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Radlerprosa



etc. PP - Posers Prosa

Ernstes, Lustiges, Skurriles von Radsportfan Manfred Poser



Nach Süden, nach Norden – zwei Radreisen

 

Es ist fast zehn Jahre her, dass ich meine letzte mehrwöchige Radreise absolvierte (Sizilien und Kalabrien). Nun, da Rentner, habe ich viel Zeit und beschloss, einmal wieder 4 Wochen fortzubleiben. Italien bot sich an, da Ende Mai in Cremona das internationale Treffen der Liebhaber alter Räder (IVCA) stattfinden sollte. Ich wollte mit dem Rad anreisen und dann weiterfahren in die Toskana, die Marken und bis nach Rom: in den Süden.

 

Dann kündigten gute Bekannte an, sie wollten sich am 30. Juli in Husum treffen und dann hoch in den Norden Dänemarks. Da fahre ich mit … und mit dem Rad hoch, dachte ich spontan; ich könnte vielleicht Freund Jan Paulsen in Drammen bei Oslo besuchen: also der Norden. Das waren die beiden Reisen, die dann völlig unterschiedlich ausfielen.



Cremona, die Toskana, Rom

 

Meine Italien-Reise erinnert an die vom September 2018 (Italien, mal wieder), aber das ist nicht schlimm. Wir haben alle unsere Gewohnheiten.  

 

Mitte Mai nahm ich einen Zug nach Lugano und fuhr am Nachmittag  gemächlich aus der Stadt hinaus und zum Comer See. An dessen Nordspitze erwartete ich auf Campingplatz Nummer zwei François und seinen Sohn Jerôme, die ein Tandem bewegten. Gemeinsam (na ja, nicht ganz: Sie mussten oft auf mich warten, Tandems sind schnell!) ging es über Lecco nach Bergamo, wo die beiden ein Hotel gebucht hatten. Es war ein Glaspalast im Gewerbegebiet, und für mich gab es nur noch ein Zimmer zum Preis von 190 Euro. Pech. Dafür lud mich François zum Essen ein.



Am Tag darauf erreichten wir Cremona, die Geigenbauerstadt östlich von Mailand. Am Nachmittag ist der Verkehr um diese norditalienischen Städte Bergamo, Perugia und Cremona herum enorm. Das macht wenig Spaß. Das dreitägige Treffen mit den Fahrradfreunden war bunt und turbulent; man müsste es extra schildern. Nur der erste Tag hielt sich sonnig, dann setzte Regen ein, vor dem ich mich schließlich in eine nette Pension flüchtete, die eine nette Person leitete, Patty, mit der ich mich glänzend verstand. Am Abend ging ich zum Dom, da war gerade ein Theaterspektakel, und alle saßen friedlich davor wie im Wohnzimmer. In diesen italienischen Städten fühlt man sich einfach geborgen.   

 

Das Organisationsteam in Cremona, hinten Mäzen Alfredo Azzini.


Ich wollte weiter. Im Osten hatte es starke Überschwemmungen gegeben, und ganze Straßen waren weggeschwemmt worden, darum fielen Ferrara und Ravenna an der Adria aus. Fährst du eben an die andere Küste, dachte ich mir, an die tyrrhenische. Ich hatte mir eine schöne Straße Richtung Süden ausgekuckt und meinte, bald La Spezia erreichen zu können. Dann studierte ich die Karte näher und begriff, dass ich auch da über den Apennin müsste: 700 Höhenmeter auf 5 Kilometer verteilt, und das bei 30 Grad.

 

Viel zu viel Gewicht auf dem Rad hatte ich, quälte mich dennoch hoch, doch bis zu dem Ort Berceto war es zu weit. Ja, da gibt es ein Ostello, sagte mir ein Motorradfahrer, als Wolken aufzogen. Und vor ihm befand ich mich, als die ersten Tropfen fielen. Die Mitarbeiterin nahm mich auf und mir dann 22 Euro für die Nacht ab sowie 5 für mein Rad, dass es trocken im Büro stehen durfte. Italiener sind geschäftstüchtig, um es so zu sagen.

 

In der Pension weilten sechs Männer, die auf der Via Francigena wanderten. Mit drei von ihnen aß ich zu Abend, und wir diskutierten übers Paranormale, von dem zwei gar nichts hielten, während der dritte daran festhielt, er habe einmal in Notre-Dame seine verstorbene Mutter neben sich gespürt.

 

Am nächsten Tag schaffte ich es hoch zum Passo della Cisa (1041 Meter).



 

Hinter mir schoben sich Wolken heran. Aber ich fuhr ihnen davon und war am späten Nachmittag am Lungomare (die Straße am Meer entlang) von Viareggio. Ein Holländer dirigierte mich durch die Stadt zu seinem Campingplatz, wo es später hieß, morgen am Nachmittag werde es regnen.

 

Irgendwie hatte ich am nächsten Tag wenig Lust und fuhr zum Bahnhof von Pisa. Da kriegst du schnell ein Ticket, hast zehn Minuten Zeit, einen Aufzug zum Gleis gibt’s auch, umsteigen in Empoli, um zwei Uhr bist du in Siena in der Toskana, und noch dazu ist der Campingplatz ganz nah. Um halb vier fing es dort zu schütten an. Eine Viertelstunde öffneten sich die Schleusen des Himmels, doch dann war wieder Ruhe.

 

Als nächstes wollte ich zum Lago di Trasimeno. Man fährt durch diese zauberhafte toskanische Landschaft mit den Zypressen und dem geordneten Land in der Ferne, und Touristen sind da im Auto unterwegs. Einer aus Mülheim hatte einen alten Porsche, ein Paar aus den Niederlanden einen alten Volvo. Mit allen habe ich geplaudert. Der Weg war mir unklar, ich fragte hier und dort und erfuhr: Du musst über Montepulciano. Eine kleine Straße ging ziemlich steil hoch, es war viel Verkehr, und plötzlich konnte ich nicht mehr.

 

Ich musste schieben, welche Schande! Ich sagte zu mir: Der Tag hat dich geschafft, du kannst nicht mehr, vielleicht musst du in der nächsten Pension übernachten … Eine Frau sagte: nur noch eine Steigung, dann links hinunter, und du kommst zum See. Ich drehte mich um, und mein Blick fiel auf ein Schild: 17 Prozent Steigung! Nun verstand ich alles. Nicht ich war am Ende, nein, die Steigung war einfach zu streng.

 



Die 17 Prozent.

 

Jedenfalls war ich um 20 Uhr am Campingplatz am Trasimenischen See. Sie hatten ein Restaurant, und ich öffnete die Tür. Als mich von den Tischen ein Dutzend Gestalten unmotiviert anblickten, vermutlich Wohnmobil-Leute, machte ich auf der Stelle kehrt und aß Pizza 100 Meter weiter; da war es unterhaltsam, Italiener waren unter sich.

 

Mir fehlte eine Landkarte, Smartphone habe ich nicht, aber mit zehn Mal fragen kommt man auch voran. Erst am Nachmittag war ich in Foligno, der Rest nach Camerino versprach viel Steigung. Ich rief Chiara an, und sie holte mich mit dem Auto ab. Sie wohnt mit Fabiano etwas abgeschieden auf einem Berg mit Blick auf Camerino, wo sie aufgewachsen ist. Die Stadt ist verödet, weil sie 2017 von einem Erdbeben durchgeschüttelt worden war.

 



Der Blick auf das Land.

 

Vier Tage blieb ich dort, schrieb am Morgen an der Sonne ein paar Artikel, und am Abend trafen wir uns mit Freunden. Es war genial, nach ein paar Tagen auf dem Rad Pause zu machen … mein Hinterteil tat mir weh, ich wusste nicht warum. Lag es am zu hohen Sattel?

 

Anfang Juni verließ ich die Stadt und hatte eine ruhige Fahrt nach Foligno, wo ich einen Zug nach Rom nahm, um ein paar Tage bei Freund Romano zu bleiben. Ich schlief auf einem Sofa im Wohnzimmer, und zwei Tage unternahmen wir Touren in die Umgebung, die bei Romano immer um sechs Uhr am Morgen beginnen und um zehn Uhr am Abend enden. Und wieder fuhren wir am frühen Morgen auf den Straßenbahnschienen hoch und oben am Kolosseum vorbei, wie vor 20 Jahren schon öfter.

 



Die Pyramide von Kaiser Cestius in Rom.

 

Dann war’s genug, Romano begleitete mich zum Bahnhof, und ich nahm den Zug nach Pisa (5 Stunden Fahrt), und dort stieg ich um und ließ mich bis auf den Apennin befördern, nach Pontremoli. Zehn Kilometer weiter lag der Cisa-Pass, und da stand ein riesiger gelber Touristenbus, der nach Berceto wollte. Ja, er würde mich mitnehmen, sagte der Fahrer. Was es koste? Er winkte ab. Ich lud mein Rad ein, und er fuhr eine Stunde im Regen auf der Autobahn über die Berge und kreuz und quer, und ich verstand nicht, wohin er eigentlich wollte. Ich war der einzige Passagier. Er setzte mich in Borgo Val di Taro ab. Da gebe es einen Campingplatz, meinte er.

 

Den fand ich auch und redete mit Mirko. Willst du einen Kaffee? fragte er. Wir verstanden uns prächtig. Es war ein einsamer Campingplatz, auf dem ich alleine war. Es gab eine Straße ohne Steigung hinunter in die Po-Ebene. Um acht Uhr am Morgen fuhr ich los, wurde von tausenden Autos und Lastwagen überholt, und um sieben Uhr am Abend war ich in Lodi und checkte in einem Hotel ein. Glanzvoll. Es fehlten noch 100 Kilometer, ich besuchte wieder den Campingplatz, auf dem meine Reise begonnen hatte (eine Rundtour Lugano-Lugano sozusagen) und war dann bald wieder zu Hause.

 



Ankunft in Cremona.

 

Wenn ich darüber nachdenke, merke ich, dass ich nach Cremona eigentlich nur 6 Tage voll geradelt bin, jedoch 10 Tage Pause hatte. Darum waren es allenfalls 900 Kilometer in 24 Tagen.



Hoch nach Husum

 

Die Reise in den Norden ließ mich auch 900 Kilometer radeln, doch sie waren in elf Tage gepresst. Am 20. Juli fuhr ich los, um am 30. in Husum zu sein. Ich habe es auch geschafft, aber sehr lustig war es nicht. Selber schuld, wenn man sich unter Druck setzt. Brauchen Männer immer Herausforderungen? Ich nehme mir vor, nächstes Jahr nach dem Lustprinzip Rad zu fahren und die Leistung hintan zu stellen.

 

Am ersten Tag ging es bei heißem Wetter am Rhein entlang, durch Straßburg und nach Hagenau auf den Campingplatz. Das waren schon einmal 120 Kilometer. Aber die Reise stand unter keinem guten Stern: Schon am ersten Tag hatte ich Probleme mit meinen neuen Fahrrad-Schuhen, nach dem zweiten Tag – nun auf der Höhe Kaiserslautern – hatte ich wieder Schmerzen am Gesäß. Zehn Jahre lang hatte ich das nie gehabt. Wenn’s so anfängt, wird man traurig.

 

Am Ende des dritten Tages hatte ich den Rhein erreicht und campierte am großen Fluss, bei St. Goar. Da waren andere Radler in der Nähe, ein holländisches Paar wollte nach Bologna, zwei Jungs aus Zug nach Holland, und sympathische Tschechen waren da. Die Nacht war unruhig, denn die Schiffe gleiten nicht nur vorbei, sondern machen tüchtig Lärm.

 

 

Mein Zelt am Rhein.


Viele Radtouristen (vorwiegend Paare) befahren den Radweg am Rhein. Ja, es gibt eine Menge Radtouristen! Ich erreichte Koblenz, aber die Stadt besteht nur aus großen Straßen, die der Radfahrer nicht nehmen darf. Über viele Hügel erreichte ich Montabaur, 20 Kilometer weiter sollte ein Campingplatz sein. Es fing zu regnen an. Ich sah ein Hotel, aber der Blick auf die Speisekarte sagte mir, dass es der übliche Standard wäre: mittelmäßige Kost, steriles Ambiente, Zimmer vermutlich 70 Euro. Mindestens. Ich fuhr weiter. Der fragliche Ort war klein, irgendwo lag ein See, ich hielt am Hauptplatz und fragte ein paar Leute, die dort Kirmes abhielten.

 

Einer lächelte mich gleich an, der zweite bot mir ein Bier an, der dritte fragte, wohin ich unterwegs sei, und nach einer Stunde war mir, als hätte ich all die 30 Leute schon jahrelang gekannt. Wir tranken ein kleines Bier nach dem anderen, hörten Rockmusik, redeten darüber, bestellten uns Pizza, und so wurde es ein magischer Abend, bis um eins die Gruppe aueinanderging. Ich gehörte dazu und durfte im Gemeindehaus übernachten; so etwas hatte ich noch nie erlebt. Ich fühlte mich nicht betrunken und hatte am nächsten Tag keinen Kater. Es war eigentlich ein verkorkster Tag gewesen, ich kam nicht richtig weg von Koblenz – und dann wurde ich doch belohnt. Alles im Leben hat sein Gutes; letztlich ist alles gut.

 

Dazu gehört auch die Trauer nach dem magischen Abend. Du sitzt bei Regen an einem See bei Olpe nördlich von Siegen, das Gestänge des Zelts hat einen Riss, und du denkst dir: Lass es sein, fahr zurück. Von Siegen gehen Züge über Frankfurt heim. Doch dann siehst du am nächsten Morgen das Schild Meschede und setzt die Fahrt fort. Meschede hat einen See, doch wieder fuhr ich dummerweise am Campingplatz vorbei und machte fluchend weiter. Musst du also nach Warstein, und das war fad auf dieser breiten Schnellstraße, doch bald erspähte ich das ersehnte Schild: Campingplatz. Er lag etwas außerhalb, gehörte zum Reich der gleichnamigen Brauerei und war völlig verlassen. In einem Häuschen konnte man sich schön duschen, auf einer Bank seine Vorräte verzehren. Ich war allein auf dem Planeten Warstein und fühlte mich wohl.



Allein auf dem Planeten Warstein.


Am nächsten Tag kam eine Frau mit Hund vorbei und sagte: „Sie wissen schon, dass das Zelten hier verboten ist?“ Wir sind in Deutschland. Ich brach mein Zelt ab und fuhr weiter nach Norden. Immer wieder Straßen, die für Radfahrer verboten sind. Man muss über die Dörfer. In einem war ein wunderbarer Jahrmarkt mit Dutzenden Ständen, der ganze Ort war voll. Bielefeld dagegen ist hässlich und langgestreckt. Es regnete.

 

Herford. Ein öder Campingplatz außerhalb. Immerhin war es Mittwoch, und das nahegelegene Restaurant bot Schnitzel zum Sich-Sattessen. Am Morgen starker Regen, Ich fuhr im Corona-Overall zum Bahnhof Herford. Wie gut, in Deutschland zu sein! Du kriegst das Niedersachsen-Ticket, gleich kommt ein Zug, du steigst in Osnabrück und Bremen um und verlässt den Zug in Hamburg-Harburg. Dann westlich an der Elbe entlang ins Alte Land.

 

Ein schönes Haus im Alten Land.


Ein Landhotel hat ein Zimmer: 87 Euro. Nachts Regen. Am Tag darauf nahm ich die Fähre über die Elbe nach Wedel, erreichte Glückstadt, wo mir ein in Seattle wohnhafter Glückstädter sagte, der Campingplatz sei am Deich und da, von wo ich kam. Zehn Kilometer zurück, jedoch bei Sonne. Die Verwalterin war noch da, ihr Kühlschrank voller Bier, und ein Imbissstand am Meer hatte noch Fischbrötchen. Und neben mir übernachteten Rodolfo und Elena aus Hyères bei Marseille, er Bibliothekar, sie Lehrerin, gebürtig aus Turin. Wir redeten den ganzen Abend, vorwiegend auf Italienisch. Wunderbare Leute. Wer mit dem Rad fährt, lebt anders und gehört zu mir.



Das Meer bei Büsum: Ebbe

Ich kam am Kernkraftwerk Brokdorf vorbei und hielt in einem Dorf an. Sechs Männer saßen mit Astra-Bier um einen Tisch, ich gesellte mich zu ihnen, und wieder fühlte ich mich ihnen zugehörig. Wir müssen wissen, dass alle Menschen unsere Freunde sind; wir sind alle verwandt. In der Nähe lag übrigens Wacken, und einer, der anreiste, meinte, es werde keine Schlammschlacht werden, das Heavy-Metal-Festival, doch er irrte sich.

 

Mein Weg führte nach Büsum, steife Brise vom Meer, ein Campingplatz war nur für Wohnmobile, der zweite hatte keinen Platz für ein kleines Zelt, doch beim dritten klappte es. Schade, dass ich den Halbmond über dem Meer nicht fotografiert habe! Und so gelangte ich am 30. Juli wie geplant nach Husum. Eine Bö, die über den Deich kam, schleuderte mein Zelt beim Versuch des Aufbaus herum, und das Gestänge brach endgültig. Die Verwalterin des Campingplatzes hatte zwar ein Ersatzzelt, aber nun war ich entmutigt. So hatte das keinen Sinn.



Rückfahrt in den Süden
(schon wieder) Wolken über Norddeutschland


Ich traf meine Bekannten, doch die Aussichten für die kommende Woche waren alles andere als berückend: 17 Grad, viel Regen und Wind. Ich sagte ihnen: Ich will zurück. Fuhr zum Bahnhof , und es gab einen Zug am 1. August, dem Schweizer Nationalfeiertag, nach Süden. Ich bestieg ihn um 12 Uhr 11 und redete mit meinen Mitreisenden. Eine pensionierte Museumsmitarbeiterin aus Karlsruhe war zwei Monate mit dem Rad unterwegs, ganz alleine, während ihr Mann zu Hause beim Hund geblieben war. Toll. Um 0 Uhr 17 war ich in Freiburg im Breisgau, um halb zwei Uhr nachts daheim. Am folgenden Tag beim Einkaufen schien mir die Sonne warm auf den Rücken, und wie ich das genoss!



Der Fahrer.

Es war einfach zuviel, elf Tage Dauerstress und schlechtes Wetter. Man sollte sich mehr Ruhe gönnen, wenn man nicht mehr ganz jung ist.    

 

© Text Manfred Poser, März 2019                 


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