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Antidoping



Dossier Reform Antidoping





Schwächen des Dopingkontrollsystems - Analysemethoden



falsch positive Tests / false positive tests

In der Diskussion um veröffentlichte Dopingverfahren fällt gelegentlich der Begriff false positive / falsch positiv. Der Begriff besagt, dass eine Dopinganalyse ein falsches Ergebnis aufweist mit der möglichen Folge, dass der Sportler, die Sportlerin, deren Probe analysiert wurde, unter Dopingverdacht gerät. In Folge kann eine Sperre drohen mit gravierenden persönlichen Konsequenzen für die betroffenen Athlet*innen. Beteuerungen, nicht gedopt zu haben nach positiven Tests sind häufig und werden gerne als unglaubwürdig abgetan. Andererseits gelingt es immer wieder Sportler*innen, meist nach hohem persönlichen, zeitlichem und finanziellem Aufwand, ihre Unschuld zu beweisen oder gravierende Zweifel an dem positiven Test zu sähen.

 

Wie und warum können falsch positive Testergebnisse entstehen, was sind die Ursachen und wie hoch sind die Wahrscheinlichkeiten mit solch einem falschen Testergebnis konfrontiert zu werden?

 

Sportmediziner Prof. Dr. Perikles Simon widmete sich diesem Thema mehrfach:

YouTube: Biomedizinisches Enhancement, 21.1.2014

2018 Simon et al.: Antidoping Science: Important Lessons From the Medical Sciences

 

Von den norwegischen Wissenschaftlern Jon Nissen-Meyer, Tore Skotland, Erik Boye liegen ausführliche Fallanalysen vor.

Jon Nissen-MeyerTore SkotlandErik Boye: Are doping tests in sports trustworthy?Athletes suffer from insufficiently defined criteria for doping tests, 14.2.2022

Jon Nissen-Meyer, Tore Skotland, Bjarne Østerud, Erik Boye: Improving scientific practice in sports-associated drug testing, 16./30.5.2019

 

Ich habe mich an Perikles Simon gewandt mit der Bitte um eine Verdeutlichung der Problematik mit Hinweis auf den Fall Benedikt Karus  und erhielt eine ausführliche Zusammenfassung mit offen geäußerter komplexer Kritik an der bestehenden Praxis und der Erlaubnis dies alles auf c4f zu veröffentlichen.

Vielen Dank!



der klinischer HIV-Test und falsch positive Ergebnisse

Perikles Simon zitiert das klinische HIV-Testverfahren, den Aufwand zu beschreiben, der nötig ist, möglichst wenige falsch positive Testergebnisse zu erhalten, bereits hier: 
>>> YouTube: Biomedizinisches Enhancement, 21.1.2014

 

Perikles Simon erläutert dies nun wie folgt:

„Mein Bezug auf den HIV-Test beschreibt für den genausten klinischen Test, den wir derzeit kennen, die relative Häufigkeit von falsch positiven Ergebnissen. Um diese ausreichend genau bestimmen zu können, muss man mittels eines unabhängigen Kontrolltests (der auf einem anderen Testverfahren beruht, als der Ausgangstest) über die komplette sog. „Chain of Custody“ also von der Probenabnahme bis zum Probenreporting die Analyseergebnisse gegenprüfen (Kreuzvalidieren) Das macht man bei klinischen Tests wie den HIV-Test so.

 

Es wird aber leider bei Doping-Tests so genau leider nicht gemacht. Die B-Probe ist hierfür ungeeignet, da sie eben nicht einen komplett unabhängigen Test reflektiert, sondern nur eine Analysewiederholung derselben Probe nach Aufsplittung darstellt.

 

Nur – es wäre besser wenigstens die Ergebnisse dieser Analysewiederholung zu kennen, um alleine gegen grobe Fehler abzuschätzen und um alleine sozusagen den unteren Rahmen der relativen Häufigkeit falsch positiver Ergebnisse abzuschätzen. Hier ist der Anti-Doping- (AD-) Bereich aber schon nicht bereit, oder nicht in der Lage diese Ergebnisse mitzuteilen.

 

Da es keinen fachlichen Grund gibt, diese Ergebnisse nicht mitzuteilen – insbesondere keinen Grund, der den Anti-Dopingkampf behindern könnte-, sondern es im Gegenteil alleine ein Minimum an Qualitätskontrolle erlauben würde, ist es aus meiner Sicht unter Berücksichtigung der Rechte, die Athlet*innen im Rahmen der Athletenvereinbarung den AD-Instanzen einräumen, inadäquat und m.E. sogar grob fahrlässig, dieses nicht zu tun. (Anmerkung: siehe z.B. u.a. fehlende Angaben, Transparenz in NADO/WADA-Berichten.)

 

Eine Schuldhaftigkeit des AD-Bereichs läge vor, wenn der AD-Bereich weiß (auf Basis der A- und B-Probenvergleiche), dass die Tests teilweise zu ungenau sind und der Fachwelt die Daten deshalb ganz bewusst vorenthielte. Persönlich bin ich zu dem Schluss gekommen das dies eine plausible Annahme ist."



Fehlermöglichkeiten - falsche Mitteilungen, Verschleierungen

"Bei der Kontrolle der falsch positiven Tests für die klinische Diagnostik wird im Gegensatz zur Etablierung von Anti-Doping Tests alles berücksichtigt, was von der Blutabnahme bist zur Ergebnismitteilung schieflaufen kann.

 

Im simpelsten Fall wird ein Testergebnis einfach nur falsch mitgeteilt und auch daraufhin muss man Testverfahren überprüfen (real-world Konditionen). In einem Fehlreporting-Fall teilt also „ausversehen“ oder wie bei der IAAF(s.u.) geschehen auch auf Basis von Bestechung jemand absichtlich an den / die oder einzelne Endkonsumenten  ein fehlerhaftes Ergebnis mit.(Bei Dopingtests sind Endkonsumenten gleich mehrere Instanzen und nicht nur Sportler*innen – was dann auch die Fehlermöglichkeit erhöht). Bei der IAAF waren es falsch negative Ergebnisse. Theoretisch könnten auch falsch positive mitgeteilt werden.

 

Wichtig im Gerichtssaal ist die Frage - wenn ein Delinquent vor mir steht, der einen positiven Test hat -  wie hoch ist dann die Wahrscheinlichkeit, dass dieser tatsächlich gedopt hatte? Hierzu benötigt man den positiven Prädiktiven Wert (PPV) eines Tests. Dieser PPV errechnet sich aus dem Verhältnis der „richtig positiven“ zu „allen positiven Tests“, die man in einem real world Scenario ermittelt hat.

 

Aus dem Fehlverhalten der IAAF ergab sich eine testanalytische Perversion besonderer Art:

>>>> 2011 Studie Doping unter Teilnehmer*innen der IAAF-WM in Daegu und den Pan-Arabischen Spielen in Doha

 

Da die IAAF eine Zeitlang fast alle „richtig positiven“ hat verschwinden lassen, war zum Schluss der PPV Null, als der „kleine Fisch“ >>> Benedikt Karus, für den sich die IAAF ja gar nicht interessiert, vor dem Anti-Doping Richter stand.

Oder um es mal als Trend auszudrücken. Je mehr positive Tests von echten Dopern verschwinden, desto wahrscheinlicher steht ein falsch positiv getesteter Delinquent vor dem Richter. – Der dann ein falsches Urteil fällt, wenn er diesen Sachverhalt nicht ernst genug nimmt."



Weitere Fehlermöglichkeiten

"Sagen wir mal in einer perfekt ehrlichen Welt gibt es dann aber immer noch folgende Probleme, die zu falsch positiven Tests und damit auch oftmals zu sehr schlechten PPVs führen:

1.  Prä-Analytische Faktoren -von Temperaturen bei der Blutabnahme, über die Nadeln der Blutabnahmespritzen, bis zu Kontaminationen, die so in die Proben schon präanalytisch gelangen. Theoretisch könnten auch einmal eingenommene Medikamente, die zugelassen sind, zu falsch positiven Ergebnissen führen. Es werden scher auch welche zur Verschleierung von positiven Tests eingesetzt. Die Annahme, dass der 2. Fall der häufigere ist, klingt für die Öffentlichkeit plausibel, ist aber wissenschaftlich unbelegt.

1.a) Eine spezielle Form von (1.) ergibt sich aus biologischen Besonderheiten (wie z.B. bei Frau Pechstein diskutiert), dass bei manchen Individuen eine abnorme Biologische Varianz zu einer schon mit der Abnahme fehlerbehafteten Probenkonstitution zusammenhängt. Auch diskutiert bei Läufern, die im Urin nach dem Sport viel Proteine hatten, die mit dem rEPO-Test ungut interagiert hatten. Manchmal werden dann die Testverfahren auf solche Besonderheiten hin angepasst (es gibt jetzt obere Proteingrenzwerte im Urin) manchmal auch nicht. Oftmals sind solche Interaktionseffekte ununtersucht und unbekannt.

 

2.  Analytische Faktoren: Testgenauigkeiten, Testverfahrensfehler, falsche Handhabung von Positivkontrollen (nachgewiesen von Nissen-Meyer für die Labore Rom, Kreischa und Köln) u.v.a.

 

3.  Post-analytische Faktoren – u.a. falsche Ergebnisverwaltung, -mitteilung u.v.a.



Dopingkontrolllabore

"Jetzt kommt es zu einer Besonderheit für den PPV, die die Dopingkontrolllabore offensichtlich – zumindest im Fall Karus – nicht verstehen können, oder wollen:

Der PPV ist eben auch davon abhängig wie hoch die Dopingprävalenz ist. Ist diese gering -  z.B. in einem niedrigerem Leistungskollektiv, wie dem von Karus, dann sinkt der PPV und damit steigt das Risiko, dass ein falsch positiver vor dem Richter steht.

 

Daraus ergibt sich folgendes gravierendes Problem:

Die Art und Weise, wie die WADA ihre Dopingtests akkreditiert ist völlig unzureichend. Für den EPO-Test in Deutschland wurden gerade mal ISO-Richtlinien für das Testverfahren im Labor selber sichergestellt. D.h. es wird eine gewisse Genauigkeit des reinen Laborverfahrens sichergestellt – also nur ein Teil von 2. wird untersucht  und es wird nicht gegen Fehler, die durch  1. und durch 3. zustande kommen, abgesichert.

 

Leider ist es nun so, dass Verfahren, die nicht auf Massenspektrometrie beruhen, sondern auf Antikörper-basierten Nachweisverfahren gegen Fehler / Störgrößen in 1. sehr anfällig sind, wodurch es zu einem viel höherenm Risiko kommt, dass hGH-Tests, oder hrEPO-Tests falsch positiv werden. Hier kommt hinzu, dass die AD-Labore historisch bedingt mit der Massenspektrometrie viel mehr Erfahrung haben und sich bei den Antikörper-basierten Testverfahren nicht hinreichend zu den Testerfordernissen auskennen. Nissen-Meyer und Boye zeigen das schön in ihren Fachartikeln für die Labore Köln, Kreischa und Rom auf.

>>> Improving scientific practice in sports-associated drug testing, 16./30.5.2019

>>> Are doping tests in sports trustworthy?Athletes suffer from insufficiently defined criteria for doping tests, 14.2.2022

 

Für die Validität eines Testverfahrens wäre es also wichtig, dass man wie bei der Validierung eines Labortestverfahrens vorgeht.

 

Kosten für die Entwicklung EINES diagnostischen Labortests – ca. 200 Mio Euro.

Wenn man das aber nun mal nicht machen kann / nicht machen möchte, dann wäre es zumindest wichtig in etwa eine Orientierung über den PPV von unterschiedlichen Dopingtests zu bekommen (das wäre mit vertretbaren finanziellen Mitteln möglich) und diese Ergebnisse MÜSSEN dann den Athleten mitgeteilt werden.

 

Da die Dopingprävalenz hierfür auch wichtig ist, muss diese in wissenschaftlichen Studien für unterschiedliche Kollektive ermittelt werden (haben wir getan), gelegentlich überprüft werden und dann muss auch den Laien-Richtern im AD-Bereich mitgeteilt werden, wie hoch der PPV für unterschiedliche Konstellationen ist.

 

Ich habe das exemplarisch mit den Daten die ich erhalten konnte für den Fall Karus getan. Unabhängig von Boye und Nissen, die dem Laboren in Köln und Kreischa grobe fachunkundige Schlampigkeit in der Analytik nachweisen, konnte ich errechnen, dass der PPV bei Karus positiver Probe max. 8% war. D.h. die Wahrscheinlichkeit, dass Karus gedopt war, als er vor dem Laienrichter stand mit seinem positiven Test lag bei 8% doch er wurde gesperrt."



Fazit Perikles Simon

"Der AD-Bereich handelt nach meinem Verständnis in nicht vertretbarer Weise, wenn er sich nicht bemüht A-und B-Probenergebnisse kritisch für die Qualitätskontrolle mit heranzuziehen und das regelmäßig zu publizieren, sondern es ist bereits nicht vertretbar nicht wenigstens zu versuchen, den PPV grob zu ermitteln und das dann auch bei der Teststrategie etc. zu berücksichtigen. Mehr noch – der AD-Bereich hat eigentlich die Verpflichtung, den Athleten mitzuteilen, wie die PPVs der Tests liegen.

 

Bei der transparenten Übermittlung solcher Daten handelt es sich eben gerade nicht um Daten und Methoden auf deren Basis Athleten positive Tests umgehen könnten, sondern es geht da allein darum, dass den Athleten die Irrtumswahrscheinlichkeit mitgeteilt wird, wenn sie einen positiven Test haben sollten. Es geht also um notwendige Aufklärung, die eine einzige korrekte Basis für das wäre, was die Athletenvereinbarung von den Athleten verlangt.

Für mich kam es zum Bruch mit dem kompletten AD Analytik-System aus folgenden fachlichen Gründen:

1. Die Juristen, die Datenschützer und die Ethiker, die ansonsten im klinischen Bereich geradezu mit äußerster Genauigkeit über den „Informed Consent“ von Teilnehmenden bei Versuchen, oder bei klinischen Tests in der Arbeitswelt wachen, interessieren sich für diesen Sachverhalt im Anti-Dopingbereich (AD-Bereich) nicht, oder sie können dieses Problem nicht erkennen oder verstehen. Da gibt ein Arbeitnehmer essentielle Persönlichkeitsrechte auf, ohne, dass ihm mitgeteilt wird, wie groß seine Risiken denn dadurch für sie oder ihn beruflich und privat sein könnten. Das Ganze kommt dann sogar noch bei Minderjährigen zum Einsatz mit delikaten Details zur Testdurchführung (Sichtkontrolle auf das Genital). Was gibt es da nicht zu verstehen? Das ist so komplett nicht mehr zeitgemäß.

 

2. Der AD-Bereich ist nicht bereit und m.E.  in der jetzigen Form mangels Fachexpertise nicht in der Lage die entsprechenden Daten zu den PPVs der Tests zu liefern.

 

3. Die Struktur des AD-Bereichs ist so ungünstig aufgesetzt, dass der Paradefall der bestechlichen IAAF wohl eher die Regel als die Ausnahme sein könnte."







Monika, Januar 2023


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