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Albert Richter
Musiker, Geiger, sollte Albert Richter nach dem Willen seines Vaters werden, ebenso wie seine beiden Brüder lernte er früh ein Instrument spielen. Ein handfeste Berufsausbildung musste trotzdem noch sein, er lernte den Beruf seines Vaters und wurde Gipsmodelleur. Köln war in den ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts eine Hochburg des deutschen Radrennsports, insbesondere des Bahnradsports und so war es nicht verwunderlich, dass der sportliche Albert Kontakt zu Radlern fand. Gegen den ausdrücklichen Willen seines Vaters begann er heimlich zu trainieren und mit 16 Jahren seine ersten Rennen auf der Straße und der Bahn zu fahren. Die Versteckspielerei hatte ein Ende als er mit einem Schlüsselbeinbruch nachhause kam, heftig waren die Auseinandersetzungen mit dem Vater, doch Albert setzte sich durch. Mit 19 Jahren bereits galt er als der beste rheinische Amateurfahrer und die heimische Presse begann ihn hoffnungsvoll hervorzuheben.
Das Jahr 1932 übertraf dann alle Erwartungen, er gewann den Klassiker "Grand Prix de Paris", ein Sieg, der von der Wertigkeit gleich hinter dem einer Weltmeisterschaft angesiedelt war. Eigentlich wären danach die Olympischen Spiele in den USA an der Reihe gewesen, doch die Reise war für den Bund Deutscher Radfahrer nicht finanzierbar, die Fahrer mussten zuhause bleiben und bereiteten sich auf die WM im September vor. Es waren schwierige Zeiten für ihn, inzwischen arbeitslos, lebte er von Stempelgeld, das er durch häufige Auslandsaufenthalte riskierte zu verlieren. Daher verweigerte er die Teilnahme an entsprechenden Rennen, die sein Verband von ihm forderte, eine Widerspenstigkeit, die nicht gern gesehen wurde. Zudem stürzte Richter und zog sich im Juli erneut einen Schlüsselbeinbruch zu.
Lucien Michard - Albert Richter 1932 |
Am 3. September 1932 geschah trotz aller Widrigkeiten im Vorfeld das Besondere: Albert Richter wurde Weltmeister der Amateure im Sprint, nach Matthias Engel 1927 ein weiterer Kölner, dem dieses Kunststück gelang. Die Stadt stand Kopf, Tausende bereiteten ihm ein Fest, mit der Kutsche wurde er anderthalb Stunden lang durch die von jubelnden Menschen gesäumten Straßen gefahren.
Kurze Zeit darauf wechselte er zu den Profis, vor allem um der Arbeitslosigkeit zu entgehen und seine Familie zu unterstützen. Aufgrund seiner Erfolge konnte er schon als junger Fahrer hohe Gagen fordern. Weitere glänzende Siege folgten.
Sein jüdischer Manager, Freund, Berater, Ernst Berliner schickte den jungen Mann kurz darauf nach Paris, in das Zentrum des Bahnradsports, denn hier musste man sich mit den Besten der Zunft messen. Richter litt, zum ersten Male war er von zuhause weg, nur Kölsch sprechend und gleich in einer Millionenstadt. In späteren Jahren hielt er sich gerne in dieser Metropole auf, die französische Sprache stellte kein Hindernis mehr dar.
Er lebte überwiegend im Ausland, denn um den Bahnradsport in Deutschland stand es schlecht. Für Flieger gab es nur noch selten Veranstaltungen, auch weil die Sechs-Tage-Veranstaltungen verboten waren und deutsche Fahrer fehlten, Richter war daher in der Heimat nahezu konkurrenzlos.
Nicht unschuldig an dieser Misere war nach Ansicht eines Kölner Kolumnisten seine Heimatstadt, denn "in Köln wird zuviel gebummelt; der Wein ist dort zu gut, das Bier zu süffig, das Essen zu reichlich, die Weiblichkeit zu nett, die Geselligkeit zu groß....", wer etwas Ehrgeiz hatte, musste nach dessen Meinung Deutschland verlassen - wie auch immer, Richters Zukunft lag nicht in Deutschland und so gehörte er bald der internationalen "Sprinter-Wandergruppe" an, die von Termin zu Termin, von Ort zu Ort, von Land zu Land reiste. Viele der Fahrer waren untereinander befreundet, sie verbrachten viel Freizeit gemeinsam, bekämpften sich zwar auf der Bahn galten aber ansonsten als lustiger, leichtlebiger Haufen. Richter gehörte dazu, doch gelegentlich zog er sich zurück und fiel durch sein Geigenspiel aus der Reihe.
Er war ein kraftvoller Fahrer mit außergewöhnlichem Talent, universal sportlich, fleißig und ernsthaft, asketisch lebend, ein ruhiger angenehmer Typ, freundlich, humorvoll und aufgeschlossen, wenn auch etwas naiv und gutgläubig. Ein Zitat aus der damaligen Kölner Presse: "Wie er fährt, mit erstaunlich leichtem, flüssigen Stil, ohne Anstrengung, ohne Mätzchen, glatt, das Rad auch im Sturmwind in der Gewalt, war eine Offenbarung" oder ganz prosaisch die Worte eines britischen Fahrer-Kollegen: "That boy can ride."
Seine besten Freunde waren der Belgier Jef Scherens und der Franzose Louis Gérardins, überall als "die drei Musketiere" bekannt. Diese drei waren es auch, die den Weltmeistertitel 1934 in Leipzig unter sich ausmachten. Es siegte Scherens vor Richter und Gérardins, eine herbe Niederlage für den Deutschen, doch das dürfte nicht der Grund gewesen sein, warum er bei der Siegerehrung den Hitlergruss verweigerte. Es war ein mutiges, ehrliches Zeichen.
Die späteren Jahre ging es auf und ab, Verletzungspausen lösten sich mit erfolgreichen Renntagen ab, er hatte immer ein gutes Auskommen und war ein international geschätzter Fahrer.
Toni Merkens und Albert Richter beim Training 1932 |
1932 im Weltmeistertrikot |
Ernst Berliner musste nach Holland emigrieren um den Nazis zu entgehen, doch Richter blieb seinem Freund treu und ließ sich weiter von ihm, trotz vorhandenen Drucks, managen. Das Heulen mit den Wölfen war nicht seine Sache. Sepp Dinkelkamp, ein Schweizer Sprinterkollege, urteilte später über ihn: "Gerne bestätige ich Ihnen, dass Albert ein Antinazi war. Schon lange Zeit vor dem Kriege sah er das Treiben und die Machenschaften dieser Verbrecherbande, so nannte Albert die Nazis (......). Hätte er mit den Nazis mitgemacht, wäre es für ihn viel leichter gewesen und von großem Vorteil. Albert wählte den anderen Weg." Auf internationalen Veranstaltungen trug er das Trikot mit dem Reichsadler und nicht das mit dem Hakenkreuz.
Keine Frage, Richter stand unter Beobachtung, auch wegen Gagenschmuggels soll er aufgefallen sein, denn die Fahrer hatten ihren Profiverdienst bis auf Weniges für den Eigenbedarf abzugeben. Warum ließ man Albert Richter so lange unbehelligt? Wahrscheinlich weil der blonde und blauäugige Siegertyp Ruhm und Ehre für die Nation versinnbildlichte.
1. September 1939, Weltmeisterschaft in Mailand, Richter hatte im kleinen Finale die Bronzemedaille gewonnen, Jef Scherens musste noch gegen Arie van Vliet um den Titel kämpfen, da kam über den Rundfunk die Nachricht vom Einmarsch der Deutschen in Polen, der zweite Weltkrieg hatte begonnen, die WM wurde abgebrochen.
Richter fuhr zurück nach Hause und gewann am 9. Dezember sein letztes Rennen, den "Großen Preis von Berlin". Er überlegte bereits ernsthaft sich in die Schweiz abzusetzen, denn die Gefahr war groß, dass er wie viele seiner deutschen Sportlerkollegen, schnell an die Front beordert werden würde. Spitzensportler sollten nach Ansicht des Reichssportführers von Tschammer des Führers beste Soldaten sein. Eine schreckliche Vorstellung für Albert gegen seine Freunde kämpfen zu müssen. Die Gestapo hatte bereits mehrfach seine Eltern dazu aufgefordert ihren Sohn zur Bespitzelung von Kollegen zu überreden, auch sollte er bei seinen Auslandsaufenthalten Skizzen von militärischen Anlagen besorgen. Nachdem Albert aus Berlin wieder in Köln eingetroffen war, bearbeitete man ihn persönlich, erpresste ihn mit seinen verbotenen Beziehungen zu Berliner - vergeblich, er lehnte rundweg ab.
Am 31. Dezember 1939 packte Albert Richter seinen Koffer, nahm Rad und Skier mit um in die Schweiz zu reisen. Eingenäht in die Reifen hatte er 12.700 Reichsmark, die dem im Ausland lebenden Kölner Juden Alfred Schweizer gehörten. Albert hatte ihm schon vor einiger Zeit versprochen die Summe zu überbringen. Berliner riet ihm in diesem Falle noch davon ab aber in der Vergangenheit waren solche Schmuggeleien ohne großes Risiko. Die Rennfahrer hatten öfters Gelder, Schmuck oder andere Wertgegenstände bei ihren häufigen Grenzübertritten bei sich, manch jüdischer Besitz konnte auf diesem Wege gerettet werden.
In Weil am Rhein kam es zur Kontrolle der Reisenden. Zwei holländische Fahrerkollegen, die zufällig mit im Zug saßen, sahen wie Richter streng durchsucht, dabei die Reifen seines Rades aufgeschnitten und das Geld gefunden wurde. Beide mussten sich ebenfalls einer Leibesvisitation unterziehen, die Reifen ihrer Räder ließ man unbehelligt. Am Abend des 31.12.1939 lieferte man Richter in das Gerichtsgefängnis von Lörrach ein. Sein Bruder wollte ihn zwei Tage später besuchen und fand ihn im Totenkeller des Krankenhauses, blutverschmiert mit Löchern im Rock - angegebene Todesursache: Selbstmord durch Erhängen.
Später lautete die erste offizielle Variante für die Presse Tod bei einem Skiunfall, die auch im Ausland übernommen wurde, erst als die beiden holländischen Augenzeugen ihre Beobachtungen weitergaben, wurde Erschießen auf der Flucht bei einem Devisenschmuggel behauptet, noch später schaltete man auf Selbstmord um.
Wie ist Albert Richter wirklich gestorben? Wurde er gefoltert und umgebracht? Er wäre nicht der einzige in Lörrach gewesen. Bis heute ist sein Tod nicht geklärt.
Woher wusste die Gestapo von dem Geld und dem Emigrationswunsch?
Ernst Berliner, der viele Verwandte in Konzentrationslagern verlor, versuchte später zu recherchieren, wie es zum Tode und dem Verrat seines Freundes gekommen war. Er hatte einen schweren Stand, Unterstützung in Deutschland fand er kaum, er konnte zwar 1966 staatsanwaltliche Ermittlungen veranlassen, diese wurden aber 1967 trotz widersprüchlicher Aussagen und vieler Ungereimtheiten eingestellt. Alles deutet daraufhin, dass Albert Richter von deutschen Kollegen verraten wurde.
In Köln und West-Deutschland vergaß man Albert Richter schnell, hätte es doch bedeutet, sich mit seinem Schicksal und der eigenen Vergangenheit auseinander zu setzen. Feigling und Vaterlandsverräter wurde er beschimpft, damit konnte man ihn gut ignorieren. In der DDR passte er besser in das antifaschistische Bild, das man von sich aufbaute und hielt seinen Namen hoch.
Eine späte Rehabilitation wurde Albert Richter Mitte der neunziger Jahre zuteil, als die neuerrichtete Kölner Radrennrennbahn seinen Namen erhielt.
Quelle:
Dieses Portrait beruht auf dem Buch von Renate Franz ,Der vergessene Weltmeister', die in ihrem Buch versucht, das Schicksal des Albert Richter zu erhellen. Ihr ist es mitzuverdanken, dass er heute nicht mehr ganz vergessen ist.
von Monika, 2007
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