2.) Wir sind uns einig darüber gewesen, daß Anabolika im DLV-Bereich auch im Kugelstoßen der Frauen nicht zur Diskussion stehen. Sie wissen, daß G. Osenberg, mein Vorgänger als DLV-Trainer in dieser Disziplin, das Training von Kugelstoßerinnen im DLV-Bereich für sinnlos hält, da der Leistungsabstand unter den gegebenen Voraussetzungen nicht zu überbrücken sei. Welche Auswirkungen das auf das Kugelstoßen der Frauen beim TuS04 Leverkusen hat, ist Ihnen ebenfalls bekannt. Welche Befürchtungen derselbe Trainer in Sachen Diskuswerfen hegt, war in der Bild-Zeitung vom 2. 6. 1972 zu lesen.
3.) Sie kennen die Entwicklung des Nachwuchses im Kugelstoßen der weiblichen Jugend. Ihr Leistungsstand liegt heute 2 bis 3 Meter hinter unserer DLV-Spitze. Dieser Abstand läßt sich unter den bei uns gegebenen Verhältnissen bei härtester Arbeit in zwei bis drei Jahren schließen. Können Sie sich vorstellen, wo DLV-Kugelstoßerinnen stehen, wenn Sie für 1976 nominieren, vorausgesetzt, da ist noch irgendjemand, der sich in dieser Disziplin betätigt?
4.) Ihnen ist bekannt, daß die Spitze unserer DLV-Kugelstoßerinnen 28 bis 37 Jahre alt ist und daß für die beiden führenden mit dieser Saison ihre aktive Laufbahn zu Ende geht. Einzige Ausnahme unter ihnen ist die Vize-Europameisterin der Juniorinnen von 1970, B. Palzkill, von der wohl nur Utopisten oder Laien erwartet haben, daß sie eine entsprechende Entwicklung durchmachen würde wie ihre DDR-Konkurrentinnen von Paris 1970. Immerhin ist sie seit 10 Jahren das einzige Mädchen, dem es gelang, in die DLV Spitzengruppe vorzudringen und die Olympianorm zu erreichen.
5.) Sie haben erkrankten und verletzten Athleten Fristen zur Nachnominierung eingeräumt. Daß sämtliche 3 zur Diskussion stehenden Kugelstoßerinnen zum Teil in der Vorbereitungsperiode, zum Teil in der Saison 1972 verletzt waren ist Ihnen schriftlich und mündlich mitgeteilt worden. Die 1972 erzielten Leistungen haben unter diesen Umständen offensichtlich gelitten. Ich habe mich ausdrücklich während der DLV-Meisterschaften erkundigt, ob diese Tatbestände bei der Nominierung entsprechend gewürdigt werden würden. Das wurde mir zwar zugesagt, doch nicht einmal der DLV-Pressewart fand es bei der Würdigung der Meisterschaftsergebnisse für nötig, darüber ein Wort zu verlieren, geschweige denn über die miserablen Wettkampfbedingungen bei der Qualifikation zu diesem Wettbewerb. Daß Sie andrerseits verletzte Athletinnen fest nominiert haben, ist wohl kaum ein Beleg für gleiche Behandlung.
6.) Genau das aber, gleiche Maßstäbe für alle Disziplinen bei der Nominierung wurde mir in München im Trainerkreis zugesagt. Es ist keine angenehme Aufgabe, hier nun im Vergleich nachzuweisen, da das nicht geschehen ist, doch ich bin es den von mir betreuten Athletinnen schuldig. Die sofortige Nominierung von 3 Kugelstoßern hat inzwischen zu Schwierigkeiten geführt, die vielleicht nicht vorauszusehen waren. Sie wären jedoch nicht eingetreten, wenn man mit derselben Konsequenz wie im Kugelstoßen der Frauen vorgegangen wäre. In der Weitrangliste 1972 der zwanzig Besten steht weder ein DLV-Kugelstoßer noch eine Kugelstoßerin; lediglich der jetzt auf dem Zuschauerrang teilnehmende neue DLV-Rekordmann hat dort einen Platz. Unter den 34 für München gemeldeten Kugelstoßerinnen rangieren etwa 13 bis 14 vor den nicht nominierten DLV-Vertreterinnen. Alle 3 nominierten DLV-Kugelstoßer werden mit ihren Meisterschaftsleistungen Mühe haben, unter die ersten 2o der 43 gemeldeten Männer zu kommen.
7.) Sie haben in der Öffentlichkeit durch den Vergleich mit den Dreispringern den Eindruck erweckt, als ob auch die DLV-Kugelstoßerinnen die Olympianorm nicht erreicht hätten. Das entspricht jedoch nicht den Tatsachen.
Was ist das Fazit Ihres Beschlusses:
Sie bestrafen Athletinnen, die sich an Ihre Gesetze halten und konfrontieren sie mit Leistungen, von denen auch Sie wissen, daß sie nicht unter diesen Bedingungen des Anabolika-Verbots entstanden sind.
Sie verweigern der Vize-Europameisterin der Juniorinnen von 1970 die Teilnahme an Olympischen Spielen, obwohl sie sich nach einem durch Verletzungen bedingten Leistungsabfall wieder bis zu ihrem Leistungsstand von 197emporgearbeitet hat und dabei auch die Olympia-Norm erreicht hat.
Sie verweigern zwei über dreißigjährigen Athletinnen mit zusammen 65 Länderkampfeinsätzen die mögliche Teilnahme an Olympischen Spielen im eigenen Land, nachdem sie beide 1960 und 1964 innerhalb der Ost-West-Ausscheidungen zur gesamtdeutschen Olympiamannschaft jeweils die Teilnahme um Zentimeter verfehlt haben.
Darf ich fragen, was das eigentlich soll? Müssen unsere Athletinnen verbotenerweise Anabolika zu sich nehmen, so wie es anderwärts und wohl auch bei uns geschieht, um die Leistungen zu erreichen, an denen Sie sie messen. Wäre es nicht sportlich fairer gewesen und menschlich anständiger, wenn Sie diesen Athletinnen vor zwei Jahren gesagt hätten, welche Leistungen Sie von ihnen erwarten.
Welche Entwicklung stellen Sie sich eigentlich in dieser Disziplin im DLV-Bereich vor?
Wie lange wollen Sie denn noch eine Entscheidung in Sachen Anabolika auf nationaler wie auf internationaler Ebene vor sich herschieben? Damit daß man diese Mittel auf die Doping-Liste setzt, ist wirklich nichts erreicht, wie Sie unschwer selbst aus Fernseh-Interviews erfolgreicher DLV-Athleten entnehmen können.
Ich werde diesen Brief an die Öffentlichkeit geben, da alles, was er enthält, Ihnen mündlich von mir immer wieder mitgeteilt worden ist. Vielleicht findet sich in der Öffentlichkeit Verständnis für Ihre Entscheidung, Ich vermag dazu kein Verständnis aufbringen.
Aufgrund Ihrer Entscheidung betrachte ich meine Tätigkeit beim DLV als derzeit ruhend. Ich darf Sie um Mitteilung bitten, inwieweit meine Mitarbeit unter den gegenwärtigen Umständen noch sinnvoll ist.
Mit freundlichem Gruß Hansjörg Kofink
Kopie: NOK München dpa, Hamburg sid, Düsseldorf
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