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Geschichte internationaler Radsport



Historische Berichte





Das Kunstfahren um die Meisterschaft von Europa auf dem Zweirad 1889

<center>Von der ersten großen Allgemeinen Fahrradausstellung im Krystallpalast zu Leipzig<br>Originalzeichnung von F. Waiblert</center>



Bei Gelegenheit der Ersten großen Allgemeinen Fahrradausstellung in Deutschland, die unter dem Protektorat des Königs Albert von Sachsen vom 23. Februar bis zum 3. März in Leipzig abgehalten wurde, fanden unter andern Festlichkeiten auch drei große Preis=Kunstfahren statt. Das erste derselben, das am 24. Februar abends in der Alberthalle vor sich ging, nahm einen sehr schönen Verlauf, und das bis auf den letzten Platz ausverkaufte Haus lohnte die Anstrengungen der Fahrer, selbst die weniger geglückten, mit lebhaftem Beifall.

Nach dem Begrüßungsfahren, ausgeführt von zwei leipziger Clubs, dem Radfahrerclub "Germania" in Reudnitz=Leipzig und dem Leipziger Bicycleclub "Sturmvogel", sowie dem Reigenfahren, in welchem der Halle'sche Cicycleclub mit dem Radfahererverein "Brandenburg" rivalisirte, kam die Hauptnummer des Abends, der Wettbewerb um die Meisterschaft von Europa im Kunstfahren auf dem Zweirad, zur Ausführung. Hierbei wurden drei Preise ausgeteilt.

Der Meisterschafts=Wettbewerb zerfiel in zwei Theile, nämlich in die Ausführung vorgeschriebener und in diejenige freiwilliger Uebungen. Vom erstern waren zehn aufgestellt und den Wettbewerbern zur Einübung mitgetheilt worden, und von diesen zehn wurden wiederum fünf ausgelost, die am Abend gefahren werden mußten.Von den freiwilligen Uebungen stellte jeder Concurrent eine beliebige Anzahl zusammen und gab dieselben dem Preisgericht an. Da hierbei natürlich einjeder nur diejenigen Uebungen aufstellte, in denen er am sichersten ist, so gingen dieselben durchgängig auch flott und ohne Anstoß von statten, und von diesen Uebungen, die von einer erstaunlichen Eleganz und Sicherheit zeugten, führen wir unsern Lesern eine Anzahl im Bilde vor.


Fig. 1 zeigt Richard Schulz, wie er, von links neben der Maschine stehend, dieselbe angeschoben hat und mit gespreizten Beinen über sie hinwegspringt, um sie alsbald aufzufangen, denn die Maschine darf nicht umfallen.
Fig. 2 stellt eine Übung des Hrn. Paul Erbrecht-Bernburg dar, der im Reitsitz imSattel gesessen, die Beine über die Lenkstange gelegt und die Maschine in Breitstand durch Fassen des Radreifens zum Stehen gebracht hat.
In Fig. 3 sehen wir wieder Schulz, wie er im gewöhnlichen Reitsitz auf seiner Maschine sitzend, das Hinterrad gehoben, nur noch auf dem Vorderrad, also Einrad (Monocycle), nach vorwärts fahrend, immer kleiner werdende Kreise, nämlich eine sogenannte Schnecke beschreibt, in deren Mittelpunkt sein Rad auf einem Flecke stehend bleibend, sich einige Mal wie ein Kreisel um sich selbst dreht und dem Rücken mit dem Hinterrade um sich herumschleudert, eine ungemein schwierige Uebung, die viel Balance erfordert.
Fig. 4 zeigt Hrn. Gg. Heine-Hannover, wie derselbe "scheerenschleifert", d.h. während sein Rad in vollem Laufe ist, stellt er sich mit dem linken Fuß an der linken Seite des Rückens auf den Auftritt, setzt seinen rechten Fuß auf das linke Pedal und fährt, die Arme kreuzend, ohne Hände weiter, die Maschine mit dem rechten Fuß gleichzeitig antreibend und steuernd. Bei dieser Uebung ist der ganze Körper und damit das ganze Gewicht auf die linke Seite des Bicyles verlegt, und die Schwierigkeit der Ausführung ist in die Augen springend, besonders wenn, wie hier, ohne Hände gefahren wird.
Fig. 5 bedarf eigentlich keiner Erklärung; zu bemerken wäre nur, daß sie Hrn. Schulz vorstellt, der soeben vom Stand links neben dem Zweirad mit beiden Füßen gleichzeitig in den Sattel der laufenden Maschine gesprungen ist, sie mit den Händen lenkend.
Bei Fig. 6 hat sich Hr. Gg. Heine-Hannover rücklings vor die Lenkstange auf die Pedale gestellt und treibt die Maschine nach rückwärts, also in die Richtung des kleinen Rades, weiter, wobei die Hauptschwierigkeit darin besteht, nicht nach vornüber zu fallen.
Fig. 7 ist Hr. Fritz Neidhardt-Nürnberg, der in voller Fahrt aus dem Sattel, auf welchem er anfänglich im Damensitz rechts, also mit beiden Beinen auf der rechten Seite seines Rades, gesessen, rückwärts auf die Aufstiege getreten ist und nun mit der linken Hand das linke Pedal erfaßt hat und die Maschine auf diese Weise vorwärts treibt.
Fig. 8 ist das Gegenstück zu Fig. 7, nur daß die Ausführung noch schwieriger ist, denn hier hat sich Hr. Wilhelm Albrecht-Köthen vorwärts vor die Lenkstange gestellt und fährt mit aufgehobenem Hinterrad rückwärts, d. h. in der Richtung des großen Rades, einen Kreis oder auch geradeaus.
Fig. 9 zeigt wieder Hrn. Schulz, der sowohl bei fahrender wie bei stillstehender Maschine die Wage, bez. Fahne macht, indem er sich mit der linken Hand auf den Sattel stützt und den Körper wagerecht ausstreckt, wobei selbstverständlich jede Möglichkeit, die Maschine zu lenken, aufhört.
Auch in Fig. 10 sehen wir Hrn. Schulz, und zwar diesmal hoch aufgerichtet mit dem linken Fuße frei im Sattel der rollenden Maschine stehend, während er den rechten Fuß auf die Lenkstange gesetzt hat und mit demselben sein Fahrzeug dirigirt. Wol noch schwieriger als diese Uebung selbst ist aber das Herunterkommen aus der erhabenen Stellung.
Fig. 11 endlich bringt uns wieder Hrn. Fritz Neidhardt-Nürnberg im Rücklings=Reitsitz im Sattel seines Stahlrosses, die Füße auf den Pedalen, die Arme verschlungen. Er ist aus der Stellung der Fig. 8 bei vorwärts laufender Maschine über die Lenkstange gestiegen und hält in seiner jetzigen Position das Rad an, um sodann in der Richtung des kleine Hinterrades, dieses gehoben, wie bei Fig. 3, weiter zu fahren.

Mit diesen Abbildungen haben wir eine Reihe von Stellungen veranschaulicht, wie sie wol bei jedem Kunstfahren vorkommen, und dadurch unsern Lesern einen Begriff davon gegeben, welcher Uebung, Sicherheit und Ruhe es bedarf, um derartige Uebungen auch noch mit solcher Eleganz ausführen zu können, wie man sie bei der Fahrradausstellung im Krystallpalast zu Leipzig bewundern konnte.
W. K.


Richard Schulz, Meisterfahrer von Europa 1889
Den ersten, eine Meisterschaftsmedaille aus massivem Gold im Werthe von 100 M und ein Ehrenpreis in Gestalt eines silbernen Tafelaufsatzes imWerthe von 165 M nebst dem Meisterschafts=Ehrendiplom, das dem Sieger den Titel "Meister von Europa im Kunstfahren auf dem Zweirad für 1889" verleiht, errang unter fünf Concurrenten mit 35,5 Punkten (40 ist die höchste zu erreichnede Zahl) Hr. Richard Schulz aus Ottensen bei Altona. Der zweite Preis, ein Trinkhorn auf silbernen Fuß im Werthe von 70 M, fiel mit 28,5 Punkten Hrn. Paul Erbrecht aus Bernburg, und der Dritte, gleichfalls ein Ehrenpreis in Gestalt eines geschnitzten eichenen Schränkchens im Werthe von 40 M, wurde mit 26,5 Punkten Hrn. Fritz Neidhardt aus Nürnberg zutheil.
Die nächste Nummer brachte das Kürfahren, in welchem die Herren Hill Meenen und Gg. Heine vom Hannover'schen Bicycleclub vorzügliches leisteten, hierauf folgte das Fußradfahren (Pedesped) des Hrn. Max Schiemann vom ersten Breslauer Radfahrerverein, und den Schluß bildete abermals ein Reigenfahren des leipziger Bicycleclubs "Sturmvogel".

Richard Schulz, von schlanker, elastischer Figur, ist jetzt 21 Jahre alt und seit dem Jahre 1883 Radfahrer. Seinen ersten Preis errang er im Juni 1885 in Hannover, an den sich bald eine recht stattliche Reihe weiterer erster Preise anschloß. So erhielt er beispielsweise bei den Bundestagen von Berlin und Frankfurt a.M. in der Concurrenz im Einradfahren je den ersten Preis sowie im vorigen Jahr die Meisterschaften im Kunsrfahren der Allgemeinen Radfahr=Union am 5. August in Mannheim und von Deutschland am 13. August in Wien. Seine Leistungen sind auf unserem Bilde in Nr. 1, 3, 5, 9, 10 dargestellt.


 

Bildarchiv: cycling4fans

Der Text wurde leicht umgestellt

Die Bilder können verwendet werden, für einen Quellenhinweis wären wir dankbar.

 

November 2004

Beitrag von maki


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