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checker beim GP Schwarzwald 2002, Teil 2

 

Die Strasse steigt weiter unerbittlich an, kein Flachstück, nach jeder Kurve immer nur eine weitere, scheinbar endlose und brutal steile Gerade. Ich bekomme ernsthafte Probleme, muss immer wieder aus dem Sattel, mir wird schwindelig - mittlerweile ist es ziemlich warm geworden. Habe ich zu wenig getrunken? Mit der "kontrollierten Quälerei" ist es jetzt Essig - ich fahre am obersten Limit, leide wie ein Hund. Gedanken schiessen mir durch den Kopf: "Ich erreiche das Ziel nie!", "Wie soll ich denn dann noch den Feldberg schaffen?", "Nie wieder nehme ich an diesem blöden Rennen teil!!" Ich habe wirklich "die Schnauze voll", kann nicht mehr, will nicht mehr, meine Motivation ist im Keller, Verzweiflung macht sich breit - aber ich fahre weiter. Es stehen ja auch viele Menschen am Straßenrand, die mich und die anderen anfeuern.

 

Ich krieche den Berg hinauf, schneller als 10 km/h bin ich nicht. Rechts ein Schild: "Noch 25 km" - sehr aufbauend! Ich will keinen Meter mehr fahren! Wieder ein Schild, ein Ortseingangsschild: "Stohren". Noch eine Linksserpentine, 100 m später eine Rechtskurve - und dann wird es endlich flach! Dass ich noch nicht oben bin, ist mir bewusst, aber jetzt gibt es zumindest mal eine kleine Erholungspause. Ich bin platt, fahre die Flachstrecke mit 39:19, von Regeneration keine Spur - und ehe ich mich versehe, steigt die Strasse auch schon wieder an. Dieses Mal sehr moderat - 10 bis 12%.

 

Ich fahre, trete einfach in die Pedale, irgendwo kommen diese kleinen Portiönchen Kraft her. Vor mir sehe ich Fahrer, hinter mir sind welche - egal. Immer weiter geht es nach oben. Eine letzte Rampe, eine Art "Sprint" (wer es gesehen hätte, würde sich über den Ausdruck totlachen) - und ich habe den (vorläufig) höchsten Punkt erreicht. Rechts ab, breite Strasse - und 100 Meter weiter die Verpflegungsstelle. Welch ein Segen! Als einziger halte ich an und mache eine kleine Pause. Ich bin fix und fertig, trinke ein paar Schlucke Wasser, zittere. Der Typ an der Verpflegung hetzt: "Los, weiter geht's, du bist Siebenter!" Abgesehen davon, dass ich ihm sowieso kein Wort glaube - diese Pause MUSS sein. Mindestens 8 Mann fahren an dieser Stelle an mir vorbei, aber das ist mir egal. Ich stecke noch eine Flasche ein, dann setze ich mich wieder auf mein Rad und fahre langsam los.

 

Abfahrt - Beine hängen lassen, erholen. Denkste! Die ersten drei Kilometer sind kaum abschüssig, vielleicht 2% Gefälle, und der Wind kommt von vorn. Meine Beine sind immer noch bleischwer, ich fahre nicht schneller als 30 km/h. Von hinten kommt eine Dreiergruppe herangefahren. Ich überlege tatsächlich, ob ich mich ranhängen oder sie ziehenlassen soll.

 

Ich tue Ersteres, sehr schnell fahren die auch nicht. Ich versuche, zu essen und zu trinken, kleine Rationen. Wir erreichen die Strassenkreuzung am Notschrei, ab da wird es steiler. Ich kann das Rad rollen lassen - und siehe da: JETZT erhole ich mich, fühle mich schlagartig wieder besser, spüre die Kraft zurückkommen! Ich werde geradezu euphorisch. Plötzlich sind es "nur noch knapp 20 km

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Ortsdurchfahrten mit Tempo 70, zwei scharfe Haarnadelkehren, lange Geraden - die Abfahrt ist Genuss pur. Unten in Todtnau geht es links ab, ein flaches Stück von knapp einem Kilometer Länge folgt. Ich esse einen halben Energieriegel, trinke aus der Flasche, die ich am Schauinsland mitgenommen habe (irgend ein komisches Sportgetränk, etwas süß) - und setze mich pünktlich, da die ersten Rampen hinauf zum Feldberg beginnen, an die Spitze der Gruppe.

 

Ich nehme die Euphorie aus der Abfahrt mit, fühle mich, als könnte ich Bäume ausreißen. Und siehe da - meine Begleiter haben Mühe, mir zu folgen, müssen bald abreißen lassen! Vor mir fahren etliche Fahrer einzeln den Berg hinauf - die schnappst du dir alle! Tatsächlich fahre ich an vier, fünf Mann vorbei, fühle mich großartig. Bis hierher ist der Anstieg auch nicht sehr steil, und immer wieder gibt es flache Passagen. Ich weiß, dass es oben steiler wird, aber das macht mir keine Angst.

 

Noch etwa 6 km bis ins Ziel. Von hinten kommen jetzt zwei Fahrer zu mir nach vorn, ich lasse sie passieren und hänge mich hinten ran. Ich überlege mir zum ersten Mal, ob mir mein Gefühl zu Beginn des Anstieges nicht einen Streich gespielt hat, denn ich habe Mühe, an den beiden dranzubleiben. Meine Beine werden jetzt von Tritt zu Tritt schwerer, ich habe Durst, aber dieses blöde Sportgetränk stillt diesen kein bisschen. Ich brauche Wasser, aber woher nehmen? Meine beiden eigenen Trinkflaschen sind leer. Nicht mehr weit, sage ich mir. Rechts ein Schild: "Noch 5 km". Und jetzt nimmt die Steigung zu, 8 bis 10%. Meine beiden Begleiter fahren mir davon. Und so langsam stellt sich das Stohren-Gefühl wieder ein...

 

Die Sonne knallt unbarmherzig vom Himmel, kein Schatten weit und breit, die gesamte Strasse ist in grelles Licht getaucht. Steigung fast konstant bei 10%. Ich schleppe mich den Berg hinauf, 12 km/h, vielleicht mal kurz 13, schneller geht es nicht.

 

Ich habe wieder Schwindelgefühle, aus meinen Beinen scheint jegliche Kraft gesogen. Und wie gut hast du dich noch vor 5 km gefühlt! So schnell kann es gehen. Manchmal gehe ich aus dem Sattel, um eine kurze Atempause zu finden, und bremse dabei bis auf Schrittgeschwindigkeit ab. Ein Fahrer, den ich vorhin noch überholt habe, lässt mich jetzt stehen. Frustrierend. Weiter quäle ich mich hinauf. Wie weit noch? 3 Kilometer? 2 Kilometer. Das Ziel scheint unerreichbar. Ich will absteigen - aber ich bleibe im Sattel. Sebastians Einschätzung geht mir durch den Kopf: "nicht allzu schwer". Wenn ich dich erwische, du...

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Ein Schild: "Noch 2 km". Wie lächerlich sind 2 km auf der täglichen Trainingsrunde? Und welche nahezu unüberbrückbare Distanz stellen sie jetzt dar? Manchmal fahre ich nur noch 10 km/h. Rechnen kann ich noch: 2 km entsprechen bei meinem Tempo mindestens 10 Minuten Fahrzeit. Leidenszeit. Qualzeit. Meine Füße brennen, die schwarzen Radschuhe absorbieren die Sonnenwärme.

 

Jetzt vielleicht noch 1500 Meter. Ein weiterer Fahrer schließt von hinten auf. Ich weiß nicht, wie ich es schaffe, aber ich fahre ein Zeitlang auf einer Höhe mit ihm. 15 km/h. Das ist nicht die zweite oder dritte Luft, sondern reine Willenssache. Wir passieren den Teufelslappen. Wenig später distanziert mich mein kurzzeitiger Begleiter.

 

Ich versuche dranzubleiben, gehe aus dem Sattel - und falle fast vom Rad! Meine Muskulatur ist komplett festgefahren, im Wiegetritt kann ich das Rad nicht mehr kontrollieren. Wieder in den Sattel, Rhythmus finden. Vielleicht noch 500 Meter. Ich fühle, wie ich meine Leistungsgrenze überschreite. Schild: "300 m" - komm schon! Letzte Kraft, "200 m", von hinten zieht noch einer an mir vorbei, "100 m", "50m", ich höre auf zu treten, drehe mich um, rolle ins Ziel. Geschafft. Der Sprecher nennt meinen Namen.

 

Es ist kurz nach dreiviertel zwei. 125 km sind absolviert, in exakt 3 h 48 min 18 sec.

 

Ich rolle aus, mache eine Kehrtwendung, fahre ein paar Meter zurück in Richtung Ziellinie und bleibe schließlich stehen. Eine Weile stehe ich einfach nur da, wie versteinert, mein Blick geht ins Leere. Dann beuge ich mich über meinen Lenker und verharre. Ich bin mausetot, platt wie eine Flunder, habe alles gegeben und noch ein bisschen mehr. Noch nie habe ich mich derartig verausgabt, selbst nach meinem Marathon-Debüt war ich vergleichsweise frisch.

 

Mein Vater steht gegenüber hinter der Bande und filmt, ich winke nur kurz ab. In meinem Kopf dreht sich alles, kurzzeitig habe ich die Befürchtung, einfach umzufallen. Sicherlich war ich dehydriert (KS kann mir das vielleicht bestätigen...). Es scheint, als liefen alle meine Lebensfunktionen auf Sparflamme. Ein freundlicher Herr in weiß-orange kommt zu mir und fragt, ob ich Hilfe benötige, ich sähe sehr blass aus. Genau genommen hätte mir so ein Liter isotonische Kochsalzlösung vom Tropf jetzt tatsächlich ganz gut getan, aber ich sage ihm, ich erhole mich gleich wieder und bräuchte nur etwas zu trinken.

 

Nach einiger Zeit gehe ich zu meinem Vater rüber. Eigentlich schwanke ich. Er nimmt mir das Rad ab, hat aber nichts zu Trinken dabei. Ich frage mich zur Schwimmhalle durch, gebe meinen Transponder ab. Vor dem Halleneingang ein großes Reservoir an Getränken. Na endlich! Ich schleppe mich hin, trinke zuerst eine Flasche Wasser, dann eine Flasche Apfelschorle, schließlich noch eine Flasche Wasser - 1,5 l in etwa 4 Minuten. Trotzdem stehe ich immer noch neben mir, unsicheren Schrittes betrete ich die Schwimmhalle, wo Duschmöglichkeiten sind. Ich nehme mir noch eine Cola und lasse mich in einen Plastikstuhl fallen.

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Mittlerweile sind 25 Minuten nach meiner Zieldurchfahrt vergangen. Ich hänge in meinem Stuhl wie ein Schluck Wasser und nippe an meiner Cola. Der Kerl gegenüber sitzt auch wie ein Häuflein Unglück da. Wir reden ein wenig, er muss etwa zur gleichen Zeit wie ich ins Ziel gekommen sein. Dann stehe ich auf, gehe duschen, ziehe mir frische Sachen an und verlasse die Schwimmhalle wieder. Langsam kehrt das Leben zurück.

 

Etwa eine Stunde nach meiner Zieleinfahrt treffe ich auch Rino wieder. Er ist noch nicht lange im Ziel und sieht doch schon erstaunlich erholt aus. Seine Familie ist da, ebenso ein Freund, der auch schon in Frankfurt zugegen war. Wir reden noch ein Weile über das Rennen, Rinos Frau macht ein "Zielfoto" von uns beiden (auf dem ich immer noch keinen guten Eindruck mache...). Dann verabschiede ich mich, immerhin sind es sechs, sieben Stunden Autofahrt bis nach Hause.

 

Meine Erschöpfung ist (zum großen Teil) der Zufriedenheit über meine Leistung gewichen. Ich habe zwar ein wenig Lehrgeld zahlen müssen (zu weit hinten in der Startaufstellung, nicht genügend getrunken) und konnte vor dem Rennen auch nicht optimal trainieren, aber ich habe die Quälerei überstanden, und das als 31. ziemlich respektabel. Und meine Gefühlslage am Stohren war natürlich nur eine Momentaufnahme - im nächsten Jahr bin ich wieder dabei! Ist doch eigentlich klar.

 

 

Beitrag vom Checker                             


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