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Operation Aderlass





Konzequenzen für Dopingkontrollen; Erfahrungen aus der Affaire

Nach den Gerichtsverhandlungen in München um Arzt Mark Schmidt und seine Helfer*in gab es Äußerungen seitens Staatsanwalt Gräber und Anti-Dopingexperten, die sich teils erstaunt über die angewandten Praktiken, um Entdeckungen und Nachweise zu vermeiden, zeigten.

 

Im Folgenden einige Zitate:

 



sportschau.de: Wie die Operation Aderlass Dopingjägern in Zukunft hilft, 27.1.2021:

Mario Thevis, Kölner Anti-Dopinglabor:

Allein schon Vernehmungen und Hauptverhandlung haben den Dopingjägern wichtige Erkenntnisse geliefert. "Die im Prozess genannten Methoden des Dopings und Substanzen, die zu Dopingzwecken mutmaßlich eingesetzt wurden, haben gezeigt, dass zum einen überwiegend auf ausdauer-, leistungssteigernde Strategien gesetzt wurde, dass auf die Blutbildung Wert gelegt wurde, dass die Ausdauer-Leistungsfähigkeit der Athleten positiv beeinflusst werden sollte und auch die Regenerationsfähigkeit der Athleten. Wobei zu bemerken ist, dass in erster Linie Substanzen eingesetzt wurden, die auch körpereigen vorkommen können und somit der Nachweis besonders erschwert wird", sagt der Chef des Kölner Anti-Doping-Labors, Mario Thevis. "Es gibt Strategien, diese zu erfassen, insbesondere den biologischen Pass der Athleten. Aber wenn Parameter modifiziert werden, und bevor der Dopingtest durchgeführt wird, auch wieder zurückkorrigiert werden, dann ist die Möglichkeit, diese Manipulation nachzuweisen, vergleichsweise gering. Hier ist offensichtlich mit einer Strategie vorgegangen worden, die genaue Kenntnisse über den Ablauf von Dopingkontrollen und die Zeitfenster der Dopingkontrollen und die Möglichkeiten der Nachweisverfahren [voraussetzt, Anm. d. Red.]. Dass das System nicht vollumfänglich sicher ist, ist kein Geheimnis."

 

Lars Mortsiefer, NADA:

Die NADA hat mit den Erkenntnissen ihre Praktiken umgestellt. "Es ist z.B. wichtig, dass wir eingefrorene Proben, die wir noch haben von Athleten, nochmal genau screenen", sagt NADA-Mann Mortsiefer, "und wir konnten uns in der Tat nicht vorstellen, dass jemand unheimlich kurz vor einem Wettkampf – eine halbe Stunde, eine Stunde, vielleicht zwei Stunden vor dem Wettkampf – sich nicht fokussiert auf sein Rennen oder auf seinen Wettkampf, sondern in ein anderes Hotelzimmer gegangen ist und sich dort Blut rückführen lässt. Wenn Sie da ansetzen mit einer Dopingkontrolle, laufen Sie natürlich Gefahr, den Wettbewerb zu verzerren, indem Sie Leute aus der Konzentration reißen. Aber nichtsdestotrotz haben wir diese Zeiträume auch in Angriff genommen und 2020 und 2019 Tests unmittelbar vor dem Wettkampf gemacht, um einfach diese Test-Lücken zu schließen."

 

Die Beachtung eines weiteren einfachen ersten Hinweises auf einen dringenderen Tatverdacht mahnten sogar die Münchner Strafrichter an: Sie fragten jeden Zeugen aus Athletenkreisen, ob jemals Dopingfahnder ihre Arme auf Einstiche kontrolliert hätten. Alle mussten verneinen. "Das haben wir jetzt in der Tat angepasst", sagt Mortsiefer, "da hat man stark drauf geachtet, zu sagen, man macht keine medizinische Untersuchung sondern eine Dopingprobe. Dementsprechend war es eigentlich nicht angebracht, zu sagen: So, machen Sie mal einen Arm frei. Also haben wir gesagt, da müssen wir stärker proaktiv werden, dass man zumindest sagt: Machen Sie mal den Oberkörper frei oder zeigen Sie uns zumindest beide Arme. Relativ schwierig war es trotzdem, weil das Regelwerk es früher nicht hergegeben hat. Aber jetzt ist es drin."

 

FAZ: Interview mit Kai Gräber, Oberstaatsanwalt München, 26.1.2021:

Die Doper haben die Gegebenheiten vor Ort mit einer erheblichen kriminellen Energie ausgenutzt. Die Zwei-Stunden-Grenze nach dem Wettkampf für Doping-Kontrollen, in der man zugunsten der Athleten aus gesundheitlichen Gründen sagt, dass sie da runterkommen, regenerieren sollen, öffnete der Manipulation eine Chance. (Die Lücke im Fall von Bluttests ist laut Anti-Doping-Regeln beseitigt/d. Red.) Diese zwei Stunden haben Dr. S. und seine Sportler genutzt, um die Werte herunterzumanipulieren, damit man bei den später angesetzten Doping-Kontrollen nicht auffällt. Was die Athleten nicht gesehen haben: Mark S. hat immer gesagt, er will ein besseres Doping bieten als das, was es ansonsten gebe. Insbesondere besser als das von Walter Mayer, dem ehemaligen österreichischen Langlauftrainer, der einen Blutbeutel am Kleiderbügel aufgehängt haben soll. Für mich hat sich nicht erschlossen, wo der Unterschied liegt. Ein Blutbeutel am Kleiderbügel oder das Legen eines Zugangs für einen Blutbeutel auf der Rückbank eines Pkw nachts auf dem Parkplatz im Lichtschein des Handylichts? Ich sehe da keine qualitativ große Verbesserung beim Blutdoping.

 

Max Hauke - My Story, Tokio 2019:

Ein bis zwei Stunden vor dem Start wurden ihm zwei Beutel an konzentriertem Blut reinfundiert, in der Regel in einem Hotel. nahe des Startgelän­des. Nach dem Rennen wurde ihm das Blut wieder abgenommen. So wiesen auch die Werte im biologischen Pass keine Auffälligkei­ten auf. Hauke erzielte bessere Resultate und befürchtete sogar, zu schnell zu sein und aufzufallen. Deshalb bremste er in den Rennen teilweise ab. Ein Liter reinfundiertes Blut bedeutete für Hauke auf 15 Kilometer einen Zeitgewinn von rund 40 Sekunden.

 

Es folgten die Olympischen Winterspiele vom 9. bis 25. Feb­ruar 2018, in Pyeongchang, Südkorea. Am 3. Februar wurde ihm Blut reinfundiert, am 4. Februar spritzte sich Hauke auf der Toilette des Flughafens nochmals hGH. Kurz nach der Ankunft in Süd­korea wurde ihm wieder ein Liter Blut abgenommen, danach Lagerung des Bluts, bereit zur Reinfusion für die Wettkämpfe. In Pyeong­chang startete Hauke bei drei Einzelrennen, Plätze 27, 29. 36.

...

Um beim Dopen nicht aufzufallen. wählte er simple Kniffe. Nach der Blutabnahme änderte er die Aufenthalts­orte in seinem ADAMS-Kalender der WADA, damit er für Kon­trollen nicht mehr so einfach zu finden war. Wenn er oder andere Doper im Team zur Kontrolle aufgeboten wurden, tranken sie Salzwasser, damit die Blutwerte weniger auffällig waren. Weitere Tricks, die Hauke anwandte, um die Kontrollen und den Nachweis von Dopingsubstanzen zu erschweren: Türklingel und Mobiltelefon ausschalten, immer viel trinken, oft auf die Toilette gehen morgens gleich nach dem Aufstehen ... Wenn ein Kontrolleur auftauchte, verwickelte ihn Hauke in längere Gespräche, um den Test hinauszuzögern. Unter solchen Umständen ist der Nachweis von hGH prak­tisch unmöglich ...

 

Hauke zeigt die Daten seines biologischen Passes. Aufgrund der heutigen Regeln hatte er direkt Zugriff auf seine Daten, sobald ein Labor sie gemessen und auf ADAMS hochgeladen hatte. Damit lie­ßen sich die Dopingpraktiken verfeinern, Hauke fiel noch weniger auf. Der Blutpass erwies sich also nicht nur als Werkzeug zur Über­führung von Dopern, sondern auch als Hilfsmittel für Doper zur Verfeinerung der eigenen Blutmanipulationen, wenn sie über das WADA-System zeitnah auf ihre Blutwerte zugreifen können.



Mario Thevis zu Analysemöglichkeiten insbesondere bei Bluttransfusionen, auch bezogen auf die Operation Aderlass

Mario Thevis, Kölner Anti-Doping-Labor, im Gespräch, 28.1.2021:

... wir haben Substanzen testbar gemacht, die es auch heutzutage noch nicht in Apotheken als Medikamente zu kaufen gibt und wir haben Testverfahren bspw. 2006, 2007 entwickelt, womit es 2010 die ersten positiven Befunde gab. D. h. die analytischen Möglichkeiten waren gegeben bevor Athleten anscheinend erst darauf zugegriffen haben auf diese illegalen Machenschaften. Aber genauso muss man dann auch eingestehen, haben wir ... Tests 2010 eingeführt in der Annahme, wir seien früh dran, und dann haben Reanalysen, Nachtests zu den Olympischen Spielen in Peking gezeigt, dass 2008 tatsächlich diese Substanzen, die auch heute noch keine Zulassung haben, offensichtlich bei dem einen oder anderen Sportler schon in Gebrauch waren.

...

Es wurden [Operation Aderlass] Präparate eingesetzt zu denen wir 2015, 2016 Nachweisverfahren entwickelt haben und offensichtlich hatten wir einen der mutmaßlichen Kunden des Herrn Schmidt im Testprogramm gehabt, sodass dort dann gleich vermittelt wurde, offensichtlich ist diese Präparat nun nicht mehr einsetzbar, wir müssen eine Alternative finden und im Rahmen des Blutdopings sind natürlich die [Nachweis-]Möglichkeiten sehr begrenzt. Wir können Bluttransfusionen, um ein Beispiel zu nennen, nicht anhand von Urinkontrollen nachweisen. Dazu müssen Blutkontrollen gemacht werden ... wir [erhalten] Urin- und Blutkontrollen zwar regelmäßig ... aber das Verhältnis ist schon eher 2:8, also 20 Prozent Blutproben, 80 % Urinproben, d. h. die Wahrscheinlichkeit, dass ein Sportler dann auf Basis von Bluttransfusionen erwischt wird, ist deutlich geringer als auf Basis von anabolen Wirkstoffen oder auf EPO und all diese Dinge muss man im Hinterkopf behalten, wenn es heißt, dass wir hier einen sehr schwierigen Kampf zu führen haben, denn wir können nicht jeden Sportler zu jeder Zeit mit jeder Matrix beproben, das wäre dann auch eine sehr hohe Belastung für alle Beteiligten.

...

Bluttransfusion ist verhältnismäßig schwer nachzuweisen. Man braucht dazu eine Vollblutprobe und zwar nicht nur eine sondern sehr viele Vollblutproben, die über einen längeren Zeitraum genommen werden, um ein Sportlerprofil der Blutparameter erstellen zu können. Und dieses Sportlerprofil liegt selbstverständlich nicht dem Dopingkontrolllabor vor sondern in der sog. Athlete Biological Passport Management Unit, da wo die Messergebnisse zusammen laufen und jemand den Athletenpass, das Profil regelmäßig prüft und bewertet und nur wenn es da Ausschläge gibt, die auf eine Transfusion hindeuten, kann hier ein Verfahren eingeleitet werden. Wenn jetzt sich jemand sehr gut in der Hämatologie auskennt, dann kann man diese Parameter natürlich auch manipulieren. Man kann Blut abnehmen, man kann die entstandenen Auffälligkeiten durch Gaben von anderen Medikamenten oder auch von anderen Flüssigkeiten kompensieren und umgekehrt genauso, wenn jemand eine Bluttransfusion erhalten hat, und die Mehrmenge an Blut sehr kurz nach dem Wettkampf wieder abgenommen wird, ist auch dieses auffällige Bild in dem Fall wieder manipuliert und das bedeutet, dass es sehr schwierig ist für die Anti-Doping-Arbeit, solche Machenschaften aufzudecken, wobei auch offensichtlich hierbei [Operation Aderlass] auch Fehler gemacht wurden und auch nicht ganz schlüssige Strategien herangeführt wurden, die schließlich und endlich auch zu positiven Befunden geführt haben.


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