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Urlaubsberichte



Tourbericht Rennrad Transalp:<br>Garmisch – Reschenpass - Stilfser Joch – Livigno – Val di Sole - Gardasee

Text und Fotos von Andreas Albrecht, Oktober 2006

Nähere Streckendaten findet ihr auf seiner Internetseite >>> hier

 



Erst wer sich bewegt, nimmt wahr, was ihn bewegt.

Johannes Galli (geb. 1952)



Prolog:

Viele Transalps bin ich schon mit dem Mountainbike gefahren. Dabei quert man immer wieder Straßenpässe in den Alpen. So entstand in mir die Idee, eine Transalproute zu entwerfen, die komplett für ein Rennrad geeignet ist. Die eigentliche logistische Herausforderung ist dabei, Strecken zu suchen und zu kombinieren, die möglichst wenig vom motorisierten Verkehr betroffen sind. Da das natürlich nicht vollkommen vermeidbar ist, muss man sich überlegen, zu welchem Zeitpunkt der Hauptandrang vorbei ist. Das Stilfser Joch zum Beispiel an einem Samstagnachmittag im Hochsommer mit dem Rad befahren zu wollen, ist wohl wenig empfehlenswert. Karawanen von Autos und Motorrädern werden dann auf der grandiosen Passstraße dem Radler ihre Auspuffgase ins Gesicht blasen. Faustregel ist: Attraktive Pässe so zeitig wie möglich am Morgen anfahren, dann hat man sie meist für sich alleine.

>>> Gesamtstrecke als interaktive Googlemap

 



Bewährter Startort sollte wegen der guten Zuganbindung Garmisch-Partenkirchen sein, denn inzwischen lasse ich das Auto für den Transfer lieber stehen und fahre entspannt und stressfrei mit  der Bahn. Als Zielpunkt ist der Gardasee unschlagbar, das stand also auch fest. Die Strecke mittendrin würde sich ergeben. Ein paar schöne Tage Ende September locken, also nicht lange gefackelt und los. Ach ja, ein Rennrad brauche ich ja auch noch. Bei meinen Radhändler stand ein fast neues vor der Tür, dass mir schon rein optisch sehr gut gefiel. Die Rahmenhöhe und –geometrie passte auch, wie ich bei einer längeren Testfahrt sofort merkte. Der einzige Unsicherheitsfaktor für mich ist die Übersetzung. Das neue Kompaktsystem mit 34 Zähnen vorne und einem 26er Ritzel hinten musste reichen für die Alpenpässe. Würde meine Kraft dafür ausreichen?

Blick ins Inntal


1. Tag: Garmisch - Seefeld

Höhenprofil
Garmisch-Seefeld

Nach der Anreise mit der Bahn steht heute nur eine kleine Strecke zum Einrollen auf dem Programm. Am frühen Nachmittag geht es bei strahlendem Sonnenschein am Bahnhof Garmisch-Partenkirchen los. Die Radstrecke nach Mittenwald ist fast komplett asphaltiert und ich nutze sie gerne, weil auf der Bundesstraße wie fast immer reger Autoverkehr herrscht. Einzig ein vielleicht 700 m Meter langes Teilstück kurz vor Klais ist ein feingeschotterter Feldweg, den man mit dem Rennrad aber durchaus fahren kann. Wem das partout nicht passt, kann für einen Moment auf die Bundesstraße wechseln.

 

Die Steigungen sind bis Mittenwald moderat und auch der erste längere Anstieg in die Leutasch sollte für niemanden ein ernsthaftes Problem darstellen. Wenn doch, dann wäre hier die Gelegenheit umzukehren und ernsthaft für eine Transalp mit dem Rennrad zu trainieren.



die Geisterklamm

An der Höllkapelle ist die Leutascher Ebene erreicht. Ein Verbindungsweg führt hier zur Geisterklamm. Ich laufe die hundert Meter bis zur Klamm, die inzwischen durch eine kühne Metallkonstruktion für Erlebnisspaziergänger erschlossen ist. Mir reicht die Stippvisite und weiter geht’s. Die Leutasch besteht aus mehreren lose verteilten Dörfchen und Anwesen, flankiert von der Bergkette des Wettersteingebirges. Nur Weidach ist etwas größer. Hier biegt man auch schon links ab und der letzte kleine Anstieg für heute zum Seefelde Plateau beginnt. In Seefeld herrscht kein Mangel an Unterkunftsmöglichkeiten. Für jeden Geschmack und für jeden Geldbeutel lässt sich etwas finden. Auf dieser Solotour habe ich keine großen Ansprüche und komme in einer kleinen Familienpension mit Blick auf den Wildsee unter.

Die relativ zeitig untergehende Sonne taucht die umliegenden Berge in ein beruhigendes, rötlich-warmes Licht. Ein gutes Vorzeichen für die nächsten Tage.



2. Tag: Seefeld - Trafoi

Höhenprofil Seefeld-Trafoi

Ich wache früh am Morgen auf, geweckt durch Vogelzwitschern. Der Himmel ist wolkenlos und die Luft frisch und noch etwas kühl. Voller Tatendrang schwinge ich mich aufs Rennrad. Ein paar Kilometer zum Einrollen und schon geht es  nach einer kleinen Steigung den Möserer Berg hinunter ins Inntal. Die Straße ist dank der Deutschlandrundfahrt der Radprofis frisch asphaltiert, die in diesem Jahr eine Bergankunft in Seefeld im Programm hatte. Auf den langen Geraden erreiche ich locker 70 km/h. Ein wenig mulmig ist mir dabei schon. Ich muss mich erst wieder an den Anblick der schmalen Pneus gewöhnen. So ein breiter Mountainbikereifen sieht für mich irgendwie Vertrauen erweckender aus. Alles geht gut. Ich grüße die bergauf strampelnden Radler mit einem Kopfnicken. Die Hände will ich lieber am Lenker lassen.

 

In Telfs wechsle ich auf den Innradweg, den ich erst am Bahnhof Imst-Pitztal verlasse. Auf der alten Straße ins Pitztal erreiche ich bald Arzl, wo ich auf die neue Straße stoße. Der Verkehr wird etwas lebhafter. Die Straße ist breit genug für einen Seitenstreifen, so dass es sich gut fahren lässt. Ein Rennradler aus Innsbruck  ist auf dem Weg ins Kaunertal. Wir fahren ein Stück gemeinsam und fachsimpeln ein wenig über die verschiedenen Schaltsysteme am Rennrad.

 

Durch diese Abwechslung erreichen wir nach meinem Gefühl recht zügig die Pillerhöhe und machen kurz darauf am Gacher Blick einen kurzen Halt: Fotostopp. Gut siebenhundert Meter unter uns liegt das Inntal - ein atemberaubendes Panorama bei diesem Traumwetter heute.

 

Tja, nun werden die Höhenmeter gleich wieder vernichtet. Steil ist die Abfahrt ins Kaunertal, wo sich mein kurzzeitiger Begleiter verabschiedet. Ich schaue auf die Uhr und rechne mir aus, das ich zur späten Mittagszeit in Pfunds sein dürfte – der rechte Zeitpunkt, um sich bei M-Preis eine etwas längere Essenspause zu gönnen. Außerdem ist mir das Wasser in den Trinkflaschen über, das ich unterwegs an den reichlich vorhanden Brunnen nachfüllen konnte.

 

Inzwischen ist mir klar, dass ich heute locker bis zum Reschenpass kommen werde, und wenn ich einmal dort bin, kann ich auch gleich noch ins Vinschgau hinunter rollen. Alles weitere wird sich ergeben.

 

Die direkte Route nach Nauders würde ich keinem mit dem Fahrrad empfehlen. Zu viel Verkehr und zu viele Tunnels. Die alternative Route führt kurz in die Schweiz und von Martina aus über die Norbertshöhe. Ich bin sie schon mehrfach gefahren. Wieder habe ich Glück und treffe bei der Auffahrt auf einen zeitweiligen Begleiter. Ein Mountainbiker aus Landeck dreht seine Trainingsrunde. Wir schwatzen und sind im Nu oben. In Nauders trenne sich unsere  Wege wieder. Ich radele bei starkem Gegenwind in Richtung Reschenpass – zunächst auf dem Radweg. Als ich drei Rennradler in gleichem Trikot auf der Straße sehe, wechsle ich bei Reschen auf die Straße in der Hoffnung, mich ihrer Formation anschließen zu können. Meine Hoffnung trügt mich nicht, ich reihe mich ein und wir wechseln uns in der Führungsarbeit ab, was bei dem leichten Gegenwind ziemlich kräftesparend ist. Bei der Abfahrt lasse ich die Jungs ziehen, sie wollen heute noch nach Bormio. Da wartet noch ein dicker Brocken auf sie.

 

Ich peile von Glurns aus den direkten Weg nach Prad am Fuße des Stilfser Jochs an. Gegen siebzehn Uhr bin ich dort. Ich fühle mich gut und horche in mich hinein, was heute eventuell noch geht. Bis Trafoi sind es gut sechshundert Höhenmeter. Dort lockt mich die Übernachtung im Hotel Bellavista, von dem ich schon viel Gutes gelesen hatte. Exakt eine Stunde brauche ich und meine Erwartungen werden nicht enttäuscht. Ich bekomme ein Zimmer mit First-Class-Panorama zum Stilfser Joch und Ortler. Beim Abendessen im Speisesaal derselbe grandiose Ausblick. Das ist der Mühen wert gewesen.



3. Tag: Stilfser Joch – Ofenpass – Livigno - Bormio

Höhenprofil Trafoi-Bormio

Am Morgen überlege ich mir beim ausgedehnten, reichhaltigen Frühstück , wie meine Route heute aussehen sollte. Nach dem Stilfser Joch hat man am Pass Umbrail zwei Möglichkeiten zur Weiterfahrt. Entweder direkt hinunter nach Bormio und weiter z.B. über den Gaviapass oder hinab in die Schweiz und durchs Münstertal und weiter über den Ofenpass. Ich entschließe mich für die letztere Variante, da mir diese Strecke zu weiten Teilen noch unbekannt ist.

 

Aber zunächst wartet das Stilfser Joch auf mich. Mit dem Mountainbike habe ich es schon von beiden Seiten befahren, was aufgrund der Bergübersetzungen kein sonderlich großes Problem darstellte.

Doch ich bin auch mit dem Rennrad optimistisch. Gestern bin ich rund 150 Kilometer und knapp 3000 Höhenmeter gefahren, ohne dass ich gleich im Koma lag.



Stilfser Joch

Wieder habe ich Glück und erwische einen Wegbegleiter. Ein junger Mountainbiker aus Jena fährt die Joe-Route und ich passe mich seinem Tempo an. Vom Gefühl her könnte ich zwar etwas schneller fahren, lasse das aber gerne sein und quatsche lieber mit ihm. Außerdem gibt es uns beiden die Möglichkeit, bei den Fotopausen Bilder von Biker und Rad zu machen. Wir können uns heute glücklich schätzen, das Joch bei solch idealen äußeren Bedingungen fahren zu können. 48 Kehren sind es, alle durchnummeriert, die wir nach und nach abfahren.



Der Verlauf der Strecke ist eine ingenieurtechnische Meisterleistung, vor knapp zweihundert Jahren trassiert, musste er seitdem praktisch nicht verändert werden.

 

Seit einigen Jahren wird am ersten Samstag im September der Radtag Stilfser Joch veranstaltet, bei dem die Straße (von Trafoi bis Bormio) von morgens bis abends für den motorisierten Verkehr gesperrt wird. Dann ist sie allein tausenden Radfahrern und (einigen wenigen) Wanderern/Läufern vorbehalten.

 

Wir haben heute etwas Verkehr, der aber aufgrund der frühen Stunde noch recht spärlich ausfällt. Nach knapp zwei Stunden Auffahrt, immer wieder unterbrochen durch Fotopausen trennen sich auf 2757 Meter über Seehöhe unsere Wege. Der Mountainbiker hat mit der Bocchetta di Forcola ein Highlight vor sich, besonders bei diesem schönen Wetter.

 

Ich mache mich an die Abfahrt über knapp 1400 Höhenmeter hinunter nach St. Maria im Münstertal. Im mittleren Teil existiert ein ca. zwei Kilometer langer Abschnitt als Naturstraße, zwar fein geschottert und gut gepflegt, aber nur mit Vorsicht und in langsamer Fahrt zu genießen, zumindest für mich und mein Rennrad. Schließlich ist auch das überstanden und nach vielen engen Kehren erreiche ich St. Maria, mir bestens vertraut von vielen Transalps mit dem Mountainbike.

 

Heiß brennt die Sonne vom Himmel herab. Ich mache eine kurze Pause, esse eine Kleinigkeit, fülle aus dem Brunnen Wasser in die Trinkflaschen ab und mache mich schließlich auf den Weg zum Ofenpass. Es ist Wochenende und deshalb leider wohl unvermeidlich viel Ausflugsverkehr unterwegs, besonders Motorräder. Ich nutze deshalb soweit es geht, die Ortsdurchfahrten als ruhige Nebenstrecken. Nach Tschierv ist damit aber auch Schluss und ich muss es halt ertragen.

 

Nach der Passhöhe winkt als Lohn eine lange, entspannte Abfahrt, auf der ich mich nicht sonderlich konzentrieren muss, sondern es einfach laufen lassen kann.

 

Am Punt la Drossa ist damit Schluss und ich warte auf das grüne Licht der Ampel, das die Durchfahrt für den ca. dreieinhalb Kilometer langen Grenztunnel nach Livigno freigibt. Der Tunnel ist für Radfahrer frei befahrbar, Autos und Motorräder müssen Maut entrichten. Ich geselle mich zu einem italienischen Rennradler, der mich am Ofenpass mit seinem edlen Carbonteil locker stehen ließ. Nur 6,3 Kilogramm wiege es, berichtet er mir stolz und gewährt mir bereitwillig Windschatten im Tunnel. Ich revanchiere mich bei der langen Fahrt durch die Galerien entlang des Stausees bis Livigno, indem ich mich in der Führungsarbeit mit ihm abwechsle.

 

Zwei Wochen zuvor war ich auch schon in Livigno - bei meiner MTB-Transalp vom Bodensee zum Gardasee. Zielstrebig steuere ich einen kleinen Supermarkt in der Ortsmitte an, um mich zu verpflegen. Wieder dasselbe Traumwetter wie vor zwei Wochen. Wieder wartet als nächstes der Passo d’Eira auf mich, denn in Livigno will ich nicht übernachten, da erst früher Nachmittag ist. Wieder wird es  ein Tag mit vier Pässen, denn mit dem Passo del Foscagno folgt noch der Übergang nach Bormio. Ich sehe ihn im langgezogenen Hochtal schon von weitem und auch die Wolkenfetzen, die ihn umwehen. Doch ich muss viel Geduld aufbringen. Ein kalter, böiger Gegenwind kommt auf und macht den eigentlich moderaten Anstieg zu einem kleinen Härtetest. Den bestehe ich, ziehe oben alles an, was ich habe und lasse mich in Richtung Bormio rollen.

 

In Arnoga kreuze ich wieder meine klassische MTB-Route, überlege kurz im erstklassigen „Li Arnoga“ abzusteigen, verwerfe jedoch den Gedanken, weil ein Wetterumschwung droht. Ich will mich morgen nicht der Gefahr aussetzen, eventuell in Kälte und Nässe diese lange Abfahrt vor mir haben zu müssen.

Zum Glück gibt es bis ins Tal hinunter keine nennenswerten Gegenanstiege, mit dem Gegenwind werde ich schon fertig.

 

Mit der Hotelsuche vertue ich keine große Zeit, nehme so ziemlich das erstbeste, das mir über den Weg läuft – das Baita Montana. Normaler italienischer Standard halt – vernünftiges Abendessen im Preis inbegriffen, mäßiges Frühstück. Aber dafür habe ich schon vorgesorgt und unterwegs Schinken, Käse und Brötchen für den nächsten Tag eingekauft...

Tipp: HOTEL TERME

23032 BORMIO - via Martinelli, 6

tel  0039 0342 910156

hotelterme@valtline.it



4. Tag: Passo Foppa – Val di Sole – Madonna di Campiglio

Höhenprofil Bormio-Madonna di Campiglio

...denn bei der Auffahrt zum Passo Foppa werde ich keine Möglichkeit haben, irgendetwas einkaufen zu können.

 

Doch zunächst rolle ich nach dem vorhersehbar dürftigen Frühstück das Valtellina hinunter. Vor Le Prsese sieht man noch die Spuren des gewaltigen Bergrutsch im Tal der Adda, der in den 1980er Jahren dazu führte, dass der Gaviapass asphaltiert wurde, da die normale Zufahrt nach Bormio verschüttet war.

Kurz vor Grosio kommt dann der Abzweig nach links zum Passo Mortirolo oder Foppa oder wie, was?!

Der unterschiedliche Sprachgebrauch ist verwirrend. De facto gibt es sowohl den einen als den anderen. Der Passo del Mortirolo liegt jedoch etwas abseits der Hauptstraße, wenn es nach dem Passo della Foppa hinunter nach Monno geht. Der eigentliche Straßenpass ist der Foppa.

Der Hotelchef Jim Pini vom legendären „Albergo Sassella“ in Grosio hat mir neulich die Zusammenhänge erklärt.

 

Foppa ist wie gesagt die alte, richtige Bezeichnung für den Straßenpass. Als dann der Giro d’Italia einige Male über diesen Pass führte, benutzte ein Reporter aus Unkenntnis den Namen des Passes Mortirolo, der Luftlinie keinen Kilometer entfernt liegt, aber nur auf Schotter zu erreichen ist. Das haben dann alle nachgeplappert und so bürgerte sich im Laufe der Zeit der „falsche“ Name für den „richtigen“ Pass ein. Durch die offenkundig hochwirksame normative Kraft des Faktischen ist inzwischen auch der Name „Foppa“ von den Wegweisern verschwinden.

Nur oben an der höchsten Stelle findet man an  einem Holzpfahl noch den verblichenen Schriftzug, der vom Foppa kündet.



der alte Holzpfahl

Doch bis dahin liegen noch knapp zwölfhundert Höhenmeter vor mir. Ich bin gespannt, wie lange ich brauchen werde. Nach den Erfahrungen der letzten Tage habe ich mit dem Rennrad eine deutlich höhere Aufstiegsrate als mit dem Mountainbike, was auch logisch ist. Durch die andere Übersetzung beim Rennrad bin ich mir aber nicht sicher, wie lange ich das durchhalten kann. Außerdem habe ich diesmal keine Begleiter zur Aufmunterung. Nur ca. ein halbes Dutzend Autos begegnen mir auf der ganzen Strecke.



Mit Skirollern den Berg hoch...

Doch plötzlich höre ich ein seltsam klackendes Geräusch. Hinter der nächsten Kurve sehe zwei Gestalten; Wanderer, wie ich vermute, doch sie sind schon wieder verschwunden. Nach ein paar engen Spitzkehren sehe ich endlich, was los ist. Zwei Männern kämpfen sich auf Skirollern den Berg hoch. Das Geräusch kommt von den Skistöcken, mit denen sie sich auf dem Asphalt abstoßen. Sie sind ziemlich zügig unterwegs und wollen tatsächlich auch bis zur Passhöhe. Ich bin auf einem etwas flacheren Abschnitt auch nicht wesentlich schneller, schieße ein paar Fotos von ihnen und versichere sie meiner Bewunderung. Sie geben das Kompliment zurück. Dann trennen sich unsere Wege wieder – eine willkommene Abwechslung.

 

Je höher ich komme, desto nebliger wird es. Kein Windhauch, der die feuchte Luft vertreiben könnte. Nur schemenhaft erkenne ich die Bäume um mich herum. Selbst die anfeuernden Aufschriften auf dem Asphalt scheinen zu verblassen. Ivan Basso und Cunego scheinen die Favoriten zu sein. Auch Marco Pantani lebt offenkundig in den Herzen seiner Anhänger weiter.



Pantani lebt

Ich glaube gelesen zu haben, dass diese Cracks nur eine knappe Stunde für die Auffahrt benötigen. Ich brauche da schon deutlich länger. Eine Stunde und fünfundvierzig Minuten sind  es schließlich. Ich bin zufrieden, mir reicht’s – in doppeltem Sinne. Bei der Abfahrt lege ich im ersten Ristorante einen Stopp ein, um mich aufzuwärmen und einen Cappuccino zu trinken. Danach hangele ich mich weiter nach unten, durch den Nebel ist die Straße unangenehm glatt. An der Staatsstraße angekommen, schlägt mir das Gedröhn von Motorrädern entgegen. Die wenigsten nehmen heute den Weg zum Passo Foppa, was mir nur recht war.

 

Ich mache eine Pause und muss mit mir selber ausmachen, wie die Route weitergehen soll. Nach rechts und bergab in Richtung Edolo wäre ich dem Verkehr ausgesetzt, wie ich weiß.  Nach links geht es zum Passo Tonale, allerdings muss es Nebenwege geben und die kundschafte ich nun aus.

 

Eine zweiter Grund für die Entscheidung „links“ statt „rechts“ ist die ungewisse Wetterlage. Eine dichte, hochliegende Wolkendecke macht die weitere Entwicklung ungewiss. Wenn ich heute noch über den Tonale fahre, wäre ich im Val di Sole und könnte mein Ziel, den Gardasee, auch bei schlechteren äußeren Bedingungen erreichen – zur Not ganz einfach über den Radweg im Etschtal.

Denn aus Gewichtsgründen habe ich nur eine dünne Regenjacke und sonst nur das Notwendigste dabei, mein Rucksack Deuter Speed Lite 30 wiegt mit Inhalt gerade einmal vier Kilogramm.

Also auf zum Passo Tonale, oben werde ich entscheiden, wie weit es heute noch gehen wird. Der Verkehr nimmt zum Glück auch ab und nach ein paar Minuten kann ich nach rechts auf die anvisierte Nebenstrecke ausweichen. So komme ich nahezu geräuschlos bis kurz vor Ponte di Legno, wo ich wieder auf die Staatstraße wechsle.

 

Der Passo Tonale ist wirklich leicht zu fahren. Selbst mit dem Mountainbike konnte ich meist auf dem mittleren Kettenblatt bleiben. Unterwegs will ich mir im „La Roccia“ einen Kaffee genehmigen. Als ich die Gaststube betrete, merke ich schnell, dass das heute hier wohl nichts wird. Im typischen italienischen Ausflugslokal ist das Personal gerade mit dem Auftragen der Speisenfolge beschäftigt. Alle wuseln geschäftig hin und her. Da wird sich in absehbarer Zeit wohl keine Hand zum Bedienen des Espressoautomaten finden. Ich mache also kehrt, steige aufs Rad und tröste mich mit dem Gedanken, dass mein „Stamm“-Cafe am Pass sicher geöffnet ist. Das ist es in der tat, wie ich wenig später feststellen kann. „Vorrei un cappuccino, per favore“, sage ich und prompt wird mein Wunsch erfüllt. Im Gastraum ist es heimelig warm, ich checke durch die Fensterscheiben die Wolkendecke. Aha, zum Val di Sole hin gibt es deutliche Aufhellungen. Alles wird gut.

 

Ich beschließe, heute die Marke von 3000 Höhenmetern zu knacken und bis nach Madonna di Campiglio zu fahren. Vorsichtshalber sende ich Matteo vom „Hotel Arnica“ eine SMS und frage ihn, ob er ein Bett für mich hat.

Die Antwort kommt prompt und lautet. „Ja.“ Also los.

 

Der Weg im Val di Sole ist mir ausreichend bekannt. Bis Mezzana bleibe ich auf der Straße, wechsle hier auf den Radweg, bis in Dimaro der finale Aufstieg nach Madonna beginnt. Diese rund neunhundert Höhenmeter bin ich bisher stets auf Schotter und mit dem Mountainbike gefahren. Ich denke mir, so schlimm kann es schon nicht kommen. Es geht so einigermaßen, aber ca. beim Erreichen der 3000 Höhenmeter-Marke kommt dann doch spürbare Unlust bei mir auf. Es zwickt hier, dann zwackt es da im Rücken und so richtig Spaß macht das Sitzen im Sattel auch nicht mehr.  Nach oben hin wird es zu meinem Glück zunehmend flacher und endlich erreiche ich den Passo Campo Carlo Magno. Danach geht es nur noch kurz bergab und ich erreiche erleichtert und zufrieden mein Stammhotel „Arnica“.

Jetzt wird erst einmal gedopt: ein Hefeweizen und ein Grappa. Es wirkt.



5.Tag: Passo Daone, Passo Duron, Gardasee

Höhenprofil Madonna di Campiglio-Gardasee

Am Morgen bin ich wieder voller Elan, nicht zuletzt deshalb, weil ich heute den Gardasee erreichen werde und weil die Etappe eher moderat ausfallen wird. Ich will noch zwei für mich neue Pässe fahren, den Passo Daone und den Duron. Doch zunächst beäuge ich kritisch den wolkenbedeckten Himmel. Es nieselt ein wenig und ich will erst einmal heil den Berg hinunter kommen. Durch Straßenbauarbeiten sind Teile der Strecke recht schmierig und ich stehe die meiste Zeit auf der Bremse. Ab Pinzolo wird es flacher und ich lasse es wieder laufen. Es heitert auf und in Spiazzo verlasse ich die Hauptstraße und nehme den Passo Daone in Angriff. Kein Hinweisschild weist den Weg. Ich frage vorsichtshalber nach und erhalte die Bestätigung, dass ich auf dem richtigen Weg bin.

 

Ein paar steile Rampen gibt es schon, bei denen ich in den Wiegetritt gehe, aber ist es nicht so schlimm, wie ich befürchtet hatte. Kein einziges Auto begegnet mir auf der Strecke, so macht die Sache richtig Spaß. Oben wird es flacher und da ist er ja auch schon erreicht, der Passo Daone – ein kleiner Geheimtipp auf diesem Weg zum Gardasee. Die Abfahrt ist ein Traum auf guter Straße mit zuerst vielen engen Kehren und später ein paar Geraden, auf denen es man so richtig schön laufen lassen kann. Außerdem hat man eine gute Aussicht ins Tal der Sarca, die direkt in den Gardasee fließt.

 

Aber ein paar Höhenmeter will ich noch machen. Der Passo Duron ist noch zu bezwingen. Ich kann ihn schon auf der gegenüberliegenden Talseite ausmachen. Nach einer Kurve halte ich an und begutachte den Straßenverlauf von oben. Dabei entdecke ein kleines Nebensträßchen, das nach Zuclo zu führen scheint und mir den Umweg über Tione ersparen könnte. Im Tal angekommen, bestätigt sich meine Vermutung und ich erreiche unbehelligt von Autoverkehr den Ortskern von Zuclo, trinke einen letzten Cappuccino vor dem Lago und denke mir, nun ist es ja geschafft.

 

Das ist es auch fast, allerdings nicht ohne eine letzte, etwas steilere Rampe., dann wird die Straße breit und moderat im Anstieg und ich bin oben.

Der Rest ist freundliche Zugabe. In Fiave angekommen, sind es keine einhundert Höhenmeter mehr bis zum Pass di Ballino, dem definitiv letzten Pass vor dem Gardasee. Der kostet mich nur ein müdes Lächeln. Es folgt die rasante Abfahrt zum Lago, die ich schon so oft gefahren bin und wieder macht sich das übliche, angenehme Glücksgefühl breit, als im am Hafen von Riva aus dem Gewirr der schmalen Gassen auftauche.



In Torbole ist dann wie immer am Strandcafe endgültig Schluss. Eine gelungene Transalp mit dem Rennrad liegt hinter mir.



Fazit:

Meine erste Transalp, die ich alleine gefahren bin. Das würde ich auch nur mit dem Rennrad so  machen. Der Vorteil, dass man die täglichen Etappenlängen nur mit sich selber ausmachen muss, ist nach meinem Empfinden wohl gleichzeitig auch ein Nachteil, weil man wahrscheinlich eher zuviel als zuwenig fährt. Aber das ist sicher Geschmackssache.

 

Beim Gepäck bin ich wirklich auf das absolute Minimum dessen gegangen, was ich mit gutem Gewissen noch verantworten konnte. Das Leichtgewicht Deuter Speed Lite 30 hat wesentlich dazu beigetragen, dass ich mich trotz Rucksack auf dem Rücken auf dem Rennrad wohl gefühlt habe.

Natürlich habe ich im Großen und Ganzen auch Glück mit dem Wetter gehabt. Es gab keinen gravierenden Wetterumschwung, Kälte und Dauerregen sind mir erspart geblieben.

Was das Rennrad angeht, kann ein dreifaches Kettenblatt vorne auf keinen Fall schaden und hinten kann das größte Ritzel ruhig 28 Zähne haben, dann ist genug Reserve vorhanden.

 

Ich weiß jetzt, wie die Streckenführung eine ordentliche Transalp mit Rennräder aussehen sollte. Im Juli 2007 werde ich das Projekt wohl in Angriff nehmen, allerdings mit Gepäcktransport.


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