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Lucien Mazan, genannt Lucien Petit-Breton

 

 


Portrait

Die ersten Jahre der Tour de France sind eng mit dem Namen Petit-Breton verwoben. Zweimal konnte er sie als junger Mann für sich entscheiden. Wer war dieser 'kleine Bretone'?

Lucien Petit-Breton hieß eigentlich Lucien Mazan. Geboren wurde er in der Bretagne, aufgewachsen ist er jedoch in Argentinien, wohin seine Eltern 2 (oder 8?) Jahre nach dessen Geburt ausgewandert waren.

 

Lucien begann früh mit dem Radfahren. Gegen den Willen seines Vaters, der von Beruf Juwelier und Uhrmacher war, trat er immer wieder zu Rennen an und erkämpfte sich den Titel des argentinischen Meisters (auf der Straße? als Flieger?). Es fehlten ihm jedoch die richtige Ausbildung und ernstzunehmende Konkurrenz. Daher schloss er sich im Frühjahr 1901 kurz entschlossen französischen Fahrern, die zu Wettkämpfen nach Buenos Aires gekommen waren, an und reiste mit ihnen nach Frankreich. Ehrgeizig begann er in Paris eisern zu trainieren und machte als Flieger schnell auf sich aufmerksam. Er war kein endschneller Fahrer, aber einer mit enormer Tempohärte, die ihm in Prämienfahrten und Handicap-Rennen zugute kam.

 



Le Terrible Argentin, der schreckliche oder furchteinflößende Argentinier, wurde er genannt, weil er bei Attacken den Schrei eines Pumas oder 'Peugeot'-Löwen ausstieß, "einen Schrei, der nichts Menschliches hatte, wahrlich ein Schrei wie eine Sirene." Lucien fuhr für Peugeot.

Das Publikum nannte ihn zuerst noch 'den Argentinier' (oder 'den schrecklichen Argentinier', s. Info) doch bald setzte sich die Bezeichnung Petit-Breton durch. Der Ursprung dieses Namens liegt in Südamerika: Angeblich zögerte er beim Einschreiben zu einem Rennen aus Furcht vor seinem Vater mit der Angabe seines Familiennamens und murmelte kleinlaut: "Ich bin Bretone", woraufhin er mit dem Namen Bretone vermerkt wurde. In Frankreich wurde dieser Namen schnell übernommen, vielleicht gab Lucien ihn selbst an, um sich von seinem jüngeren Bruder, der ihm nach Europa gefolgt war und sich ebenfalls dem Radrennsport zugewandt hatte, zu unterscheiden. Petit, der Kleine, setzte ein Jurymitglied davor um ihn nicht mit einem anderen, größeren Fahrer gleichen Namens zu verwechseln. Es dauerte nicht lange und  niemand kannte mehr den richtigen Familiennamen des jungen, begnadeten Radlers.   

 

Seine enorme Leistungsfähigkeit im ausdauernden Tempofahren veranlasste Petit-Breton 1902 zusätzlich Dauerrennen zu bestreiten. Bereits sein zweites Steher-Rennen gewann er und im prestigeträchtigen Bol d'Or, einem Pariser 24 Stunden-Rennen, belegte er hinter Constant Huret und vor Josef Fischer einen vielbeachteten zweiten Platz. Er vernachlässigte jedoch die Sprints nicht und trat 1902 und 1903 in beiden Rennen-Varianten an. Auch vor extremen Dauerbelastungen schreckte er nicht zurück. Zäh und diszipliniert fahrend, konnte er im Pariser Achttagerennen mit täglich 8 Stunden Fahrzeit hinter Jean Gougoltz den zweiten Platz belegen, im New Yorker Sechstage-Rennen dagegen mit Henri Cotenet als Partner, wegen eines Massensturzes in der letzten Runde, nur den 6. Rang. Die Disziplin, mit der er einst begonnen hatte, die Straße, reizte ihn immer noch und so widmete er sich im Frühjahr 1904 zusätzlich dem Training als Straßenfahrer.

 



Der erst 22jährige schlug sich prächtig, bei Paris-Bordeaux über 575 km führte er bis kurz vor dem Ziel gemeinsam mit Emile Georget, als er durch einen Reifenschaden den Anschluss verlor und 'nur' zweiter vor Maurice Garin wurde. Allerdings wurden die vier Erstplazierten aufgrund verschiedener Einsprüche disqualifiziert. Sein größter Erfolg 1904 gelang ihm mit dem Sieg des Bol d'Or, den er mit 72 km Vorsprung gewann und damit einen neuen Rekord aufstellte. Danach startete er immer wieder als Flieger.

 



Lucien beim Reifenwechsel

1905 schrieb er sich zum ersten Mal bei der Tour de France ein und beendete diese als Fünfter, immerhin noch als Fünfter, könnte man sagen. Folgendes war geschehen: Auf der ersten Etappe hatten Unbekannte 125 kg Nägel verstreut (alle in einem Geschäft in Paris gekauft, wie später herauskam), sodass nur ein einziger Fahrer ohne Reifenschaden das Ziel erreichte. Der allmächtige Tourvater Henri Desgrange wollte das Rennen komplett abbrechen, änderte aber seine Meinung und disqualifizierte dafür alle Fahrer, die nicht innerhalb des vorgebenen Zeitlimits angekommen waren oder wegen verbrauchter Ersatzreifen den Zug genommen hatten; d. h. lediglich 15 der 60 gestarteten Fahrer hätten die Tour fortsetzen können. Lucien Petit-Breton, dem bereits alle Reifen ausgegangen waren, kochte vor Wut und reiste kurz entschlossen sofort nach Paris zurück. Ein Journalist, den er zufällig am Bahnhof traf, überredete ihn jedoch zurückzufahren und das Rennen wieder aufzunehmen, schließlich kannte man die Wankelmütigkeit des Herrn Desgrange. Er hatte recht, Desgrange ließ alle Fahrer das Rennen fortsetzen, wohl auch umgestimmt durch einen Solidaritätsstreik der 15 verbliebenen startberechtigten Fahrer, mit dem sie die Weiterfahrerlaubnis der anderen einforderten. Und so konnte Lucien, auf den letzten Platz gesetzt, wieder antreten.

 

Erfolgreich abgerundet wurde das Jahr für ihn durch den Stundenweltrekord mit 41,110 km. 1906 verlief für ihn wenig spektakulär doch zufriedenstellend, er gewann Paris-Tour und wurde achtbarer 4. der Tour de France, einer Tour, die nur 14 Fahrer beendeten und von René Pottier bestimmt wurde.

 



Nun gehörte er zu den Favoriten der nächsten Frankreichrundfahrt, die noch keine allzu hohen Berge im Programm hatte und somit einem starken Tempobolzer wie ihm entgegen kam. Zunächst sah es jedoch nach einem Sieg von Emile Georget aus, der am Ende 6 von 14 Etappen für sich entschieden hatte, aber nach der 9. wegen eines illegalen Fahrradwechsels, sein Rad war nach einem Sturz zerstört, deklassiert wurde. Wohingegen Petit-Breton diese Etappe mit einer aufsehenerregenden Alleinfahrt über 250 km gewinnen konnte. Das Ende der Tour soll ein brutaler Kampf zwischen den Erstplazierten gewesen ein, da Georget alles versuchte, um doch noch zu gerwinnen. Vergebens, der glückliche Sieger war der erst 24 Jahre alte Lucien Petit-Breton.

 



Emile Georget und Lucien Petit-Breton im Duell während der Abfahrt von Esterel 1907


1908

Lucien fuhr mit Bedacht. Er kannte sein Rad genau und wusste es bestens selbst zu warten. Ebenso sorgfältig achtete er auf seine Gesundheit und Unversehrtheit. Er arbeitete methodisch, hatte taktisches Geschick und beobachtete seine Gegner genau, schließlich ist es wichtig, die Angriffe klug zu setzen. Er fuhr gleichmäßig, kraftvoll und elegant, sodass er den zusätzlichen Namen 'Metronom' verpasst bekam. Petit-Breton: "Wenn sie an der Tour de France teilnehmen wollen, dann sollten Sie sich unbedingt darüber im Klaren sein, dass sie mehr mit dem Kopf als mit den Beinen fahren müssen. Vermeiden sie alles, was ihrer Maschine und ihrer Gesundheit schaden könnte. Kümmern sie sich auf der Straße und danach immer gut um das eine wie um das andere."

 



Strategisch ging er auch die Tour 1908 an und distanzierte bald alle Fahrer. Lediglich der Luxemburger Francois Faber schien den Anschluss halten zu können, doch ernsthaft gefährlich konnte er dem Vorjahressieger nicht werden. Am Ende der Rundfahrt hatte der Franzose 5, der Luxemburger 4 Etappen von 14 gewonnen und Petit-Breton hatte als erster Fahrer die Tour zum zweiten Mal in Folge für sich entschieden.

 

letzte Etappe der Tour 1908
Faber und Petit-Breton
kämpfen um den Etappensieg
Petit-Breton gewinnt vor Faber


Nach diesem Sieg erklärte er, er wolle es in Zukunft ruhiger angehen lassen, dies sei seine letzte Tour gewesen. Tatsächlich läßt er sich im folgenden Jahr kaum bei Rennen sehen. Doch er hielt wohl die Ruhe nicht aus.

 



Tour de France 1912, vor und nach der ersten Etappe:
1911 hatte er seine linke Kniescheibe doppelt gebrochen. Er startete mit einem Klebeverband. Während der ersten Etappe 1912 stürzte er erneut und verletzte sich das rechte Knie.

1910 versuchte er sich beim Giro d'Italia und erneut bei der Tour de France, beendete aber beide nicht; das gleiche 1911. 1912 wurde er zweiter bei Bordeaux-Paris, musste jedoch die Tour de France schon auf der zweiten Etappe verlassen, nachdem er sich während der ersten Etappe bei einem Sturz am Knie verletzt hatte.

 

1913 trat er ein weiteres Mal bei der Tour (es war die Tour während der Eugène Christophe zum Schmied wurde) an und es sah gut aus. Nach der 13. Etappe lag er hinter dem Belgier Philippe Thys an zweiter Stelle, alles war offen, den Rückstand konnte ein angriffslustiger Rouleur wie Petit-Breton noch wettmachen. Doch am vorletzten Tag stürzte Lucien und verletzte sich erneut am Knie. Was für ein Drama, es wäre so triumphal gewesen.

Ein letztes Mal trat er im folgenden Jahr an, gab aber auf der 9. Etappe auf.

 

Der erste Weltkrieg forderte auch unter den Radsportlern viele Opfer. Lucien Petit-Breton, eingesetzt als Fahrradkurier, wurde am 20. Dezember 1917 etwa 20 Kilometer hinter der Frontlinie von einem betrunkenen Lastwagenfahrer überrollt und getötet.



Ergebnisse:

1901

1. Platz Prämienfahren, Paris-Prinzenpark

1902

2. Platz Bol d'Or, Paris

1903

2. Platz Achttagerennen, Paris

6. Platz Sechstage-Rennen New York, mit Contenet

1904

1. Platz Bol d'Or, Paris

2. Platz Bordeaux-Paris

1. Platz Sechstundenrennen, Paris-Buffalo

6. Platz Sechstage-Rennen New York, mit Gougoultz

1905

5. Platz Tour de France

Stundenweltrekord

1906

1. Platz Paris-Tour

4. Platz Tour de France - 1. Platz in der Gruppe der plombierten Maschinen (durften nicht gewechselt werden)

1907

1. Platz Mailand-San Remo

1. Platz Tour de France (mit plombierter Maschine) 

1908

1. Platz Paris-Brüssel

1. Platz Tour de France

1909

1. Platz Tarragon-Tour

1. Platz Buffalo-Cup, Paris

1910

(...)

1911

1. Platz 5. Etappe Tour de France

2. Platz 8. und 9. Etappe Tour de France

1912

2. Platz Bordeaux-Paris

1913

2. Platz 2., 11., 12., 13. Etappe Tour de France

1914

(...)



 

Quellen:

Sportalbum der Radwelt, 6. Jahrgang

Le cyclisme, Pierre Lafitte 1912

l'Humanité, 18.7.2003

La Vie en Grand Air, 6.7.1912

Les Woodland, Das Velodrom der Narren, 2004

 

&copy cycling4fans.de

Maki, März 2006



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