsaussichten zugunsten des anderen zu schmälern. So wurde das Rennen in seiner entscheidenden Phase nicht vom Kampf Frankreich (Leblanc, Virenque) gegen Italien (Claudio Chiappucci, Massimo Ghirotto) geprägt, sondern vom unter Neid und Missgunst geprägten „Hassduell“ zwischen den beiden Franzosen. Wenige Kilometer vor dem Ziel fuhr Leblanc, ohne Blickkontakt zu Virenque aufzunehmen, die entscheidende Attacke. Virenque zögerte eine Sekunde und verpasste den Anschluss... „Schmerzvoll“ sei es gewesen, so Virenque, dass Leblanc nur eigene Interessen verfolgte und somit den möglichen Doppelsieg – Virenque gewann schlussendlich die Bronze-Medaille – verhinderte. In Wahrheit grämte sich der gebürtige Marokkaner vor allem deswegen, weil nicht er selbst das begehrte Regenbogen-Trikot für Frankreich erobern konnte, sondern der ungeliebte Kollege aus dem Festina-Team. Ein gar schon scheinbar paranoider Virenque sah sein Beliebheitsmonopol unter dem Schatten des Eiffelturms gefährdet...

 



1995: Der Fluch des Regenbogentrikots

 

Leblanc selbst kümmerte dies herzlich wenig: Er genoss seinen Triumph und ließ sich in Frankreich feiern. Allerdings brachte ihm das Regenbogen-Trikot im darauf folgenden Jahr 1995 wenig Gutes. Die neue Sportgruppe „Le Groupement“, der er sich anschloss, wurde bereits zur Hälfte des Jahres aufgrund akuter Finanzprobleme und sektenähnlichen Verhaltensweisen aufgelöst. Der „Fluch des Regenbogentrikots“ hatte sich also wieder einmal bewahrheitet. Virenque hingegen schwamm zurück auf die Welle der Beliebtheit, indem er als alleiniger Kapitän seiner Festina-Mannschaft bei der Tour de France erneut auftrumpfte und sich Etappensieg (in Cauterets) und Bergtrikot holte.

 

Richard Virenque: französischer Volksheld
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1996: Showdown im Zentralmassiv

 

Leblanc fand im Polti-Team unter Gianluigi Stanga seine neue sportliche Heimat in Italien. Nach der verkorksten Vorsaison konnte es jetzt nur noch aufwärts gehen, doch die Tour de France begann wenig verheißungsvoll: Ein Sturz in den engen Straßen von s’Hertogenbosch brachte Leblanc nicht nur einige Schrammen bei, sondern auch viele Minuten Rückstand in der Gesamtwertung.

So attackierte Leblanc auf der ersten Bergetappe nach Les Arcs unwiderstehlich und unbeachtet von den Favoriten. Nur Virenque zuckte unentwegt und versuchte damit, dem Kontrahenten einen Strich durch die Rechnung zu machen. Vergeblich, denn der für die Gesamtwertung durchaus noch gefährliche Virenque wurde im Gegensatz zu Leblanc „ernst genommen“. Auf der Zielgeraden von Les Arcs zelebrierte Leblanc seinen Triumph über das Tour-Peloton, vielmehr jedoch den Triumph über Virenque ...

Ein Spektakel bot sich den Fans auf der Etappe nach Superbesse-Sancy im Zentralmassiv: Es entwickelte sich ein Showdown der beiden verfeindeten Franzosen. In den kurzen giftigen Steigungen attackierten sie sich gegenseitig und am laufenden Band. Immer wieder wurden abwertende Blicke ausgetauscht. Die Folge war, dass diese Etappe weder von Leblanc, noch von Virenque gewonnen wurde – der lachende Dritte war der Däne Rolf Sörensen.

 



1997: Talfahrt gegen Höhenflug – <br>das Auseinanderdriften sportlicher Leistungen

 

Während der ersten Woche der Tour de France 1997 war Luc Leblanc in einen der unzähligen Massenstürze kurz vor dem Ziel einer Flachetappe verwickelt. Der Vorfall wurde umgehend von Festina-Chef Bruno Roussell antizipiert und nur einen Augenblick später spannte sich die komplette Mannschaft um Richard Virenque vor das Feld, um den Schaden des Kollegen zu maximieren. Eine durchaus erwähnenswerte Anekdote im Kleinkrieg der beiden Franzosen ....

Es knisterte vor der ersten Bergetappe nach Loudenvielle, doch schneller als vermutet wurde das Duell der beiden Erzfeinde entschieden: Bereits am allerersten Pass der Rundfahrt, am Col du Soulor in den Pyrenäen, schwächelte Leblanc und kam mit dem Grupetto ins Ziel. Dadurch verschwand er in der Bedeutungslosigkeit, während sich Virenque in den Folgetagen packende Zweikämpfe mit Jan Ullrich um den Tour-Sieg lieferte.

 



1998: Festina-Skandal und letzte Strohfeuer des Luc Leblanc

 

Langsam aber stetig ging es mit der Karriere des Luc Leblanc bergab: Der in die Jahre gekommene Kletterspezialist ließ nur noch dann und wann und sehr sporadisch seine einstmals gefürchteten Attacken am Berg aufblitzen. Der Giro d’Italia 1998 verlief wie im Vorjahr enttäuschend für Gianluigi Stanga und seine Doppelspitze Davide Rebellin/Leblanc. Beide wurden in den steilen Passagen der Dolomiten von Marco Pantani und Co. geradezu stehengelassen. Hoffnung weckte das Ausrufezeichen bei der schweren französischen Meisterschaft Ende Juni 1998 nahe Clermont-Ferrand: Leblanc belegte hinter einem überragenden Laurent Jalabert den zweiten Rang. Dadurch konnte er nach langer Zeit wieder einen „Sieg“ über seinen Erzfeind erringen – Virenque wurde hinter den zeitgleichen Jalabert und Leblanc mit 45 Sekunden Rückstand Dritter. Dies sollte zugleich der letzte sportliche „Sieg“ sein, den Leblanc in seiner aktiven Karriere errang.

Was folgte, war der Doping-Skandal um die komplette Festina-Mannschaft vor dem Start der Tour de France 1998, der zum Ausschluss der gesamten Equipe nach der ersten Tourwoche führte. Ein unter Tränen stehender Richard Virenque verabschiedete sich in dramatischem Stile von seinem französischen Publikum. Leblanc hingegen schien dies zu beflügeln, hielt er doch in den Pyrenäen überraschend gut mit den übrig gebliebenen Favoriten um Jan Ullrich und Marco Pantani mit. Der Skandal um den Kollegen als Motivationshilfe, so schien es ... In den Alpen allerdings flackerte das Lichtlein Leblanc nur noch kurz auf, als er eine Attacke am Galibier fuhr und den kriselnden Maillot Jaune-Träger Jan Ullrich in die Bredouille brachte. Ihm selbst brachte dieser Effort wenig ein: Leblanc erlebte wenige Minuten später sein Waterloo – er brach völlig zusammen und krebste mit großem Rückstand ins Ziel nach Les Deux Alpes. Es war das Ende der sportlichen Karriere des Luc Leblanc...

 



1999: Richard Virenques Wechsel zu Polti führt zur Ausbootung Leblancs

„Ich hoffe, ich kann an der Tour de France 1999 teilnehmen. [...] Die Tour ist für mich der Grund, zu leben.“ Richard Virenque bei seiner Präsentation als Polti-Fahrer

 

Gianluigi Stanga feuerte den Franzosen zu Beginn des Jahres 1999 – angeblich aufgrund der sportlichen Missverfolge des Vorjahres ...

 

Leblanc war damit nicht einverstanden, pochte er doch auf den bestehenden Vertrag bis einschließlich 1999. Pikanterie der Geschichte: Just vor der Trennung von Leblanc verpflichtete Stanga ausgerechnet Richard Virenque als neue Speerspitze. Für Leblanc brach eine Welt zusammen. Ausgerechnet für seinen nebulösen Erzfeind, der im Gegensatz zu vielen seiner Festina-Teamkollegen Doping strikt leugnete, musste er über die Klinge springen. Unter Tränen sprach Leblanc am Abend des Tages der Bekanntgabe des Virenque-Wechsels im französischen Fernsehen folgende Worte: „Aber es ist wahr, man hat mich getäuscht, wenn ich sehe, was jetzt passiert. Es ist unwürdig.[...] Man wirft mich weg.[...]“.

 

Dagegen mussten Virenques Worte in seinen Ohren wie purer Hohn geklungen haben: „Die Teams hatten sich alle von mir abgewendet und jeder schloß die Türen vor mir. Ich hatte im November wieder mit dem Training begonnen. Im Dezember habe ich aufgehört und ich befand mich in einer tiefen Depression. [...] Ich hoffe, ich kann an der Tour de France 1999 teilnehmen. Das wünsche ich aus ganzem Herzen. Die Tour ist für mich der Grund, zu leben."

 



Juristisches Nachtreten und Possenspiel

 

Das Possenspiel war jedoch noch nicht vorbei: Im April 1999 schrieb Luc Leblanc einen offenen Brief an Patrick Keil, den damaligen Ermittlungsrichter im Festina-Prozess. Er teilte ihm seine persönliche Situation im Zusammenhang mit der Festina-Affäre mit. Schnell verbreiteten sich die Gerüchte, dass Leblanc in diesem Brief konkret Richard Virenque des Dopings bezichtigt haben solle. Dies allerdings dementierte Leblanc vehement. Im Zuge des Verfahrens um das Schmerzensgeld aus dem Stanga’schen Vertragsbruch forderte Leblanc immer groteskere Maßnahmen ein: Er wollte Poltis Tour de France-Start für das Jahr 1999 verhindern. Zudem warf er UCI-Präsident Hein Verbruggen Korruption vor und warb mit einer Tonbandaufnahme eines abgehörten Telefonats zwischen eben jenem Verbruggen und Leblanc selbst. All dies verlief im Sande – das Schmerzensgeld in Höhe von ca. 800 000 Euro musste Polti dennoch an den Franzosen zahlen, so das Urteil des Prozesses.

 



Gemeinsame Dopingvergangenheit

 

Nachdem Richard Virenque im Jahre 2000 nun doch zugab, Dopingmittel genommen zu haben und daraufhin 12 Monate gesperrt wurde, räumte auch Leblanc ein, zu seiner Festina-Zeit 1994 verbotene Substanzen zur Leistungssteigerung konsumiert zu haben. Verfeindet waren sie, die beiden - gleichwohl schreckten sie aber auch nicht vor dem Teufel zurück...

 

Heute (2005) arbeitet Leblanc als Sportdirektor beim für 2004 neu gegründeten belgischen Rennstall Chocolade Jacques. Virenque fuhr noch bis 2004 professionell Rad, bis auch er zum Ende dieser Saison das Sportgerät an den Nagel hing.

 

Beide Männer waren charismatisch, trotzdem grundverschieden, boten stets ein sportliches Spektakel, betätigten sich aber auch der Hilfe unerlaubter Mittel zur Leistungssteigerung, was dieses großartige Duell der 90er Jahre im Nachhinein doch arg in den Schatten stellt.

 


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