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BRD / DDR - Vergangenheit



Hansjörg Kofink: Offener Brief an das NOK zur Nichtnominierung seiner Kugelstoßerinnen<br>Hinweis Anabolika-Doping

Hansjörg Kofink, 1972 Bundestrainer der DLV-Kugelstoßerinnen, erfuhr aus der Presse, dass seine Sportlerinnen wegen angeblich fehlender Leistungsstärke aus dem Münchner Olympiakader gestrichen wurden.

Kofink nimmt daraufhin deutlich Stellung zu dem bereits damals verbreiteten Anabolikadoping, das letzlich den Nominierungskriterien zugrunde gelegt wurde.

Es entwickelt sich daraus ein kurzer Briefwechsel mit NOK und DLV.



das Schreiben an das NOK, 5.8.1972 und dessen Antwort, 11.8.1972



     

    Das Originaldokument ist vorhanden.

     

    Hansjörg Kofink, 7 400 Tübingen, Beethovenweg 23 (07122/61263)

     

    An das Präsidium des

    Nationalen Olympischen Komitees

    für Deutschland (NOK)

    z. Zt. 8000 München 100

     

     

    Sehr geehrte Herren!

     

    Sie haben am 26.7.1972 bei der Aufstellung der DLV-Mannschaft für die Olympischen Spiele in München die Teilnahme der DLV-Kugelstoßerinnen gestrichen. Wie ich aus der Presse entnehme, haben Sie für diesen Schritt mangelnde Leistungsstärke angegeben.

    Gestatten Sie, daß ich als verantwortlicher DLV-Trainer für diese Disziplin dazu - ebenfalls in aller Öffentlichkeit - Stellung nehme.

     

    Mir ist nicht bekannt, inwieweit das NOK eigene Vorstellungen über das Zustandekommen des Leistungsstands in dieser Disziplin hat. Ich halte es daher für meine Pflicht - insbesondere auch im Namen der von Ihnen in aller Öffentlichkeit abqualifizierten Athletinnen - Sie mit einigen wesentlichen Details dieser Entwicklung zu konfrontieren.

     

    Der Leistungsabstand unserer Kugelstoßerinnen zur Weltspitze entstand in den Jahren der gesamtdeutschen Olympiamannschaften (1960/64).

    Dieses sportpolitische Bekenntnis schnitt den DLV-Athletinnen jeden Kontakt zu den Besten der Welt ab. Die Länderkampfbilanz der Frauenleichtathletik der 6oer-Jahre zeigt das auf eindrucksvolle Weise.



    In den Jahren 1963/69 erfolgte eine explosionsartige Verbesserung des Weltrekords in dieser Disziplin, die von zwei Athletinnen (Gummel, DDR und Tschishowa, UdSSR) getragen wurde. Die Entwicklung auf den nächsten 20 Plätzen der Weltrangliste hielt mit dieser Entwicklung in keiner Weise Schritt. In den folgenden Jahren 1970-72 trat dann eine Stagnation in der Entwicklung der absoluten Spitze ein, dafür - insbesondere in den letzten 24 Monaten - wurden die Leistungen auf den Plätzen 3 bis 15 der Weltrangliste auf geradezu atemberaubende Weise verbessert.

     

    Diese Leistungsentwicklung der Athletinnen aus Osteuropa, vornehmlich aus Bulgarien, Polen, der Tschechoslowakei und Rumänien, muß meiner Ansicht nach in zweierlei Hinsicht sehr genau beobachtet werden.

    Einmal ist hierbei die unwahrscheinlich kurze Zeit zu beachten, in der die Leistungen zum Teil um mehrere (!) Meter verbessert wurden, obwohl, einige der betreffenden Athletinnen schon seit Jahren diese Sportart betreiben

    Zum andern ist für den sachkundigen Beobachter die Zunahme des Körpergewichts bei diesen Athletinnen in derselben kurzen Zeit ein Indiz, das ihn nur zu einem Schluß kommen lassen kann.

    Aufgrund meiner Erfahrungen, die ich während meiner Trainertätigkeit beim DLV seit 1970 und den damit verbundenen internationalen Kontakten sammeln konnte, steht für mich eindeutig fest, daß diese Entwicklung ohne Anabolika oder ähnlich wirkende Mittel undenkbar ist! Dabei ist mit Sicherheit anzunehmen, daß die DDR und die UdSSR über die Phase des Experimentierens mit diesen Stoffen längst hinaus sind und vermutlich mit besseren (= verträglicheren) Mitteln arbeiten, während im übrigen Osteuropa die Phase des Experimentierens offensichtlich durch das Ziel der Münchener Spiele provoziert wurde. Ich bin in der Lage, dazu weitere Angaben zu machen.

     

    Daß der Deutsche Leichtathletik-Verband die Anabolika im Alleingang auf die Dopingliste gesetzt hat, ist reine Augenwischerei, die ihn jeder weiteren Auseinandersetzung in dieser Frage enthebt. Das beweisen nicht nur die öffentlichen Äußerungen führender DLV-Athleten, das läßt sich für den Sachkenner auch aus der Leistungsentwicklung nominierter München-Kandidaten erkennen, wenn man ihre in der Saison 1972 erzielten Leistungen vergleicht.

     

    Welchen kümmerlichen Beitrag die angeblich im Dienste des Sports stehende Wissenschaft zu diesem Problem zu leisten willens ist, wurde auf dem DLV-Kongreß “BIOMEDIZIN und TRAINING“ im November 71 in Mainz sichtbar. Die dort gegebenen Erklärungen (nachzulesen im kürzlich erschienen Kongreß-Bericht, S.98ff.) dienen bestenfalls als Alibi für ihre Verfasser. Mit der heutigen Entwicklung in der Praxis haben sie nichts gemein!

     

    Meine persönliche Stellungnahme zu diesem Problem steht fest; ich habe sie auch in der Öffentlichkeit vertreten (LA 42/1970, S.1463):

    Ich lehne den ‘Gebrauch von Anabolika, insbesondere bei Frauen, kategorisch ab. Mit dieser Haltung habe ich: meine Arbeit beim DLV aufgenommen und sie bis heute durchgeführt.

     

    Ihr Verdikt der mangelnden Leistungsstärke unserer Kugelstoßerinnen trifft daher zu einem entscheidenden Teil mich.

    Aus Ihrer Entscheidung muß ich entnehmen, daß der “olympische“ Leistungsstand im Kugelstoßen der Frauen auch vom NOK für Deutschland gebilligt und gutgeheißen wird.

    Sie liquidieren damit eine Disziplin der Frauen-Leichtathletik in unserem Land, die sich aus guten Gründen gegen den sich seit Jahren immer mehr verbreitenden Anabolika-Mißbrauch gestemmt hat!

    Sie werden es sich gefallen lassen müssen, daß dieser, Ihr Beschluß als eine de-facto-Zustimmung zur Verwendung von Anabolika auch im Frauensport gedeutet wird und Sie werden die Verantwortung dafür zu tragen haben, wenn der von Sportärzten mehrfach beklagte Anabolikamißbrauch in der Jugend-Leichtathletik im DLV-Bereich von nun an auch auf die Mädchen übergreifen wird!

     

    Gestatten Sie mir zum Schluß eine persönliche Bemerkung. Ich finde die Haltung des NOK zu diesem Problem ausgesprochen zynisch.

    Der Vizepräsident des NOK, Dr. Max Danz, hat sich noch als DLV-Präsident in den 6oer Jahren Verdienste damit erworben, daß er eine Untersuchung des Geschlechtsstatus von Athletinnen auf internationaler Ebene durchgesetzt hat.

    Das Problem des Mißbrauchs der Anabolika, das in Fachkreisen ebenfalls seit den 60er Jahren bekannt ist und das sehr viel brennender als das obengenannte ist, ist nun von denselben Fachleuten im NOK auf sehr viel elegantere - sicher aber auf sehr viel weniger verdienstvolle Weise gelöst worden.

     

    Tübingen, den 5. August 1972

     

     

    Kopie:

    DLV, Kassel

    dpa, Hamburg

    sid, Düsseldorf




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