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Geschichte internationaler Radsport



Die Entwicklung des Radrennsports

>>> Die Anfänge des Straßenrennsports



Bahnrennen

 

Radsportwettbewerbe auf der Bahn wurden attraktiv und populär. Der Bahnradsport boomte im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts. Jede Stadt, die etwas auf sich hielt, wollte teilhaben und errichtete eine Bahn. Nicht zuletzt ist diese Entwicklung auf das Engagement der Fahrradfirmen zurückzuführen, die das enorme Reklamepotential dieser Radsportvariante zu nutzen wußten.  (>>> die ersten Rennbahnen)

 

Auf die Jagd nach Rekorden begaben sich bereits die Fahrer auf Hochrädern, wie folgende Rekordliste von 1886 bis 1894 belegt, die zusammengestellt wurde von Ralf Laue:

>>> Weltrekorde im Hochradfahren

 



Flieger, Sprinter

Es bildeten sich zwei Disziplinen heraus, die Flieger- und die Steherrennen. Für die Flieger, oder Sprinter, galt nur eines: Sie mußten als erste die Ziellinie, meistens nach 1000 m, überfahren. Die Zeit spielte keine Rolle. „Taktik, Überraschungsmomente und Endgeschwindigkeit“ waren ausschlaggebend. Die Spannung ergab sich somit nicht allein aus dem körperlichen Leistungsvermögen der Sportler sondern erhielt noch eine intellektuelle Komponente, Rennintelligenz, Raffinement war gefragt. Die Fahrer der Extraklasse wurden zu Publikumslieblingen, die durch gute finanzielle Angebote angezogen, von Rennbahn zu Rennbahn reisten und die Massen begeisterten. Von den deutschen Fahrern seien vor allem Arend,  Rütt und Mayer genannt, bei den Ausländern überstrahlten zeitweise Major Taylor und Ellegaard alle anderen.

 



Der Endlauf zum Westdeutschen Derby.
Köln, 24. Juli 1904

Anfang des neuen Jahrhunderts verloren die Flieger die Publikumsgunst, die Dauerfahrer begannen die Bahnen zu beherrschen. Fliegertalente fanden kaum noch Möglichkeiten ihre Kunst auf deutschen Bahnen zu zeigen oder gar zu entwickeln. Wer konnte ging ins Ausland, vor allem nach Frankreich, aber auch Reisen nach Australien wurden üblich. „Das Publikum sieht, wie die ersten Runden im Bummeltempo und nicht selten bei scheinbar völliger Gleichgültigkeit der Fahrer zurückgelegt werden.  (...) Auch im Endkampf sehen die Uneingeweihten nur eine brutale Kraftäusserung, bei welcher nicht selten derjenige Fahrer am meisten bewundert wird, der am wirkungsvollsten mit dem Kopfe zu wackeln versteht. Die Feinheiten des Positionskampfes, die hohen Anforderungen in bezug auf Mut, Geistesgegenwart, Entschlossenheit, blitzschnelles Erfassen und Ausnutzen der gegebenen Situation und die schliesslich durch das Zusammenwirken aller dieser Vorzüge errungene Überlegenheit des Siegers kommen nur der verhältnismässig kleinen Gemeinde der eingeweihten Sportfreunde voll zum Bewusstsein, während das grosse Publikum ihnen mehr oder weniger  verständnislos gegenüber steht.“ (Rad-Welt, 1904, S. 4)

 



Steile Kurven ideal für Steher-, hinderlich für Fliegerrennen
Bahn Berlin-Treptow
1904 die steilste Bahn Europas, nur übertroffen von amerikanischen Bahnen

Erschwert wurde den Fliegern ihr Dasein auch dadurch, dass die modernen Bahnen den Ansprüchen der Steher angepasst wurden. Die zunehmend steiler werdenden Kurven behinderten die Sprinter in ihren Positionskämpfen, wodurch die Rennen in ihre Verlaufsmöglichkeiten eingeschränkt wurden, die Attraktivität sank weiter. Die Masse der Rennbahnen orientierte sich verstärkt am vermeintlichen Bedürfnis des Publikums und verpflichteten fast nur noch die bekannteren Dauerfahrer. Immer weiter ging es mit dem Fliegersport bergab. Die Rad-Welt spricht über das Jahr 1912: „Sonntag für Sonntag lagen nicht nur die kleinen Flieger, sondern auch die bedeutenden Fahrer brach, und man darf sagen, dass das hervortretendste Ereignis des Jahres 1912 die Not des deutschen Fliegersports gewesen ist. Mit Ausnahme der großen Flieger, die zum grössten Teil von den Sechstage-Einnahmen zehren konnten, war es keinem Flieger möglich, etwas für den Winter zu erübrigen und viele von ihnen hätten kaum ihren Lebensunterhalt erwerben können, wenn nicht einige Bahnen, an der Spitze der Sportplatz Leipzig und die Olympiabahn, bedeutendere Fliegerrennen veranstaltet hätten.“



Weingärtner - Kudela - Ellegaard - van den Born - O.Meyer - Bader


Dauerfahrer, Steher

In dem Maße wie Rekorde in den Mittelpunkt des Interesses rückten, verlagerte sich der Schwerpunkt des Bahnradsports hin zu den Dauerfahrern. Die Frage lautete jetzt, wer konnte die Strecke in der kürzesten Zeit oder wer konnte innerhalb einer vorgegebenen Zeit die längste Strecke zurücklegen. Am schnellsten ging es hinter Schrittmachern im Windschatten. Dabei wurde z. T. über extrem lange Zeiträume  gefahren. 12-Stunden-Rennen gab es, z. B. auch bei den Olympischen Spiele 1896, aber auch 24 Stunden ununterbrochene Fahrt galt es hin und wieder zurückzulegen. Die Steher benötigten also ein hohes Stehvermögen – daher der Name Steher.

 



Die ersten Schrittmacher, der Ursprung liegt bei den Straßenrennen, waren einzelne Radfahrer, die über kurze Zeit mit hoher Geschwindigkeit den Hintermann führten und regelmäßig ausgewechselt wurden. Doch bald kam es zum Einsatz von Mehrsitzern - Tandems bis Qintuplets, Fünfsitzer, waren gefragt. Der erste Weltmeister der Amateursteher war der Südafrikaner L.S. Meintjes, der 1893 in Chicago hinter Einzelradfahrern 100 km in 1:46:12 3/5 Stunden zurücklegte. Kurze Zeit später stellte er einen Weltrekord mit Tandem-Schrittmachern über eine Stunde mit 41,888 km auf. (2)

 

Die Dauerrennen waren bald auch Ausdruck der technischen Entwicklung und der Potenz der Firmen. Die Rennen ermöglichten ihnen weiterhin beste Werbung und so stellten sie den Fahrern häufig die gesamte Ausrüstung einschließlich der Schrittmacherräder.

 

Die einzige Weltmeisterschaft auf Fünfsitzern gewann 1898 Holland mit Steuermann Demulder, dem Ringerweltmeister van der Berg (Mitte) und Steherweltmeister Dickentmann (hinten)
erstes deutsches Quintuplet 1896
24-Stunden-Rennen Berlin-Halensee 1899


Das Verbot der akku-betriebenen Schrittmacherräder in Deutschland und Österreich führte 1898 zu einer kuriosen „Ein-Mann-Weltmeisterschaft“: Über 100 km gewann der Engländer Richard Palmer den Titel, da alle seiner Konkurrenten Schrittmacher-Räder mit Motor-Unterstützung dabei hatten. Doch es heißt, Palmer „ließ sich nicht lumpen, und bot dem Publikum ein grandioses Schauspiel (er) setzte im Verlauf der Fahrt seine vierzig Schrittmacher – verteilt auf Viersitzer und Fünfsitzer – ein und konnte so die ausgezeichnete Endzeit erreichen.“ (2:10:19,1 Stunden) (2)

1898 setzten sich in Paris Schrittmacherräder mit Akkumulatoren durch, die in Tandems eingebaut wurden. In Deutschland und Österreich kam es erst einmal zu einem Verbot dieser Hilfsmittel. Doch die Entwicklung war nicht aufzuhalten. Die verschiedensten Konstruktionen mit Akkus wurden bald abgelöst durch Benzinmotoren, die anfangs zusätzlich zur Muskelkraft der Schrittmacher-Fahrer für Tempo sorgten. Es blieb nicht dabei und 1899 beginnt endgültig eine neue Zeit: Motorräder halten Einzug.

 

In den folgenden Jahren beherrschten die Dauerfahrer hinter ihren Motorschrittmachern, vor allem in Deutschland, die Szene. Diese Entwicklung blieb nicht unumstritten, zumal noch Windschirme auftauchten, hinter bzw. „in“ denen die Fahrer sich ducken konnten. So wurde immer häufiger die mangelnde Unsportlichkeit und Abhängigkeit von der Technik kritisiert. Doch es scheint als habe die Sensationslust und der Nervenkitzel gesiegt, denn die Fahrer erreichten auf den Betonbahnen nicht selten nahezu 100 km/h und mit Unfällen musste ständig gerechnet werden. Viele Fahrer fanden in den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts auf den Bahnen den Tod. Siehe hierzu >>> 1909 Der 'Schwarze Sonntag' von Berlin, 'Tod auf und an den Rennbahnen'.



Sportplatz Leipzig 1899
Robls Schrittmacher: Bretschneider und Steger 1905

Die Zusammensetzung des Rennbahnpublikums hatte sich auch verändert. Die oberen Klassen, die in den neunziger Jahren gerne die Rennbahnen besuchten, zogen sich immer mehr zurück, ein Massenpublikum hielt Einzug. Es „... treibt sich ein buntes Völkchen umher, Rennfahrer mit ihren diversen Damen, Sportschriftsteller, Programm und gespitzten Bleistift in der Hand, Varieté-Künstler in geschniegelter Toilette, Ringkämpfer, die um Haupteslänge ihre Umgebung überragen, und wenige Berliner Bürgerleute, die sich solch eine Fahrerei auch einmal ansehen wollen und den teuren Platz nicht scheuen. Von Sportfachsimpeleien ist hier allerdings wenig zu hören, man folgt der Konkurrenz mit Interesse, sonst beschränkt sich das Gesprächsthema aber meist auf andere Stoffe.“ (Schulze, 1904, nach Rabenstein, S. 45) 

 

Als Kulminationspunkt dieser Entwicklung kann die Rennbahnkatastrophe 1909 auf der Rennbahn am Botanischen Garten in Berlin angesehen werden. Es starben 9 (8?) Zuschauer, 52 wurden verletzt:

Contenet stoppte und entging einem Sturze. Borchardt und Porte aber, die Schrittmacher Rysers, die nach oben ausweichen wollten, kamen an die Barriere, die schwere Maschine verlor den Boden und flog in weitem Bogen in die Zuschauermenge der Kurventribüne. Im nächsten Augenblick schlugen die Flammen aus dem Motor hervor, das Benzinreservoir explodierte mit lautem Knall, und brennede Menschen versuchten sich nach allen Richtungen zu retten. Unter der Machine lagen mehrere Menschen, verschiedene Personen verbrannten.“ (Bühne und Sport, 1909, nach Rabenstein, S. 42/ Tagesspiegel, 28.1.2007: Feuer auf der Rennbahn )

 

Das preussische Ministerium des Innern untersagte daraufhin die Verwendung von Motorrädern als Renn- oder Schrittmacher-Maschinen bis auf Weiteres. Es wurden neue Bestimmungen erlassen, wonach einerseits die Rennbahnen Schutzmaßnahmen für das Publikum ergreifen mussten und andererseits die Geschwindigkeit der Maschinen auf der Bahn reduziert werden sollte - letztere Maßnahme scheint wenig gegriffen zu haben.



Sechstagerennen

Angeblich fand das weltweit erste Rennen 1878 in London statt: Bill Cann (Sheffield) legte dabei 1,060 1/5Meilen zurück und verdiente damit 100 Pfund. Beim zweiten, C.R. Edlin, waren es 1,025 Milen und 25 Pfund. Der 7. und damit letzte, 2 Fahrer hatten aufgegeben, konnte noch 5 Pfund mit nachhhause nehmen. 1879 gab es zwei in Boston und Chicago. Es waren Etappenrennen, mit fest einzuhaltenden Pausen, die auf Hallenbahnen stattfanden. Die Fahrer traten einzeln gegeneinander an, Mannschaften gab es nicht. Sechs Tage waren es, da die Sonntagsruhe in England eingehalten werden musste. Entsprechende Dauer-Spektakel beschränkten sich nicht allein auf das Radfahren, sondern es gab z. B.  auch Sechstage-Wettgehen und -Eisfahren.



1896 findet in New York das erste Sechstagerennen statt, das den Fahrern sechs Tage lang Dauerbelastung abverlangte, geregelte Pausen gab es nicht mehr. Der Gewinner des Jahres 1897, Charlie Miller, war aber dermaßen überlegen, dass er sich aufgrund seines erheblichen Vorsprungs  „insgesamt sieben Stunden Schlaf während der sechs Tage erlauben“ konnte. Glauben wir zeitgenössische Berichten, dann kam es nicht selten vor, dass Fahren aufgrund der unmenschlichen Anforderungen fast wahnsinnig wurden, völlig ausrasteten und nicht mehr zu sich fanden. In Europa verbreiteten sich die wildesten Geschichten und langsam wuchs der Wunsch, diese Rennenvariante zu kopieren. 1906 versuchte die Stadt Toulouse zum ersten Mal in Europa das Spektakel durchzuführen, doch magels Zuschauer wurde es am dritten Tag eingestellt. Der nächste europäische Versuch fand in Deutschland 1909 in Berlin statt, unterstützt durch Walter Rütt, der die Jahre zuvor im Madison Square Garden Erfolge feiern konnte. Leider beteiligte er sich selbst nicht an diesem Rennen, da er sich nicht nach Deutschland einzureisen traute, er war seiner Musterungspflicht nicht nachgekommen und so bestand die Gefahr einer Verhaftung an der Grenze. Da der Publikumsliebling fehlte, wurde die erste Austragung kein Erfolg. Erst ab dem folgenden Jahr traten die Sechstagerennen in Deutschland ihren Siegeszug an. Paris und Brüssel folgten 1912 bzw. 1913.

 

Siehe auch hier: Das erste Berliner Sechstagerennen , Hintergrund und Originalbericht

Siehe auch Rütts Schilderung seiner SixDays-Teilnahme 1910 in New York >>> hier.



Quellen:

(1) R. Rabenstein, Radsport und Gesellschaft, 1996

(2) W. Gronen/W. Lemke, Geschichte des Radsports, 1987

(3) Sport-Album der Radwelt, 2. Jahrgang, 1904 ff

(4) Les Woodland, The Crooked Path to Victory, 2003

 

>>> Anfänge Radrennsport: Straßenradsport

 

von maki

Januar 2005

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