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Hugo Koblet - Pédaleur de charme

 

 


Portrait

Zwei Sommer lang war Hugo Koblet der beste Radrennfahrer seiner Zeit. Diese zwei Jahre machten ihn unsterblich. Sieger des Giro d’Italia 1950, der Tour de France 1951 – was für ein Einstand für den 25-Jährigen Zürcher! Es folgten dann noch zwei zweite Plätze bei den Giros 1953 und 1954. Man muss an Marco Pantani denken, den Italiener, der 1997 und 1998 auf sensationelle Weise davonfuhr, die großen Rennen und die Herzen der Zuschauer gewann, weil er etwas Besonderes war und weil er Herz hatte, ein Kämpferherz. Auch „Hugi“ Koblet, der „jung und unbekümmert“ war wie später Laurent Fignon (am 31. August mit 50 Jahren verstorben), wurde von allen geliebt – und endete tragisch wie Pantani.

 

60 Jahre nach seinen großen Erfolgen erinnerte dieses Jahr ein >>> Schweizer Film an ihn (Presseheft). „Hugo Koblet – pédaleur de charme“ hatte bei den Filmfestspielen von Locarno am 6. August Weltpremiere und kam Mitte September in die Schweizer Kinos.

 

Koblet kam 1925 in Zürich zur Welt. Seine Mutter führte eine Bäckerei, der Vater war früh gestorben. Bald wurde das ungeheure Talent Hugos erkannt. Er durfte sogar ab 1948 in Ferdinand (Ferdy) Küblers Tebag-Team fahren. Doch für den Giro d’Italia 1950 wurde Koblet nicht aufgestellt; er ließ sich als Ersatzmann vom italienischen Team Learco Guerras verpflichten. Zwar galt er als guter Roller und hervorragender Zeitfahrer, aber wie er die Berge meistern würde, wusste er selber nicht.



 

Sieg bei Giro und Tour

Das Unerhörte geschah: Der völlig unbekannte Schweizer gewann überlegen als erster Ausländer das schwere, 4000 Kilometer lange Etappenrennen in Italien – und das noch im Heiligen Jahr 1950, was auch noch eine Audienz beim Papst einschloss. Der blonde Hugo Koblet mit der maglia rosa, dem rosa Trikot! „Es isch e wunderbare Anblick gsy“, erinnerte sich ein früherer Mitstreiter im Film: „der blonde Engel, l’angelo biondo!“ Hugo Koblet war ein hübscher Junge mit hellen Augen und einem unwiderstehlichen Lächeln. Gleich darauf holte sich Ferdy Kübler die Tour de France 1950. Was für ein Jahr für den Schweizer Radsport!

 

Und es ging weiter: Im Jahr darauf, 1951, gewann Koblet sogar die Tour de France mit dem sagenhaften Vorsprung von 22 Minuten vor dem Zweiten. Koblet, 26 Jahre alt, war ein Draufgänger. Taktik interessierte ihn nicht. Auf einer Etappe jagte er los und hörte nicht auf seinen Teamchef, der ihn zügeln wollte. Er wusste nicht einmal, wie lang die Etappe war – er gab Gas mit kraftvollen Pedalumdrehungen, die an Coppi erinnerten. 136 Kilometer fuhr er vornweg. Die Spitzenleute vor dem Hauptfeld wechselten sich laufend ab, kamen aber nicht mehr heran.

 

Vor der Siegerehrung musste „Hugi“ sich immer noch etwas pflegen. Er hatte seinen Kamm dabei und brachte seine Haare in Form. Der „schöne Hugo“ war er, und die eleganten Franzosen gaben ihm den Ehrennamen „Pédaleur de charme“. Er war, erinnerte sich seine frühere Freundin Waltraud Haas, „sehr eitel“ und wurde sogar mit James Dean (1931-1955) verglichen. Nach den Rennen wurde Hugi immer von einer Gruppe junger schöner Mädels zum Hotel begleitet; damals waren Radsportler die Stars, nicht Sänger oder Schauspieler. Hugo Koblet war plötzlich weltberühmt.



Der Film von Daniel von Aarburg ist sehr gelungen. Er beginnt mit einem Alfa Romeo auf einer Straße in der Nähe von Zürich, und man hört aus dem Off Hugo, der zurückschaut. Einige noch lebende Radsportprotagonisten steuern ihre Erinnerungen bei: der Reporter Sepp Renggli, der große Ferdy Kübler, Armin von Büren (er fuhr mit Koblet Sechstagerennen), Gottfried Weilenmann und Remo Pianezzi (Teamkameraden). Viele Schlüsselszenen wurden dramatisiert, mit Manuel Löwensberg in der Hauptrolle sowie Katharina Winkler und Sarah Bühlmann als die beiden wichtigsten Frauen in Koblets Leben.

 

Das Salz in der Suppe sind die eingestreuten Originalaufnahmen. Der Start des Giro, die rasende Jagd im Zürcher Hallenstadion, Zieleinläufe, Interviews und die Rampen des Stilfserjochs ... Wie wunderbar dieser Radsport ist! Etappen im Regen, bei sengender Sonne; viele Kilometer über die staubigen Straßen des ländlichen Frankreich! Und alles illustriert das Leben eines erfolgreichen Sportlers, das zunächst nur Gegenwart ist, aber was kommt nach dem Höhepunkt? Es geht nach unten, und dann muss der Star einen Platz im Leben finden, unter normalen Leuten. Hugo Koblets Jahr war 1951.



 

Episoden bei Giro und Tour

Bei der damaligen Tour soll laut Beppe Conti (Ciclismo - storie segrete, 2003) Hugo auf einer Etappe nichts mehr zu trinken gehabt haben. Er bat Gino Bartali um eine Wasserspende. „Und Gino ... nahm die Trinkflasche; und statt sie Koblet zu reichen, nahm er selber einen langen Schluck und goss sie dann aus, ganz langsam, in dieser gnadenlosen Hitze. Und ohne ein Wort zu sagen.“ Nach ein paar Tagen, im letzten Zeitfahren über 97 Kilometer von Aix les Bains bis Genf, ging Bartali vor Koblet ins Rennen. Der Schweizer in Gelb holte den alten Champion aus Florenz ein. „Er wollte ihn gerade überholen, als er bemerkte, dass im Flaschenhalter Ginos keine Flasche mehr steckte. Also fuhr er beim Überholen ganz nahe heran, an seine Seite, und steckte, ohne ein Wort zu sagen, eine Trinkflasche mit noch reichlich Inhalt in den Halter Bartalis. Und fuhr davon, indem er seinen bereits hohen Rhythmus mit einem noch höheren Gang krönte. Das alles, ohne ein Wort zu sagen.“



Hugo Koblet galt als Gegner von Dopingmitteln (im Gegensatz zu Coppi), doch diese Einstellung half ihm während der Tour de Suisse 1952 nicht:
"Hugo Koblet schwächelt und bekommt Fieber, alles deutet auf eine Nierenbeckenentzündung hin, die dann vom Hausarzt telefonisch bestätigt wurde und en sofortigen Ausstieg und die Heimreise anordnete. Doch der Tourarzt gab nichts auf diese Diagnose und gemeinsam mit dem Rennleiter veranlassten sie Koblet zu starten. „Wir bringen ihn schon auf die Beine“, beruhigte ihn der Arzt, „und ich garantiere ihnen, dass nichts passieren kann.“ Eine Stunde vor dem Start gab er dem Patienten eine Spritze. Masseur Hug fand die Ampulle, darin war das gefährliche Amphetamin Akzedron gewesen. Dr. Rumpf (Hausarzt) stellte später eine gefährliche Herzerweiterung fest. "Die „kriminelle“ Dopingspritze hatte Koblet auf einen Schlag um ein Fünftel seiner Leistungsfähigkeit gebracht. Dr. Rumpf zog noch zwei medizinische Kapazitäten hinzu, von denen die eine, Prof. Löffler, ihm sagte: “Herr Kollege, der Mann darf nicht mehr Vélo fahren.“
( Hanspeter Born, Das waren noch Zeiten)

1952 war Hugo Koblet krank, und eine Spritze sollte ihn für den Giro fit machen. Statt dessen klappte er zusammen. Diese Spritze habe ihn zwei Jahre seines Lebens gekostet, gestand Koblet. Sein Herz war 30 Prozent vergrößert, und er musste lange pausieren. 1953 hätte es beinahe wieder geklappt. Auf einer Etappe überließ er Fausto Coppi (damals 34 Jahre alt) den Etappensieg, und im Gegenzug verpflichtete sich dieser zu einem Nichtangriffspakt. Im Film heißt es, italienische Journalisten hätten den Meisterfahrer überredet, den Pakt nicht zu respektieren. Doch das war nicht Faustos Stil. Beppe Conti hat in dem erwähnten Buch Ciclismo - Storie segrete eine andere Version. Der Schauplatz ist das Stilfserjoch.

 

„An einer bestimmten Stelle in Richtung Trafoi waren nur noch fünf übriggeblieben: Coppi, Koblet, der unüberwindbare Bartali, der fast 39 Jahre alt war, Defilippo, der 21 war und Pasqualino Fornaro. Aber Coppi konnte noch nicht handeln, Pakt war Pakt, und es gefiel ihm nicht, ihn zu brechen. Also begab er sich zu seinem Freund Defilippis, einem wachen und brillanten Jungen, vor allem aber ein bewährter Freund, der schon alles verstanden hatte. Coppi flüsterte ihm zu: ‚Cit, hast du es drauf, ein Ding zu wagen und einen Angriff zu versuchen?’“ Cit griff an, und Koblet machte den Fehler, ihn einholen zu wollen – hätte er darauf verzichtet, an der Gesamtwertung hätte sich nichts geändert. Doch dann brach Koblet ein. Defilippis: „Nun zog Coppi los, wie wenn man einen höheren Gang einlegt. Er fuhr in einer Kehre an mir vorbei. Ich hatte Angst. Er kam mir wie ein Motorrad vor. Ich hatte in meinen langen Jahren im Radsport nie etwas dergleichen gesehen.“ Koblet hatte also durch seinen Angriff selber den Pakt annulliert.



Am Ende des Giro d’Italia 1953 lag Hugo Koblet als Zweiter nur 1 Minute 29 Sekunden hinter Coppi. Auch 1954 belegte der Schweizer beim Giro den zweiten Platz, und 1955 wurde er Zehnter. Mit zwei zweiten Plätzen beim Giro, einem Giro-Sieg und einem Tour-Sieg sieht sein Palmarès für fünf Jahre wunderbar aus. Allerdings hätte der schöne Hugo mit etwas mehr Glück und Fleiß mehr erreichen können. Er war jedoch ein Lebemann und etwas faul. Einmal wollten seine Kameraden zum Training über den Klausen-Pass, und zur verabredeten Zeit, um sieben, reckte Koblet verschlafen seinen Kopf aus dem Fenster und meinte, er werde bald kommen. Ein Teamkamerad fand eine positive Formulierung: Hugo Koblet habe seine Freiheit gebraucht; hätte er so diszipliniert trainieren müssen wie Kübler, er „hätte seine Leistung nicht abrufen können“.

 

Wie Fausto Coppi fuhr er bei Sechstagerennen Geld ein, doch auf den Etappenrennen in der zweiten Hälfte der 1950-er Jahre war Hugi nur mehr ein Schatten seiner selbst. Im November 1958 gab er sein Karriereende bekannt.



 

Nach dem Radsport

Danach erhielt er die erste Alfa-Romeo-Vertretung in Südamerika, saß 1960 also in Caracas. Seine Mutter wurde krank und starb darauf, und Koblet übernahm eine Tankstelle in Zürich-Oerlikon. Von Caracas nach Oerlikon! Aber er kam nicht zurecht. Seine Ehe scheiterte, er verspielte viel Geld und hatte Schulden. Die Kollegen sagten, Hugo sei kein Geschäftsmann gewesen, habe nicht mit Geld umgehen können. Vor allem habe er nicht nein sagen können, weder zu Frauen noch zu Freunden und Geschäftspartnern.

 

Im Film ist ein kurzes Original-Interview mit Koblet aus dem Jahr 1964 zu sehen. Hugi hat nun ein rundes Gesicht, sagt auf Französisch schöne Dinge über seine Erfahrungen mit dem Sport, und wenn er lächelt, wirkt das, als lächle ein kleiner Junge. Ein sympathischer Mensch. Gegen Ende des Jahres hatte sich eine halbe Million Franken Schulden aufgehäuft. Anfang November wollte er sich noch (erfolglos) 20000 von einem Bekannten pumpen. November: 1954 heiratete er in diesem Monat, vier Jahre später verkündete er das Ende seiner Karriere und 1964 fuhr er, wieder im November, im Alfa los. Nicht alle seiner Kollegen glauben an Selbstmord, aber Hugo Koblet knallte mit seinem Alfa Romeo auf freier Strecke an einen Baum. Auch James Dean starb auf der Straße, in den Trümmern seines Porsches.

 

So gehört Hugo Koblets Leben zu den traurigen Kapiteln im Radsport. Sein Schicksal lässt an Coppi denken, der 40-jährig an der Malaria starb und an Marco Pantani, der sich 2004 mit 34 Jahren in Rimini das Leben nahm. Es gibt noch mehr Beispiele von Radsportlern, die im Leben nicht mehr zurechtkamen: dem Belgier Frank Vandenbroucke etwa (1974–2009) oder José Maria Jiménez (1971–2003).

 

Als Epilog noch eine vielsagende Gegenüberstellung, auf die mich erst der Koblet-Film brachte: Den beiden italienischen Kontrahenten Coppi und Bartali entspricht ziemlich gut die Paarung Koblet/Kübler, die sich ebenfalls viele Duelle lieferten. Kübler gewann die Tour 1950, Koblet die im Jahr darauf. Coppi und Koblet waren die heißblütigen Hitzköpfe, Bartali und Kübler die disziplinierten Fahrer. Coppi und Kübler hatten ein turbulentes Privatleben (Coppi verursachte mit seiner Geliebten und einem unehelichen Sohn einen großen Skandal).

 

Bartali hieß „Il Pio“, der Fromme, und er hatte eine ebenso prägnante Nase wie Ferdy Kübler. Diese beiden Fahrer waren je sechs Jahre älter als ihre Konkurrenten. Aber die Älteren erwiesen sich als langlebig. Bartali, 1914 geboren, starb 2000 mit 86 Jahren; Kübler, 1919 geboren, lebt noch und wirkt im Interview mit 91 sehr vital. Coppi und Koblet, die Heißsporne, starben jung: der eine mit 40 (1960), der andere mit 39 Jahren (1964).



 

Text von Manfred Poser, Oktober 2010

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